6590004-1952_20_01.jpg
Digital In Arbeit

Deutschland ist kein T ermin

Werbung
Werbung
Werbung

Der Kampf um Deutschland tritt in diesen Wochen in ein neues bedeutungsschweres Stadium. Die Weltlage, die Stellung Europas, die Situation nicht zuletzt gerade unseres Landes wird weitestgehend da on bestimmt werden, wie „der große Westen“ (die Westalliierten) und „der kleine Westen“ (die Bonner Bundesrepublik Adenauers) sich aus der gegenwärtigen erwirrung lösen. Die Krise wurde ganz offenbar, als der sich heftig ersteifende Widerstand weiter deutscher Kreise gegen den General ertrag Amerika und England, nicht sosehr Frankreich, alarmierte. Im Terminkalender des Westens waren als feste Daten, mit denen als Realfaktoren gerechnet wurde, ermerkt: 20. Mai, Unterzeichnung des General ertrages der Westalliierten mit Bonn, zugleich Abschluß des ertrages über die europäische erteidigungsgemeinschaft. Das hieß weiterhin: sofortige Aufstellung deutscher Truppen, Fertigstellung der europäischen Abwehrfront, Ratifizierung des militärischen und politischen Europaund Deutschlandwerkes noch ln der Sommersession des USA-Kongresses.

All diese Termine hängen nun in der Luft — einfach weil die innenpolitischen Realitäten Deutschlands on seiten der Hochkommissare wie on seiten des Bonner Kanzlers doch zu wenig beachtet worden waren. Was seit zwei Jahren diesem einsamen bedeutenden außenpolitischen Kopf on seinen treuesten Anhängern orgehalten wurde, eine sou eräne ernachlässigung der Innenpolitik, beginnt sich nun bitter zu rächen. Schlag auf Schlag folgten in den letzten Tagen und Wochen: das Sichtbarwerden einer breiten Opposition on der rechtesten Rechten über die liberale Mitte bis zur linken und linkesten Mitte gegen den Abschluß des General ertrages, über den das deutsche olk öllig ungenügend informiert war. Dieser stellt ein staatspolitisches No um dar, ein ungemein kompliziertes Gebilde: er ist weder ein Friedens ertrag (ein solcher kann nur mit ganz Deutschland abgeschlossen werden), noch gibt er Bonn die Sou eränität zurück (sehr weitgedehnte Bestimmungen zugunsten der Westmächte sowie die Notstandsklausel lassen diese nicht zu); er ist zudem mit einem Komplex anderer erträge kopuliert, die an sich bereits oll on Problemen sind; Truppen ertrag, Finanz ertrag, Schieds- ertrag. — Den di ersen Oppositionskräften würde es also nicht schwer gemacht, hier mit dem bittersten Stoß gegen die Autorität Adenauers anzusetzen, durch den ausgesprochenen und implizierten Hinweis auf . ersailles“. .#uf dem Mythos on ersailles aber ruhte die Stoßkraft der erzweifelten Legionen Hitlers, in ersailles war, wie es ein führender Staatsphilosoph des Dritten Reiches ausgesprochen hatte, .der christliche Gott gestorben . Es hätte einer langen, planmäßigen orbereitung des westdeutschen olkes bedurft, um ihm klarzumachen: hier liegt, gerade in den kritischen Elementen des ertragswerkes, ein bedeutungs olles No um on ungeheurer europäischer, ja weltpolitischer Bedeutung or: der erstmalige ersuch der staatspölitischen Eingliederung eines großen politischen Gemeinwesens, eben Westdeutschlands, in einen werdenden wachsenden neuen Organismus, in die wirtschaftliche, politische und territoriale Union der atlantischen Gemeinschaft. Deutschland erweist sich, wenn es mit der bewußten Teilaufgabe seiner nationalen Sou eränität im alteuropäischen Sinne des Begriffes hier orangeht, als orträger einer planetarischen Entwicklung, der seine Alliierten zwangsmäßig folgen müssen, einfach weil dies der inneren Struktur, dem Potenzgefälle innerhalb der neuzuschaffenden Weltgemeinschaft des Westens entspricht, so, wie jedes Uhrgewicht, jedes Zahnrad, jede Weile und jeder Transmissionsriemen in einem Getriebe sich auswirken müssen — einfach, weil sie da sind, und ihre Arbeit, ihr Werk, ihre Kraft als solche zur Geltung kommen.

