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Der Plumpsack geht um…

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Noch ist es in der deutschen Wirtschaft verpönt, vom Thema zu reden, das doch seit Monaten alle beschäftigt. Man will es nicht glauben, man darf es nicht wahrhaben: der Plumpsack geht um.

Seit jahrelanges Lobreden die soziale Marktwirtschaft als die endgültige Antwort auf den unlösbaren Konflikt zwischen der Härte der wirtschaftlichen Wirklichkeit und dem Wunsch der Masse nach dem „Paradies auf Eiden” zu einem nationalen Monument hochstilisiert hat, dem von rechts bis links die meisten Weihrauch streuten, hat sich mit der Weiterentwicklung des Wirtschaftsmodells seihst kaum einer, mit neuen Modellen niemand befaßt. Das wenige, das in Gelehrtenstuben entwickelt wurde, wurde von dftn selbsternannten Hohepriestern des neuen Wirtschaftsglaubens darüber hinaus noch nicht an das Licht gelassen. So redet man weiter, als ob es noch wäre, und redet sich damit an der Lösung der Konflikte vorbei.

Die derzeit noch am stärksten betroffene Branche, die der mittleren und kleineren Bauunternehmer, erwartet dieses Jahr noch 1000 Konkurse, und diese offizielle Schätzung des Verbandes der Bauunternehmen ist — nach im Bundesanzeiger leicht zu machenden Beobachtungen — mit Sicherheit zu gering geschätzt. Woran es liegt, wird weniger offen, mehr „hinter vorgehaltener Hand” diskutiert. Da sind einmal jene Teilhaber am allgemeinen Aufschwung, welche die stetig steigenden Grundstückspreise, die ebenso stetig nur noch schneller steigenden Baupreise für eine sichere Rente gehalten haben. Das Eigenheim, durch Einfamilienhaus und Bungalow und Eigentumswohnung repräsentiert, war nicht nur Ziel des kleinen Mannes, der, vor dem ständig sich versteifenden Konjunfetur- wind segelnd, diesen Höhepunkt der Respektierldchkeit setzen wollte. Nein, es war — und ist teilweise auch noch — schonungsloses Spekulationsobjekt. Bei steigendem Einkommen steigende Preise zu verkraften, verführt manche zu einer- Spekulation im Schneeballsystem, zum Verkauf von Objekten, bevor sie finanziert waren, und durch deren Finanzierung durch Verkauf neuer

Objekte, und weiter entlang dieser Kette, immer in der Hoffnung, dem Nächsten die erhöhten Kosten, die vermehrten Rückzahlungen und die Zinsen auf das wirtschaftlich kurzsichtige Auge drücken zu können. Man kann dem Publikum den Vorwurf nicht ersparen, diese Euphorie kräftig genährt zu haben. Denn auch das Publikum erwartet sich — ganz offensichtlich — ein Vorhalten der bestehenden Liquidität, da es sonst so langfristige Verschuldungen nicht einzugehen bereit gewesen wäre. Die Erwartung, das ökonomische Ei des Kolumbus gefunden zu haben, wurde ihm ja von so unfehlbaren wirtschaftlichen Autoritäten als Wirklichkeit ängepriesen, daß der Konsument-Investor sich seiner Dispositionen sicher fühlen durfte.

Diese Autoritäten, soweit es staatliche waren, erwiesen sich jedoch als bestochen, bestochen vom steigenden Steueraufkommen, das die Realisierung immer neuer Glitzerträume von Regierenden und Verwaltern ermöglichte. Nicht zu reden von einer unmäßigen Aufblähung des Verwaltungsapparates, immer neuen Sozialzusagen und dem Spendierluxus der — mißverstandenen — Entwicklungshilfe. Daß die Bezahlung der endlosen Kriege der Supermacht

Amerika den Wert der Reservewährung bis zur Auflösung fast ins Nichts verdünnen mußte, wenn ihre Finanzierung über die Inflation erfolgte, war demgegenüber bei kontinuierlichem Wachstum aller dem westlichen wirtschaftlichen System angehörenden Staaten fürs erste nicht bemerkbar. Und was, muß man fragen, hört und liest und sieht man lieber aus der Ferne, als daß Völker mit Waffen aufeinander schlagen, wenn man im eigenen Wohlbefinden den Kontrast empfindet. Daß der Finanzminister des — mit geliehener Souveränität ausgestatteten — gerade eben noch besiegten Deutschland dem Finanzminister der Siegermacht Einsparungen im Haushalt wohl kaum effektvoll empfehlen konnte und daß — abgesehen vom Politischen — die eigene Freiheit mit der anderer heute so verflochten ist, daß sie wieder zur Unfreiheit wird, empfand der Betroffene nicht. Denn eben dieser Finanzminister ermunterte ihn, über Abschreibungsmöglichkeiten und Bauhüfen jeder Art zur Investition.

„In der Konjunktur bekommt man die Kinder und in der Depression sind sie auch no.ch da”, war ein Schlagwort der Krise von 1929. Auch sie begann mit einem Finanzierungsschaukel- und Gaukelspiel, wie es sich hinter der noch ungerührten Fassade der intakten Wirtschaft von 1973 und 1974 abgespielt hat. Man spricht nicht gerne von den Göttern der Finanzwelt, den Banken. Doch das Bemühen, die Frage auf „Einzelfälle” einzuschrämiken, will nicht recht anschlagen. Man hat einen Buhmann gefunden, man wird — vielleicht — noch mehrere finden, aber der Eindruck bleibt, daß das Publikum nur die Spitze des Eisberges zu sehen bekommen hat, jedenfalls auch nur die Spitze zu sehen bekommen wird. Aber, selbst wenn der gesamtwirtschaftliche Effekt gering bleiben sollte, bei der Bauindustrie sind alle Sünden hier noch nicht am Tage, die von ebendenselben

Göttern begangen wurden. Liegt es an den bankmäßigen Finanzierungsrichtlinien, die bei der Geschäftsgründung — und das waren alle diese nun notleidend gewordenen Bauprojekte — die Beleihung von Grund und Boden als unfehlbare Sicherheit einsetzen, oder liegt es am Wunsch, sich am Wachstum einer überproportional wachsenden Branche ebenso überproportional zu beteiligen oder war es ganz einfach Unvorsichtigkeit?

