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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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WOHIN FUHRT DIE FALKESTRASSEI Die Vorgänge in der Wiener Volksportei besohättigen seit geraumer Zeit nicht nur die in- und ausländische Presse, sondern weit darüber hinaus politische Beobachter Oesterreichs. Zur Debatte stehen hierbei weniger die heftigen wahltaktischen Gegensätze, ob also die Volksaktie oder Wohnbau im Vordergrund der Wahlpropaganda stehen sollen, als vielmehr dies: die erste Regierungspartei hätte seif Jahren gute Aussichten, in der Hauptstadt und damit im Zentrum des Staates, beachtliche Fortschritte zu machen, es fehlt ihr nur, wie offensichtlich ist, an jungen, energischen Führungskräften, die politischen Charakter, weltanschauliche Geradheit und gesunden Menschenverstand in gleichen Maßen besitzen. Nun ist es kein Geheimnis, daß es eine ganze Reihe von Nachwuchskräften gibt, gerade aus dem katholischen Lager. Ebenso ist es aber ein offenes Geheimnis, daß der Parteiapparat sich nicht entschließen kann, jüngeren, dynamischen Persönlichkeiten die Tore zu öffnen. So ist eine auf die Dauer nicht ungefährliche Spannung entstanden: wenn sich nämlich die „Falkestraße”, die Wiener Parteileitung, nicht bereit findet, der Jugend echte Chancen zu geben, dann wird sich diese Jugend — als eine Generation im Ganzen — andernorts umschouen. Der äußerst gewandten neuen sozialistischen Führungsgruppe gerade in Wien, werden damit Chancen und Avancen gegeben, die ihr von Haus aus nicht in den Schoß fallen würden. Will man wirklich wieder an das trostlose Wort eines prominenten, bürgerlichen Routinepolitikers vor über 30 Jahren unwillkürlich aufmerksam machen: „Das katholische Oesterreich hat zu viele Talente.’? Die Folgen blieben damals nicht aus: Oesterreich ist, unter anderem, auch an Selbstfesselung zugrunde gegangen, damals, vor 1938.

MEHR FREIZEIT FÜR EINEINHALB MILLIONEN ARBEITENDE in Oesterreich wird der zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und dem Gewerkschaftsbund abgeschlossene Kollektivverfrag durch die Einführung der 45-Sfunden-Woche mit dem 1. Februar 1959 bringen. Es ist hervorzuheben, daß die Arbeitszeitregelung auf allgemeiner kollekfivvertrag- licher Grundlage und nicht durch starre gesetzliche Bestimmungen zustande kam und daß der Arbeitsfriede gewahrt blieb. Immerhin werden auch Optimisten nicht übersehen können, daß die verkürzte Arbeitszeit eine Vorwegnahme der Früchte künftiger Produktivität bedeutet und daß zwischen der 6,7prozentigen Arbeitszeitverkürzung und dem nach infernationalen Erfahrungen Jzu’erwartenden Zuwachs des SoZialprodökts Von 2 bif 3 Prozent ėfrrė Lücke klafff, immer dazu vorausgesetzt, daß die Konjunktur anhält. Bei einer Pressekonferenz in der Bundeskammer wurde auch zart angedeufet, daß sich „gewisse Auftriebsmomente” im Preisniveau „kaum vermeiden lassen . Die gemeinsame Erklärung der Kammer und des Gewerkschaffsbundes läßt auch keinen Zweifel darüber, daß die gewonnene Freizeit durch etwa neuaufgenommene anderweitige Arbeit ihres eigentlichsten Sinnes beraubt würde, den alle verantwortlichen Faktoren einzig und allein in einer Förderung des Fa- milienzusammenhaifes, der kulturellen Bildung und der Erholung erblicken.

