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Ständische Kompetenz oder Parlament.

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Der nachstehende Aufsatz stellt ein in seinen letzten Konsequenzen überaus weitreichendes verfassungsrechtliches Thema auf Grund nicht mehr zu übersehender Tatsachen zur Debatte. Man könnte die Frage -Scharf so formulieren: Siegt doch der ständische Organisationsgedanke im Geiste über die alte parlamentarische Repräsentation des Volkswillens? Und welche Übel können auf einem nur durch die Macht von Wirtschaftsgruppen getragenen, nicht durch einen das ganze Staatsvolk umfassenden konstruktiven Plan entstehen? Die hier wiedergegebene Untersuchung regt mancherlei Nachdenklichkeiten an. „Die österreichische Furche“

Im inneren Kräftespiel unseres Landes beginnen sich immer bestimmte Formen der öffentlichen Willensbildung durchzusetzen, die gegenüber den Verhältnissen der Nachweltkriegsjahre durchaus veränderte Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen. Und zwar scheint sich der Schwerpunkt der tatsächlichen Macht im Staate in steigendem Maße vom Parlament in den Bereich der Gewerkschaften und Wirtschaftskammern zu verlagern. Der Zug der Zeit strebt offenbar über das rein parlamentarische System hinaus.

Die formale Grundlage dieser Entwicklung bildet das Kollektivvertragsgesetz, das im Effekt auf die Delegierung einer beschränkten Gesetzgebungsgewalt an diese Organisationen hinauskommt. Denn es ermächtigt die Leitungen der Arbeitnehmer- und Unternehmerverbände, allgemeine Vertragsbedingungen zu vereinbaren, die für alle Verbandsmitglieder Rechtswirksamkeit haben.

Im Rahmen dieses Gesetzes sind bis heute drei Lohn- und Preisabkommen zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und dem Gewerkschaftsbund zustande gekommen sowie eine Reihe engerer Kollektivverträge in der Landwirtschaft und in den verschiedenen Zweigen der gewerblichen Wirtschaft, die bisher die Vermeidung von Streiks und eine im wesentlichen ruhige innere Entwicklung ermöglicht haben.

Das Gesetz hat die Ausbreitung einer allgemeinen Kampfatmosphäre verhindert und zu einer verhandlungsbereiten, mehr von gesamtstaatlichem Verantwortungsbewußtsein erfüllten Haltung der Gewerkschaften geführt. Auf die Haltung der Gewerkschaften aber kommt es entscheidend an.

Vom Gesichtspunkt des inneren Friedens — und dieser bat zweifellos in Zeiten einer außerordentlichen sozialen Belastung die vordringlichste Sorge der Regierung zu bilden, man denke dabei auch an die unmittelbaren Eingriffsrechte, die sich die Besatzungsmächte für den Fall einer Beeinträchtigung von Sicherheit und Ordnung in ihren Zonen eingeräumt haben — muß den genannten Kollektivverträgen zweifellos eine positive Wirkung innerhalb der bisherigen Nachkriegsentwicklung zuerkannt werden.

Kann aber darüber hinaus dieses System des direkten Paktierern der verschiedenen sozialen Interessengruppen im Bereich gesamtstaatlicher Belange, das infolge des Zusammenhanges zwischen allen Fragen des öffentlichen Lebens zu einer Ausbreitung über immer weitere Gesetzgebungsmaterien drängt, als eine auch im allgemeinen begrüßenswerte Zeiterscheinung angesehen werden?

Gewöhnlich werden sicherlich Aussprachen zwischen den Berufsverbänden, die in Fühlungnahme mit der Regierung erfolgen, in einer wirklichkeitsnäheren, weniger durch ideologische Momente bestimmten Atmosphäre verlaufen, ab dies in der Regel von parlamentarischen Verhandlungen erwartet werden kann- Denn Berufsorganisationen sind ihrem Wesen nach auf ein engeres Wirkungsfeld beschränkt ab politische Parteien. Ihre Zielsetzungen sind nicht nach Programmen orientiert, die das staatliche Leben erst in einer vorgestellten Weise zu ordnen erstreben, sondern sie werden bestimmt durch die realen Interessen, die sich aus der bestehenden sozialen Struktur der Gesellschaft ergeben. Wenngleich zweifellos auch in ihnen Parteiinstanzen einen Einfluß erlangen können und vielleicht gerade heute einen solchen in einem besonderen Maße haben, so werden doch die Zielsetzungen aller sozialen Organe schon durch ihre Funktionen als solche vorausbestimmt. Ihre Funktionäre wachsen in bestimmte, durch Aufgaben der Organe begrenzte Wirkungskreise hinein und werden durch die fortlaufende Geschäftsgebarung bis zu einem gewissen Grade immer innerhalb der Grenzen ihrer Aufgabenbereiche gehalten.

Man wird daher auch im allgemeinen eine erhöhte Wirklichkeitsnahe und Sachlichkeit als einen Vorzug der kollektivvertraglichen gegenüber der rein parlamentarischen Willensbildung anerkennen müssen. Demgegenüber erscheint als eine wesentlich Schattenseite dieser zwitterhaften Veränderung des parlamentarischen Staates ein wachsendes Erdrück’werden der schwächeren durch die numerisch und organisatorisch stärkeren Bevölkerungsgruppen. Denn parallel mit der abnehmenden Bedeutung der Parteiprogramme, die auch nach Fernzielen orientiert und von Idealbildern einer gesamtstaatlichen Ordnung getragen waren, gelangen immer mehr die nadkten Kollektivinteressen der stärkeren Verbände zum Wort. Diese Wirkung zeigt sich schon heute in den größtenteils unzulänglichen Lebensverhältnissen der geistig arbeitenden Kreise.

Vergegenwärtigt man sich nun das durchgehend wissenschaftlich fundierte Leben der modernen Gesellschaft und bedenkt, daß unser gesamter zivilisatorischer Aufschwung während der letzten Jahrhunderte nur .aus dem fruchtbaren Nährboden allgemeiner Erkenntnisbildung erwachsen konnte, so läßt sich erwarten, daß eine weiterhin ungenügende und womöglich noch abnehmende Pflege des geistig-theoretischen Arbeitspotentials im Staate in der weiteren Folge nicht allein den kulturellen Entfaltungsprozeß hemmen, sondern auch auf den Lebensstandard der breiten Massen in einer ungünstigen Weise Zurückschlagen müßte.

Man kann daher zusammeiifassend sagen: Dem in den diesmaligen Nachkriegsjahren herausgebildeten System von Kollektivverträgen, di weite Bereiche gesamtstaatlicher Belange umfassen, muß der Erfolg einer bis heute friedlichen inneren Entwicklung unter den so schwierigen Verhältnissen unseres Landes zugerechnet werden. Darüber hinaus kann dieses System als eine im Prinzip zweifellos ausbaufähige Form der Gesamtwillensbildung angesehen werden. Ein ungesteuertes F o r 11 a u f e n 1 as s e n dieser eingeschlagenen Entwicklung, das heißt die weitere Duldung eines einseitigen Ubergreifens nur der stärkeren Ständegruppe in die Kompetenzen des Parlaments, müßte aber, insbesondere in der ferneren Zukunft, zu bedauerlichen Konsequenzen führen.

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