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An den Round geschrieben

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BUDGET UND MORAL Der österreichische Finanzminister hat vor der letzten Einigung über die Ausgabenseite des nächstjährigen Budgets in einer aufsehenerregenden Rede in der Vereinigung Österreichischer Industrieller die sozial- und wirtschaftspolitischen Funktionen der modernen Budgetpolitik in den Vordergrund gestellt, wie das bisher noch kein österreichischer Finanzminister vor ihm mit dieser Klarheit getan hat. Nur eine moderne Finanz- und Gesellschaftspolitik bedeute einen Schutz vor totalitären Maßnahmen, sagte der Minister. In der Politik wolle man das oft aus gruppenegoistischen Motiven nicht wahrhaben. In Österreich würden unter ständigem politischem Kampf die Staatsausgaben auf Grund rein politisch-taktischer Erwägungen ziemlich willkürlich ausgeweitet. Das sei jedoch nur eine konstatierende, aber keine gestaltende Finanzpolitik. „Der Sachverstand läuft hinter der Interessenpolitik her.’ Eine solche Finanzpolitik werde aber unsere Gesell- schaftspolitik nicht sichern und ausbauen können. Nach dem „vom Gruppenegoismus überrollten Budget 1961” wollte Minister Klaus für 1962 ohnehin nur bescheiden einen wirtschaftlich ausgeglichenen Staatshaushalt erreichen. Der Schlüssel zur Lösung wäre — und dem ist auch im gegenwärtigen Zeitpunkt nichts hinzuzufügen — ein demokratischer Ausgleich der Gruppeninferessen im Hinblick auf das Gemeinwohl. Die Entscheidung darüber ist freilich ein sfaatspolitischer Akt. Und da wehen alle Fahnen ja leider auf halbmast.

RÜCKKEHR DES „DRITTEN MANNES”!

Ein düsterer, blutiger Vorfall, der sich mitten unter uns, in einem friedlichen Wohnbezirk ereignet hat, ist die Kehrseite einer Medaille, die sonst Wien immer nur als Stadt der Kongresse, der Musik und der Zufriedenheit „Marke Wirtschattskonjunktur zeigt. Man sieht nun: auch die andere, die düstere Seite, gehört mit dazu. Es ist kein Film vom „Dritten Mann’ mit Zitherbegleifung. Ein Emigrant, ein Journalist, früher Redakteur der führenden katholischen Tageszeitung Ungarns, erfüllt „nebenbei’ eine offensichtlich unentbehrliche Rolle im Kalten Krieg, indem er Geheimagent wird. Das geht leightefj als viele ahnen, es gehört nur „etwas Mut” dazu. Denn auch der Gegner ist bald da, und in diesem unterirdischen Krieg ist „Feindfühlung” alles. Nach Jahren des gegenseitigen Abtastens schlug jetzt der brutalere der beiden feindlichen Partner zu, während sich die Wiener gerade an- schickfen, ihren Abend im Theater, im Kino oder im trauten Heim zu verbringen. Das Opfer wurde, einmal in die Falle gelockt, überwältigt und verschwand spurlos. Der Eiserne Vorhang, diesmal im doppelten, wirklich erschöpfenden Sinn — der, wie jetzt versichert wird, da und dort auch „Geheimtore’ aufzuweisen hat — schlof) sich. Das Lehrstück ist zu Ende. Eime Lehre: die Exekutivkraft des freien, neutralen Österreichs mul) ln die Lage versetzt werden, daf) sie mit Menschenraub und Agentenunwesen fertig wird.

DER STREIK-EINE HERAUSFORDERUNG! Oder ein legitimes Recht der Dienstnehmer? Je mehr sich die Vollbeschäftigung stabilisiert, um so deutlicher ist offenkundig, dal) im Rahmen von Steigerungen des Realeinkommens die Streikmotive sich vom Phänomen der Not abwenden und die Bestimmungsgründe des Streiks sich entscheidend ändern. Auf diese Weise stellt sich uns das Problem der Rechtfertigung des Streiks wie seiner Grenzen nicht nur als ein moralisches, sondern auch als ein soziales Problem. Das Institut für Sozialpolitik und Sozialreform hat daher die diesjährige Gewerkschaftskundliche Tagung — angesichts der Aktualität des Themas — der Frage des „Streiks in der gesellschaftlichen Ordnung von heule’ gewidmet. Am 26. und 27. Oktober werden zum Thema (jeweils um 18 Uhr im Rittersaal des niederösterreichischen Landhauses) Univ.-Doz. Dr. B u r g h a r d t („Der soziale Konflikt als moralisches und sozialökonomisches Problem’), Univ.-Prof. Dr. B y d I i n s k i, Graz („Der Streik in der Rechtsordnung’), Prodekan Univ.-Prof. Dr. Kaiser, Freiburg im Breisgau („Der politische Streik’) und schließlich der Obmann der Betriebsgruppe des OAAB in der ÖMV, Pilz, als Arbeitervertreter („Der Streik im Meinungsstreit der Arbeiter ) sprechen. So sehr der Streik Gegenstand politischer und ökonomischer Auseinandersetzungen ist, bedarf es doch einer unbefangenen Analyse jenseits von Parteiung und Bedachtnahme auf Presfigeinter- essen und vor allem eine Untersuchung der Frage, ob der Streik unserer Gesellschaftsordnung eingeboren ist oder nur den Bestand von Resten einer kapitalistischen Gesellschaft andeutet.

