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Wissenschaft und Friede

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Die Redaktion gibt hier dem bekannten Physiker und Friedenskämpfer das Wort, ohne sich mit seinen Anschauungen zu identifizieren, da diese eine uns notwendig erscheinende Bezugnahme zu den letzten Fundamenten der Ethik, Politik und Weltanschauung nicht aussprechen. Diese stellen aber an und ln sich ein bedeutendes Zeitdokument dar — ein wichtiges Belegstück für das ernste Ringen der modernen Naturwissenschaft- ler und Techniker um eine ethische Bewältigung der durch ihr eigenes Forschen der Menschheit zur Verfügung gestellten gigantischen Kräfte. Aus der Sorge um den rechten Gebrauch die er ungeheuren Machtmittel will der publizistische Einsatz und das öffentliche Auftreten dieser Wissenschaftler in Sachen, „die sie (scheinbar) nichts angehen“, gewürdigt werden. „Die österreichische Furche“

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Die Redaktion gibt hier dem bekannten Physiker und Friedenskämpfer das Wort, ohne sich mit seinen Anschauungen zu identifizieren, da diese eine uns notwendig erscheinende Bezugnahme zu den letzten Fundamenten der Ethik, Politik und Weltanschauung nicht aussprechen. Diese stellen aber an und ln sich ein bedeutendes Zeitdokument dar — ein wichtiges Belegstück für das ernste Ringen der modernen Naturwissenschaft- ler und Techniker um eine ethische Bewältigung der durch ihr eigenes Forschen der Menschheit zur Verfügung gestellten gigantischen Kräfte. Aus der Sorge um den rechten Gebrauch die er ungeheuren Machtmittel will der publizistische Einsatz und das öffentliche Auftreten dieser Wissenschaftler in Sachen, „die sie (scheinbar) nichts angehen“, gewürdigt werden. „Die österreichische Furche“

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Die Errungenschaften der Physik, Chemie und Technik haben eine enorme Steigerung des Vorsprungs der Angriffs- und Zerstörungswaffen gegenüber der Abwehrknaft der Verteidigungswaffen mit sich gebradit, derart, daß ein neuer Weltkrieg unvergleichlich schwerere Opfer an Gut und Blut kosten würde als die vorangegangenen. Man spricht darum vielfach von einer Schuld der Wissenschaft und verübelt es den Gelehrten, daß sie sich als wohlfeile Werkzeuge zur Herstellung von teuflischen Vernichtungsmitteln mißbrauchen lassen.

Nun darf man aber nicht vergessen, daß die grundlegenden Entdeckungen, auf denen die modernen Kriegswaffen beruhen, zu Zeiten und unter Umständen gemacht wurden, da die Urheber dieser Entdeckungen einen Zusammenhang mit militärischen Anwendungen der neuen Erkenntnisse noch gar nicht’ ahnen konnten. Dies gilt unter anderem namentlich für die beiden großen Entdeckungen, auf denen letzten Endes die. Atombombe basiert, nämlich die von Einstein gewonnene Erkenntnis der Äquivalenz von Masse und Energie, die schon aus dem Jahre 1905 stammt, und Otto Hahns Entdeckung der Uranspaltung, die 1938 gemacht wurde. Es hätte also gar keinen Sinh, den Forschern das Forschen verbieten zu wollen, vielmehr wäre der richtige Vorgang der, für eine entsprechende Ordnung in der menschlichen Gesellschaft Sorge zu tragen, damit die Prostituierung der Technik im Dienste des Krieges ein Ende findet, bevor sie bei weiterem Fortschritt überhaupt zur Vernichtung unserer Zivilisation führt.

