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„Reprivatisieren“ ist nicht leicht

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Seit fast genau zwei Jahren werden in der Tschechoslowakei schüchterne Versuche einer Reprivatisie-rung gemacht. Gewiß tut man dies weder freiwillig noch besonders lustvoll, sondern unter dem Zwang des wirtschaftlichen Druckes; und die Bevölkerung spürt dies und merkt, daß diese Maßnahmen vielleicht schon bei der erstbesten Gelegenheit wieder rückgängig gemacht werden — und reagiert ebenso lust- und interesselos.

So hat man vorsichtig durch Monate in zwei Provinzstädten ausprobiert, ob die bisher im Rahmen der Kommunalbetriebe arbeitenden Taxis nicht wenigstens teilreprivatisiert werden könnten. Um gleichzeitig die wenigen vorhandenen Autos so gut als möglich ausnützen zu können, sollen nunmehr jeweils zwei Fahrer das Fahrzeug zur „schichtweisen Nutzung“ in eigene Regie übergeben werden, wobei ein gewisser Prozentsatz der Einnahmen an den Kommunalbetrieb für die Amortisierung, Versicherung usw. abgeführt werden muß, während ein weiterer Teilbetrag der Einnahmen auf ein Sonderkonto für den Lohn, Reparaturen, Reifen und Benzinkosten eingezahlt werden soll. Mit dieser Maßnahme hoffte man nicht nur das Defizit der Taxibetriebe, das auf vier bis fünf Millionen Kcs geschätzt wird, abbauen zu können, sondern gleichzeitig ein höheres Einkommen für den Taxifahrer zu ermöglichen.

War es bei den Taxis in erster Linie das Problem des abzubauenden Defizits und weniger die Bedürfnisse der Bevölkerung, die es zu befriedigen galt, so waren bei Erwägungen um die Reprivatisierung einiger Dienstleistungsbetriebe gleich zwei Erwägungen ausschlaggebend:

• einmal die durch starke Verzögerung von Reparaturen häufig verursachte Verschleuderung und Vergeudung von Volksvermögen, aber auch

• die permanente herbe Kritik der Bevölkerung beim Nichtfunktionie-ren, bei der schlechten und langsamen Art, wie etwa Gas- oder Wasserleitungsreparaturen durchgeführt wurden.

Legalisierung der „Pfuscher“

Aber nicht nur eine bessere Versorgung vor allem durch Handwerker, sondern gleichzeitig ein Auskämmen von Arbeitskräften sollte erreicht werden. Mit Regierungsbeschluß können mit Wirkung vom 1. August 1964 Ortsnationalausschüsse in vorwiegend ländlichen Gebieten selbständigen Handwerkern eine Beschäftigungsgenehmigung erteilen, wobei es sich um Handwerker handelt, die ihre Arbeit nach Dienstschluß und mit Zustimmung ihrer Arbeitsstellen ausüben können, außerdem um Rentner, um Frauen, die bisher im Haushalt wirkten, und um Personen mit verminderter Arbeitsfähigkeit. Das ist also an sich kaum mehr, als was man bei uns eine Legalisierung der „Pfuscharbeit“ bezeichnen würde.

Diese Arbeit sollte aber nicht nur lokal beschränkt sein (man sprach ja von „überwiegend ländlichen Gebieten“), sie sollte auch fachlich auf folgende Handwerkssparten beschränkt bleiben: Schneider, Schuhmacher, Schlosser, Maurer, Dachdecker, Anstreicher, Friseur, Büglerin und ähnliche. Bedingung war ferner, daß der Betreffende im Ort seiner Tätigkeit wohnt, selbständig und allein arbeitet und niemanden beschäftigt. Der Antragsteller hat überdies einen Beschäftigungsnachweis zu erbringen, und die Preise für seine Dienstleistungen dürfen die des „sozialistischen Sektors“ nicht überschreiten. Auch eine Rücknahme der Beschäftigungsgenehmigung ist jederzeit möglich.

