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DUBROVNIKS FREILICHTSTIL

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“Cafe Größenwahn“ in Dubrovnik? Da die internationalen Festspiele, begonnen im Jahre 1950, zum siebzehnten Male über die sechsundzwanzig Spielplätze der laut Shaw paradiesischen Stadt erklingen, verwundert solche Etablierung nicht. Kaum haben Desdemona und ihre Gouvernante Emilia unter sternglitzemdem Himmel Freud und Leid ausgeseufzt, kaum sind Roderigo und Montano unter heimtückischen Florettstößen verblichen, kaum hat sich Othello zu Tode geröhrt, kaum ist eben und endlich der schurkische Jago ins Messer gerannt, treffen sie, den guten, nur verwundeten Cassio in der Mitte, in der „Gostiona Polce“ ein. Shakespeares im Hitchcock-Tempo um die Ecke Gebrachte nebst den Blessierten und anderen Hinterbliebenen sehen sich Minuten später auf der weinumrankten Pergola des Gasthofes in Chargenrollen gedrängt. Zwischen Theaterfans, Kunstenithusiasten, Studenten und den entweichenden Nomialtouristen spielen nunmehr die allzu wenigen Ober die Hauptrolle. Es ist inzwischen ein Uhr morgens.

Die Spitzen der Gesellschaft aus Theaterstücken der Antike, des Mittelalters, der Gegenwart, hier können sie nicht anders, hier stehen sie zwischen den vollbesetzten Tischen, mitunter eine halbe Stunde lang, herum, freie Stühle, gäbe es sie im Künstlerrestaurant am Polce-Platz um diese Zeit, wären Dollars wert. Doch sobald es endlich doch durch Zusammenrücken Platz gibt, delektiert sich Desdemona an Paprikaschnitzel. Othello, Cassio, Roderigo, Montano und Jago trinken Schulter an Schulter hellen, herben ..Graszevina“, der im „goldenen Tal“ von Kutjevo reift. Senatoren, Offiziere, Wachen und Marketenderin sprechen, nunmehr zivil, diversen Bieren zu. Leute vom Bau, Charakterköpfe einer wie der andere, daheim seit geraumer Zeit aus befugtestem Munde Pinscher getauft, streiten über Mionik, Szenik und Skandieren. Die hübschen Mädchen mit ihren, dem Himmel sei Dank, endlich wieder lebenslangen Mähnen, leider einheitlich dunkelrot oder goldblond eingefärbt — wenigstens nicht mehr platinsilbern oder mit türkischem Honig gleichenden Hirngespinste aus toupiertem Haar — sind Quint- und, wie dem Fremdling scheint, Sexessenz des Kreises.

Es sind jene Festivalkennerinnen, die bei Komödien wie Tragödien allabendlich den Applaus intonieren. Sie setzen ihn exakt an jenen Stellen an, die Dichter, Regisseur, Darsteller von einem nicht vertrauten Publikum vergebens ersehnen. Diese „Appleusen“ entstammen den zahlreichen Theaterschulen des Traditionen schöpferisch pflegenden Jugoslawien. Diese Theaterhasen klatschen sich die Hände pünktlich an jenen Abenden wund, da sie nicht auf der Bühne — der Exposition halber — Schwerter putzen oder Theaterstaub von den Tischen wischen. Dabei gehorchen sie uralten dramaturgischen Gesetzen dadurch, daß sie den Zuschauern andeuten, was sich konfliktreich anbahnen soll.

Dem Künstlerlokal vis-ä-vis lehnen auf der Stadtmauer über dem Meere Gammlerinnen und Gammler. Gewiß vor Wehrtürmen und im Mondschein schaukelnden Booten eine groteske Zier. Diesem harmlosen Zigeunerstamm, dem kürzlich ein geradezu ehern wirkender Erhard-Ludwig bittere Fehde angesagt, ist in Dubrovnik niemand gram, dem der Mensch nicht ganz fremd ist. Hält man sie bei Brot und Wein in Laune, liefern sie den sich von Schauspiel und Schauspielerei erholenden Schauspielern leisen Epilog zur Laute. Bestimmt ist ihr Singsang angenehmer zu hören als rheinbierdeutsches Schunkelgebrüll.

