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Direktor Rudolf Steinboeck, Josef Stadt: Das Theater ist eine kollektive Kunst

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Sie fragen mich um meine Meinung über die sogenannte Wiener Theaterkrise. Ich denke, wir brauchen nicht näher darauf einzugehen, daß die Krise des Theaters — und der Kunst überhaupt — nicht lediglich einen österreichischen Sonderfall darstellt, sondern ein gemeineuropäisches Problem ist. Auch darf als bekannt, vorausgesetzt werden, daß die tiefste Ursache dieser Situation in einer allgemeinen Krise des Geistes und in der gegenwärtigen Umwertung aller Werte — einer Umwertung, wie sie derart radikal in der Geschichte bisher wohl nie zu verzeichnen war — zu suchen ist.

Um nun die besondere Situation des Wiener Theaters einigermaßen ins rechte Licht zu setzen, möchte ich versuchen, in meinen Ausführungen den geistig-künstlerischen von dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt zu trennen. Ich bin mir dabei bewußt: wieder einmal dem üblichen Vorwurf, den man vielen Theaterdirektoren macht, Raum zu geben: daß nämlich damit die ökonomische Seite des Problems überwertet werde.

Gewiß wurden zu allen Zeiten und in allen Kulturepochen Kunstwerke auch unter den schwierigsten wirtschaftlichen Verhältnissen und von schwerste Not leidenden Künstlern geschaffen. Nun ist aber — und das wird meist nicht genügend beachtet — die Kunst des Theaters eine kollektive Kunst, deren Produkte einen weitaus größeren Aufwand an Material und somit an Ent-stehungs- und Betriebskosten erfordern als Werke, die nur von einem einzigen Künstler heivorgebracht werden. Hieher gehören nicht nur die Kosten des technischen Apparats (Holz, Eisen, Leinwand, Stoffe, Beleuchtung, Beheizung usw.), sondern auch die diversen Steuern und Abgaben, Autorenhonorare und nicht zuletzt (besonders bei den Spitzenwerken der ausländischen Literatur sehr hohe) Beträge und Vorschüsse zur Erwerbung der aufzuführenden Stücke, welche im allgemeinen um so teurer sind, je höher ihre Qualität ist. Der einzelne, Autor, Regisseur oder Schauspieler, mag so opferfreudig sein wie er will — wenn die Leinwand für die Kulissen fehlt, die Tischler kein Holz und keine Nägel haben, der Beleuchter ohne Scheinwerfer dasteht, kann der Vorhang nicht hochgehen.

Jeder Einsichtige, der über die gegenwärtige wirtschaftliche Lage unseres Landes Bescheid weiß, ist sich im klaren darüber, daß das ungeheure Ansteigen der Materialpreise auf allen Gebieten jedes nicht unter ausschließlich kommerziellen Gesichtspunkten geführte Unternehmen nahezu unerschwinglich gemacht hat. Hinzu kommt, daß der Kreis der kunstinteressierten Konsumenten sehr viel kleiner geworden ist. Es liegt auf der Hand, daß die Betriebskosten eines kollektiv-künstlerischen Unternehmens auf die bisher übliche Weise nicht mehr gedeckt werden können.

Es muß sich daher jedermann überlegen, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt, hier einen Ausweg zu schaffen. Entweder man unterstützt sämtliche Bühnen durch Subvention, welcher Art immer, um sie am Leben zu erhalten. (So wollen es alle am Theater näher Interessierten.) Oder aber man schließt sich der Ansicht jener an — und es sind darunter gewiß auch Menschen von bedeutender Einsicht und hohem Verantwortungsbewußtsein —, die sich die Frage stellen, ob es wirklich notwendig und zu verantworten sei, in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Situation eine so weitgreifende Subventionierung nicht durchführbar erscheinen läßt, sämtliche Bühnen, auch die mit geringerem künstlerischen Niveau, mitzuerhalten. Ist es zu verantworten, so fragen sich diese anderen, in einer Zeit, da die geistigen Arbeiter aller Gebiete ganz offensichtlich darben müssen, in einer Zeit, da junge Ärzte und Wissenschafter ein .minder als kärgliches Dasein zu fristen gezwungen sind, in einer Zeit, da ein Großteil aller Studierenden einer sehr ungewissen Zukunft entgegengeht — ist es in einer solchen Zeit zu verantworten, daß man sich den „Luxus“ zahlreicher, auch „minderwertiger“ Bühnen gestatte?

Gewiß sind diese Einwände nicht ohne weiteres zu widerlegen. Es handelt sich hier weitgehend einfach um eine Frage des persönlichen Standpunkts. So wie es Menschen gibt, die, um sich den Genuß eines Kunstwerks leisten zu können, andere Bedürfnisse hintanstellen, gibt es auch Völker, die eine besondere Bereitschaft zeigen, sich auf das Notwendigste einzuschränken, um ihren kulturellen Interessen Rechnung zu tragen. Wir finden zum Beispiel in fast allen deutschen Städten, gerade auch in solchen, die vom Krieg weit mehr mitgenommen wurden als unsere Stadt, in denen daher die sozialen und Ökonomisrhen Verpflichtungen noch größer sein mögen als bei uns, eine bewundernswerte Bereitschaft, gerade die Kunst, gerade das Theater zu unterstützen. Es gibt drüben kaum eine kleinere oder größere Stadt, die nicht mindestens ein Theater unterhält.

Es wird oft bemerkt, die Anzahl der Theater Wiens entspräche der einer großen Residenzstadt. Tatsächlich vermittelte zur Zeit der alten Monarchie der tägliche Zustrom aus dem deutschsprachigen Hinterland von Böhmen über Polen und Siebenbürgen bis Rumänien diesen vielen Theatern lebendigen Reichtum und reiches Leben. Seither wurde unsere Stadt mehr und mehr aus dem Zentrum der Weltbedeutung an die Peripherie gedrängt. So scheint denn in letzter Zeit die Ansicht der „Pessimisten“ den Sieg davontragen zu müssen. Selbst der größte Optimist kann kaum noch hoffen, daß unsere Theater uns in der bisherigen Anzahl erhalten bleiben. Wir müssen annehmen, daß wir schon in nächster Zukunft nur noch eine sehr beschränkte Zahl von Bühnen haben werden, die sich mit den vorhandenen Bescheidenen Mitteln am Leben erhalten können.

Es mag sein, daß dieser pessimistische Standpunkt berechtigt ist. Mir als Theater-mann sei jedoch gestattet, auf etwas hinzuweisen, das sonst vielleicht nicht genügend Beachtung findet. Die Wiener Iheaterkultur, das habe ich selbst auf zahlreichen Auslandsreisen feststellen können, ist derjenigen aller anderen europäischen Städte zweifellos überlegen. Selbstverständlich gibt es da und dort ausgezeichnete Einzelleistungen, aber das allgemeine, das durchschnittliche Niveau der Darstellungskunst ist in Wien höher als anderswo. Daß nun dieses Niveau immer noch gehalten wird, verdanken wir nicht zuletzt gerade den zahlreichen kleinen Bühnen, von denen die großen Theater immer neue Kräfte beziehen können, wie denn überhaupt Rang und Qualität auf jedem Gebiet von dem Reichtum an lebendiger Wechselwirkung und an mannigfachen Austauschmöglichkeiten abhängen. Man muß also fürchten, daß längstens in einigen Jahrzehnten das Niveau der meisten großen Bühnen, auch unserer Staatstheater, durch die beträchtliche Einschränkung solcher Möglichkeiten und dadurch, daß der künstlerische Nachwuchs nicht mehr hinreichend ausgebildet werden kann, sehr stark sinken wird.

Abschließend möchte ich sagen: Die Beurteilung der verschiedenen kausalen Faktoren der Theaterkrise: Mangel an Publikum, Mangel an guten Stücken, unzulängliche Führung usw., kann überhaupt erst dann erfolgen, wenn dem Theater diejenige Basis geschaffen wird, die ihm heute fehlt. Dann, aber erst dann, wird es erlaubt sein, sich über den geistigkünstlerischen Aspekt eingehender zu unterhalten.

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