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Der Escorial

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In Segovia kannte man den Namen des kleinen Ortes nicht, wo der König bauen lassen wollte, ob auch die nach Madrid führende Landstraße an ihm vorüberging. Sofort nach seiner Rückkehr aus Flandern im Jahre 1560 hatte Philipp eine Kommission von Aerzten und Gelehrten ausgesandt, den Bauplatz zu suchen. Man schwankte zwischen Aranjuez und einem tief in der Guadarrama verlorenen Ort; endlich schlug man diese Felsenstufe unter den Bergen vor, die von hier ihren letzten und kühnsten Aufstieg nehmen. Philipp selbst reiste hin und besichtigte die Stelle, ehe er sich entschied.

Gegen Süden dehnt sich die Hochebene in unbegrenzter Freiheit wie ein erzenes Meer; fast schon im Undurchdringlichen bricht sich das Licht an Toledo, das aufschimmert wie ein Fels. Im Norden hat der Blick keinen Spielraum: die Berge, gegen die der Wind vergeblich wütet, werfen ihn zurück. Auch von Osten und Westen greifen die Berge mit in großer Linie fallenden Hängen vor. Dennoch kann der Wind die zerrissene Gebirgskette an einer Stelle durchbrechen; aber die Kälte, unter der die Höhen erstarren, kommt in der nach Süden geöffneten Kammer nicht ganz zur Herrschaft. Hier sprudeln Quellen aus den steinernen Kellern hervor; sie sind klar und frisch und rausdien fort, wenn die Ebene längst gelb verbrannt ist. Gegen Segovia hin schart sich der Wald. Die Pinien ragen so hodi und stolz wie Zedern auf.

Niemand wußte bisher von diesem Ort; er ist so neu wie der Plan, dem er geloschen soll. Denn etwas vollkommen Neues soll geschehen. Juan Baptista de Toledo, der Baumeister, findet kein Vorbild für das ihm aufgetragene Werk. In Yuste suchte der Gedanke zum erstenmal seine Form; aber dem todmüden Verzichter genügte für seine flüditige Zeit ein vergänglicher Bau; das Gebäude, das nun geschaffen werden soll, ist für einen König bestimmt, der mit dem Verzicht begann und für die Verteidigung lebt.

Es hat eine dreifache Aufgabe zu erfüllen: Laurentius, dem Bringer des Sieges von San Quentin und damit Gott selbst zu danken und nicht nur für diesen Sieg allein; dem Kaiser und seiner Gattin, der in seinem Testament dem Sohne ausdrücklich diese Pflicht auferlegte, ein würdiges Grab zu sein; und endlich dem Erbauer selbst und seiner Familie zur Ruhestätte zu werden. Mit dem Dienst an Gott wird der Dienst an den Toten verbunden: Philipps ganzes Leben ist von dieser zweifachen Verehrung für das Ewige und das menschlich Vergängliche bestimmt.'Im Kommenden ebenso wie im Vergangenen wurzelnd, bleibt er mit seinen tiefsten Wünschen der Gegenwart fremd.

Aber die Zeit ist oft in ihrem Verneiner von ebenso starker Wirkung wie in ihrem Bejahet. Nicht hur der Bejaher gehört der Zukunft an. Auf jenem einfachen, dreiteiligen Fundament soll sich eine zeitliche wie eine persönliche Forderung erfüllen. Während man glaubt, aus dem alten Lehrgebäude Steine lösen und für weltliche Güter verschleudern zu können, soll es sich zeigen, daß die katholische Religion noch nie Erreichtes vollbringt. Wie das Konzil von Trient wird dieses Bauwerk mitten in der Verwirrung stehn; unangreifbar in seiner Form, mächtig und rein; das untadelige Gefäß der unverfälschten Wahrheit. Jeder Schlag des Meißels ist ein Protest gegen das Neue; eine Bestätigung gereinigter Tradition; der Umriß jedes Turmes soll das nordische Chaos widerlegen. Die Aufrührer, deren Tun Gott mit einer fast rätselhaften Langmut nicht unterbricht, müssen vor diesem Werke die Unzerstörbarkeit des alten Glaubens ahnen. Immer ist die strengste Form die Rechtfertigung der gestaltenden Kraft; im Norden reißen frevelnde Hände die tausendjährigen Hallen nieder; im Süden ent steht das Unveränderliche neu und größer als je unterm Angriff.

Mit der Aufgabe deckt sich ein persönliches, ebenso stark von der Zeit bestimmtes Verlangen. Der neue Bau soll Schloß und Kloster, er soll die Werkstatt dieses seltsamen Königs sein, dessen Stolz sich auf der Demut erhebt. Für ihn kann keine der überkommenen Wohnungen zur Werkstatt werden: nur in nächster Nähe des Altars, unter demselben Dach mit Gott und seinen würdigsten Dienern wird er stark genug sein, die übermenschliche Pflicht zu erfüllen. Zu allen Zeiten des Tages bedarf er eines Blicks auf das Kreuz; die Uhr, die er sich wünscht, ist der nach uralten Gesetzen tönende Gesang der Mönche und das ferne Murmeln ihrer Gebete. Wenn der größte Helfer, der zugleich sein Herr ist, Kammer an Kammer mit ihm wohnt, wird er nicht erschlaffen.

Im Frühjahr 1563 wird der Grundstein in der Südfront gelegt. Antonio de Villacastin, der Werkführer, lehnt es ab, dabei zu sein. „Setzt Ihr den ersten Stein, ich behalte mir den letzten vor.“ Dieser einfache, demütige und willensstarke Mönch, dem mehr und mehr die ganze Verantwortung für die Ausführung übertragen wird, ist derselbe, der den Bau für den Kaiser leitete in Yuste. Am 20. August ritzt der Bischof von Cuenca die Kreuze in den Grundstein der Kirche. Philipp selbst ist anwesend. Drei Altäre sind auf dem Platz errichtet, der zum geweihten Orte werden soll. Auf dem einen Altar steht das Kreuz des Kaisers. Schon jetzt läßt der König ein Hospital für die Arbeiter einrichten, das sich mit dem Anschwellen der vom Bau angezogenen Menschenmasse rasch vergrößert.

Immer stärker gestaltet die religiöse Bestimmung des Werkes die Pläne um. Ein Kloster für fünfzig Mönche, meint der König, ist nichts Ungewöhnliches; hundert Mönche sollen im Escorial wohnen. Die Messen und Totengebete sollen nicht enden. Zuerst sind die Baumeister in Verlegenheit; dann löst Villacastin das Problem: Die Fundamente sind stark genug, um einen Komplex von doppelter Höhe zu tragen.

So bald wie möglich will der König mitten in seinem entstehenden Werke leben. Nahe dem gegen Norden gelegenen Haupteingang wird eine provisorische Kirche gebaut und neben ihm wieder das Zimmer des Königs mit einem kleinen Balkon, von dem aus er den Zeremonien beiwohnen kann. Am 11. Juni 1571 hörte die kleine Kapelle im Dorf die letzte Messe; schon in dieser Nacht schläft Philipp im Escorial. Auch die Reliquien ziehen ein, jene größten irdischen Kostbarkeiten, die der König unermüdlich sammeln läßt. Von ihnen empfängt der Bau seine Heiligkeit. In diesem Jahre steht die Südfront, eine gewaltige Festungsmauer, fertig gedeckt zwischen der Ebene und dem Gebirge.

Aus allen Ländern und Städten, aus entlegenen Gebirgen streben die Transportkarren und Wagenzüge zu einem Ort, dessen Namen sich noch niemand merken kann. Ueber alle Landstraßen, in fernste Werkstätten dringt der Wille des einen. Es wird kein Stück gebracht, das er nicht prüft; kein Künstler arbeitet, den er nicht kennt. Da ihm die Arbeit eines Malers, den er aus Italien kommen ließ, nicht genügt, so schickt er ihn wieder zurück. Selbst nach Badajoz, wo er sich für den portugiesischen Feldzug rüstet, bringt man auf seinen Wunsch zwei Muster des Chorgestühls, damit er eines auswählt oder Aenderungen bestimmt. Nichts geschieht an diesem Bau ohne seinen Anteil, seine Zustimmung, seine Instruktion. Den Escorial betrachtet er ganz als sein eigenes Werk, für dessen geringstes Detail er selbst die Verantwortung übernimmt. Soll man ihn auf eine unzweideutige Weise darin erkennen? Besser als in Porträts, in Zeugnissen, in den Büchern der Geschichtsschreiber, die persönlichen Irrtümern unterliegen, von seinen Feinden sich betrügen lassen; aus ihrem Umkreis keinen Zugang zu ihm finden; von ihren eigenen Hoffnungen bestimmt werden, ihn zu verneinen?

Ein Gebäude ist mehr als eine Statue: es enthält seines Schöpfers Verhältnis zum Raum. In ihm sind die Wege erhalten, die der Erbauer ging; die Blicke, die Perspektiven, die er hatte; die Grenzen, deren er bedurfte, um sich für das Unbegrenzte zu sammeln. Ein vollkommenes Haus ist der reine Abdruck eines Lebens, die Verdichtung eines Daseins in seine strengste und zugleich gemäße Form. Während die Geschäfte ohne Pause weiterrollen, läßt Philipp niemals von seinem Werke ab: alle Gedanken trägt er ihm zu; jede neue Erfahrung kommt ihm zugut; jedes Erlebnis und jede Erschütterung der Zeit finden hier den Zugang zu gestaltender Wirkung.

Sucht er seine Rechtfertigung, die letzte Möglichkeit zu sprechen im Stein? Tausend Hände brauchen ihre Werkzeuge für das eine große Bild seines Lebens und alles dessen, was es umfaßte. Ursprung und Ziel, der Schmerz und die aus ihm entspringende Hoffnung werden Gestalt. Er hört zwanzig Jahre lang das Knarren der Wagen, die immer neue Massen heranschleppen, stummen, toten Stoff, der bestimmt ist, vom Leben angerufen zu werden, zu erwachen und zu sprechen. Der Gebirgsstock im Innersten seines Landes gibt sich ihm hin Hier, wo er die Wurzeln des Stammes und der Schicksale fühlte, wuchs auch der Stein, der überliefern und retten wird. Er türmt die Masse für sich, aber gerade deshalb für alle; dieses Vermächtnis, die persönlichste Tat des Repräsentanten, drückt Volk und Glauben und ihre parallel laufenden Schicksale aus.

Sieben Jahre wurde an der Kirche gebaut. Im Juni 1582 schließt sich die Kuppel wie eine vollkommene reife Frucht. Die eiserne Kugel, die sie auf ihrer Spitze trägt, wiegt gegen 3000 Pfund; das Kreuz auf der Kugel mehr als 1500. Um diese Zeit ernennt Philipp von Lissabon aus zum Prior des vollendeten Klosters den Pater Miguel de Alejos, der in Yuste Profeß getan hat.

Nun zieht auch die Statue des Märtvrers ein, dem das Haus gehört; zu Füßen des Heiligen liegt das stolzeste Wappen, auf dem, vom Vlies umrahmt, in den Fängen des Adlers, der Löwe von Leon neben den Türmen von Kastilien die Pranken hebt.

War das Leben vor der Form, die Form vor dem Leben? Die Frage endet; der Herzschlag erkaltet nicht mehr im Stein. Gefühl ist Form. Es geht keinen Schritt über sie hinaus; es fühlt sich nirgends von ihr verlassen. So schwillt das Werk über alle Grenzen, um neue Grenzen • zu schaffen und das Unaussprechliche unvermindert in sich zu tragen. Einmal fühlt siela das Herz nicht verwaist, fühlt sich die Hoffnung nicht verstoßen: sie finden ihre Heimat im Stein.

Aus „Philipp II. oder Religion und Macht.“ Verlag Jakob Regner.

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