Außerdem: Gunst fördert Kunst.

Fünf Jahre nach dem zweiten Weltkrieg sind die Dubrov- niker Sommerfestspiele begonnen worden. Sie blühen und gedeihen in einer Stadt, deren Hauptstraße, nur sie für sich genommen, fünfzehntes Jahrhundert, Boulevardbreite, Marmorpflaster, keine Neonröhren, der Welt köstlichsten und intimsiten Theaterprospekt bildet. Seit etlichen tausend Jahren haben die Menschen rund um das Mittelmeer Politikern nur selten aufmerksam — vielleicht ihr Schaden — zugehört. Um so intensiver schenkten sie — nicht ihr Schaden — Dichtern Gehör. Letztere legten ersteren Wahrheiten, die sie bei Lebzeiten nicht aussprechen durften, in den Mund. Auf diese Weise wurden sie Ewigkeit. Übrigens muß manchmal sogar Satire offiziell gestattet gewesen sein. Selbst unter Wilhelm II. ist die Zensur milder gewesen als ...

Von Einsichten in solchen Wechsel leben die Initiatoren der internationalen Theatertreffen zu Dubrovnik.

Ein Durchsehen der Programme vergangener wie gegenwärtiger Festspieljahre belegt, daß die an dieser Märchenküste Verantwortlichen Bescheid darüber wissen, welche Themen Freilichtbühnen bekommen, welche Stücke im Rahmen städtischer Plätze, aristokratischer Burghöfe, martialischer Festungswälle, kostbarer Kreuzgänge spielbar sind.

Diese Theaterbesessenen von Dubrovnik entscheiden wohlüberlegt, welche Schuster besser auf den für Regen- und Winterzeit bestimmten Guckkastenbühnen hämmern. Rund um Dubrovnik spricht das Meer. Wind von See bauscht Vorhänge und löscht Kerzen. Mauersegler überkreischen Musik. Fledermäuse faltern durch die Gewölbe. Glocken tönen herüber. Mitunter mischt sich in Shakespeares Elegie der fette, feiste Kehlenkitsch verjazzter neapolitanischer Songs.

Wann je wurden sachliche Überlegungen darüber angestellt, was spielt man drinnen und was, nur was oder was nur draußen auf jenen zahllosen Feld-, Wald- und Unkrautbühnen, die — dem ewigen Regen zum Trotz — in Cisal- pinien, dicht an die triefenden Tannen gedrückt, dennoch ein Schäflein scheren und ihr Scherflein ins Trockene bringen möchten? Es hängen zuviel Räuberkostümie bei den Kostümverleihern herum, obendrein ist der Fasching, zumal im Norden, allzu kurz — deshalb alle Jahre wieder mit Schiller en plain air in den Sommerramsch! Wie eh und je sitzen die Räuber hinter der Kasse.

In Dubrovnik ist das ein klein wenig anders. Zum Beweise aus dem überreichen Sechswochenprogramm ein paar Kostproben. Aus einstigen Tagen der Stadt erzählt Ivo Vojnovic in der zaghaft aneinandergereihten Trilogie „Auf der Terrasse“. Es sind Mitglieder einer der einstmals in der Hafenstadt eingesessenen reichen Familie. Und abermals ist es ein Abschied von der „Welt von gestern“, wie ihn Franz Körmendi und Stefan Zweig längst notiert haben. Sie wird durch ums Bewahren bemühte oder als Verschwender nicht minder liebenswerte Gestalten interpretiert. Überall in Europa sammelte Vojnovic Theatereindrücke. Heimgekehrt an seine Künste, war genug von Ibsen und von Tschechow in ihm, um auf deren Spuren den letzten Zauber der Monarchie aufleuchten zu lassen. Allerdings fehlen ihm Hofmannsthals sanfter Glanz und Schnitzlers gedämpfte Intimität. Bruno Cavella und sein Nachfolger Kosta Spaic inszenierten auf Kammerspiel. Damen und Herren tanzen in Kostümen von der Farbe der in der Sonne verblichenen Gartenmauern. Darüber ein Hauch von Herz, ein halbes Jahrhundert darnach, wienerisch garniert — und somit ewig von neuem en vogue.