Wie der bekannte Wiener Publizist Paul Deutsch in einer demnächst erscheinenden Schrift über die Schuld der Wissenschaft mit Recht betont, muß man sich fragen, was denn die Schar der Wissenschaftler, die in jedem. Lande Hunderttausende von Arbeitsstunden zum Schmieden von Kriegswaffen aufwendeten, jemals für den Frieden geleistet haben. Wäre es nicht eine weltgeschichtliche Tat, wenn all der Scharfsinn, der zur Herstellung der Atombombe oder zur Entwicklung der Radargeräte bereitwillig zur Verfügung gestellt wurde, nun einmal dazu verwendet würde, den von der überwiegenden Mehrheit aller Menschen getragenen Willen zum Frieden durchzusetzen und eine Weiterentwicklung der Menschheit auf der Basis anständiger Zusammenarbeit und ohne Massenmord zu ermöglichen?

Nun kann.man nicht generell behaupten, daß die Männer der Wissenschaft sich dieser Aufgabe entziehen wollen, denn in Amerika, England und Frankreich findet man gerade an führenden Stellen der Friedensbewegungen prominente Physiker und Atomphysiker tätig. Aber ihre Bestrebungen stoßen auf Schwierigkeiten zweierlei Art. Die eine ist die Kompetenzfrage: Man wirft den Gelehrten vor, daß sie auf politischem Gebiet Dilettanten seien, wobei allerdings meistens übersehen wird, daß viele Berufspolitiker ja auch nicht gerade eine systematische Schulbildung in Politik genossen haben. Schwerwiegender ist vielleicht noch die scheinbare politische Farblosigkeit der Naturforscher, die — in einer dem Parteienwesen völlig fremden Denkungsweise aufgewachsen — einen stärker betont objektiven und neutralen Standpunkt einnehmen als die kampfgewohnten aktiven Politiker selbst. So kommt es, daß zum Beispiel ein Mann wie Einstein zahlreichen Amerikanern als zu sehr russenfreundlich verdächtig erscheint, während andererseits das offizielle Moskauer Organ „Die neue Zeit“ tadelnd feststellt, daß derselbe Einstein bei seinem Eintreten für eine ‘Weltregierung sich von den reaktionären kapitalistischen Mächten ins Schlepptau nehmen lasse. Ähnliches vollzieht sich in kleinerem Maßstab auch bei uns und, da ein prominenter österreichischer Parteipolitiker unter deutlicher Bezugnahme auf mich kürzlich den Ausspruch tat: „Gerade der Intellektuelle darf nicht im Zwielicht stehen, denn der kleine Mann schaut auf ihn“, will ich hier zur Beseitigung von Unklarheiten einige kurze Feststellungen einfügen: Ich maße mir als Laie auf volkswirtschaftlichem Gebiet kein Urteil über Richtigkeit oder Unrichtigkeit, Wert oder Unwert der ökonomischen Lehre von Karl Marx an, bin aber, wie aus vielen Stellen meiner Schriften eindeutig hervorgeht, ein Gegner von Militarismus, Terror, Diktatur und totalitärer Staatsform. Obwohl ich daher konsequenterweise auch kein Anhänger des Sowjetsystems bin, lehne ich die von einzelnen Seiten kommende Aufforderung zu einem bis zum Krieg führenden Kreuzzug gegen den Bolschewismus und die Sowjetunion kategorisch ab. Der Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß würde nachträglich zu einer Farce werden, wenn wir nicht von jetzt an ein für allemal an dem Standpunkt unverrückbar festhalten, daß die Planung und Vorbereitung von Angriffskriegen ein Kapitalverbrechen ist.

Eine der ersten Aufgaben bei einer wissenschaftlichen Behandlung des Weltfriedensproblems ist die Analyse der Frage, jvieso trotz dem Friedenswillen der überwiegenden Mehrheit aller Menschen und trotz den Friedensbeteuerungen aller leitenden Staatsmänner überhaupt noch eine Kriegsgefahr besteht, ja wieso trotz diesen Tatsachen unzählige Millionen von Menschen einen früher oder später eintretenden Ausbruch eines neuen Weltkrieges für unvermeidlich halten.

