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RANDBEMERKUNGEN

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MIT DEM FEIERLICHEN AUSTAUSCH der Ratifikationsurkunden in Bonn tritt der deutsch-österreichische Vermögensvertrag in Kraft. Der Bonner Bundestag hatte im Mai bereits sein „Ja“ gesprochen, der österreichische Nationalrat in der vergangenen Woche das Placet gegeben. Hiermit war die Bahn frei. Das Vertragswerk hat seinerzeit bei seinen Beratungen Diskussionen ausgelöst, die auch in die Spalten unseres Blattes Eingang fanden. Was nicht verschwiegen werden sollte, wurde damals gesagt ... Nun, da der Vertrag verbindlich ist, wünschen wir nur, daß er zum Nutzen und Heil des österreichischen Volkes, aber auch guter, freundnachbarlicher Beziehungen mit dem deutschen Partner gereicht. Die Zukunft wird es lehren.

STREIK, GEGEN WEN! Ein Gegenstand ernster Auseinandersetzungen zwischen der Kirche in Oesterreich und den Sozialisten des Landes ist die Subventionierung der katholischen Schulen. Nun scheint man auf gewerkschaftlicher Seite so etwas wie Verständnis dafür zu haben, dafj die katholischen Schulen beileibe keine Sache „reicher“ Eltern allein sind, sondern daß in gleicher Weise durch ein Aushungern der katholischen Erziehungsanstalten die an diesen beschäftigten Lehrkräfte betroffen sind. Dafj sich unter den Eltern viele Sozialisten befinden, sei so nebenbei bemerkt, also sozialistisch gesinnte Menschen, die keineswegs der Ansicht zu sein scheinen, dafj die katholischen Schulen Anstalten sind, in denen eine „bürgerliche“ Elite herangezogen wird. Leider gilt das oben erwähnte Verständnis von Gewerkschaftern für die Belange katholischer Schulen nicht den konfessionellen Lehransfalten in Oeslerreich, sondern in Frankreich. Das Organ der Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter, „Der neue Aufstieg“, stellt in einer Kurznachricht in seiner Juninummer fest, dafj in Lille die weltlichen Lehrkräfte an katholischen Schulen die Oeffentlichkeif auf ihre gegenüber den Lehrkräften an den staatlichen Lehranstalten relativ schlechten Bezüge aufmerksam machten. Durch 'nen Streik. Die geistlichen Lehrkräfte taten bei diesem Slreik schließlich mit. Leider wird aber von der Gewerkschaftszeitung vergessen, hinzuzufügen, da') der Streik der Lehrer an katholischen Schulen In Frankreich sich nicht gegen ihre formellen Dienstgeber richtete, sondern gegen jene politischen Parteien, die ihnen hartnäckig einen gerechten Lohn verweigern. Sollen nun die Lehrkräfte an den katholischen Schulen in Oesterreich auch in Streik treten, .damit die Gewerkschaftsführer und die Führer der SPOe endlich merken, dafj ihr Nein zur Subventionier ng der katholischen Schulen ,sich schließlich gegen Arbeitnehmer richtet, gegen Intellektuelle, die sozial diskriminiert werden? Jedenfalls, käme es je zu einem Streik von Lehrern an katholischen Schulen, er würde sich in aller Form gegen die unnachgiebige Haltung der österreichischen Sozialisten in der Schulfrage richten, die mit einem Eifer, der einer besseren Sache würdig wäre, die Alleinherrschaft des Staates auf dem Sektor des Erziehungswesens verlangen.