ROM, BOZEN, WIEN. Ein erstmaliger Vorgang: eine Spitzendelegation der Südtiroler Volks- parfei hat in Wien offiziell Verhandlungen mit der österreichischen Regierung aufgenommen. Dies geschah in einem kritischen Moment Italiens und Südtirols. Am 16. Jänner brach in eklatanter Weise die italienische Regierung das Pariser Abkommen, indem sie Durchführungsbestimmungen zum Volkswohnbau in Südfirol erließ, welche die völlige Unterwanderung Südtirols durch Italiener sicherstellen soll. Die Südtiroler Volkspartei hat auf diesen Akt mit zwei Handlungen reagiert: sie kündigte die parlamentarische Zusammenarbeit mit der italienischen Bruderparfei im Regionalparlament der Region Trentino-Südtirol und sie wandte sich an den zweiten Vertragspartner des Pariser Abkommens über Südtirol, an die österreichische Regierung. Im Beschluß der Südtiroler Volkspartei über ihr Ausscheiden aus der Landesregierung heißt es: „Die Regierung des christlich-demokratischen Parteisekretärs Fanfani hat die In einem italienischen Verfassungsgesetz verankerten Rechte der Südtiroler den nationalistischen Forderungen der Neufaschisten und Kommunisten geopfert.” Nun, in der Zwischenzeit ist Fanfani selbst ein Opfer der Reaktionäre von rechts und links, nicht zuletzt in seiner eigenen Partei geworden: eben jener Reaktionäre, die er in etwa beschwichtigen wollte durch die Preisgabe der Rechte der Südtiroler. Hier wird der düstere Zusammenhang deutlich, überdeutlich sichtbar: Italien, ganz Italien schwebt heute in der Gefahr, Beufe einer Reaktion zu werden: einer un- heiligen Allianz von einzelnen und Gruppen, die im Schatten von gestern an die Macht kommen wollen. Fanfani hat sich, mit Recht empört, von seiner eigenen Partei zurückgezogen. Darf man es da den Südfirolern verargen, wenn sie der italienischen Bruderpartei den Pakt aufsagen, die eben ihren führenden Staatsmann selbst von hinten her gefällt hat? Die Krise In Südtirol hängt auf das engste mit der Krise des italienischen Staates zusammen: wann diese einer Lösung näherrückt, ist zur Stunde nicht ersehbar. Bis dahin muß Wien, Oesterreich äußerst wachsam, äufjerst bereif sein. Es darf nicht geschehen, daly in Rom wieder einmal eine vorübergehende, trügerische Einigung italienischer Politiker zustande kommt: auf dem Rücken, auf Kosten der Bevölkerung Südtirols.

EIN GROSSES FRAGEZEICHEN für die Zukunft setzt das Ergebnis der Kammerwahlen in Luxemburg. Zwar haben sich die Stärkeverhältnisse der Parteien nichi wesentlich geändert — trotz der sozialistischen Stimmengewinne im industriellen Süden. In das neue Parlament wird die CSV (Christlich-Soziale Volkspartei) mit 25 Vertretern einziehen (in der alten Kammer safjen 26 Abgeordnete), die Sozialisten mit 17 und die Liberalen mit 7 (bisher 6). Die CSV war bei weitem die stärkste Partei des Landes, aber sie blieb gegenüber den Sozialisten, Liberalen und Kommunisten (die noch drei Sitze behaupteten) um so mehr zurück, als sich gewisse Einigungsbestrebungen auf der gesamten Linken — wie das Wahlabkommen zwischen Sozialisten und Kommunisten zeigte — obzeichnen. Die Regierungsbildung dürfte ziemlich schwierig werden, da sich die Gegensätze zwischen CSV und Liberalen vertieften. Dennoch dürfte es zu einer Koalition zwischen diesen beiden Parteien kommen. Als vordringliche Fragen stellen sich der neuen Regierung die Zurückweisung der religionslosen Schule, Betonung der Primarschule mit Berufszwecken, wettbewerbsneutrale Sozialpolitik, Schaffung einer Bauernkrankenkasse und Förderung der Familien’ (Luxemburg hat ein eigenes Familienministerium) sowie Verbesserung der Steuergesetzgebung.

NIEMOLLER, STRAUSS, GERSTENMAIER.

Bundesverfeidigungsminister Straulj hat Strafanzeige gegen den hessischen Kiirchenpräsiden- ten Niemöller erstattet, dem vorgeworfen wird, er habe die militärische Ausbildung in der Bundeswehr als eine „Schule für Kriegsverbrecher” bezeichnet. Dieser Strafanzeige hat sich die „Deutsche Partei” mit ihrer Bundesfraktion angeschlossen. Niemöller selbst bestreitet, die ihm zur Last gelegte Aeufjerung in diesem verallgemeinernden Sinne gemacht zu haben. Nun hat die Kontroverse Straufj-Niemöller eine Reihe von Reaktionen ausgelöst. Da Franz Josef Strauß die Evangelische Kirche Deutschlands zum Einschreiten gegen Niemöller aufforderte, wies der Bundestagspräsident Gerstenmaier in einem Brief an seinen Parteifreund Straulj diese Zumutung als untragbar zurück. Andere evangelische Kreise erklärten: Wie würde die Sache stehen, wenn man an führende deutsche Katholiken heranträte und von ihnen einen Prozeß gegen ą inen, katholischen Bischof verlangen würde? — Nach Ansicht der evangelischen Politiker der SPD, Heinemann, Arndt und Metzger, wird hier der Versuch gemacht, die evangelische Kirche unglaubwürdig zu machen und zu spalten. Nämlich, sie zu teilen in einen „CDU-hörigen” und einen oppositionellen Flügel. — Wie es mit Niemöllers Aeufjerungen wirklich bestellt ist, wird die gerichtliche Untersuchung zeigen, die von der Staatsanwaltschaft Kassel bereits eingeleifet ist. Wichtiger als dies ist die betrübliche Tatsache: es genügen immer wieder einige Furvken, um die alte Animosität zu entzünden, den nie gelöschten Brand, der seit den Kriegen des 16. und 17. Jahrhunderts die Konfessionen in Deutschland trennt: tiefer trennt, als man wahrhaben möchte.

DER XXI. KONGRESS DER KPdSU. Keine rote Fahne. Keine „Internationale”. 1375 Delegierte. Diese rekrutieren sich aus fünfundvierzig alten Revolutionären, die der Partei vor 1920 beitraten, aus 260 Delegierten, die der Partei erst nach 1946 (I) bei traten, und einem Gros mittlerer Jahrgänge. Die überwiegende Mehrzahl sind Manager und Bürokraten. Im Staat der Arbeiter und Bauern gehört nur mehr eine eklatante Minderheit von 399 Arbeitern und Bauern diesem Führungsgremium der Kommunistischen Partei der Sowjetunion an. Am ersten Tag verspricht Chruschtschow in einer sechsstündigen Rede Hebung des Lebensstandards und den Gewinn des Wirfschaftskampfes mit dem Westen. Seine Angriffe gegen Tito, Nasser und Doktor Adenauer, die allzu überschwenglichen Umarmungen mit Tschu-En-Lai, der für die Spannungen und Konflikte zwischen Moskau und Peking den Sündenbock in Tito sucht und findet, leiten zu den weiteren Tagen des Kongresses über, auf denen klar wird: es gibt eine viel gröbere Zahl prominenterer „Parteifeinde und Schädlinge der Sowjetunion”, mit Malenkow an der Spitze, als bisher verlautete. Das aber heifjt konkret: die inneren Kämpfe sind noch keineswegs beendet. Darf man, wie Belgrad und Warschau besorgt vermerken, mit einer weitgehenden Massierung der Macht durch den einen Mann, Chruschtschow, als dem entscheidenden Faktum für die nächste Zukunft rechnen? Haben die Massen und die gutverdienden Gruppen der Manager und Mittelständler den Führer gefunden, der ihnen Sicherheit, Lebensstandard und Schutz gewährt?

Die heftigen Kampfansagen nach innen wie nach aufjen, das offene Eingeständnis, daį Peking und Moskau sich schwer miteinander vertragen, zeigen, dafj die gegenwärtige Führung der Sowjetunion wohl noch nicht jene innere Freiheit gewonnen hat, die es ihr ermöglichen würde, freier mit dem Westen zu verhandeln.

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