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Umstrittene Formen der Wirtschaft

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Die von der Labour Party angestrebte und schon durchgeführte Verstaatlichung sogenannter Schlüsselbetriebe hat in England die öffentliche Meinung verschiedentlich erregt und bildet nicht bloß dort, sondern in allen Ländern mit starker industrieller Betätigung Anlaß zu heftig widerstreitenden Bestrebungen und Meinungen, die in ihrer letzten Konsequenz auch den Kern des kaum zu überbrückenden Gegensatzes zwischen den Auffassungen des Westens und des Ostens bilden. Die Vertreter der positiven Soziologie mögen redit haben, wenn sie in diesem Widerstreit der Meinungen keinen problematischen und somit wissenschaftlich lösbaren Gegensatz erblicken, sondern einen rein kämpferischen, der zunächst noch mit den Mitteln der ideologischen Durchdringung ausgetragen wird. Es ist der alte Kampf der Stände und Klassen im neuzeitlichen Gewände, den zudem eine geschickte Diplomatie als Aushängeschild für weitgehende imperiale Ziele benützt.

Die wirtschaftlidien Folgen derart in seiner Struktur beeinflußten sozialen Gemeinschaft werden sehr oft erörtert. Man verweist auf den Reichtum Amerikas mit seiner schier unerschöpflichen Produktion, und dagegen auf die verhältnismäßige Armut Rußlands und sieht — was wir Zeitgenossen wohl noch nidit entsdieiden können — hierin die Auswirkung der Lebensauffassung, der sich beide Staaten offiziell so verschieden verschrieben haben. Man scheint jedoch in deii Stimmen der beiderseitigen Propaganda und in den Stimmen der mehr abseits stehenden Mitläufer und Beobachter, denen es auf Klärung und Ausgleich eher ankommt, wenig zu beachten, daß der Gegensatz eine im Menschen liegende Ursache hat.

Während des Krieges wurden in Deutschland Untersuchungen angestellt, welche Betriebsform die relativ leistungsfähigste sei. Das Ergebnis war, daß derjenige Betrieb mit geringstem Aufwand von Material und Arbeitskraft die relativ höchste Leistung hervorbringe, der von einem organisatorisch fähigem Kopf zur Gänze über-blickbar ist, daß also die Größe des Betriebes nur dann einen Vorteil, eine Vergrößerung des wirtschaftlichen Effektes bedeutet, und vor allem die Leitung ihrer Aufgabe gewachsen ist. Noch niemals hat man davon gehört, daß die Arbeiter gegen geniale Unternehmer, wie Josef Werndl, , Lord Nuffield, Werner Siemens, den alten Krupp feindselig eingestellt gewesen wären. Im Gegenteil wurden diese Unternehmer von allen Werksangehörigen geaditet und geliebt, weil sie es waren, die den Betrieb wirklich führten und jede, auch die geringste technische Arbeit unter Umständen selbst und eigenhändig verrichten konnten. Der Blick dieser Unternehmer, und vieler anderer weniger bekannter, auf die Arbeit ihrer Werksangehörigen, wird niemals des Verständnisses ermangeln, er zeigt von Kenntnis ihrer Schwere, würdigt die Bemühung und verspricht omit außer dem materiellen Lohn auch Anerkennung und etwa sozialen Aufstieg. Es ist bewunderungswürdig, mit welchem Stab treuer und ausgesucht bewährter Mitarbeiter sie sich aus allen Schichten ihrer Gefolgschaft ohne Rücksicht auf nationale Herkunft, Vorbildung oder gar politische Parteizugehörigkeit zu umgeben wußten.