Trotz aller Zurückhaltung war man allerdings noch zu optimistisch und ging bei den ersten diesbezüglichen Ansuchen, die allerdings sehr bald auch in Städten und Großstädten gestellt wurden, recht rigoros vor. So meldeten sich unmittelbar nach Bekanntwerden des Regierungserlasses in der ersten „Welle“ in Preßburg 35 Männer und Frauen, wovon lediglich die Ansuchen von Schlossern, Maurern, Spenglern, Elektrikern und Zimmerleuten genehmigt wurden, nicht aber die teilweise selbständige Beschäftigung von Schneidern, Schneiderinnen und Modistinnen. Wie wenig auch jetzt noch die kleinen Wünsche der Bevölkerung zur Kenntnis genommen wurden, dafür spricht eine redaktionelle Stellungnahme, die noch dazu im Prager Gewerkschaftsorgan „Prace“ erschien:

„Wir benötigen Leute mit Unternehmungsgeist und wir geben ihnen die Möglichkeit zu arbeiten. Doch haben wir nicht für jede Form von Unternehmungsgeist Verwendung. Es hat keinen Sinn, die Konkurrenz in Branchen, wo uns der Schuh nicht drückt, zu steigern. Es stimmt wohl, daß auch'die neuen privaten Schneider oder Modistinnen Arbeit finden werden — wobei anderen Betrieben1 vielleicht einige Bestellungen entgehen könnten. Uns geht es auch nicht darum, daß das Geld unserer Bürger von der einen Tasche in die andere wandert, noch um eine Neuaufteilung des Einkommens. Worauf es ankommt ist vielmehr, daß jemand die Arbeit tut, für die bisher niemand da war. Wo die kommunalen Betriebe nicht nachkommen, dort kann auch ein Privater arbeiten.“

Aber eine zweite Welle an Ansuchen rollte nicht mehr an, und sogar die Polen, die auf diesem Gebiet nicht einen halben, sondern gleich zwei Schritte zu gehen gewillt waren, hatten und haben ihre Sorgen. Hier wollte man nicht nur Rentnern sowie Aktiven zu einer zusätzlichen nebenberuflichen Arbeit verhelfen, sondern bis Ende 1970 30.000 Privathandwerksbetriebe schaffen und den Beschäftigtenstand in diesen Privathandwerksbetrieben gar auf 100.000 Personen erhöhen — Bestrebungen, von denen man auch schon heute sagen kann, daß sie nicht annähernd erreicht werden. So will man in Hinkunft nicht nur Privatdienstleistungsbetriebe, sondern auch handwerkliche Produktionsbetriebe fördern. „Ein Schlosser, der lediglich Schlüssel nachmachen und Kinderwagen reparieren darf, würde vor Hunger sterben“ — schreibt sehr richtig die „Tribuna ludu“, und man ist zur Kenntnis gekommen, daß nicht nur Reparaturen, sondern auch oder vor allem die Produktion eine Lebensnotwendigkeit für Privathandwerker sei. Man leugnet übrigens in Polen im Unterschied zur Tschechoslowakei keineswegs die Vorteile solcher handwerklicher Produktion, vor allem, daß sie schneller als die Industrie auf die Änderung der Bedarfslage reagiere. Diese Handwerksbetriebe und die Handwerksgenossenschaften sollten die Industrieproduktion nicht „doublieren“, sie hätten sie zu ergänzen. Schließlich macht das offizielle polnische Parteiorgan den noch fast sensationellen Vorschlag, es müsse zu einem Wettbewerb zwischen privaten und genossenschaftlichen Handwerkern kommen, und auf dem Markt würde derjenige bleiben, der billiger, besser, schöner und schneller produziert.

