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Emil Steinbach

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Solange noch zwischen reich und arm ein breiter Mittelstand dazwischenliegt, werden die beiden Extreme selbst moralisch vom Zusammenstoß abgehalten. Nichts bewahrt sicherer vor dem Neid gegen die Höheren und vor der Verachtung gegen die Niederen, als eine ungebrochene Stufenleiter der bürgerlichen Gesellschait. Sperate miseri, cavete iellcesl ^_c ' '• \_' “ , „ .

R o sc h 9 r : „Grundlagen der Nationalökonomie

Emil Steinbach gehört zu jenen großen Österreichern, die durch viele Jahre nicht nur das politische Leben der alten Monarchie maßgebend beeinflußt, sondern auch auf geistigem, sozialem und kulturellem Gebiet dauernde Spuren hinterlassen haben. In Lexiken wird er als österreichischer Staatsmann bezeichnet. Damit ist aber auch nicht annähernd der Umfang und die Vielseitigkeit seines Wirkens gekennzeichnet. In weiteren Kreisen ist er heute vielleicht noch als der Finanzminister bekannt, dem es 1892 gelang, die Valutaregulierung durchzuführen, die Steuergesetzgebung maßgebend zu reformieren und der im Jahre 1893 gemeinsam mit dem Gesamtkabinett des Ministerpräsidenten Grafen Taaffe zurücktrat, da der hauptsächlich auf seine Initiative unternommene Versuch, das allgemeine Wahlrecht einzuführen, durch den Widerstand fast aller Parteien gescheitert war.

Von heute gesehen, liegt aber seine große Bedeutung hauptsächlich auf dem Gebiet der Sozialpolitik und der Volkswirtschaft.

Steinbachs Wirkenszeit war von den nationalen Streitigkeiten der verschiedenen Völker der Monarchie beherrscht. Die Frage der Staatssprache und die damit zusammenhängenden Debatten, aber auch Uneinigkeiten auf kirchenpolitischem Gebiet und in Fragen des Unterrichtswesens der Sozialpolitik und der Volkswirtschaft standen im Vordergrund des Interesses. Steinbach wandte sich von allem Anfang an den Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu. Man wird seine Tätigkeit niemals ganz verstehen können, wenn man nicht berücksichtigt, daß er jede wirtschaftliche Entwicklung von ethischen Momenten abhängig sah, sie nach ihren sittlichen Begleiterscheinungen sowie nach ihren ethischen Entwicklungstendenzen beurteilte. Seine Tätigkeit als Gesetzgeber basiert in erster Linie auf einer Vereinigung von ethischen mit sozialen Gedanken. Noch einer anderen Voraussetzung muß hier gedacht werden, das ist der hohen Bedeutung, welche er den Idealen der Pflichterfüllung und der Selbstentäußerung beilegte, Eigenschaften, die er als selbstverständliche Voraussetzung, vor allem anderen für jeden Beamten ansah. Daß er an sich selbst, auch was sein Privatleben betraf, denselben Maßstab in aller Strenge anlegte, versteht sich bei seiner Lebensauffassung von selbst. Er war tiefinnerlich fromm.

Schon der Inhalt eines seiner ersten Vorträge, dessen Titel zu einer Art von Schlagwort wurde: „Von den Pflichten des Besitzes“, zeigte deutlich die Entwicklungslinie seines sozialen Reformwerkes, wie man seine legislatorische Tätigkeit wohl nennen darf.

Steinbach konnte sich zum Teil auf Ideen stützen, die schon in den siebziger Jahren eine Reihe christlich-konservativer Sozialreformer unter der geistigen Führung des Freiherrn von Vogelsang entwickelt hatten, und er war der richtige Mann, der diese Reformen, die auch von der Kirche unterstützt wurden, zur Durchführung brachte, der den gesetzlichen Arbeiterschutz, den Normalarbeitstag und die Arbeiterversicherung zur Wirklichkeit werden ließ, das heißt die bezüglichen Gesetze nicht bloß verfaßte, sondern audi im Parlament vertrat. Um einen Begriff von der Ausdehnung seiner Tätigkeit zu bekommen, seien hier einige der wichtigsten Gesetze angeführt, die seiner Feder entstammen:

Das Gesetz gegen den Wucher vom Jahre 1881, die Einführung des Gewerbeinspektorats 1883, die Einführung der allgemeinen Normalarbeitszeit 1885,

• die Feststellung der Arbeitszeit für jugendliche Arbeiter und Frauen sowie Bergleute 1886,das Arbeiterunfall- und Krankenversicherungsgesetz sowie das Gesetz über das Höferecht 1887,die Regelung der bäuerlichen Erbfolge 1888/89,das Gesetz, betreffend die Regelung der Sonn- und Feiertagsruhe im Gewerbetrieb 1893.

Ein Blick auf den Inhalt dieser Vorlagen zeigt die soziale Einstellung Steinbachs, seine sozialpolitischen Absichten, die allerdings in erster Linie erreichen wollten, daß die besitzenden Klassen spontan die ihm als selbstverständlich erscheinenden Pflichten den Arbeitnehmern gegenüber auf sich nehmen sollten, ehe sie — und das schien ihm unvermeidlich — durch soziale Revolutionen dazu gezwungen würden. Auch zeigt sich in diesen Gesetzen seine Abneigung gegen einen engherzigen Liberalismus, ein aufrichtiges und ehrliches Verständnis für die unteren Schichten der Bevölkerung, denen er selber entstammte. Kaiser Franz Joseph schätzte die Treue dieses Mannes und sowohl Josef Redlich als auch Tschuppik stellen unabhängig voneinander fest, daß außer Schäffle kein Minister so bleibenden, tiefen Eindruck auf den Kaiser gemacht habe, wie dieser.