Nach dem Tode der genialen Gründer wird ihr Werk, das mit ihrer Persönlichkeit gewachsen ist, bürokratisch aufgegliedert, weil der überragende Kopf zur Leitung eben fehlt. Das Bankenkapital bemächtigt sich seiner und bestimmt sein Schicksal. Die zahlreichen Pfründen und Posten des Unternehmens bilden für Streber ein begehrtes Ziel. Nicht die Leistung entsdieidet bei der Auswahl der neuen Betriebsführer, nidit das Wissen und die Erfahrung und nicht das unentbehrliche, aber nicht erlernbare Organisationstalent, sondern in der Regel finanzielle Beziehungen oder politische Protektion. Es ist nun klar, daß der Werksangehörige gegenüber diesen neuen Direktoren und Chefs die Zufälligkeit, deren sozialen Besserstellung, notwendig empfinden muß, und daraus entspringt wohl die Quelle alles sozialen Unfriedens Im Gefolge an die durch den Krieg bedingten Erschwernissen und Nöten ist man allmählich dazu übergegangen, das gesamte wirtschaftliche Leben der sogenannten staatlichen Planung zu unterziehen. Der Erfolg ist bisher gewiß nicht ermutigend. Man geht wohl nicht fehl, wenn der Grund gleichfalls im Mangel an entsprechenden Begabungen gesucht wird. Wenn diet betriebswirtschaftlichen Untersuchungen in Deutschland erwiesen haben, daß durchschnittlich nur ein Betrieb mit 400 Werksangehörigen von einem Kopf überblickbar war und deshalb das höchste leistete an Anpassung der jeweils geschaffenen Verhältnisse und am relativen Ausmaß der Produktion, so muß man wohl daraus schließen, daß zur Durchführung einer bis in Einzelheiten gehenden Planung der gesamten Produktion eines Landes die Köpfe himmelweit fehlen. Die Bürokratie mit ihren Fragebögen bringt sie jedenfalls niemals zuwege. Die allgemeine Unzufriedenheit ist die Folge.

Das Werk der großen Gründer wirft auch seine Schatten. Der Betrieb selbst wird Schauplatz finanzieller und politischer Wettkämpfe und Objekt mannigfacher Interessen und nicht bloß das, die Art seiner nunmehr aufgegliederten, bürokritischen Führung wird verallgemeinert auf alle Belange des wirtschaftlichen I^cbens. Nicht der einzelne sucht sich nun zu behaupten, sondern die Organisation. Es mag ein Fehler gewesen sein, daß wiederholt die Staatsgewalt eingeschritten ist, um Unternehmen von überdimensioniertem Ausmaß, deren Leitung sich unfähig erwiesen hat, aufgetretene Schwierigkeiten zu meistern durch Investitionen entweder offen oder verschleiert zu “retten, statt sich zu kümmern, daß die darin beschäftigten Menschen einem anderen Erwerb zugeführt worden wären. Dieses Denken in der wirtschaftsbürokratischen Form heißt in seiner weitesten Verallgemeinerung -nichts anderes, als sich das gesamte wirtschaftliche Leben nur bürokratisch geplant vorstellen zu können im Gegensatz zum begabten Gründer, dessen Organisationstalent die einfachste und lebensnahe Improvisation fand, der jeweiligen Erfordernis entsprechend, der die Organisation folgte.

Auf die allgemeinen Verhältnisse übertragen, heißt das wohl, daß in allen Ländern Europas, in denen die Irdustrie während der letzten Jahrzehnte e;nen übergroßen Aufschwung nahm, jene Persönlichkeiten geschwunden sind, die Leben in die bestehenden Einrichtungen bringen könnten, während sie in Amerika in reichem Maße vorhanden zu sein scheinen. Denn der amerikanische Arbeiter denkt nicht an Klassenkampf, sondern hofft innerhalb des herrschenden Systems auf den sozialen Aufstieg. Im agrarischen Osten scheint jedoch die Industrie schon in der Form errichtet oder mehr und mehr errichtet zu werden, wie sie im alten Europa besteht: im Ersatz des wagenden Unternehmers durch den an ungezählte Verordnungen gebundenen und daher verschreckten und sdiwerfälligen, nichts wagenden Beamten. Kein Mensch kann sagen, zu welchem Ergebnis diese Entwicklung führt. Jedenfalls verkleinert sie das Sozialprodukt!

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