Neben dieser analysierenden Aufgabe gibt es noch eine konstruktive, die darin besteht, gemeinsame Grundsätze zu finden, über die sich jene 90 bis 99 Prozent der Menschen, die den Frieden wollen, trotz weitgehenden politischen und ideologischen Differenzen einig werden können.

Zum ersten Punkt ist zu sagen, daß die zum Krieg treibenden Elemente nicht, wie es die jeweilige nationale oder parteipolitische Propaganda gerne darstellt, einfach die maßgebenden Männer der Gegenseite sind, sondern eine auf jeder Seite vorhandene 6ehr dünne Schicht: im Westen in erster Linie ein Teil der aus dem Osten vertriebenen oder geflohenen Emigranten, die in einer durch einen neuen Weltkrieg bewirkten Vernichtung des Bolschewismus ihre einzige Rettung sehen, dazu noch einige Geschäftemacher und ein kleiner Teil der Berufsoffiziere, die im Krieg die große Chance ihres Lebens erblicken. Im Osten ist zwar die BevÖlkerungsmehrheit, die nach den unsäglichen Leiden der Hitler- Invasion den Krieg verabscheut, noch wesentlich größer als im Westen und die führende Schicht steht zum Unterschied von den Diktatoren der ehemaligen Achsenmächte imperialistischen Angriffskriegen grundsätzlich ablehnend gegenüber. Aber dafür wird Führung und Volk von der Doktrin einer früher oder später die ganze Welt umfassen sollenden proletarischen Revolution beherrscht, was nach der Auffassung des Westens praktisch auf das gleiche hinausläuft wie die nationalistischen Welteroberungspläne von Hitler und Konsorten. Mit Diskussionen über die grundlegenden Unterschiede zwischen diesen beiden Arten von Projekten könnte man Bände füllen; solche Diskussionen haben aber die Eigenschaft, daß 6ie jeweils nur einen verschwindenden Bruchteil von Andersgesinnten umstimmen können und daher praktisch ergebnislos verlaufen. Was bestehen bleibt, ist die Tatsache, daß sowohl die Bevölkerungsmehrheit wie auch die regierende Schichte auf beiden Seiten der ideologischen Trennungslinie der Überzeugung sind, selber der Hüter des Friedens zu sein, aber gegenüber dem von der Gegenseite her drohenden Angriff gewappnet sein zu müsssen. Jede der beiden Parteien belegt die eigene These mit Tatsachen, von denen die Gegenseite verächtlich behauptet, daß sie keine Spur von Beweiskraft besitzen. Der Westen weist auf das Schicksal der osteuropäischen Staaten seit 1945 und auf den Krieg in China hin, der Osten auf die drei großen Invasionen Rußlands durch Napoleon, Hindenburg und Hitler sowie auf die Kriege in Indonesien und Vietnam.

Der Grund für die zur drückenden Last unproduktiver Rüstungsausgaben führende Wehrbereitschaft der an sich durchaus friedlichen Völker liegt also darin„ daß diese unter dem Einfluß einer von beiden Seiten her betriebenen Verhetzung die Überzeugung gewonnen haben, in ihrer Freiheit und Existenz durch die anderen bedroht zu sein. Ein konstruktiver Plan zur “Verhütung eines Zusammenstoßes zwischen den beiden Mächtegruppen muß deswegen darauf ausgehen, diesen abergläubisch verschreckten, mißtrauischen Geisteszustand der Völker und ihrer Politiker und Publizisten, die jeweils das Mißtrauen der anderen nur als Maske für heimliche Angriffsabsichten betrachten, durch eine klare und unmißverständliche Haltung zu ersetzen. Leider ist ja der Pazifismus des Schlagwortes „Die Waffen nieder“ durch Chamberlains Hereinfall auf den Betrug Hitlers für die lebende Generation in Mißkredit gebracht worden und außerdem ist diese Form einer Friedensbewegung von jeher auch schon innerhalb der Sowjetunion als „bürgerlicher Pazifismus“ verpönt gewesen. Aber es hat mit der gefürchteten „Wehrlosmachung durch pazifistische Propaganda“ gar nichts zu tun, wenn die bestehende Tatsache des eigenen Nichtangriffswillens auch vom Volk selbst einmal deutlich genug dokumentiert wird. Daß der Westen keine Angriffsabsichten auf den Osten hat, ist eine Tatsache, die von der Bevölkerungsmehrheit im Westen als eine Selbstverständlichkeit betrachtet wird, eine Tatsache, die durch offizielle Erklärungen der maßgebenden Stellen und durch die Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen in den Augen der Mehrzahl aller Leute im Westen hinreichend bewiesen zu sein scheint, die aber dennoch im Osten nicht geglaubt wird, weil sie durch die im Westen betriebene Hetzpropaganda einer Minderzahl, durch die enormen Rüstungen und die gesteigerte Produktion von Atomwaffen, und vor allem dadurch Lügen gestraft wird, daß in den breiten Massen der Menschen an Stelle des Geistes der Vereinten Nationen die von vielen Zeitungen geschürte Kriegspsychose Platz gegriffen hat.

Es wäre Pflicht der Intellektuellen, im internationalen Feldzug für den Weltfrieden die überparteiliche Aufgabe zu erfüllen, den an sich selbstverständlichen, in der Charta der Vereinten Nationen ohnedies verankerten, aber in der allgemeinen Meinung der Weltöffentlichkeit praktisch unwirksam gebliebenen Grundsatz der strikten Enthaltung und Verpönung von Angriffshandlungen und von Einmischungen in die Innenpolitik fremder Länder zum eindeutigen Willen der Volksmehrheit zu machen mit dem Verlangen, daß dieser Wille auch von der eigenen Regierung respektiert wird und daß der gleiche Wille mit dem gleichen Verlangen auch das Allgemeingut der Gegenseite wird. Die bisherigen Versuche in dieser Richtung sind leider alle gescheitert und erfolglos geblieben!

Eine Umstellung der Volksmeinung von der bestehenden, durch Furcht, Verhetzung und Mißtrauen beherrschten Stimmung zu einer ruhigen, die Kraft des Friedenswillens unterstreichenden und ihn damit stützenden Beurteilung der Lage ist eine Aufgabe, die des Schweißes der Edlen wert wäre. Mit diesem ganz bestimmten Ziel vor Augen, mit dem Ziel, in der Volksmeinung und bei den Lenkern der Politik den Entschluß zu kräftigen, den Wettkampf zwischen den sozialistischen Staatsformen und den westlichen Formen der Demokrattie durch schöpferische Leistungen, aber unter keinen Umständen durch Gewalt und Krieg entscheiden zu wollen und diesen Entschluß sowohl von der Gegenseite wie auch von der eigenen Seite kategorisch zu verlangen, mit diesem klaren und einwandfreien Ziel vor Augen sollten sich Intellektuelle aller Nationen und aller Parteien ohne viel Aufhebens zusammensetzen und über die Durchführungsmöglichkeiten eines solchen Feldzuges beraten.

Techniker aus den Ländern beider Mächtegruppen haben von jeher über gemeinsame Belange, wie technische Normen oder Eisenbahnfahrpläne, friedlich und mit Erfolg beraten; Tag für Tag fahren durch die Wiener Straßen Dutzende von Jeeps der alliierten Militärpolizei, in denen Soldaten aller vier Mächte friedlich nebeneimnder- sitzen und einträchtig ihre Pflicht erfüllen, Ordnung zu halten. Es ist gar nicht einzusehen, warum gerade hinsichtlich des aller- brennfendsten aller Probleme die Intellektuellen sich scheuen sollten, das zu tun, was für die einfachen Leute selbstverständlich ist: in Zeiten der Not und Gefahr das große gemeinsame Interesse dringlicher zu behandeln als die trennenden Sonderinteressen.

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