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Sieg und Verpflichtung

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Der Wahlsieg des deutschen Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer bei den Wahlen am 6. September 1953 kam in diesem Ausmaße für seine Anhänger ebenso unerwartet wie für seine Gegner. Wohl gab es eine Reihe günstiger Vorzeichen, die einen Erfolg erwarten ließen: das „deutsche Wirtschaftswunder“, der außerordentliche Anstieg des Nationaleinkommens mit relativ breiter Streuung der Einkommenshöhen, der rasche Vorstoß der deutschen Wirtschaft auf allen Märkten der freien Welt; diese solide Basis für ein günstiges Abschneiden im Wahlkampf mußte besonders beachtet werden. Seine Zuspitzung und eigentümliche Akzentuierung erfuhr er aber durch die außenpolitische Problematik: hier haben sich mm breite Massen für die klar auf den Westen hin orientierte Politik des Bonner Kanzlers entschieden, weil sie instinktiv spürten: dieser Mann ist, nach dem Ableben Stalins, nach dem Scheitern Degasperis und Schu-mans die stärkste politische Persönlichkeit, die seit 1945 in Europa sichtbar geworden ist. Neben ihm konnte sich nur eine Person behaupten — Tito. Nach dem Ableben Doktor Kurt Schumachers fehlte gerade hier, in der innerdeutschen Auseinandersetzung um die außenpolitische Festlegung Deutschlands, der sozialistischen Gegenseite der Mann, der befähigt gewesen wäre, aus dem 17. Juni, aus der Volkserhebung in Ostdeutschland, politisches Kapital zu schlagen. Die Wahlparole, 2u der sich in letzte Minute die Sozialdemokratische Partei entschlossen hatte, . nämlich Verhandeln mit dem Osten, wirkte sich eher für Dr. Adenauer aus, weil man ihm, als dem Stärkeren, mehr Chancen zutraut, in Moskau als (starker) Verhandlungspartner gewürdigt zu werden, als den wenig repräsentativen Männern um Ollenhauer.

Weder der Versuch Malenkows noch der von John Foster Dulles, die Meinung der deutschen Wähler wesentlich zu beeinflussen, haben sichtbare Wirkung geübt: die deutschen Massen wollen ein starkes Deutschland sehen, das seinen eigenen Weg gehen kann unter nüchterner Ausnützung aller gegenwärtig gegebenen Chancen, und haben deshalb sowohl den Kommunisten wie auch den Rechtsextremisten eine Absage erteilt, die eine deutliche Sprache spricht. Keine dieser Parteien konnte in direkter Wahl auch nur ein einziges Grundmandat für den Bonner Bundestag erringen.

Die Wahl am 6. September 1953 in Deutschland ist also zunächst ein überwältigender Sieg des Kanzlers Adenauer, der für eine langjährige zähe und oft unbedankte Arbeit hohen Lohn erhält. Und hohe Verpflichtungen auf sich nimmt. So wenig sich in vielen Bezügen der Wahlsieg Degasperis von 1948 mit dem Dr. Adenauers von 1953 vergleichen läßt, in einem Sinne ist ein ernster Vergleich sicherlich angebracht: die bürgerlichen, die freiheitlichen, die katholischen Gruppen und Verbände laben alles in die Schlacht geworfen, was sie an materiellen und geistigen Mitteln einzusetzen vermochten. Dieser Wahlkampf wurde unter der ernsten Alternative geführt: für ein christliches Europa. Der Wahlaufruf der deutschen Bischöfe, die direkte politische Aktion von Politikern aus dem Klerusstande (in Bayern, wo die CSU den stärksten Erfolg errang, stieg sie unter der Führung von Prälat Dr. Meixner von 24 auf 42 Sitze an) haben die Katholiken Westdeutschlands in einmaliger

Weise mobilisiert. Durch ein Wahlabkommen mit dem Zentrum (das mit drei statt — 1949 — zehn Mandaten) in den Bundestag einzieht) wurde eine Zersplitterung abgewehrt.

Was das aber nun innenpolitisch bedeutet, sagt der Leitaufsatz im „Echo der Zeit“, der größten katholischen Zeitung Deutschlands, vom 6. September, der „Politische Forderungen des deutschen Katholizismus“ heißt, und klipp und klar postuliert: Gewissensfreiheit, die konfessionelle Schule, die Ehe- und Familienfrage (ohne Erläuterungen im einzelnen), die Anerkennung des Konkordats (das Hitler mit dem Vatikan abschloß) durch die Bundesregierung. Das aber sind ebenso viele heiße Eisen, zu denen sich die Koalitionspartner Dr. Adenauers sehr differenziert verhalten, von seinen Gegnern zu schweigen. Denn die künftige Bonner Regierung wird wieder eine solche der „kleinen Koalition“ (CDU/CSU mit den Freien Demokraten und der Deutschen Partei) sein, nachdem sich alle Parteiführer dezidiert gegen eine „große Koalition“ mit den Sozialdemokraten ausgesprochen haben, für welch letztere auch Dr. Adenauer als Kanzler unakzeptabel wäre. Die Hoffnungen einzelner Kreise christlicher Gewerkschafter in Nordrhein-Westfalen und um Bundesminister Jakob Kaiser haben sich also nicht erfüllt, im Gegenteil: die Liberalisierung der deutschen Wirtschaft, die bisher so große Erfolge zeitigte, wird also noch mehr vorangetrieben werden. Damit ergibt sich aber ein Problem von hoher Tragweite für die Zukunft: die Industriellen-und Unternehmerkreise der Regierungskoalition sind weder für gewisse, auf dem letzten Bundesparteitag der CDU in Hamburg neuerdings geforderte soziale Maßnahmen zum Schutze der Schwächeren zu haben noch auch für die Forderungen katholischer Weltanschauung. Letzteres hat in den letzten Monaten mehrfach die Auseinandersetzung katholischer Bischöfe (so etwa Dr. Döpfners von Würzburg) mit den Männern um Bundesjustizminister Dr. Dehler gezeigt. Die reale staatspolitische Durchsetzung der Hauptforderungen der deutschen Katholiken, für die jene in den Wahlkampf gezogen sind, wird also in den kommenden vier Jahren die innenpolitischen Auseinandersetzungen beleben. Die Gefahren, die hier vorliegen, sind nicht zu übersehen.

Dazu kommt ein anderes: das vielbesprochene, von aller Welt kommentierte und so oft beneidete deutsche Wirtschaftswunder basiert, wie jeder Besucher Deutschlands sehr bald beobachten kann, unter anderem auch auf einem Wirtschaftskampf, der das letzte an Nervenkraft von allen Beteiligten abfordert, und dessen erbarmungslose Härte zunächst viele kleinere Unternehmen zu spüren bekommen haben, die bei den großen Propagandaschlachten und Operationen des kalt-heißen Wirtschaftskrieges auf der Strecke zu bleiben drohen. Ein kleiner Rückschlag auf den Weltmärkten, auf denen gegenwärtig die deutschen Exportfeldzüge noch siegreich fortschreiten, könnte hier bereits weitreichende Zuckungen auf dem inneren Arbeitsmarkt und damit Erdbeben im sozialen Sektor, auslösen. .Mit guten Gründen hat deshalb der christlichsoziale Flügel der CDU im letzten Jahr mehrfach ein F.rnstnehmen des sozialen Programms innerhalb der Gesamtpartei gefordert. Diese Kräfte können sich jetzt auf den beispiellos aufopfern-

den Einsatz von Millionen kleinen Leuten im Wahlkampf berufen.

Es steht also zu hoffen, daß Dr. Adenauer in Hinkunft Gelegenheit haben wird, mehr als es ihm bisher möglich war, seine bedeutenden Kräfte den innenpolitischen Problemen zuzuwenden. Hier fallen erstrangige Entscheidungen in den nächsten Jahren (ein nochmaliges kurzes Gedenken an den Wahlsieg Degasperis von 1948, an den damaligen Einsatz der katholischen Kräfte, an die hohen Versprechungen sozialer Natur ist durchaus angebracht. Eine Warnung, die nicht übersehen werden sollte, liegt ja in der Verpflichtung jedes Sieges...). Dieser Weg nach innen, den ehrlichste und kritischeste Anhänger des rheinischen Kanzlers ihn noch mehr als bisher beschreiten sehen möchten, könnte nun durchaus erleichtert werden durch eine außenpolitische Entspannung. Es ist nämlich keineswegs so, daß, wie Pessimisten (Zweckpessimisten) argwöhnen, nunmehr eine direkte Verschärfung der Ost-West-Situation in Europa eintreten muß. Rußland, und auch der Kreml, haben im Laufe der Jahrhunderte, der letzten Jahrzehnte und der allerletzten Jahre und Monate der Welt Beweise genug eines großen, bisweilen groß-

artigen Realismus in außenpolitischen Dingen gegeben. Moskau weiß mit Dr. Adenauer zu rechnen. Der Bonner Kanzler kann für Moskau wichtiger sein als alle Marionetten Ost-Berlins. Das weiß man heute bereits in Indien, es kann sich morgen bereits in aller Welt herumsprechen. Die außenpolitisch sehr starke Position Dr. Adenauers, eine Position, die dem Osten wie dem Westen gegenüber gilt, sollte es ihm ermöglichen, an die Aufarbeitung jener Fülle von Lebensfragen zu gehen, die das deutsche Volk bisher hintansetzte, weil andere den Vorrang durchzusetzen wußten in dieser Epoche der kalten und heißen Kriege. Die Durchführung eines realen Lastenausgleiches, die Verringerung des sozialen Druckes, die Aufarbeitung der weltanschaulichen Gegensätze — das alles sind Faktoren, die ebensoviel Kraft, Geduld und Zähigkeit verlangen, wie bisher die Außenpolitik allein den innerlich jung gebliebenen Kanzler abgefordert hat. Die Frage von morgen lautet also nicht: Wie sind Washington und Moskau zu saturieren, sondern wie geht die Integration Deutschlands vonstatten: die großen Wege und die großen Perspektiven gehen nach innen, nicht nach außen.

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