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Überzeugender Dino Radojevic’ Regie in Calderons „Richter von Zalamea“'. Er nutzt den Festungshof, die Gewölbe, Tore und Bastionen des Fort Lovrjenac meisterhaft für seine Aufzüge, um die zeremoniöse Apologie der Ehre eines Bauernmädchens gegenüber einem Offizierslumpen von Adel glaubhaft zu beleben. Die zerfranste Soldateska nebst ihrem in Hauptmannsuniform gockelnden Don Alvaro de Ataide (Jurica Dijakovič) zieht vom obersten Außenwall des Fort her langsam von Treppe zu Treppe und Tor zu Tor auf den Festungsbrunnen zu. Der Innenhof wird abwechselnd zum Marktplatz, zur Kampfstätte, zum Richtort, zum Tribunal, wo Mistgabel und Menschenrecht über Uniformwahn und über das Crimen siegen. Erreicht wird diese Vielverwendbarkeit des Bühnenraumes durch wohl- differenziertes Ausleuchten der Szene. Schlicht heißt es im Programm: „The fortress adapted for the play by: Miše Racic.“ Zur Harmonie des Eindruckes tragen erheblich bei die für die verkommene Soldateska spanischem Zeitstil nachgeahmten Gewänder aus Leder, ferner die für die Bauern in kostümkundlicher Überlieferung nachempfundenen, zum Teil handgewebten, höchst malerischen Kostüme.

Des Stückes Anliegen, Calderöns durch den friedliebenden Bauern ausgesprochene Abneigung gegen Waffenträger jeglicher Sorte und deren notorische Arroganz und deren chronisches Rechtsbrechertum, wird in den Auseinandersetzungen zwischen dem Hauptmann und des Mädchens Vater überdeutlich. Die Szenen, in denen er erst als Bauer vor ihm kniet, dann aber als Richter vor ihm steht, sind unmittelbar aneinandergefügt: um den Gegensatz zwischen zivilem Recht und militärischem Unrecht zu deklarieren. Abermals deutlich wird Calderons antimilitaristische Tendenz in den burlesken Disputationen des Generals Don Lope de Figueroa (Fahijan Sovagovič), durchaus keine schlechte Haut. Prächtig

— brechtisch stehen sie Mann gegen Mann.

Philipp der II. (Emil Glad) als Wehrbeauftragter in seiner eigenen Armee, welch delikate Rolle selbst für Kaiser, die im Geschichtsbuch vergilben, gar viril kostümiert, diktiert — comme il faut — von oben herab und im Vorüberreiten allerhöchst leutselig die Aussöhnung. Ein Imperator auf Friedensfuß, das war seit der Steinzeit selten zu sehen.

Staatstheaterreif des Londoner Regisseurs Stuart Bürge „Othello“-Inszenierung. Nicht anders als andere Spielleiter,

die in Dubrovnik inszenieren, hat er seine Schauspieler von allen Bühnen des theaterreichen Landes — nach eigenem Ermessen — zum Ensemble berufen. Außerdem werden bewährte Aufführungen etliche Jahre lang wiederholt — und dies mit möglichst den gleichen Kräften. Solcher Modus führt zu einer innerhalb des deutschen Sprachraumes. leider nur selten anzutreffenden Präzision im — unter Stuart Bürge —t zu rasantem Tempo angefeuerten Sprechen und Sichbewegen aller die Bühne betretenden Figuren. Lediglich den weiblichen Personen ist weicheres Modulieren, sanfteres Schreiten gestattet.

Anderswo hat man so manchen sich gleichsam aus dem Krankenstuhl erhebenden und alsbald in seine Kissen zurücklehnenden Jago sich gefallen lassen müssen. Daß Shakespeare sich den Jago nicht gerade als Mumie gedacht, zeigt Stevo Zigon. Er federt rank, schlank, drahtig über die Bühne. Lachs oder Luchs? Man meint, er klettere, zu neuen Sätzen Atem raffend, die Wände hoch. Seine Dialoge gleichen Florettstößen. Jedem Degenblitz folgt ein Wortblitzen, jedem Wortblitz blitzartig der Degen. Nicht minder beweglich, indessen an Größe, Breite, Kraft und Stimmgewalt weit überlegen, fängt ihn endlich Othello (Ljuba Tadič) und macht ihm tiradenreich den Garaus.

