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Vom Sinn unseres Salzburg

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Der Fußtritt, mit dem der junge Mozart aus dem Dienst seines Landesherrn entlassen wurde, mag Sinnbild sein für die rauhe Art, mit der Österreich seine Begabungen nichts weniger als verwöhnt. Nicht mehr der Wunderknabe, den Kaiserinnen und Prinzessinnen hätschelten, nur einer von den Musikern in der Livree des Kirchenfürsten wurde er aus seinem bescheidenen Dasein hinausgetreten in die Unsterblichkeit rastlosen genialen Schaffens. Als er sterbenskrank lag und ihm schon die Kraft fehlte, hinüberzugehen in Schikaneders Theater, sehnte er sich, dort seine „Zauberflöte'' zu hören. „Jetzt singen sie grad ...“ Wie müßte ihn die vollendete Wiedergabe als Festspiel beglücken! Heute lauschen selbst den Proben seiner Messen Andächtige aus aller Welt.

Die jüngsten künstlerisdien Erfolge übeitrumpften das Gewesene, und nie war unter dem Krummstab besser wohnen. Dem ästhetischen Begehren der Allerneuesten: Erlebenlassen aus dem Abstrakten, entsprach mit genialer Grazie Stephan Hlawa, als er zu Gielens Regie in „Was üir wollt“ das Einzig-Schöne des Südens kaum andeutend so nahebrachte als liefe man über ein schwankes Brett an den dalmatinischen Strand, in Meerluft, Sonne und Abenteuer. Sonniger denn je leuchtete dieser Festspielsommer, in dem das erlesenste Schaffen in Andacht erhob und ins Glück. So wenn die große „Leonoren-Ouvertüre“ Erlösung durch Liebe feierte oder der weise Humor im „Capriccio“ wohllautendes Können mit tieferem Sinn begnadete. Niemand, vom Dirigenten und Regisseur bis zum ungenannten Komparsen und Beleuchter, der nicht in Holzmeisters festlichem Bau bewiesen hätte, bis zu welch einzigartiger Höhe Wiener Opernkunst emporgehoben wurde. Lächelnde Klugheit bespiegelte ihre eigene Vollkommenheit, wenn Lisa della Casa, an Schönheit, Stimme und Spiel gleich bezaubernd, alles Können gelten ließ. Dennoch gibt sich die reizende Gräfin keinem ganz zu eigen, nur der Kunst selbst, die immer noch ein Höheres erahnen läßt, immer Neues und Ewiges.

Eifersüchtig auf Musik und Theater, denen sie hier botmäßig gehorsamen müssen, wollten auch andere Künstler zeigen, was sie vermögen. Tragisch drängte im „Zwergeigarten“ ein Bildhauer aus abgetaner Zeit sein Werk zusammen, als schrie er uns zu: „Haben Canova und Begas glattere Leiber zu polieren verstanden? Und meine neubarocken Denker — ich schenke sie Salzburg und ihr wollt sie nicht?“

Sein wuchtiger Gegenspieler war der Österreicher im Carabinieri-Saal des Fürsterzbischöflichen Palastes. Dieses Schaffen erwuchs aus dem Ekel vor solcher Glätte. Gelobt von Maillol, bewundert in der Schweiz, in Paris und New York ist er und sein Name trotz seiner Wiener Professur den eigenen Landsleuten kaum bekannt, wenn sie ihn von Ausländern rühmen hören. Wotruba, der ungebärdige Metallschwerarbeiter, der er ursprünglich war, sucht im kaum be-hauenen Stein etwa den Willen zur Empfängnis, die Unaufhaltsamkeit menschlicher Kühnheit zu verewigen ohne Rück-sich auf Maß und Regel, auf die gleichsam abgeschüttelte Technik. Urig scheint er mit seiner Kraft umzugehen wie die Natur selbst, wenn sie aus dem Ge-fels des Traunsteins eine „schlafende Griechin“ oder das Haupt eines geköpften Königs zu bilden scheint. Wer erschrocken vor so viel Gewalttätigkeit steht, der denkt unwillkürlich an die rätselhaftesten Werke eines der Größten aller Zeiten, an die beiden letzten Versuche einer „Grablegung“, die Michelangelo mit der ungestümen Ungeduld eines Greises aus dem Stein hieb, gleichsam ein Sterbegebet, um dem Erlöser zu sagen, wie er ihn liebe. Geflüchtet sind die Zwölfboten Vermummte, die sich nur des Nachts zu Jesus getrauten, hoben ihn vom Kreuz. Die „Pietä“ in der vatikanischen Basilika, das Werk des jungen Buonarroti in seiner spiegelnden Marmorglätte mit der ewig-junge.n Jungfrau-Mutter, hoch erhoben zur Ehre der Altäre, dem gealterten Schöpfer gilt sie in iher milden Erhabenheit für nichts. Kein Stein ist ihm lauh genug; aufschreien müßte der Marmor unter Hammer und Meißel. Um das Innerste geht es, um die Geste der Mutterliebe, einfacher und inniger nie geglückt. — Wotruba wird vielleicht einmal auch hinfinden zur Seele des Steins, die Jahrtausende zu überleben vermag. Wird ihm den Weg die Bitterkeit weisen, den Österreichern nur ein Österreicher zu sein?

österreidier auch' die Trapps! Außerhalb unserer Grenzen berühmt diesseits und jenseits des Ozeans. Ihr A-capella-Gesang, vor mehr als einem Dutzend Jahren von Lotte Lehmann an die Öffentlichkeit geholt, bringt nur erhabenste Kunst und echte Volksmusik. Nun kehrten sie wieder als Gäste in ihr Haus zu Aigen, das sie als aufrechte Österreicher vor zwölf Jahren verließen, um mit dem Einsatz ihres Könnens, arm und ganz in Gottes Hand, ihre Heimat zu Menschen zu tragen, die glaubten und fühlten wie sie. Im Überangebot des Festspielglanzes — gleich “neben Lothars „Verschwender“ — waren wohl im prunkvollen Saale des Mozarteums als Zuhörer die höchsten Würdenträger des Landes, waren nicht wenige der Dankbaren erschienen, denen das gewaltige Hilfswerk der „Trapp Family Austrian Relief Inc.“ nach Kriegsende mit seinen tausenden und abertausenden Paketen über die bitterste Not geholfen hatte. Die aber noch den letzten Platz füllten, kamen alle aus der Fremde, jubelten mit nimmer endendem Beifall auf Italienisch, im Französisch des Mutterlandes und dem Kanadas, im Angelsächsischen aller Weltgegenden den Singenden zu.

Die Tiefenwirkung in der äußeren Vollendung weiht das festliche Werk in der Stadt zwischen den Nonn- und Mönchsbergen. Noch die sinnlichste Freude am Theater in „Capriccio“ wird hier erhöht in ein Erlebnis des Geistes und des Herzens. Als Richard Strauß und Clemens Kraus dieses Werk schufen, durchwanderten zwei junge Menschen auf ihrer Maturareise selig aufgeschlossen Salzburg von der Cajetanerkirche bis Mülln. Im alten Kreuzgang des Augustinerklosters rasteten sie noch voll Enthusiasmus über die Großartigkeit des damals unversehrten Doms, die himmelragenden Dienste bei den Franziskanern, die steingewordene Orgelfuge, genannt Kollegienkirche. Aus aller irdischen Herrlichkeit aber mahnte in Höhen und Tiefen der Ruf: „Jedermann!“ Er lauerte wie die Augen der Totenschädel im Peters-Freytnof. Vor ihnen lag im Abendlicht die friedliche Landschaft des Flachgaues gegen Leopoldskron, da fiel ihr Blick in dem säulengetragenen Rundgang auf zwei barocke Statuen mitten unter Gerumpel und Gartengerät. Die verschwenderische Stadt in ihrem Reichtum hatte sie vergessen. Arm und verwahrlost verkamen sie hier, preisgegeben dem Wind'und dem Wetter. Dem Jüngeren in seiner Entdeckerfreude gab es keine Ruhe. Unbeirrt durch eine abschätzige Bemerkung im Dehio, glaubte er fest an den Wert der Standbilder, und er bestürmte den Pfarrer, doch diese Werke zu reti.cn, sie reinigen und bergen zu lassen.

Längst modert der jugendliche Kunstenthusiast im karstig.en Bergland Südmontenegros. Als die Eltern wehmütig den Spuren seiner glücklichen Reise folgten, mühten sie sich, nach Skizzen im Nachlaß des Heimgegangenen die beiden Heiligen aufzufinden. Wunderbar war sein Wunsch in Erfüllung gegangen! Fliegerbomben, wie sie den blonden Jungen fern im Süden früh dahinrafften, hatten fast zu gleicher Zeit furchtbare 'Zerstörung auf Salzburg niedergehagelt. Noch liegt ein Teil der Bauten in Trümmern, jedoch breite, rote Marmorstufen einer überwölbten Treppe führen zu Nischen, in denen die gesuchten Statuten wohlgepflegt und in all ihrem Glänze aufgestellt sind. Dunkler getönt ist ihr edles Holz an den Gewändern, heller in den durchgeistigten Gesichtern. Mit umflortem Blick ergriffener Erkenntnis sieht der große Denker Augustinus hinab auf das Knäblein, das sich müht, mit seiner Muschel das Meer in eine Grube zu schöpfen, und um weniges höher hebt sich das Jünglingsantlitz des anderen Standbildes himmelwärts in der Erschütterung, eines Wundert teilhaftig zu sein. Unterm Arm birgt der Heilige einen Korb voll Rosen. Sind es die gleichen, wie sie noch heute in einem stillen Klosterhof zu Assisi blühen? In ihr Gestrüpp hatte sich der heilige Franziskus zur Buße hingeworfen. Die Rosen aber zogen gleich zärtlichen Kätzchen ihre Krallen, die Dornen, ein und blühen nun immerdar dornenlos, Wieder in Ehren verkörpern die beiden Schöpfungen eines unbekannten Bildhauers die Aufgabe ihrer Stadt: Vollendete Form durch die Tiefe des Empfindens zu adeln.

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