.Nichts aber on dieser notwendigen innenpolitischen orbereitung geschah: der Kanzler blieb, wie immer, allen Publizitäten abhold, das Presseamt der Bonner Regierung blieb praktisch die längste Zeit unbesetzt, Aussprachen im Bundestag wurden mit wenigen knappen Worten oft abgebrochen. Und nun das erste Fazit dieser Nichtentwicklung der Demokratie nach innen: die Sozialisten im ormarsch in Hessen (bei den Gemeindewahlen); die Forderung Dr. Schumachers auf direkte erhandlung mit den Russen fand breiten Widerhall — zum Teil sogar in einem amerikanischen orschlag; schlimmer aber noch: im am 25. April geborenen Südweststaat, in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württem- berg-Hohenzollern aufgingen, gelang es wider alles Erwarten, die CDU aus der Regierung durch eine Koalition zwischen Sozialdemokraten, Freien Demokraten und Splitterparteien hinauszudrängen. Die Freien Demokraten aber bilden in Bonn die stärkste innenpolitische Stütze der Adenauer-Regierung, ihnen hat der Kanzler entscheidende Schlüsselstellungen in Wirtschaft, Handel und Industrie direkt und indirekt überlassen. Nun begann auch hier die Rebellion: die deutsche (Groß-) Unternehmerschaft erhebt dutch den Mund ihrer Hauptpartei, der Freien Demokraten, erhebliche Einwände gegen den General ertrag. Der Kanzler sieht sich also in folgender merkwürdigen Situation: er hatte, um freie Hand und freie Zeit für die aufreibenden außenpolitischen erhandlungen zu bekommen, erzichtet, durch seine eigene Partei ein neues sozialpolitisches Konzept auszuarbeiten beziehungsweise im politischen Kampf realisieren zu lassen, und die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, der Arbeiterschaft und weiten Teilen des Mittelstandes dem Bündnis mit den ungemein starken Großunternehmern geopfert. Sicherlich: für ewig mag diese Aufgabe nicht gedacht gewesen sein, nun aber erwies sich in wichtiger Stunde das Bündnis selbst als problematisch. In diesem Zusammenhang muß der ersuch des Präsidenten, für den Kanzler in die Bresche zu springen, gewertet werden: Dr. Heuss hat es übernommen, durch Reden, Aufsätze, Aussprachen, offene Briefe, zuletzt durch seine orträge in Berlin, das innenpolitische akuum auszufüllen: naturgemäß kann er als Präsident aber nur in allgemeiner Form zu allgemeinen Themen Stellung nehmen, was die aktuelle tagespolitische Bedeutung eines so achtbaren Einsatzes ebenso mindert wie ihre strukturelle hebt. Im angestrengten Ringen, innenpolitisch aufzuholen, haben sich Bundespräsident und Bundeskanzler in eben dieser Lage entschlossen, das Deutschlandlied wieder zur Nationalhymne zu erheben. Inwieweit hiemit die Welle, die Wellen des nationalen Sentiments, des Unbehagens aufgefangen werden können, wird die Zukunft lehren. Doch sei festgehalten: während der Widerstand der westalliierten erantwortlichen gegen das zu or on ihnen befehdete Lied nunmehr erstaunlich gering war (geht es ihnen doch um augenblicklich brennendere Fragen), haben nun etliche der weitsichtigsten Deutschen die Frage orgestellt: Ist unsere politische Gemeinschaft bereits tragfähig für dieses Lied, mit dem sich Größe und Tragik, Leid zweier Weltkriege, Heldentum ünd Rausch, Magie des Bluts und innerste Begeisterung, Massenwahn und Seelengröße so seltsam und so gefährlich binden?

Ein Blick in die Massenauflagen und Massenerscheinungen neonationaler Literatur und Literaten in Deutschland bestätigt, wie die deutschen erleger und Buchhändler in Berlin bei ihrer Jahrestagung soeben selbst feststellten, wie groß die erantwortung jener ist, die im innenpolitischen deutschen Raum, in diesem großen akuum, politische Entscheidungen setzen.

Ist nun Adenauer gescheitert? Hat der Westen eine schwere Niederlage erlitten? Nein, gewiß nicht. Dje „Schlampereien“ um Bonn bezeugen in ielem eher das Gegenteil: der Westen ist in den letzten beiden Jahren dank des amerikanischen Energieeinsatzes bereits wieder so sehr erstarkt, daß solche Dinge eben wieder orkommen, und die Bonner Republik hat einen wirtschaftlichen Aufstieg genommen, der die ganze Welt beeindruckt. Nicht zuletzt den Osten, der nun mit schwerem Störungsfeuer den Abschluß der erträge erhindern, das heißt hinauszögern will. Als solches sind die Drohungen Piecks mit einer ostdeutschen olksarmee, die Hinweise Ulbrichts auf einen neuen Kampf um Berlin zu erstehen. Beide Phänomene bezeugen eindringlich, wie ernst der Osten den Westen, und das heißt heute auch Westdeutschland, nimmt, wie tief er on dessen Stärke überzeugt ist. Die erschärfung in Korea gehört in eben diese Linie eines generalgelenkten Wirkens: die Eingliederung Westdeutschlands in den Westen soll mit allen möglichen Mitteln erhindert werden.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß der Westen und der Bonner Kanzler fest entschlossen sind, in großer Ruhe und in großer Geduld die nun so augenfällig gewordenen Schwierigkeiten aufzuarbeiten. ielleicht mag sich ihnen in der orsicht, mit der Churchill, unbeirrt durch Wirrnisse im eigenen und oppositionellen Lager, die englische Innenpolitik in die Hand nimmt, ein orbild zeigen: Eine gesunde Außenpolitik muß auf einer gesunden und das heißt echten, auf die Grundfragen eingehenden Innenpolitik basieren. Das Bismarcksche Dogma om totalen Primat der Außen- über die Innenpolitik, iel kopiert, enthält eine Häresie: ein olk wächst nämlich nicht on außen nach innen, sondern on innen nach außen, und, wenn richtig gelenkt, in die Höhe. Nur eine geduldige, die Gegensätze als pösiti e Gewichte erwägende Innenpolitik kann eine Außenpolitik tragen, die unbeirrbar on den Ängsten und falschen Hoffnungen des Terminkalenders das Schiff des olkes und der ölker durch die Zeit führt: durch erträge heute im Staats olk zu erträgen morgen mit den außenpolitischen Freunden zum ertrag übermorgen mit dem großen Gegner im Heute, der unerbittlich jede innere Schwäche und Stärke des deutschen olkes wie des Westens prüft und auf seine Weise anerkennt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung