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Gesetz für Naive

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Werden die Sozialisten ihren Entwurf des Bodenbeschaffungsgesetzes im Parlament durchdrücken und auf die Assanierung, für die wegen diverser Verfassungsklauseln die Zweidrittelmehrheit notwendig ist, verzichten? Werden sie doch einem Kompromiß zustimmen oder wird es ihnen mit Hilfe eines vom Bautenminister gestarteten Volksbegehrens gelingen, die große Oppositionspartei so unter publizistischen Druck zu setzen, daß diese schließlich auf die sozialistische Linie einschwenkt und auf Korrekturen verzichtet? Noch sind alle Varianten offen.

Wie sehr der Regierung an der Bodenreform gelegen ist, kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß sie eventuell das ihr bislang nicht sonderlich sympathische Instrument des Volksbegehrens einzusetzen gedenkt. Dieses ist nur dann sinnvoll, wenn es sich um ein überparteiliches Anliegen handelt, wie dies beispielsweise beim Bundfunk-Volksbegehren der Fall war. Aber wenn die Regierungspartei mit ihrem ganzen Apparat hinter einem Volksbegehren steht, so besagt eine noch so imponierende Anzahl von Unterschriften herzlich wenig.

Die Position der Regierungspartei ist — wie so oft — auch diesmal publizistisch und taktisch wieder stärker als die der ÖVP. Während die Sozialisten in dieser Frage durchaus an einem Strang ziehen und ganz genau wissen, was sie wollen, ist in der Volkspartei die Haltung eher uneinheitlich: Der ÖAAB — nicht zuletzt infolge des Einflusses diverser Wohnbauvereinigungen, die sich aus Assanierung und Bodenbeschaffung gute Chancen ausrechnen — neigt dem sozialistischen Standpunkt zu. Der Bauernbund sieht sehr gefährliche Fußangeln für seine Mitglieder und wäre am liebsten gegen das Gesetz, möchte es aber nicht ohne jene Kautelen zum Schutze des Eigentums verabschiedet wissen, die die Sozialisten vehement verweigern. Im Wirtschaftebund divergieren die Meinungen, je nachdem, ob die Betreffenden mehr die Aufträge infolge einer forcierten Bautätigkeit oder die Gefahren eines neuen Interventionsinstrumentes des Staates im Auge haben.

Diese uneinheitliche und deutlich von Interessenstandpunkten gezeichnete Haltung führt zu einer starken Nachgiebigkeit im Prinzipiellen, ja zu einer Nichtbeachtung der prinzipiellen Problematik überhaupt und zu einer Konzentration auf Detailfragen. Gerade das ist aber Wasser auf die Mühlen der sozialistischen Propaganda: Muß doch der Eindruck entstehen, die ÖVP halte die sozialistische Forderung für prinzipiell richtig und versuche nur, partikulare Interessen gegen die Maßnahmen zum Wohl der Allgemeinheit abzuschirmen.

So kommt es, daß heute das Problem der Entschädigungen isoliert in den Vordergrund gerückt und der SPÖ die Chance zu Formulierungen gegeben wird wie etwa: Die ÖVP müsse entscheiden, ob ihr die Interessen der Spekulanten näher stehen als die der breiten Bevölkerungsschichten. Und ein fixer Formulierer wie der Abgeordnete Blecha kann das Problem auf die Formel bringen: Ein modernes Bodenbeschaffungsge-setz sei nur dann sinnvoll, wenn es eine „wirksame Waffe gegen den Bodenwucher“ darstelle.

Das Detailproblem, das hier über Gebühr akzentuiert wird, ist die Frage, ob die Bodenpreise auf dem Stand von einem Jahr vor der Erklärung eines gewissen Areals zum Assanierungsgebiet eingefroren werden oder ob sie nach einem gewissen Schema weiter steigen sollen. So einfach dieses Problem scheint, so schwierig ist es: Erstens sind die Bodenpreise nicht immer leicht zu bestimmen, da der Immobilienmarkt in vielen Gebieten nicht sehr lebhaft ist und zumeist nur Notverkäufe zu schlechten Preisen stattfinden. Zweitens wird damit der Bodenhortung durch öffentliche und private Institutionen unter denkbar günstigen Bedingungen Tür und Tor geöffnet.

Wird aber dadurch der Bodenwucher tatsächlich hintangehalten? Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Kann man wirklich von Bodenwucher sprechen, wenn beispielsweise ein Bauer, der sich ein Ersatzgrundstück auf dem immer enger werdenden freien Markt beschaffen muß, für die enteignete Fläche einen möglichst hohen Preis erzielen will? Ist es Bodenwucher, wenn ein Sparer infolge der permanenten Geldentwertung in Sachwerte geflohen ist, Grund- oder Hausbesitz unter weitgehendem Verzicht auf Ertrag im Interesse der Substanzerhaltung erworben hat, heute angesichts der Inflation überhaupt nicht verkaufswülig ist oder wenigstens einen Preis erzielen will, der ihm einen adäquaten Neuerwerb auf dem freien Markt ermöglicht? Genau das sind aber die „Spekulanten“, die das Gesetz treffen soll.

Die wahren Spekulanten sind hingegen diejenigen, die Grundstücke rechtzeitig billig aufkaufen, um sie ein paar Jahre später um ein Vielfaches an Kommunen, Genossenschaften oder Erwerber von Eigentumswohnungen weiterzuverkaufen. Diese Geschäfte sind ihnen aber nur dank frühzeitiger Informationen infolge eines „guten Drahtes“ zu öffentlichen Stellen möglich. Zu glauben, daß diese echten Spekulanten durch das neue Gesetz getroffen würden, gehört eine tüchtige Portion von Naivität. Der Applaus, der dem Gesetzentwurf gerade von dieser Seite zuteil wird, sollte zu denken geben.

Nein, gegen den echten Bodenwucher schafft das Gesetz keine Abhilfe. Um dieses prinzipielle Faktum, nicht um einige Detailfragen sollte es bei den Verhandlungen gehen.

Die Wohnungsnot und die Fehler der Stadtplanung, so wird weiter behauptet, entstünden aus dem Grundstückmangel der öffentlichen Hand. Speziell die Gemeinde Wien urgiert aus diesem Motiv heraus vehement die Bodenreform. Braucht gerade sie diese wirklich?

Nicht weniger als 14.611 Hektar von den insgesamt 41.409 Hektar Gemeindeboden stehen im Alleineigentum der Gemeinde Wien — von den Flächen in deren Miteigentum bzw. im Eigentum kommunaler Körperschaften wie der Stadtwerke usw. gar nicht zu reden. Mehr als ein Drittel des Wiener Bodens gehört also der Gemeinde Wien. Sicherlich ist nicht alles Baugrund — Details darüber verschweigt die offizielle Statistik interessanterweise. Da aber auch der Privatbesitz nicht nur aus Bauland besteht, dürften die Globalzahlen auch die Proportionen auf dem Baulandsektor approximativ wiedergeben.

Insgesamt besitzt die Gemeinde Wien sogar mehr Grund — nämlich 46.847 Hektar — so viel, wie die Bodenfläche des gesamten Gemeindegebietes ausmacht. 32.236 Hektar befinden sich außerhalb des Bundeslandes Wien. Gewiß ist nicht alles davon disponibel, jedoch ein bescheidener Teil könnte zweifellos z. B. für Grundtausche mit verkaufsunwilligen Wiener Grundbesitzern verwendet werden.

Aber allein schon die große Wiener Baulandreserve würde dem Magistrat auch ohne Bodenbeschaffungsgesetz eine zielführende Stadtplanung ermöglichen — wobei die Verbauung nicht nur durch die Gemeinde selbst erfolgen müßte, sondern diese ruhig auch Grundflächen an andere Bewerber verkaufen und auf diese Weise dämpfend auf den Bodenmarkt einwirken könnte.

Wenn die Stadtplanung versagt, dann gewiß nicht wegen zu geringer Manövrierfähigkeit. Auch von dieser Seite besteht absolut kein echter Bedarf für ein Bodenbeschaffungsgesetz.

Das gravierendste Argument ist aber zweifellos jenes, daß an der „Unwirtlichkeit der Städte“ und an der Verschandelung des ländlichen Raumes einzig und allein private Profitinteressen schuld seien, eine Übertragung möglichst vieler Kompetenzen an „gewählte Gremien“ aber Abhilfe schaffe. Die ganze theoretische linke Prominenz in der Welt — von Mitscherlich bis Bloch — wurde in den letzten Jahren von den Sozialisten in ganz Europa zur Erhärtung dieser These aufgeboten.

Ein Blick auf die österreichische Szene beweist aber sofort deren Un-haltbarkeit: Es gibt praktisch keine Bausünde seit 1945, die nicht entweder von der öffentlichen Hand selbst begangen worden ist, oder von ihr wenigstens — auf Grund der schon bestehenden Gesetze — hätte verhindert werden können. Zumeist waren aber gerade die Gemeinden die treibenden Kräfte, wenn es um die Verbetonierung der Umwelt ging. Wieso die Situation dadurch erleichtert werden soll, daß man ihnen den Zugriff auf das Bauland noch erleichtert, ist unerfindlich.

Desgleichen wird die Assanierung im Gesetz verkehrt angepackt. Die noch immer herrschende Wohnungsnot ist ja gerade in einem Land wie Österreich nicht auf zu geringe Neubautätigkeit, sondern auf die zu geringe Modernisierung der zum großen Teil durchaus erhaltungswürdigen Altbausubstanz zurückzuführen. Was wir brauchen, um die Wohnungsmisere rasch, rationell und infrastrukturell richtig zu beheben, ist nicht die Demolierung angeblich „abgewohnter“ Viertel und deren totaler Neubau, sondern eine Revitalisierung der vorhandenen Bausubstanz — also das genaue Gegenteil dessen, was die Bodenreform der Regierung intendiert.

Die Verhandlungspartner wären gut beraten, das ganze Gesetz von Grund auf neu durchzuarbeiten und nicht bloß einige Retuschen anzubringen. Sollte aber der vorliegende Entwurf tatsächlich in nur wenig modifizierter Form eingebracht werden, dann würde es sich empfehlen, ihn zumindest — in gleicher Weise wie bei Landwirtschaftsgesetzen — zeitlich zu befristen und ihn nicht von vornherein als Verfassungsgesetz für alle Zeiten zu petrifizieren.

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