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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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VORARLBERG GIBT EIN BEISPIEL. Die Vorarlberger sind eigenwillige Leute. Dos haben sie schon mehr als einmal bewiesen. Die Vorarlberger sind auch nicht die schlechtesten Demokraten. Auch dafür gibt es in der österreichischen Geschichte seit 1918 gar nicht üble Beispiele. Nun haben sie sich wieder etwas in den Kopf gesetzt: die Parfeizentralen der Volkspartei und auch der Freiheitlichen waren wahrscheinlich nicht wenig überrascht, als sie, während gerade die Pläne für die Ländertournee des überparteilichen Präsidentschaftskandidaten Professor Dr. Denk ausgearbeitet wurden, von ihren Vertrauensleuten aus dem Land vor dem Arlberg die Nachricht bekamen, daß sie Wahlversammlungen bei einer Bundespräsidentenwahl für unnötig halten. Es genüge vollständig, die wahlwerbenden Männer durch die Presse, durch Broschüren und auch durch den Rundfunk bekannt zu machen. Ob ihre sozialistischen Landsleute, von dem guten Vorbild angesteckt, es ähnlich halten werden, steht zur Stunde noch nicht fest. Es ist aber gut, daß wieder einmal irgendwo deutlich gemacht wird, daß im Mai Präsidenten- und nicht Nationalratswahlen auf dem politischen Terminkalender stehen.

AUSVERKAUF! Während die Oesferreicher vom Ausland die Autos erwerben, ist das Ausländ dabei, sich gleichsam für den Autoerlös österreichische Vermögenswerte anzueignen, fleifjig unterstützt von Leuten im Land, die das Wort von der „Heiligkeit des Privateigentums” nur für die Fremden gelten lassen wollen. Man gewinnt tast den Eindruck, daß es so eine Art Verbot für Qesterreicher gibt, gewisse österreichische Unternehmungen, die frei geworden sind, zu kaufen. Das gilt für die Erwerbsabsichten der Belegschaft, aber auch dann, wenn, wie bei der Brücker Zuckerfabrik, die Bauern (d. h. die Rübenbauern) als die Erstinteressierfen ein Unternehmen (zumindest Anteile daran) erwerben wollen. Jedenfalls ist die Brücker Fab’ik gegen den Willen der Bauern (wie man sogar in der OeVP-Presse lesen kann) an Ausländer verkauft worden. Die Bauern haben nun mit dem Belieferungsstreik und damit gedroht, daß sie in Hinkunft die Zuckerrübenfläche verringern werden. Nun ist die Brücker Eigentumsübertragung nicht die einzige ihrer Art. Auch die beiden gröfjten Wiener Kaufhäuser sind jüngst an eine ausländische Finanzgruppe übergegangen. Wir würden uns freuen, zu erfahren, was man amtlicherseits zu der Entwicklung sagt und wann eine Liste der aus dem Komplex der USIA veräußerten Unternehmungen mit den (tatsächlichen) neuen Eigentümern veröffentlicht und der Gegenbeweis für unsere Befürchtungen angetreien wird. Die Sozialisten schweigen zu den Vorgängen, weil sie, was die Volkspartei erst in der lefzfen Runde bemerken wird, den Tatbestand des Ausverkaufes — wie es heifjt — als Wahlschlager in Depof nehmen.

