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Das Burgtheater und seine Seil ausfiel er

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Unter den Zentralstellen ist das Bundesministerium für Unterricht diejenige, zu der die verschieden geartetsten und wohl auch interessantesten Gruppen von Staatsbediensteten ressortieren. Die Gelehrten unserer Hochschulen, die Hüter unserer Sammlungen, die Professoren der Akademie der bildenden Künste und der Akademie für Musik und darstellende Kunst, die Lehrer unserer Mittelschulen, um nur einige zu nennen, alle diese Gruppen sind scharf voneinander distanziert und innerhalb jeder derselben repräsentiert wieder jeder einzelne Angehörige einen vom anderen gänzlich abweichenden Typus. Wie verschieden ist wohl der Interessenkreis eines Professors der Moraltheologie von dem eines Klinikers und der des letzteren von dem eines Literaturhistorikers! Welch andere Bahnen gehen die Gedanken des Gesangsprofessors und jene des Professors für Malerei! Alle diese Gruppen und alle ihre Vertreter sind alles andere, nur nicht das, was man sich gemeiniglich unter einem Staatsbediensteten vorstellt. Ja, sie stehen geradezu in einem Gegensatz zu dem in der Vorstellungswelt der Allgerneinheit lebenden, Amtsstunden ableistenden, an Vorschriften gefesselten Bürokraten. Es ist auch häufig nicht leicht, sie ohne Reibung in den Gang der Staatsmaschinerie einzuschalten.

Letzteres trifft unter allen zum Bereich des genannten Ministeriums gehörigen Gruppen wohl am meisten auf eine Gruppe zu: auf die Gruppe unserer Künstler an den Bundestheatern. Sie, wie denn das Theater überhaupt, bilden eine kleine Welt für sich, mit eigenen Gesetzen, mit eigener Psychologie, voll intensivsten Lebens und Erlebens, eine Welt, die — fast möchte man sagen — keine andere neben sich duldet, eine Welt, die in sich wieder reich gegliedert ist: der Schauspieler und der Sänger, der Dirigent und der Tänzer, der Regisseur und der Bühnenbildner, jeder erblickt im Theater sein Element, aber jeder sieht es unter einem anderen Gesichtswinkel, gänzlich anders als der andere. Sprechen wir heute nur über unsere Burgtheaterschauspieler und Schauspielerinnen.

Über kaum einen anderen Beruf ist so viel geschrieben worden wie gerade über den des darstellenden Künstlers. Sein Typus ist in zahlreichen Abhandlungen, Dramen, Lustspielen dargestellt und abgewandelt worden. Eben jetzt gehen wieder zwei Werke, die diesen Gegenstand behandeln, über die Bühne des Burgtheaters. Hat nun der Schauspieler dieses Instituts seine eigene Prägung? Wir glauben es bejahen zu müssen.

Alfred von Berger hat, als im Jahre 1889 das Burgtheater vom alten Haus auf dem Michaelerplatz in den Prachtbau am Ring übersiedelte, diesen Gedanken in die jetzt wieder in so trauriger Art aktuell gewordenen Worte gefaßt: Nicht tote Steine sind das Burgtheater, Nur in den Geistern hat es seine Wohnung

Was hier ausgedrückt werden sollte, ist, wie so unendlich vieles — wir möchten sagen, fast alles — in Österreich, nur im Zusammenhang mit der Vergangenheit zu begreifen.

Man konnte des öfteren in den Bläuern lesen, daß das Burgtheater seine Künstler zu Beamten gemacht habe. In einem gewissen Sinne ist das richtig. Das Burgtheater hat sich, wenn es Mitglieder brauchte, die besten geholt, ohne viel nach dem Woher, nach Rasse, Nationalität und Staatsbürgerschaft zu fragen. Wer aber einmal dem Hause angehörte, verfiel ihm meist und kam lebenslänglich nicht mehr los. Er wurde seßhafter als ein Beamter, der ja mit seiner Versetzung rechnen muß. War aber diese „Seßhaftigkeit“, dieses Aufgeben des Thespiskarrens, ein Nachteil? Wir sind nicht der Meinung, denn der Künstler wurde nicht in einer weltfernen, einseitig eingestellten Kleinstadt, er wurde in Wien seßhaft. Und Wien — hier muß oft Gesagtes wiederholt werden —, diese Metropole eines großen, vielsprachigen Reiches, war jahrhundertelang der ständige Treffpunkt der Angehörigen aller Nationen der ehemaligen Monarchie; aber nicht nur das: in den Adern des Großteils der Wiener Bevölkerung rollte von den Ahnen her das Blut verschiedener dieser Nationen und, wie die gleichgestimmte Saite des Klaviers erklingt, wenn man eine Stimmgabel anschlägt, so klang im Herzen der Wiener eine Saite ihres Wesens verständnisvoll an, wenn sie vom Kulturgut einer irgendwie blutsverwandten

