6608132-1954_32_09.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

DÜRFEN POLITIKER VERSCHIEDENER PARTEIEN FREUNDLICH ZUEINANDER SEIN? Diese auf den ersten Blick merkwürdige Frage beschäftigte unlängst das Salzburger Organ der zweiten Regierungspartei. Es hatte dazu guten Grund. Zwei ruhig miteinander plaudernde Politiker, die in der eben geschlossenen Sitzung noch in offener Redeschlacht miteinander gelegen waren: Solche und ähnliche Eindrücke erwecken nämlich bei manchen Zeitgenossen den Verdacht, daß sowieso alles nur „Scheingefechte" seien, daß die Politiker ein „abgekartetes Spiel“ vor den Augen der Wähler spielen. Das Salzburger sozialistische Organ, dessen mitunter ruhige und um Verständnis auch über den Parteischranken hinweg bemühte Diktion schon aufgefallen ist, gibt hierauf die treffende Antwort:

„Die Zeit, in der man politische Gegner ächtete und ihre Denkungsart als Charakterfehler qualifizierte, ist vorbei. Niemand sehnt sich mehr nach jener dunklen Epoche, in der jeder Staatsbürger, der sich nicht sklavisch dem herrschenden System unterwarf, zum Verbrecher gestempelt und wie ein Pestkranker gemieden wurde. Noch immer aber geistern die Doktrinen dieses barbarischen Jahrzehnts durch viele Gehirne, übersieht man hier und dort, daß die Spielregeln der Demokratie die Verfemung Andersdenkender ausschließen und verlangen, daß dem anständigen Gegner jene Achtung entgegengebracht werde, die sein Charakter verdient. Politisch tätig sein heißt kämpfen, verlangt Härte und zuweilen sogar Rücksichtslosigkeit, aber auch bei diesem geistigen Ringen müssen jene Gesetze der Ritterlichkeit Geltung haben, die den sportlichen Wettstreit veredeln und die kein Nachklingen der Leidenschaften dulden, wenn das Zielband durchstoßen ist oder der Schlußpfiff des Schiedsrichters ertönt. Kein gerecht den- kender Demokrat kann verlangen, daß die Exponenten der Parteien ihre sachlichen Konflikte durch persönliche Fehden verschärfen. Das Leben in den Dörfern und Märkten, in den Gewerkschaften und Betriebsorganisationen, das an sich schon durch politische Gegensätzlichkeiten genugsam erschwert ist, würde so ja zu einem chronischen Kriegszustand, der keine ersprießliche Gemeinschaftsleistung mehr zuläßt.“ Diesen Sätzen ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Höchstens das eine: Je sachlicher sich das politische Leben vor den Augen der Mitbürger abspielt, je mehr auf große Worte und eingefleischte Vorurteile in der Propaganda der Parteien verzichtet wird, um so rascher wird die noch da und dort vorherrschende Meinung, daß „der andere" ein schlechter Mensch sein müsse, überwunden werden.

„VERRÄTER BLEIBT VERRÄTER …" Dieser bei bestimmten Zeitgenossen zu erwartende Rückschluß aus dem Einzelfall John auf die „janze Richtung", tönt uns aus einer Leserzuschrift an eine deutsche Zeitung entgegen. John wird hier mit einem Male nicht mehr als persönliches Problem — das allerdings fragwürdig genug ist — gesehen, sondern er erscheint als Exponent einer ganzen Gruppe von Menschen, die somit mit hämischem Wohlbehagen en bloc verurteilt werden. Wie gesagt, diese Stimme aus dem Publikum könnte übergangen werden. Nunmehr aber begegnen wir solchen Auffassungen auch in der österreichischen Presse. Den Vogel schoß — wieder einmal — ein Montagblatt ab. Hier wird bereits von notwendigen Korrekturen gesprochen und mit logischem Salto mortale behauptet, daß man aus dem Versagen des John nicht nur eine grundsätzliche charakterliche Minderwertigkeit aller Hitler-Gegner, sondern auch die grundsätzliche Verläßlichkeit aller dem Hitler-Regime treu ergebenen Mannen herleiten könnte. Eine solche ungeheuerliche These ist keiner sachlichen Erwiderung würdig. Was es aber wert ist, ist eine sehr ernste politische Warnung. Allein wir sehen hier eine wirkliche, ernste Gefahr heraufsteigen, gegen die alle noch so tragischen Auswirkungen der Handlungsweise Johns leicht wiegen. Sollte nämlich jetzt wirklich das europäische Adenauer-Konzept gefährdet werden, sollte sich jetzt in Deutschland ein nationalistischer Flügel in den Vordergrund spielen, dessen Existenz bislang zum Teil noch in der Phantasie böswilliger Auslandskreise ruhte, dann müßte dies zwangsläufig zu einer neuen Erstarkung aller antideutschen Affekte in den westlichen Ländern führen, die dank der unermüdlichen Geduld Adenauers langsam zum Erlöschen gekommen waren. Und niemand kann sich täuschen, daß diese dann jedem nazistischen Schwertgerasse machtpolitisch überlegen sein werden. Damit aber wäre endlich die Zukunftsvision des vom Tode gezeichneten Stalin auf dem 19. Parteitag Oktober 1952 vom Konflikt zwischen Deutschland und den Westmächten Wahrheit geworden. Wer heute aus dem Fall John die Schlußfolgerung des „Durchgreifens" und der „Verläßlichkeit der Nazi’ zieht, arbeitet tatkräftig mit am Zustandekommen jenes damals allgemein als Utopie belächelten Konzepts des alten Mannes im Kreml.