DIE DEUTSCHE INNENPOLITIK zentriert sich in steigendem Maße dem Wahlkampf zu. Wird der Herbst den Sturz Dr. Adenauers und eine Regierung Ollenhauer sehen? Steht, wie die kleinen Mittelparteien befürchten, die große „schwarzrote Koalition” bereits vor der Tür? Die Entwicklung geht, wenn nicht die Zeichen täuschen, in diese Richtung: Ballung der Massen und der wirtschaftlichen und politischen Machtmittel um zwei große Siaaisparteien, die dann wohl oder übel eine Koalition eingehen werden. Die Ereignisse der letzten Wochen waren in dieser Hinsicht nicht uninteressant: CDU und SPD zerstritten sich, laut und Überlauf, vor dem Fernsehschirm in der großen außenpolitischen Debatte des Bundestages — wobei für jeden Kenner sichtbar war, daß es sehr oft nur ein Streit um Worte, ein Kampf gegnerischer Persönlichkeiten war. Bundeskanzler Adenauer ließ sich nicht hindern, kurz darauf, sich außenpolitisch, sehr im Gegensatz zu den außenpolitischen Debatterednern seiner Partei, über bevorstehende Lockerungen und Wandlungen im Osten zu äußern: sehr nahe dem, was die Redner der SPD im Bundestag vorgebracht haften. Ollenhauer seinerseits war vor kurzem bei seiner großen USA-Rundfahrt, auf der 20 Reden und 50 Empfänge, darunter eine Aussprache mit Eisenhower . statffanden, nicht nur bemüht, Bedenken in den USA gegen eine künftige sozialistische westdeutsche Regierung zu zerstreuen, sondern eben auch zu versichern, daß in wesentlichen Zügen die westdeutsche Außenpolitik Grundlinien Adenauers beibehalten wird: gerade im Bündnis mit Amerika. — In einer ganz wichtigen Sache war es zudem bereits zu einer Art stiller Großer Koalition gekommen: CDU und SPD hotten gemeinsam die hochwichtigen Gesetze über die Rentenreform durchgebracht, sehr zum Verdruß kleiner Koalitionspartner der CDU. Es gibt eben eine große gemeinsame Aufgabe und Basis der politischen Anstrengungen der beiden größten Parteien: Sicherheit, soziale, wirtschaftliche und damit auch politische Sicherheit für möglichst viele, wenn nicht alle Staatsbürger der Bundesrepublik. Hier haben nun aber doch die „Kleinen”, die sich politisch weder der CDU noch der SPD ganz ausliefern wollen, eine gewisse Chance. Ein vielbeachteter innenpolitischer Kommentar der „Süddeutschen Zeitung” sagte bereits die Lage der Gegenwart so an: „Aber wer nähme es schon genau mit unserem Grundgesetz! Manchmal gewinnt man den Eindruck, als lebten wir in zwei Welten. Die eine wird in der Theorie noch bestimmt durch eine freiheitlich-demokratische Verfassung liberalen Zuschnitts; die andere ist bereits erfüllt von staatssozialistischer Praxis einer mäßig aufgeklärten, im übrigen aber ziemlich absolutistischen Verwaltung.” Eine Feststellung, die auch in Oesterreich und für Oesterreich Beachtung verdient.

DAS BISCHOFSKREUZ FÜR DEN SOZIALEN WOHNUNGSBAU. Spanien ist. das Land gesellschaftlicher Kontraste. Neben einem unerhörten und provokatorischen Luxus gibt es heute noch unvorstellbares und in den letzten Jahrzehnten in keiner Weise gemildertes Elend, insbesondere unter den Arbeitern’und den kleinen Bauern. In Eigenberichten aus Spanien konnten wir mehrmals darauf verweisen, daß auf katholischer der spanischen Kirche ist keineswegs so groß, daß sie die Ursachen des Elends zu beseitigen vermöchte. Dazu kommt ein gewisses Beharrungsvermögen in sozialen Fragen, die auch von gläubigen Katholiken geteilte Annahme, daß die derzeit bestehende gesellschaftliche Schichtung in sich und an sich gut sei und lediglich Korrekturen vonnöten wären. Eine starke Gruppe im Klerus und auch unter den Regierenden versucht jedoch dem kaum mehr vermeidbaren Unheil einer sozialen Revolution, die der Arbeiterschaft lediglich neue Herren und nicht mehr brächte, zu steuern. So ist man jetzt bemüht, auch den Arbeitern Zugang zum Hochschulstudium zu schaffen. Zu diesem Zweck hat man Arbeiteruniversitäfen errichtet, die im Sinne der Organisation unseres Schulwesens den Charakter von Aufbauschulen haben. Die Kosten der Ausbildung und dės nachfolgenden Studiums an den normalen Universitäten trägt der Staat. Die Bischöfe Spaniens haben einen Hirtenbrief erlassen, der nachdrücklich Familienlohn, Gewinnbeteiligung und eine Besteuerung nach sozialen Gesichtspunkten forderte. Die nachfolgende Lohnerhöhung um durchschnittlich sieben Prozent erwies sich als Fiasko, da die Unternehmer mit einer Preiserhöhung antworteten und damit den Versuch Francos, soziale Reformen von der Lohnseife her vorzubereiten, illusorisch machten. In einer ganz besonders drastischer Form hat nun der erst vor Jahresfrist ernannte Erzbischof von Zaragoza in die sozialen Auseinandersetzungen eingegriffen. Mit einem, wie die Kafh- preß schreibt, ungewöhnlich scharfe Formulierungen enthaltenden Brief hat der Erzbischof sein Bischofskreuz und die anderen Zeichen seiner bischöflichen Würde zur Verfügung des sozialen Wohnungsbaues seiner Diözese gestellt. In einem Volk, das Gesten so sehr liebt wie das spanische, vermag eine solche Maßnahme sicher großes Aufsehen zu erregen. Hoffentlich nehmen auch diejenigen, welche für das soziale Elend schließlich verantwortlich gemacht werden müssen, von der, demonstrativen Haltung des Kirchenfürsten Kenntnis.

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