Nation berührt wurde. Und nicht nur die Nationen der Monarchie trafen sich in der Haupt Stadt Wien, in der Residenz-stadt des Herrschers einer der ältesten und mächtigsten Dynastien trafen sich auch erlesene Vertreter aller Kulturnationen Europas. Der Wiener wurde auch mit ihnen vertraut und lernte sie und ihre Seele kennen. Mehr noch als auf alle anderen mußte auf den feinnervigen Künstler diese Umgebung wirken, sein Einfühlungsvermögen erhöhen, jede Einseitigkeit abschleifen. Er lernte hier verstehen, daß ein dichterisches Werk nicht deshalb ein deutsches ist, weil es in die deutsdie Sprache übersetzt ist, sondern daß es aus dem Geist seines Heimatlandes gespielt werden muß, obwohl es in das Deutsche übersetzt ist. So erwarb er die Fähigkeit, verständnisvoller Interpret internationalen Kulturguts zu werden.

Und noch etwas brachte ihm sein dauernder Aufenthalt in der Residenzstadt Wien und das Hoftheater: die unmittelbare Bekanntschaft mit einer hochkultivierten, fast internationalen Oberschicht und gleichzeitig auch mit den verschiedenartigsten Typen des bodenständigen Volkes. Nicht vom Regisseur lernte er Könige und Fürsten spielen, die er zu verkörpern berufen war, sondern durch unmittelbare Anschauung, vom Erleben her. Und er gab diese Gestalten mit solcher Vollendung, daß er geradezu für die von ihm Dargestellten wieder zum Lehrmeister wurde. Ohne daß seine Ursprünglichkeit darunter litt, eignete er sich an, was zum tiefsten Wesen jeder inneren und äußeren Kultur gehört: Edelmaß und Hemmung. Und wieder nicht der Regisseur lehrte ihn die Typen Raimunds und Nestroys spielen, sondern die unmittelbare Anschauung der Menschen dieser Stadt.

Und endlich hatte diese Seßhaftigkeit noch eines zur Folge: Niemals konnte in diesem ständigen Ensemble der Star Fuß fassen, der ohne Kenntnis des Bodens, auf dem er steht, ohne Kenntnis des Gewordenen und ohne Kenntnis seiner Partner kometengleich auftaucht, um sogleich wieder zu verschwinden, wenn die seinem Virtuosentum geltenden Beifallsstürme verrauscht sind. Der Typus des Stars blieb dem Burgtheater fremd und damit auch die Starallüren seinen Künstlern. Beifall, und mochte er noch so tobend sein, wurde nur in sehr beschränktem Maß von einzelnen Künstlern auf sich selbst bezogen, der sich — und mochte es der größte sein — als Gleicher unter Gleichem fühlte: als einer der Diener am Werk! Es liegt, so gesehen, ein tiefer Sinn in dem alten Vorhangverbot: das Werk hat für sich gesprochen; es kann nicht vor den Vorhang treten; die aber, die es zum Leben erweckt, wollen nicht mehr gefeiert sein als dieses Werk.

Hat aber nicht gerade dieses bescheidene Zurücktreten des einzelnen Darstellers ihn selbst tiefer in Herz und Erinnerung des Publikums eingeprägt, als Dutzende von Vorhängen es je gekonnt?

So formte sich das Burgtheater eine Künstlerschaft mit offenem, weitem Blick und von hoher Kultur, mit tiefem Verständnis für die Menschen und ihre Verschiedenheit, und endlich mit der Gabe, persönlich im Hintergrund zu bleiben um des Werkes willen. Diese Künstlerschaft ist es, von der der große Kenner des Hauses Alfred von Berger meint, daß in ihren Geistern das Burgtheater -seine Wohnung hat. Möge sie dem Burgtheater erhalten bleiben, trotz allen Wandels und trotz aller Schwere der Zeit!

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