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Das Mal in der Landschaft

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Das kleine Hochtal in den Salzburger Alpen war von gewaltigen Felsmauern eingeschlossen, die es streng uhd dunkel behüteten wie eine ihnen anvertraute Kostbarkeit. Nur auf einem einzigen schwer gangbaren Pfade vermochte man wald- aufwärts hinzugelangen, doch wußte man nicht weiter, sobald man den moosig weichen Almboden bis zum anderen Ende durchschritten hatte. Man hätte die steilen Kalkwände emporklettern müssen, was nicht jedermanns Sache ist und hier selbst von sportlichen Kletterern nicht allzuoft versucht wurde. Es kamen nur wenige Bergwanderer in jenes versteckte Tal und wenn einmal welche erschienen, so waren es solche, die das einzige suchten, was hier zu finden war, das naturgemäß Vorhandene, den Raum hier Ausfüllende, das hier nicht 'Wegzudenkende, die Landschaft.

Besteht eine Landschaft für sich allein oder ist sie erst vorhanden, wenn Menschen sie erblicken? Es wird wohl beides zu bejahen sein. Was dort in jenem dunklen heimlichen Tale vorhanden war, bestand gewiß auch für sich allein; doch wie es zu jener Zeit hieß, wenn es von Menschen nicht erblickt wurde, das wissen wir nicht. Es war vielleicht etwas ganz anderes, Geheimnisvolles, Unbegreifliches, nur von Gott allein Geschautes. Und es erfüllte sich vielleicht in jener ungesehenen Zeit mit jener Kraft, die ihm zum Teil noch innewohnte, sobald es dann von Menschen gesehen ward. Man nennt es leichthin den Zauber der Landschaft; seinen letzten Ursprung wußte noch niemand ganz za erklären.

Der MenscHerlebt sich selbst in der Landschaft, das ist das Wundersamste an ihr, das wissen alle Eingeweihten. Sie erschließt den Menschen vor sich selbst, indes sie ihm zugleich sich offenbart. Das werden jedoch nur jene ganz verstehen, die es an sich selbst erlebten. Es ist ein Mysterium.

Vielleicht ist es auch so, daß der Mensch aus großer Einsamkeit heraus geboren ist und nur in solcher sich wieder ganz zu erkennen vermag. Worin er sonst sich immer bespiegelt, ob im Auge oder in den Herzen seiner Mitmenschen, ob in seinen Werken, seinen Errungenschaften, es ist alles gefärbt von anderer Menschlichkeit. Völlig rein und für sich allein erkennt der Mensch sich nur im Spiegel der Landschaft. Und da nichts heilsamer ist, als Selbsterkenntnis, strömt eben aus ihr jene reinigende Kraft der Läuterung auf ihn ein.

Und hat er dergleichen erlebt und es gibt, gottlob, gär viele Menschen, die davon wissen, so ist der Begriff der Landschaft, 0 1 sie nun lieblich, erhaben oder gewaltig sei, für ihn zu etwas sehr Andachtvollem, vor jeder Entweihung zu Schützendem geworden, so wie er auch die Stätten seiner religiösen Andacht, seine Kirchen, seine Tempel vor profanen Angriffen zu bewahren sucht.

Unser kleines Hochtal, um wieder von ihm zu sprechen, war, so einsam es auch für sich allein bestand, doch stark die Nähe menschlichen Verkehrs gestellt. Es führte dort nämlich eine kühn erbaute Eisenbahnlinie über einen naben Paß hinweg und es gab auf jener Strecke, von einer Wendung zur andern, . für den Reisenden mehrmals die Möglichkeit, in die stille Großartigkeit jenes Tales hinabzusehen und sich daran zu erbauen, indes er zugleich vom Fieber seiner eiligen Reise gerüttelt und geschüttelt wurde. Und mancher mag dabei, indes er derart auf Augenblicke in das Angesicht des Ewigen sah, eine stille Erhebung, ein Stückchen Andacht auf seine weitere Reise mit sich genommen haben.

Eines unheilvollen Sommermorgens nun begab es sich aber, daß eine Anzahl Männer mit großen bemalten Brettern, mit Pfosten, Hämmern und Spaten beladen den steilen Waldweg hinauf keuchten und sich alsbald inmitten des Tals aufs eifrigste zu betätigen begannen.

Man stellte eine mächtige Tafel auf, an Größe einem kleinen Hause gleich, und es war darauf, in den denkbar grellsten Far-

ben, der unermeßliche Wert einer neuen Schuhkreme verkündet, ohne welche es sich weiterhin kaum noch verlohne, Mensch zu sein. Mitten hineingestellt ins Angesicht des Ewigen stand das peinlich leuchtende Plakat und schaute frech und fordernd zur Eisenbahn empor und sehne unablässig: Idi bin dal Ich bin da! Ich bin die beste Schuhwichse der Weltl

Es schrie den ganzen Tag, von früher Dämmerung des Morgens bis ins späte Abenddunkel hinein, es schrie und verkündete jede Sekunde seine Ankunft, sein Verbleiben, seine Unentbehrlichkeit und es konnte sich gar nicht genug darin tun. Es verkündete eine neue Logik des Daseins. Daß man Schuhe trug, daß man diese auch reinigen müsse, das war nun nicht mehr etwas durchaus Selbstverständliches, nicht weiter Beachtenswertes Es war das Ding, worauf es ankam, es war die Erfüllung des Augenblicks. Und was seine Wirkung, die in Grellheit ohnehin kaum zu überbieten war, ins nahezu Dämonische steigerte, das war der Rahmen, mit dem es sich nunmehr umgeben hatte, und der ungeheure Gegensatz, in dem es sich zu ihm befand. Die Ankündigung einer Schuhkreme verband sich mit dem Mysterium der Landschaft, es konnte nicht geriebener ausgedacht sein.

Die Reisenden, die oben aus den Fenstern des Schnellzuges sahen, um die Großartig keit der Landschaft in sich aufzunehmen, sie waren im großen ganzen schon viel zu sehr Kinder ihrer Zeit geworden, um die Tragik des Geschehenen noch wesentlich tu erfassen. Es fuhr wohl der eine oder andere betroffen zurück, sobald er die grell knallende Lobpreisung armselig menschlichen Bedarfs im Angesicht des Fwlgen erblickte; es ist jedoch der Seele von heute längst zum Schicksal geworden, nach allen Seiten hin Zugeständnisse zu machen, um di den schmalen Weg zum eigenen dürftigen Frieden zu. sichern.

Und so lasen die vielen Reisenden gefügig und immer aufs neue das kühnleuchtende Plakat und ließen auch diesmal die Bearbeitung ihrer „menschlichen Psyche“ nach den vielen erprobten Grundsätzen der Reklame über sich ergehen.

Indes sich also die Menschen ins Unabänderliche fügten und in ihrer Abgestumpftheit es sogar billigten, war es aber nun die Landschaft selbst, die sich zu wehren begann. Wie ein organischer Körper sich stets bemüht, Anorganisches, das ihn schädigen will, von sich abzustoßen, ao vereinigte sich alles, was in dem kleinen Hochtal noch reine Natur war, zum Kampfe gegen den ungebetenen Gast.

Es war jedoch für die edlen Farben der Landschaft, das silberne Sehnsuchtsgrau der Zinnen und Schroffen, das schattenberuhigte Grün der Wälder und Matten, das schweigende Ewigkeitsblau des Stückchen Himmels darüber nicht leicht, der knallenden Wirkung des fremden Eindringlings entscheidenden Widerstand entgegenzusetzen. Dieser war gerüstet mit den Pfeilen billiger Sensation, gewappnet mit dem Panzer bequemer Alltäglichkeit, er knallte seine Geschosse rücksichtslos in die stille edle Harmonie des reinen Naturgeschehens hinein und zerstörte, wohin er traf, ihren Gleichklang, ihre Deutung, ihren tieferen Zusammenhang. Es ist nicht möglich, zwischen den Boten der Ewigkeit und dem Geschrei einer guten Schuhwichse einen erträglichen Ausgleich zu finden. Und eben das, diese Möglichkeit war es ja, was das Plakat und seine Urheber zur höchsten Steigerung des Effekts eigentlich wollten.

Indes jedoch die sichtbare Landschaft unzweifelhaft besiegt wurde, bei Tage nämlich, wenn ein menschliches Auge ihr gefährdetes Antlitz erblickte und sich darin kaum noch zurechtfand, war es ein völlig anderes, wenn die Landschaft, wie wir früher sagten, für sich allein bestand, von Menschen nicht mehr gesehen.

Dann war das Plakat, da es ja keinen Zweck mehr hatte, wie ausgelöscht, so viel es auch knallen und schreien mochte. Es war kein Plakat mehr, es war ein haushohes Brett, mit gekünstelten Farben darauf, und es hatte in der Landschaft ganz und gar nichs mehr zu sagen.

In solchen Augenblicken, aus denen mit der Zeit Stunden und Jahre wurden, vereinigten sich die Mächte der Natur, um sein unerbetenes Dasein langsam zu schwächen, zu brechen und allmählich fortzuschaffen. Sonne ließ seinen gläsernen Lack zerspringen, Regen peitschte die Farben und saugte an ihnen, Frost drängte sich ein und zersprengte den Zusammenhalt, Sturm fegte darüber hin und nahm das Gelöste mit sich. Und so wurde es immer blasser, immer schwächer- und armseliger und es hatte am Ende kaum Farbe genug, um auf wenige Schritte Entfernung lispeln zu können: Ich bin da! Ich bin da! — Ich bin die beste Schuhwichse der Welt!

In einer herbstlichen Sturmnacht löste sich ein Felsstück aus hoher Schroffe und rollte wie gezielt aus Gottes Hand auf den sonderbaren Boten menschlicher Kultur .herab und zerschmetterte ihn.

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