Beide Darsteller zeigen eine körperliche Agilität und männliche Vitalität, die auf deutschen Bühnen, selbst wenn sie im Freien zu spielen versuchen, allwo der Auslauf ja weit genug wäre, längst unbekannt ist. Werner Kraus, unvergeßlich -in „Ein Bruderzwist in Habsburg“, beherrschte die Bühne des Burgtheaters sogleich durch ein Ablaufen ihrer Distanzen. Weder in Hamburg noch in Düsseldorf noch in München oder Wien kennt man diese gezügelte Zügellosigkeit des Rennens und Rasens während rasenden Redens. Othello rotiert in der Todesqual vor Eifesucht, Jago geht die Wände hoch vor Haß. Und Desdemona, das arme Herz, stirbt nicht — Schalter an! — wie ein Deliquent auf elektrischem Stuhl. Diese Dame weiß, daß sie nichts fürs Feuer ist; dennoch stirbt sie feurig, aber gelassen.

Wo sonst noch als auf der Bühne läßt man dem Menschen die Zeit, wenigstens mit Würde sterben zu dürfen? Der mit Aurtomatikschaltung versehene Leichenwagen des Bestattungsinstitutes hupt wenigstens auf dem Theater nicht ungeduldig vor der Tür, ehe der Vorhang leise niedergeht...

Für die deutschsprachigen Theater, ihre Regisseure, Dramaturgen, Darsteller und Kontrabanten wäre in Dubrovnik mancherlei zu erfahren und zu lernen. Mangels intensiver kulturpolitischer Förderung können die Leute vom Theater so gut wie nie ins Ausland fahren, um Neues zu sehen. Von den an eine ausgezehrte Burgruine, einen bengalisch beleuchteten Waldrand oder einen westfälischen Rain geduckten Freilichtbühnen: von all diesen erbärmlichen Maskenumzügen bei Schwertgeklirr und Regenprall ist dabei nicht die Rede. — Serben wie Kroaten spielen in Dubrovnik theatralisches Theater. Es schöpft seine Kraft aus Antike, Renaissance, Barock und Gegenwart, jenseits vergänglicher Parteien Hader. Meer und Sonne, Süden und Wein entzünden seinen lateinisch mediterranen „ėlan vital“.

Im Norden ist seit langem abermals von Europen die Rede. Diesmal soll es weder um Kreuz- oder um Kriegszüge, noch um sonstige Handel und Wirtschaft belebende Schlachten gehen. Deutschland, obgleich, was die Kilometer betrifft, dank der funkelnagelneuen, kaum entdeckten Küstenstraße gar nicht so fern, ist in Dubrovnik zum siebzehnten Male nicht vertreten, weder mit Autoren noch mit Regisseuren noch mit Darstellern. An der Sprache allein liegt das nicht! Selbst unter den Zuschauern hört man allenfalls österreichische, badische, bayerische und schwäbische Laute.

Wie vor 2000 Jahren hausen die Germanen draußen vor der antiken Stadt und ihren — gar nicht so feindlichen — Mauern. Wie eh und je lagern sie in Zelten und nähren sich darinnen redlich. Familien- und nicht hordenweise, die falsche Überlieferung sei nebenbei richtiggestellt, brechen sie durch die gigantischen Stadttore lediglich ein, um Essen und Trinken manierlich zu requirieren; denn diese Mark ist ihrer Mannen eben noch wert. Haben sie gegessen und getrunken, werden sie, Romantisches romantisch verdauend, literarisch.

— Per Post übermitteln sie ihre Ansichten von der ihnen fremd bleibenden Welt des Südens, auf Ansichtspostkarten den Stammesgenossen, die, zurückgeblieben, jenseits der Alpen den ewigen Regen rechtens verwünschen.

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