DER 17. JUNI 1958. Am 17. Juni 1953 fand die erste Erhebung gegen den Terror im östlichen Machtbereich statt. In der sowjetischen Besafzungszone Deutschlands erhoben sich die Arbeiter in Berlin, Dresden und anderen Industriegebieten. Das zweite Fanal bildete die ungarische Erhebung vom 23. Oktober 1956. Den Vollzug ihrer Liquidierung meldet nun am 17. Juni 1958 zuerst der russische Rundfunk. Imre N a g y, Pal M a I e I e r, Miklos G i m e s und Josef S z i I a g y i wurden nach geheimen Gerichtsverfahren hingerichtet, Zoltan T i I d y und andere Prominente zu Kerkersfrafen von fünf bis zwölf Jahren verurteilt. Mit Abscheu und Entsetzen vernehmen wir diese Schandurteile. Mit Bestürzung fragt sich die freie Welt: wie müssen die inneren Zustände beschaffen sein in einem Machtblock, der sich weder Gerechtigkeit noch Milde leisten kann? Zu den Zeichen außerordentlicher Schwäche, die bereits im neuen Kampf gegen Tito sichtbar wurden, gesellte sich nun diese Dokumentation. Will sich der Ostblock abschließen, sind ihm die etwas freieren Luftzüge in den letzten Jahren so schlecht bekommen, daß er um seine Existenz fürchtet? Viel liegt in diesem Sommer in der Luft. Noch weiß man nichts Näheres über die Botschafterkonferenz in Peking und Moskau. Am Beginn des „Neuen Weges* steht nun die Vernichtung der ungarischen Freiheitskämpfer. Eine neue schwere Belastung für Europa, für alle jene, die Frieden schaffen wollen in einer friedlosen Welt. Dringender als je aber wird die Verpflichtung der freien Welt, nach wirksamen Methoden zu suchen, die diesem Wahnsinn Einhalf gebieten können.

DER „KLEINE“ UND DER GROSSE KRIEG.

Die politische Diskussion der militärischen Probleme nimmt in den angelsächsischen Ländern einen ganz anderen Raum ein als in Europa. Fast leidenschaftslos, in einer Sachlichkeif, die dem Europäer fremd ist, ihn erschreckt, werden da Fragen des Krieges erörtert wie Probleme der Wirtschaft und des Expories. In der letzten Zeit sind es vor allem Thesen von Henry A. Kissinger und Robert E. Osgood, die, zum Teil von Regierungsstellen lanciert, die Oeffentlichkeit befassen. Kissingers Buch über „Nucleare Waffen und Auswärtige Politik“ und Osgoods „Be-

grenzter Krieg“ untersuchen die Möglichkeit, den Krieg zu hegen, im Zeiialter der Atomwaffen. Beide Autoren sind der Ueberzeugung, daß es heute ein gewisses Gleichgewicht zwischen USA und UdSSR als Atommächte gibt und daß diese beiden führenden Weltmächte ein Interesse daran haben, es nicht zu einem totalen Krieg und zu totaler Vernichtung kommen zu lassen. Beide halten es für möglich, daß es zu einer gewissen Uebereinkunft der beiden Großen kommen kann und soll, auf den Einsatz im Letzten zu verzichten. Bleibt dann die heikle Aufgabe, im „kleinen Krieg“ sich zu engagieren. Kissinger schlägt deshalb an Stelle der alten Trennung von Land-, See- und Luftstreitkräften eine neue Unterscheidung von strategischer Streitmach (für den totalen Krieg) und taktischer Streitkräfte (für begrenzte Kriege) vor. Kissinger arbeitet minuziös eine Theorie des begrenzten Krieges aus, Osgood ist bescheidener, er untersucht die möglichen Konflikte und Konflikffelder in der Welt und demonstriert, daß durch eine sorgfältige Zusammenarbeit von Diplomatie und Strategie eine Hegung des Krieges in begrenzten Räumen und mit begrenzten Mitteln möglich sei. Eine indirekte Unterstützung dieser Thesen kommt durch eine amerikanische Untersuchung Carl Bergers über den Koreakonflikf dieser De-