Keine Chance für die Bauern

In Prag ist man allerdings noch weit entfernt, dem Privathandwerk, von dem kaum dürftige Ansätze vorhanden sind, eine ähnliche Chance einzuräumen. Bezeichnend ist übrigens, daß man auf einem anderen Wirtschaftsgebiet, nämlich der Landwirtschaft, nicht die geringste Reprivatisierung ins Auge faßt, daß man hier ganz im Gegenteil die Zügel so straff als möglich hält. Hier gibt es zwar noch 704.872 selbständige Landwirtschaften, ihr Grundbesitz macht aber nur noch 694.719 Hektar oder 7,6 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Bodens aus (gegenüber 1,7 Millionen Hektar der staatlichen Güter und Domänen, den 4,3 Millionen Hektar des genossenschaftlichen Sektors). Obzwar also auf den einzelnen selbständigen „Bauern“ heute im Durchschnitt weniger als ein Hektar landwirtschaftlich nutzbaren Bodens entfällt und obwohl allen selbständigen Bauern zusammen nicht einmal acht Prozent des Bodens gehört, liefern sie allein 17 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion! Daneben spielt allerdings auch das sogenannte „Hofland“ der Genossenschaftsbauern eine große Rolle und macht immerhin 323.124 Hektar aus. Auch wenn man dieses Hofland von offizieller Seite diffamiert, es als nichtsozialistisches Element, als Überbleibsel einer überholten Produktionsweise bezeichnet und der V. Kongreß der tschechoslowakischen Kollektivwirtschaften gefordert hat, „die Vorzüge einer Wirtschaft ohne Hofstellen“ zu überprüfen, so getraut man sich einfach nicht, hier radikaler vorzugehen und das aus verständlichen Gründen: dieses Hofland liefert zum Beispiel in der Slowakei 40 Prozent der gesamten Milch- und Schweineproduktion, und 1958 kamen 51,4 Prozent des Einkommens der Genossenschaftsbauern aus diesem Hofland, zwei Jahre später immerhin noch 46,3 Prozent! Dabei ist die Maximalgröße eines Hoflandes mit 0,5 Hektar festgelegt, die Höchstzahl der auf diesem Hofland gestatteten Tiere mit einer Kuh, zwei Schweinen usw. begrenzt. Man sieht also: ob es sich um einen „selbständigen Bauern“ handelt, dessen Grund die EinHektar-Grenze nicht überschreiten darf, oder um einen „Genossenschaftsbauern“ mit einem maximalen „Hofland“ von einem halben Hektar — von Privatbesitz kann man kaum mehr ernsthaft reden, aber auch die relativ freie Betätigung ist seit drei Jahren radikal eingeengt. Bis Ende 1962 konnten die Produkte der Hofstellen frei verkauft werden, während seither wieder die einstige Ablieferungspflicht gegenüber den staatlichen Einkaufsgenossenschaften besteht. Während hier also, auf dem Sektor der Landwirtschaft, nicht die geringsten Anzeichen einer Reprivati-sierung bestehen, hat man ganz im Gegenteil Experimente unternommen, um Genossenschaftsbauern in der „arbeitsarmen“ Zeit, im Winter, in Fabriken einzusetzen.

Nun fragt sich allerdings auch, ob man, wenn überhaupt der Wille von selten der Staatsführung vorhanden wäre, ein« Reprivatisierung einfach anordnen kann. Wi« man Menschen das Eigentum abgewöhnen kann und sie nach Jahrzehnten nicht mehr so ohne weiteres die Vorteile des privaten Eigentums erkennen, so ist es auch mit einer selbständigen Beschäftigung. Wenn man sie von staatlicher Seite her diffamiert, steuerlich und auf dem Versicherungssektor benachteiligt, verliert der Mensch völlig das Interesse, selbständig zu arbeiten. Wenn man, wie jetzt in der Tschechoslowakei, auf der einen Seite bestenfalls halbe Schritte zu einer Reprivatisierung für wenige Berufssparten tut, auf der anderen Seite aber das Wirtschafts- und Lohnsystem so ausbaut, daß man durch Sonderprämien einen Profitanreiz für einzelne und ganze Gruppen schaffen will; wenn man offiziell zugibt, die Nivellierungen der letzten Jahre am Lohnsektor beseitigen zu wollen, wird eine Reprivatisierung, auch wenn man sie wirklich einmal wünschen sollte, nicht so rasch zum Ziel führen.

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