AUF EIDGENÖSSISCH GESPROCHEN. Die Schweiz nahm den heurigen Jahreskongrelj der Internationalen Union Christlicher Demokraten als Gastland aut. Seine Arbeit galt zunächst der Neubesinnung auf die geistigen Grundlagen christlicher Demokratie. (Die „Furche’ wird auf dieses Thema noch eigens zurückkommen). Dann aber war die Konfrontation mit den Gegenwartsfragen unerläßlich. Prof. Hallsfein war aus Brüssel nach Luzern gekommen, um den Delegierten von 22 christlichen Parteien (Gäste der Exilgruppen und der Schwesterverbände aus Lateinamerika waren bei der Tagung aktiv beteiligt) über den gegenwärtigen Stand der Europäischen Integration zu berichten. Er sprach sehr offen und mit juristischer Präzision: vom politischen Charakter der EWG, den auch kein anderer westeuropäischer Redner der Debatte in Frage stellte. Offen und eindeutig aber auch die Klarstellung des österreichischen Delegafionsführers Dr. Withalm. Die sich bildende europäische Gemeinschaft habe unserem Land gegenüber die moralische und politische Verpflichtung, einen rein wirtschaftlichen Assoziierungsweg aufzuzeigen, der mit unserer Neutralität in Einklang steht. Diese Neutralität sei auch für den Westen von Nutzen. Aber man müsse alles tun, um ihre wirtschaftliche Basis zu sichern. Klar und temperamentvoll trat der Schweizer Bundesrat Dr. Bourgknechf in der Debatte an die Seife Withalms. Man spricht offen und ohne Umschweife in der Schweizer Höhenluft ᾠ

FRANKREICHS PARTEIEN IM ANGRIFF. Der Scheintod der Hauptakteure der Vierten französischen Republik, der demokratischen Parteien, qehörf der Vergangenheit an. Bei der Eröffnung der gegenwärtig tagenden Parlamentssession wiederholte der Sozialist und Expremier M o 11 e t eine schon früher gemachte Ankündigung, er werde den Mißtrauensantrag seiner Partei gegen die Regierung Debrė bei der ersten sich bie- fenden Gelegenheit einbringen. Damit zeigt ich, daß der Versuch des Präsidenten, mit den Führern der Opposition in Einzelgesprächen eine Art Stillhalteabkommen abzuschließen, gescheitert ist. Nun meldeten ich nach und nach auch die übrigen Parteiführer zu Wort. Allen voran kam das einstige Idol französischer Linksintellekfueller — zu dessen glühenden Anhängern allerdings auch’ ein Francois Mauriac zählte —, Pierre Mendės-France, seinerzeit schlicht PMF genannt. In einer Pressekonferenz legte er sein Rezept auf den Tisch, wie man dem drohenden Bürgerkrieg Vorbeugen solle. Ganz offen sprach dieser Kampfgefährte de Gaulles aus der Krieqszeit von der Notwendigkeit einer Obergangsregierung, die binnen zwei Jahren den Frieden in Alqerien und eine große Reform der Verfassung zu verwirklichen hätte. Eine erste Annäherung zwischen ihm und Mollef läßt die ersten Anzeichen einer demokratischen Koalition der Linksparteien — wahrscheinlich unter Ausschluß der Kommunisten — am Horizont der französischen Innenpolitik erscheinen.

EIN SIEG DER REVISIONISTEN.

Einen Sieg, wenn auch nur einen kleinen, der aber den Keim künftiger Entwicklungen in sich bergen kann, haben Partei- und Regierungschef Kädär und seine treuesten Gefolgsleute in Ungarn errungen. Eine der eifrigsten Stützen des von Kädär verfolgten, wohl ein wenig von leninistisch-marxistischer Dogmatik angekränkelten Kurses, der frühere Sozialist György Marosän, wurde erster Stellvertreter Kädärs in dessen eigentlichem Hauptamt als Parteisekretär. Sein Vorgänger, dessen Ausscheiden aus diesem wichtigen Amt die Bedeutung des Vorrückens Marosän erst eigentlich erkennen läßt, hieß Käroly Kiss, und dieser Mann war schon zu Räkosis Zeiten als „Dogmatiker’ und Stalinist bekannt, ja manchmal zur Not auch gerügt worden. Zudem beerbte nun Marosän seinen Kollegen vom anderen, linken Flügel auch im genannten Präsidialrat. In der Zeit vor dem Parfeikongreß des Jahres 1959 war die Verankerung Marosäns im Parteisekretariat von Kädär selbst schon angekündigt worden. Damals reichte jedoch die Macht der „Dogmatiker” und „Sektierer , kurz auch Links- abweicher genannt, noch aus, um ein Vordringen der „Revisionisten’, für die ja der immer modisch gekleidete Marosän schon rein äußerlich ein Sinnbild ist, zu vereiteln. Nun ist es so weit.

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