balte zugute. Berger sucht aufzuzeigen, daß es bereits im Falle Koreas eine stillschweigende „Zusammenarbeit“, besser, Uebereinkunft, zwischen USA und UdSSR gegeben habe, auf den Einsatz von Atomwaffen zu verzichten und den Krieg begrenzt zu halten. Die Amerikaner bombardierten keine Gebiete jenseits des Jalu, die Koreaner-Chinesen-Russen griffen keine japanischen Räume an. — Die in ihrer nüchternen Sprache ebenso fremdartige wie erregende amerikanische Diskussion über den „kleinen Krieg“ verdient in Europa höchste Beachtung: sie ist nicht zuletzt im Zusammenhang zu sehen mit jener sich seit langem anbahnenden stillschweigenden Absprache zwischen Amerika und Rußland, sich gegenseitig nicht lebensgefährlich anzugreifen, keine „lebenswichtigen“ Weichteile zu fangieren. Auf dieses Interesse der beiden Großen wird in Hinkunft jeder europäische Staatsmann Rücksicht nehmen müssen, der Wert darauf legt, von den beiden Weltmächten ernsf genommen zu werden.

„SCHWARZER SOKNTAG FÜR SALÄZAR.“ Bei

den portugiesischen' Präsidentenwahlen entfielen 765.081 Stimmen (76,4 Prozent) auf den Kandidaten Salazars, Admiral Thomas, und 236.057 Stimmen (23,5 Prozent) auf den Kandidaten der Opposition, General Delgado. Von den neun Millionen Portugiesen waren nur 1,2 Millionen wahlberechtigt. Die Propagandafreiheit für die Opposition war äußerst eingeschränkt, sie durfte in den Wahllokalen keine kontrollberechtigten Delegierten haben, nur passive Beobachter. In größeren Städten sank die Wahlbeteiligung bis auf 40 Prozent herab. Die Opposition hat nicht nur in Industrieorten in der Umgebung Lissabons die Mehrheit errungen, sondern auch in der Universitätsstadt Coimbra, dem alfberühmfen Zentrum der katholischen Intelligenz in Portugal und wichtigen Stützpunkt Salazars, beachtenswerten Zulauf. — Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse wurden Verhaftungen in Kreisen der Opposition vorgenommen, Delgado seines Amtes als Chef der Zivilluftfahrt entsetzt. Man spricht von weiteren Repressalien. Das Ganze ist ein ernstes, weit über Portugal hinaus bedeutsames Kapitel politischer Geschichte. Nach dreißig Jahren Herrschaff isf, wie ausländische und inländische Beobachter übereinstimmend feststellen, zumindest die Hälfte der Bevölkerung der Diktatur müde. Nur die Furcht vor einem Chaos und die Herrschaft des Staalschefs über Armee, Beamtenschaft, Polizei und Wirtschaft verhindern heute drohende Veränderungen. Der Hauptvorwurf gegen Salazar, dem niemand seine Rechtlichkeif, Sparsamkeif, persönliche Anständigkeit vorwirft, isf der des „Immobilismus“: Beauftragte und Beamte verwalten nach strengen, unbeweglichen Gesetzen, vom Schreibfisch her, das Volk, dessen dynamische Kräfte brach liegen, isvf zur Untätigkeit verurteilt. Die Freunde Salazars verweisen, nicht ganz zu Unrecht, darauf, daß eben dieses Volk seine Kräfte aus eigenem nur zu permanenter Bewegung, Erhebung, brächte, hätte es nicht einen ebenso harten wie gerechten Schulmeister und Zuchtmeister. Eben den in großer Einsamkeit, Distanz und Kühle abseits der Wirren und Leidenschaffen des Tages lebenden Regierungschef. Bedeutsamer als das psychologisch interessante Faktum, wie da ein langjähriger enger Gefolgsmann Salazars, eben General Delgado, über Nacht zum öffentlichen Ankläger des Regimes wurde, isf das andere: wie kann ein llebergang gefunden werden von einem autoritären Regime zu einer Regierungsform, die direkt und indirekt breitere Schichten und Kräfte des Volkes an der Mitbestimmung der Geschicke beteiligt? Diese Frage isf für Portugal, Spanien und viele Länder der Welt heute noch ungelöst und bildet eine der schwersten Belastungen für die Zukunft.

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