Aber das Engagement war — beinahe — unbegrenzt.

Damit verläßt diese Betrachtung das engere Gebiet der Bauwirtschaft.

500.0 Arbeitslose — zuvor noch eine undenkbare Zahl — ist eine überschrittene „Schallgrenze”, man wird sich an höhere Ziffern, vielleicht doppelt so hohe, zu gewöhnen haben. Denn das Projekt, die Gastar-

beiter (die Buhmänner des kleinen Mannes der „Rechten”) als erste „leiden” zu lassen, ist weder national noch international realisierbar. Denn wie will man von Liberalismus reden und dagegen handeln? Und dies, trotz des ungünstigen Ausländerrechtes in der Bundesrepublik Deutschland! Der „denns” sind viele, zu viele.

Der künftige arme Mann Europas, die durch zu viele Fehlinvestitionen stigmatisierte Bundesrepublik, ist schon bereit, zu zahlen.

Die Frage nach den „anderen” Branchen ist berechtigt. Aber zu viele waren schon lange zuvor „stille Opfer” einer Entwicklung, die man im Zeichen eines Wirtschaftswunders, das doch mehr ein Wunder war, nicht beachten zu müssen glaubte.

Planung hat auch nicht obwaltet, als die zahlreichen — mehr als 100 — Industrie-Entwicklungsigebiete bestimmt wurden. Da spielt die Nostalgie noch dem „einigen Deutschland” gegenüber den Förderungsgebieten am Zonenrande — bevor die „DDR” zur DDR wurde — noch die geringste Rolle.

Schön waren sie schon, diese Ent- wicklungsträume — produktiv waren sie nie. Denn die Gewerbesteuer, die dem Etat der Gemeinde zufließt, ist doch nur vielfach ein Beitrag zur Mcmumentalisierung lokaler Größen geworden. Statt der Schule das Bad, die Kongreßhalle und was es sonst an Denkmäler-Möglichkeiten für lokale Größen gibt. Den Sportplatz nicht zu vergessen, den doch keiner besucht, der die besten Sportler jederzeit im Fernsehen auf den Schirm knipsen kann.

Daß sich die Automobil-Industrie von dem Schlag, den ihr die Öl-Krise zugefügt hat, nicht erholen kann, ist allgemeines Wissen. Die vielen Tausende von Kleinbetrieben, ihre Zulieferer, sind dabei noch nicht einmal Gegenstand öffentlichen Interesses geworden. Da wird keine Kurzarbeit, keine Entlassungswelle helfen — der Bann ist gebrochen. Man möchte sich darüber freuen und kann es doch nicht, denn wohin hätte die Blechlawine Industrie und Zivilisation noch reißen können?

Die Opposition hat sich darin hervorgetan, daß sie bis heute die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung bestimmt hat. Niemals hat ein so geringer Aufwand an Denkeh so weitreichende Folgen gehabt. Da doch die Opposition sich in der Wiederholung der Behauptung, sie habe recht gehabt, als sie noch an der Regierung war, erschöpft. Dabei sind alle die schwerwiegenden Fehler, die zu der Struktur der Wirtschaft geführt haben, mit der die Regierung heute fertig werden muß, von ihren Vorgängerinnen gemacht worden. Die Feststellung, daß der Schaden die Sozialisten trifft, mag für die CDU- CSU von einiger Wichtigkeit sein, für die Weiterentwicklung und für die Schwierigkeiten bei der Lösung dieser Probleme ist sie es nicht. Denn es hätte doch auch eine CDU- CSU-Regierunig treffen können

Da bleibt das Auge an der Stahlindustrie hängen, die noch für Jahre — sagt sie — mit Aufträgen versorgt ist. Wenn da nur nicht das Faktum wäre, daß gerade diese Branche, nach der Investitionswelle des Verfahrensumschwungs der späten sechziger und ersten siebziger Jahre keinen akuten Kapazitätszuwachs zu verzeichnen hat! Da liegt ein Kapa- zitätsnachhang vor, der eine Scheinkonjunktur noch blühen läßt. Wird sich die Bundesregierung einzugreifen getrauen, bevor diese „klassischen” Indikatoren der Wirtschaftsentwicklung, die Grundindustrien, nicht „anzeigen”?

Aus der Unfähigkeit oder Unmöglichkeit des Handelns gegenüber der von der Opposition erzwungenen Deflationspolitik scheint die Bundesregierung durch möglichste Europäisierung des Problems einen Ausweg zu suchen.

Der Faszination durch die Opposition mag sich die Bundesregierung auf diesem Weg entziehen, sollte man annehmen. Aber des Problem liegt nicht in Bonn, das Problem liegt weithin im Lande verstreut und für den ‘kleinen Mann Hegt es vor seiner Haustür. Dabei ist noch nicht einmal gesagt, daß den politischen Vorteil davon die Opposition hat, die sich das offensichtlich erhofft. Oder wird ein Mann, der die Kapitalisten „haßt”, sich durch den Zusammenbruch eben dieser „Kapitalisten” zum „Kapitalismus” bekehren lassen?

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