GUTER VERLIERER ZU SEIN, ist eine der I höchsten ritterlichen Künste. Wie es scheint, hat nur ein einziges Volk, das englische, sie zu einer historischen Vollendung entwickelt. Die dramatischen Worte, mit denen Churchill, ein Mann, der in der viktorianischen Epoche heranwuchs und seine Sporen in der Spätzeit des großbritannischen Imperialismus verdiente, jüngst im Unterhaus seiner eigenen Zeit und seinem eigenen Ideal den Abgesang anstimmte, zeigen die wahrhaft einsame Größe dessen, der über sich selbst hinausgewachsen ist. Den aufgeregten Alarmrufen einer „rechten" Gruppe in seiner eigenen konservativen Partei, die jedes Einlenken in der Suezfrage einen unerträglichen Prestigeverlust Englands nannte, setzte er die resignierende Feststellung entgegen, daß „der Abwurf einer einzigen Wasserstoffbombe auf ein zentriertes Stützpunktsystem dessen Wert völlig vernichte". So ähnlich muß einem letzten Ritter zumute gewesen sein, der den neuen, mit Schußwaffen ausgerüsteten Heeren gegenüberstand. So weit, so gut. Eine Haltung der Würde und der weisen Einsicht, die ihren weltgeschichtlichen Erfolg in Indien errang. Hier klang der Abgesang Englands immer noch wie ein würdevolles „Nunc dimittis". Aber leider war dies ein Ausnahmefall. Und es zeigt sich mit erschreckender Deutlichkeit, daß weltgeschichtliche und weltpolitische Probleme letzten Endes doch nicht nur mit persönlichem Format und den edlen Ritter lugenden des „guten Verlierens" zu lösen sind. Die Katastrophe politischer und wirtschaftlicher Art, die nach dem plötzlichen Aufhören des holländischen Regiments in Indonesien ein- setzte, wird von Beobachtern — wir sprachen mit Augenzeugen — bedauernd bestätigt, die weitab von einer moralischen Rechtfertigung kolonialer Herrschaft stehen. Und was sich vollends heute in Vietnam vollzieht, ist, sofern man es überhaupt schon abschätzen kann, für alle Fälle auch eine katholische Tragödie. Mag sein, daß diese Erwägungen in der allgemeinen Nervosität und „Rette-sich-wer-kann- Stimmung" unter den Kolonialmächten nur noch am Rande mitspielen, mag sein, daß hier’ die Zügel bereits so weit aus den Händen geglitten sind, daß einfach der Atem fehlt, eine konstruktive Lösung zu finden. Ein unwiederbringlicher, tragischer Fehler rächt sich jetzt furchtbar: Das Mangeln des Heranziehens wirklich gesunder, nichtkommunistischer, aber sozialfortschrittlicher und nicht korrupter einheimischer Kräfte, wie es fünf Minuten nach zwölf in Vietnam versucht wird. Aber es ist, wenn nicht alle Zeichen trügen, zu spät. Die europäischen Kolonialmächte stehen vor einem unausweichlichen Dilemma.

HAINAN, chinesischer Name, zu deutsch soviel wie: „Südlich des Meeres", für eine Insel, halb so groß wie Oesterreich. Sie lag indes nicht genügend weit südlich, um von der hitzigen Luft des achtunddreißigsten Breitengrades etwas mitzubekommen: eine Luft, aus der fortlaufend — nach dem Waffenstillstand noch wgit südlicher — die abgeschossenen Flugzeuge fielen. Es ist darnach von weiteren Schießbefehlen an die Träger der US-Navy die Rede gewesen; die Schiffsnamen sind: „Philippine Sea" und „The Hörnet". Etwas sehr beziehungsreiche Namen; der erste, an den letzten Krieg gemahnend; der zweite von sehr stacheliger Bedeutung — Hornisse. Vor vierzig Jahren wäre nur ein einziger solcher Zwischenfall der Casus belli gewesen; selbst am 7. Juli 1937 hat ein Schußwechsel an einer Brücke zum japanisch-chinesischen Krieg Nummer 2 geführt, der ein Vorspiel zum Weltkrieg war wie der Bürgerkrieg in Spanien. Heute jedoch — begnügt sich die Regierung Ihrer’ Majestät mit einer Entschuldigung und „angemessener Entschädigung’ an die Opfer bzw. ihre Hinterbliebenen. Es mag ein Zufall sein, daß in den Tagen, da der Indochinakonflikt auf die Spitze trieb, „the big old man", Churchill, nach den Staaten flog; wie er öffentlich erklärte, aus Sorge, es könnten Atomwaffen angewendet werden, genauer aber, aus Angst Churchill, sagte selbst: Angst vor einem neuen globalen Konflikt. Und es mag ein Zufall mehr sein, daß in eben diesen Tagen ein angesehenes Institut für öffentliche Meinungsforschung auf seine Frage, ob man in den nächsten drei Jahren mit einem großen Krieg rechne, nur 7 Prozent Jasager fand. 1953 waren es 8 Prozent; 1952 waren es doppelt soviel und 1951 18 Prozent Pessimisten. Sie halten, wie der britische Premier, gewiß die Menschheit nicht für friedlicher; aber sie urteilten nüch-, terner, Hainan ist ein Beweis — trotz „Phi- Fopinischer See" und Hornissenstachel —, daß man den Anfängen widerstehen müsse und könne. Es klingt zwar zynisch, wenn ein paar Tote gegen ein paar Millionen abgewogen werden, Aber man ist nicht gesonnen, den Ureinwohnern von Hainan, den Li-mu vom Stimme der Thai, jene Fehler aus der Zeit vor vierzig oder siebzehn Jahren vorzuspielen. Denn so viel ist südlich und nördlich des Meeres durchgedrungen: es gäbe ansonsten ‘ in Europa darnach nur Ureinwohner in Höhlen uni Strohhütten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung