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FRISCHE LUFT INS BURGTHEATER

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Das Burgtheater beansprucht ungleich mehr zu sein als andere Bühnen. Jedenfalls bildet es die sichtbarste Bastion des kulturellen Österreich, auch für das Ausland. Die geistige Kraft, die von ihm ausgestrahlt oder nicht ausgestrahlt wird, ist ein Wertmesser Österreichs. Es kann uns nicht gleichgültig sein, welchen tatsächlichen — nicht eingebildeten — Rang diese repräsentativste Bühne einnimmt.

Da nun ist es bitter, von Ausländern, die über unser Theater sprechen, das Wort von der „schönen lauen Donau“ zu hören. Es ist bitter, ihnen recht geben zu müssen. Weder das ambitionierte Wiener Volkstheater noch das Theater in der Josefstadt als Boulevardbühne noch die Provinzbühnen prägen entscheidend das Antlitz Österreichs im Theatralischen, diese Züge verleiht ihm das staatliche, reich dotierte Burgtheater. Für seine Geltung ist die Beantwortung der Frage bestimmend, welche Impulse von ihm ausgehen. Impulse erweisen geistige Lebendigkeit, erregen Aufmerksamkeit, wirken oft richtungweisend, heben ein Theater aus dem Konventionsbetrieb der meisten Bühnen heraus. Vom Burgtheater gehen aber keine Impulse aus, weder von den Stücken, die aufgeführt werden, noch von den Inszenierungen. Das Burgtheater besitzt als Gesamterscheinung kein Profil. Man könnte glauben, die „laue“ Donau fließe an diesem Musentempel vorbei.

Wunschvorstellungen, Fiktionen als Realitäten auszugeben, Kritik zu unterbinden, wäre schädlich. Das Burgtheater ist in seinem Spielplan rückwärts gewandt, als lebe man da nur höchst ungern in der Gegenwart. Man begnügt sich, generell gesagt, damit, Bildungstheater oder Schauspielertheater zu bieten. Das heißt, es werden die Stücke der Meisterdramatiker früherer Zeiten gespielt und Erfolgsstücke aus den letzten Jahrzehnten rekapituliert. Dabei schmeichelt man sich, daß für das Burgtheater eben nur das längst erprobte Beste gerade gut genug sei. Und neue Stücke? Betrachtet man den Spielplan etwa der letzten fünf Jahre, so zeigt es sich, wie wenig da vom neuesten dramatischen Schaffen vorgeführt wurde. Kommt es vollends einmal zu einer Ur- oder deutschsprachigen Erstaufführung, gelangen nicht die wesentlichen Werke auf die Bretter, nicht jene, die Richtmarken in der Entwicklung der Dramatik bilden. Zweifellos ist es bequemer, erfordert es geringere geistige Voraussetzungen, irgendwelche Stücke lediglich nach Maßgabe der jeweils gerade anwesenden Schauspieler zu besetzen. Es ist noch nicht lange her, daß auf dem Spielplanvorhaben des Burgtheaters nicht der Name eines Stücks oder Autors eingetragen war, sondern der Name eines Darstellers. Man suchte ein X-Stück für den Schauspieler X, ein Y-Stück für die Schauspielerin Y. Die Stückeigenart hatte demgegenüber untergeordnete Bedeutung. Sie hat es merkbar weiterhin.

Aufgabe des Burgtheaters ist es selbstverständlich, nicht nur die Vergangenheit zu spiegeln, sondern vor allem die heutige Welt sichtbar zu machen. Muß man es erst sagen, daß wir in einer Zeit gewaltiger geistiger Umwälzungen leben? Im Burgtheater ist nichts davon zu merken. Bei einem Gegenwartsstück von gestern, wie etwa Brechts „Galilei“, wartet man, bis es abgestanden, museal geworden ist, sich zur Mumifizierung eignet Das Burgtheater kann nur dann eine Spitzenposition erringen, wenn es die Möglichkeit zu lebendiger Auseinandersetzung mit den Spitzenwerken neuester Entwicklung bietet, wenn das Gesamt des Gebotenen die geistige Landschaft unserer Zeit einprägsam erkennen läßt.

Es ist sehr beachtlich, daß der Direktor des Theaters in der Josefstadt, Prof. Franz Stoß, in einer Fernsehsendung nicht das Burgtheater, sondern das Volkstheater als das Theater mit dem „interessantesten Spielplan“ bezeichnet hat, obwohl der Burgtheaterdirektor Leiter der Diskussion war. Mit Recht, denn unter der Direktion von Prof. Leon Epp wurden im Volkstheater erstaunlich viele Stücke vorgeführt, die für unsere Zeit kennzeichnend sind. Und dies bei sehr schmalen Mitteln. Demgegenüber ist das Burgtheater überreich dotiert. Dessen können wir froh sein, es ist ein gutes Zeichen, daß ein kleines Land dermaßen viel Geld — die Subvention wurde sogar für 1967 noch erhöht — für sein größtes Theater aufwendet. Diese sehr hohen Beträge müßten allerdings für die Strahlkraft des Hauses an theatralischen Impulsen, ausgehend von Stücken und Inszenierungsideen, eingesetzt werden. Nur dann sind sie gerechtfertigt.

Man hat der Burgtheaterdirektion vorgeworfen, es sei von den angekündigten Stücken nur ein kleiner Teil tatsächlich gespielt worden. Das deutet auf ungeordnete interne Verhältnisse, denn es ist für die Beurteilung eines Theaters nicht das Angekündigte, sondern das wirklich Aufgeführte maßgeblich. Auf die internen Zustände soll hier nicht eingegangen werden. Was darüber im „Spiegel“ in den Num-

mem 1 und 2/1965 und vom 5. Dezember 1966 stand, was Kurt Kahl in der „Neuen Zeit“, Graz, vom 29. Oktober 1966 schrieb, wirkt erschreckend. Aber anscheinend sind die Beteiligten damit einverstanden, es ist auf diese Veröffentlichungen offenbar keine Reaktion erfolgt. So ergibt sich der Eindruck, daß das Burgtheater als Nationalheiligtum angesehen wird, in dem alles, was immer geschieht, als tabu gilt. Auch vor Routine und geistigem Schlendrian verbeugt man sich. Doch hat allein die Leistung zu entscheiden, die Kritik darf da nicht von vornherein kapitulieren. Vom Burgtheater aber ist zu fordern, daß jene Maßstäbe gesetzt werden, die es ermöglichen, die führende Position im deutschsprachigen Raum einzunehmen.

Nun wird mit besonderer Vorliebe erklärt, das Wiener Theater sei nun einmal ein Schauspielertheater, und daran lasse sich nichts ändern. Die Wiener gehen angeblich nur der Schauspieler wegen ins Theater. Der Schauspieler war in Wien tatsächlich stets besonders beliebt, dennoch hat Nestroy seine eigentliche Größe nicht als Schauspieler, sondern als Dramatiker erlangt. Das gleiche gilt für Raimund. Auch vor dem ersten Weltkrieg und selbst noch zwischen den beiden Kriegen wurden in den Wiener Theatern immer wieder neue, unausgeführte Stücke herausgebracht. Nun besitzt Wien im Theater in der Josefstadt eine auf das Schauspielertheater ausgerichtete Bühne. Prof. Stoß ist ein begeisterter Verehrer jener Emanationen, die vom Schauspielerischen ausgehen. Und doch erweist er sich neuen Entwicklungen der Dramatik aufgeschlossener als das geradezu steril wirkende Burgtheater. Die Bühne in der Josefstadt mag berechtigt das Schauspielertheater pflegen, das Burgtheater hat darüber hinausreichende Aufgaben. Die arg selbstgenügsame und nur bedingt richtige Gleichsetzung des Wiener Theaters mit Sdhauspieltheatern darf diese Aufgaben nicht verhindern, darf allenfalls und hoffentlich sich ergebende Ansätze zu neuer Initiative nicht von vornherein abwürgen. Das Theater ist in Entwicklung begriffen, weil sich der Mensch entwickelt. Will man in Wien immer nur hinterherstapfen?

Jean Vilar erklärte: „Ich habe niemals das Publikum beschuldigt, faul zu söin. Ich habe die Theaterddrektoren beschuldigt, keine neuen Ideen zu haben, um die .Faulen' zu veranlassen ins Theater zu kommen.“ Alte Institute scheinen von der Gefahr des Einrostens in der Routine bedroht zu sein, selbst wenn sie keine überalterten Direktoren haben. Was frischer Geist vermag, zeigen die Maisons de Culture in Frankreich. Bourges, eine Stadt mit etwa 54.000 Einwohnern, hat doppelt so viel Abonnenten wie die Comedie Frangaise. In Amiens — etwa 93.000 Einwohner — rechnete man mit 1200 Abonnenten, nun sind es 20.000. Selbstredend kann man die Methoden der Maisons de Culture nicht in Wien nachahmen. Man soll überhaupt nur sehr selten etwas nachahmen. Was läßt sich aber' bei uns tun? Stücke aufführen, die den Nerv unserer Zeit berühren, Stücke, die zum Tagesgespräch werden. Es bedarf im Burgtheater einer geistig lebendigen Direktionsführung. Ist es nicht für Österreich beschämend, daß alle geistigen Schlachten heute in Westdeutschland geschlagen werden und nicht bei uns? Wollen wir wirklich letzter Winkel sein und bleiben? Daß es gute Aufführungen im Burgtheater gibt, sei durchaus anerkannt, aber mit konventionellen, moderiert zeitnahen Inszenierungen und effektvollem Schauspieltheater ist es nicht getan. Die Gefahr, in die Bildungsberieselung abzugleiten, ist groß, um so mehr, als dies die Direktionsführung ideell erleichtert.

Das Burgtheater besitzt eine ganze Reihe Spitzenschauspieler, die wenigstens einen Teil des Jahres verfügbar sind. Es geht nicht darum, ihre berechtigte Wertschätzung zu schmälern, sondern im Gegenteil, sie zu erhöhen. Die Wirkung einer schauspielerischen Leistung über lokale Bereiche, über Wien hinaus ins Ausland, über die Gegenwart in die Zukunft ist nicht so sehr dadurch zu erreichen, daß Othello oder Philipp II. vom hundertsten oder zweihundertsten Darsteller abermals überzeugend verkörpert wird, sondern durch erstmalige Darstellung von Gestalten in vordem unauf-geführten Stücken, allerdings solcher, die mehr sind als nur ein Vorwand für die Entfaltung des Schauspielerischen. Eine Rolle „auch“ zu spielen müßte weniger reizen als eine Rolle vor allen anderen zu gestalten, hat man nur etwas von einem geistigen Pionier in sich. Es ist bequemer, nicht in Neuland vorzustoßen, andernfalls reicht der Ruf ungleich weiter.

Sehr erfreulich wirkte der Ausspruch von Prof. Ulrich Erfurth, Regisseur des Burgtheaters, der gelegentlich „Jeanne 44“ seine Freude bekundete, endlich ein Stück

inszenieren zu können, das noch nicht andere Regisseure inszeniert haben. Dazu ist am Burgtheater nur sehr selten Gelegenheit. Selbstverständlich darf es sich aber bei Uraufführungen keineswegs um Aufführungen um jeden Preis, um Prestigewiedergaben handeln. Der Grundsatz von Prof. Stoß ist völlig richtig, daß nur aufgeführt werden soll, was man auch nachspielen würde. Doch geht es um die Fähigkeit, Stücke von Qualität hierfür heranzuholen.

Allerdings stehen dem Erwerben der Uraufführungsrechte bei Stücken bekannter Autoren für Wien erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Die Vertriebe sind gewohnt, diese Rechte, soweit es sich um deutschsprachige Stücke handelt, nach Westdeutschland zu vergeben, weil Wien den Ruf hat, immer nur das Gestrige zu schätzen. Da eine Änderung herbeizuführen, kann nicht in ein paar Monaten, auch nicht in einer einzigen Spielzeit gelingen. Dazu bedarf es zäher Beharrlichkeit und vor allem einer starken Persönlichkeit, die sich hierfür einsetzt. Es muß gelingen, wenn diese Versuche nicht aus eigenem Antrieb geschehen, erst recht, falls von vornherein auf eine Vorrangstellung des Burgtheaters kein Wert gelegt wird. Einer der letzten Burgtheaterdirek-toren antwortete auf die Frage nach Uraufführungen, das interessiere nur Journalisten. Offenbar war es ihm gleichgültig, ob dem Burgtheater eine überregionale und überzeitliche Wertschätzung zukam oder nicht. Gegenbeispiel: Leon Epp gelang es vor kurzem sogar, in den Außenbezirksvorstellungen des Volkstheaters das Stück eines westdeutschen Autors zur Uraufführung zu bringen.

Es ist selbstverständlich, daß das Burgtheater die Werke der Meisterdramatäker von früher, die großen Aufwand erfordern, in neuen Inszenierungen herauszustellen hat, Inszenierungen, die durch innere Intensität und Eigenart das überragen, was in deutschen Städten an Aufführungen dieser Stücke zu sehen ist. Wirksame neue Problemstücke mit geringerem szenischen Bedarf und, wie bisher, Boulevardstücke gehören dem Akademietheater zu. Das sind zwei Sektoren. Doch erfordert ein gesundes Theater, wie Peter Brook richtig erklärte, drei Sektoren: Ein Nationaltheater, das sich ständig erneuert, ein Boulevardtheater, das seine Lebensberechtigimg in sich selbst trägt, und ein Theater der Avantgarde. Eine dritte Bühne für jene heute laufend entstehenden Stücke von geistig scharfer Profilierung, die vom breiten Publikum abgelehnt werden, fehlt dem Burgtheater. Das Ateliertheater, ebenso „Experiment“ und Theater im Palais Erzherzog Karl haben bisher sehr verdienstvoll wenigstens teilweise wettgemacht, was das Burgtheater beharrlich versäumte.

Schwierige Stücke dieser Art, die entscheidende Positionen des inneren Menschen von heute sichtbar machen, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, so aufzuführen, daß sie durch die hervorragenden Kräfte des Burgtheaters zu optimalen Wirkungen gelangen, dieser Aufgabe darf sich das reich dotierte Burgtheater nicht entschlagen. Im März 1956 wurde die Gründung eines Studios für die damals laufende Spielzeit angekündigt. Nun, mehr als zehn Jahre später, soll sich diese tatsächlich verwirklichen, soll die dritte Bühne des Burgtheaters am Kärntnertor eröffnet werden. Es wird sich darum handeln müssen, Stücke aufzuführen, die signifikante Situationen des heutigen Menschen, seiner rasanten Veränderungen und Entwicklungen, vorführen. Der Spielplan kann durchaus die Antithese des absurden mit dem neuesten kraß-naturalistischen Theater umfassen. Wer da behauptet, daß dies ein Theater für Snobs sei, bekundet nur sein völ-

Zeichnung von Susanne Thaler liges Verhaftetsein mit dem Überkommenen, die Unfähigkeit, Neues aufzunehmen. Allerdings besteht die Gefahr, daß man sich nach einigen geistig profilierten Vorstellungen vor halbleerem Haus der Konvention ergeben wird, mit der Begründung, daß eben für diese zeitwesentlichen Stücke in Wien kein Publikum vorhanden sei. Wir sind es gewohnt: Immer ist angeblich das Publikum schuld.

Ein hervorragender Theaterpraktiker, Prof. Stoß, erklärt aber, daß es für diese Stücke auch in Wien ein Publikum gibt, wenn die Eintrittspreise den Betrag von zehn bis dreißig Schilling nicht übersteigen. Hier also wären die reichen Subventionsmittel des Burgtheaters vor allem zu verwenden, die Ausstattung des Zuschauerraums hat da untergeordnete Bedeutung. Es gäbe volle Häuser und die Schauspieler des Burgtheaters könnten ihre oft brachliegende Kraft an lockend-neuartigen Aufgaben vor gewißlich enthusiastischen Zuschauern einsetzen. So manche Schauspieler wurden an die Burg geholt, die vordem im Volkstheater in ihren Fähigkeiten weiterentwickelt, nun unbetreut, steckengeblieben sind. Hier fänden sie Aufgaben, die ihre ungenützten Kräfte zu steigern vermöchten.

Es geht nicht an, daß die Altehrwürdigkeit des Burgtheaters mehr und mehr zu einer Lethargie führt, die sich durch einen legendären Ruf gerechtfertigt glaubt. Österreich hat ein Recht, an das Burgtheater hohe Ansprüche zu stellen.

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