Wie sehr Steinbach den Rahmen seines engeren Pflichtenkreises sprengte, zeigt die Tatsache, daß er als jüngerer Beamter die österreichische Regierung bei den Verhandlungen über den internationalen Frachtenverkehr in Bern vertrat und dort als der führende internationale Kopf angesehen wurde. Noch deutlicher sollte sich dies im Jahre 1891 zeigen, als der mittlerweile zum Sektionschef im Justizministerium vorgerüdue Steinbadi zur allgemeinen

Uberraschung zum Finanzminister ernannt wurde. Die Verhältnisse hatten gezeigt, daß aus den verschiedensten, auch außenpolitischen Gründen, daran gedacht werden mußte, an eine Reform der Währung zu schreiten, und Ministerpräsident Graf Taaffe war der wohl richtigen Ansicht, daß man bei der Lösung einer ebenso heiklen wie wichtigen Aktion nicht sosehr eines Mannes der praktischen Wirtschaft, als eines höchst gescheiten, um nicht zu sagen, genialen Kopfes bedürfe. Tatsächlich gelang es Steinbach 1892, die Widerstände der einzelnen Parteien zu überwinden und die Reform unter Dach und Fach zu bringen. Eine weitere bedeutungsvolle Tätigkeit, sicher nicht dazu angetan, die Beliebtheit eines Finanzministers zu erhöhen, war die Reform der Personalsteuern und die Einführung der Personaleinkommensteuer. Grundsätzlich wichtig ersdiien ihm auch hier eine gerechte Verteilung der Steuerlasten unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlich Sdiwächeren. Seine letzte politische Reformtätigkeit, die er gemeinsam mit Ministerpräsident Graf Taaffe in Angriff nahm, sollte allerdings den Rücktritt des Kabinetts zur Folge haben. Die Wirren in der Sprachenfrage hatten immer bedenklichere Formen angenommen, immer aussichtsloser ersdiienen die Bemühungen, eine Koalition der einzelnen Parteien und Nationalitäten zustande zu bringen.

Die österreidiische Sozialdemokratie hatte seit dem Hainfelder Parteitag 1888/89 an Einfluß gewonnen. Am 9. Juli 1893 forderten 50.000 Männer und Frauen vor dem Wiener Rathaus das Mitbestimmungsrecht. Dieser Moment erschien Steinbach ah der geeignete, um ein Wahlreformwerk in Angriff zu nehmen. Zweifellos hofften sowohl er wie sein Chef, durch die Erweiterung der Wahlberechtigung die vorherrschenden politischen Schwierigkeiten, wenn auch nidit zu überwinden, so doch in den Hintergrund zu drängen. Wenn sich bei der geradezu hellseherischen Begabung Steinbachs auch nicht voraussetzen läßt, daß er schon an die Annahme des Gesetzes glaubte, so erschien ihm der Augenblick doch besonders geeignet, um wenigstens einen Versuch zu wagen, die nationalen Fragen durch solche wirtschaftlicher Natur zu ersetzen. Als aber am 23. Oktober 1893 das Abgeordnetenhaus die Beratung der von Graf Taaffe verteidigten Reform begann, zeigte es sich, daß beinahe alle Parteien, auch die regierungsfreundlichen Liberalen, der Adel, die Konservativen und die Polen sich geschlossen gegen das Projekt wandten und so den Rücktritt des Gesamtkabinetts herbeiführten.

Damit hatte die politische Tätigkeit Steinbachs ihr Ende erreicht, er kam zum Obersten Gerichtshof, zu dessen ersten Präsidenten er 1904 ernannt wurde.

Im Verlaufe dieser Jahre entstand eine Reihe von sozialökonomischen und sozialphilosophischen Studien, welche die Prinzipien, die Steinbach stets geleitet hatten, nach den verschiedensten Richtungen zum Ausdruck brachten. Besondere Aufmerksamkeit verdient der 1896 gehaltene Vortrag: „Erwerb und Beruf“, in dem er der Ver-herrlidiung der Berufstreue das Wort spricht, sowie die Abhandlung über „Rechtsgeschäfte der wirtschaftlichen £)r-ganisation“, die er selbst als eine Ergänzung des ersten Vortrages nach der juristischen Seite hin bezeidinete. Seine 1899 erschienene Schrift „Zur Friedsbewegung“ erregte in den Tagen der erjten Haager Friedenskonferenz den Widerspruch zahlreidier Friedensfreunde, erweist sich aber, von heute gesehen, als Dokument größter Voraussicht. Schon damals blickte er mit Besorgnis in die Zukunft und hegte schwerste Sorgen für den Weiterbestand der Monarchie. Auch außenpolitisch war er mit der Entwicklung, besonders, was die Zugehörigkeit Österreichs zum Dreibund betraf, durchaus nicht einverstanden.

Als er am 26. Mai 1907 starb, schrieb die „Arbeiter-Zeitung“, die ihm nicht immer wohlgesinnt gewesen war: „Mit Steinbach ist einer der bedeutendsten und interessantesten Politiker Österreichs gestorben, dessen positive Leistungen, dessen Arbeitskraft und Wissen allein schon genügen würden, ihm einen ersten Platz in der Geschichte dieses Lande-, zu sichern.“

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