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GRENZÜBERSCHREITUNG MIT ERLAUBNIS

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Über eine fünfzig Jahre dauernde Freundschaft zwischen Faust und Mephisto fabuliert Albert Paris Gütersloh in seinem neuesten Roman, der demnächst im Piper-Verlag erscheinen wird. Zur Illustration hat uns Professor Gütersloh die nebenstehende Zeichnung — etwas vergrößert — angefertigt und zur Einführung diesen „Entwurf für ein Vorwort“ geschrieben:

„Im Gegensatz zu den anderen Berichten wird in diesem von einer Freundschaft erzählt, die, unter beiderseitigem Vergessen des Paktes mit der Hölle, Faust und Mephisto immer inniger verbindet. Der Teufel wurde sodann durch seine an sich selbst geübten Zaubereien ein Mensch, und dank dem Einflüsse der lieben Nächsten sogar ein Christ. Erst nach fast fünfzigjährigem Bestände endete jäh mit einem infernalischen Eingriff die für den unschuldigen Leser unglaubwürdige, aber für den schuldigen Autor immerhin glaubhafte Tatsache. Man gedenke — allerdings nur zur Einführung in dieses Geschehen! — der leiblichen und seelischen Widersprüchlichkeit von Mann und Weib, die nur kraft des Sakraments der Ehe behoben werden kann.“

Aus dem Romanmanuskript veröffentlichen wir das imaginäre Vorgespräch zwischen Autor und Leser.

„Sie glauben, wenn Sie überhaupt etwas glauben — andernfalls wir miteinander nichts zu reden haben —, an einen, nicht wahr, mehr oder minder regen, doch unkontrollierten Verkehr über die Grenze des Übersinnlichen und des Sinnlichen. In Schmugglertracht, die drüben nach jedem Geschmack und für jede schiefe Lage also bereit hängt, wie hüben in der Leihanstalt das Kostüm für jenen nur denkbaren Ball. Das glauben Sie, nicht wahr? Nein, mein Herr! So einfach geht das zwischen zwei so abgründlich verschiedenen Welten nicht zu!

Erstens — und hier lüpfen wir respektvoll unseren Hut — muß vor jeder Grenzüberschreitung, genauer gesagt, daß in Wirklichkeit überschritten werden könne, was nur in der Idee existiert, die Erlaubnis Gottes eingeholt werden, ohne dessen Willen und Wissen bekanntlich kein Haar vom Kopfe fällt und kein Sperling vom Dache. Weil aber bei der höchst rätselvollen sich selbst verschweigenden Gottheit diese Erlaubnis niemals expressis verbis gegeben Wird, kann sie nur erraten werden.“

„Erraten? Sie scherzen! Woraus denn soll sie erraten werden?“

..Aus dem — die Antwort wird Sie zwar nicht befriedigen, wir können aber keine andere als eine metaphorische geben — aus dem Mienenspiel der Sphären.“

„Oh, mein Gott!“

„Verzweifeln Sie nicht, mein Herr! Oder nur für Ihre Person, nicht für die des Teufels. Wie groß, bedenken Sie, muß eine Intelligenz sein, in der neben dem fast unmittelbaren Erkennen Gottes noch der Gedanke an eine Empörung wider ihn Platz gefunden hat! Und wenn Sie der gewaltigste Phantast von der Welt wären, junger oder alter Herr, würden Sie doch nie jemals auch nur eine einzige Umdrehung des diabolischen Hirns, das den so kreuz wie quer verriegelten Himmel nach einem Mause- oder Wespenloch ausgrübelt, mitzumachen vermögen, ohne spätesten auf dem Scheitelpunkte von der fürchterlichsten Seekrankheit befallen zu werden! Sie haben jetzt Ihre fünf Sinne wieder beisammen? Gut, dann können wir fortfahren!

Zweitens muß dem Höllenbraten, damit nicht schon auf den ersten Blick die Inquisition ihn hasche, oder der schwachsinnigste Ketzer ihn mit Luthers Tintenfaß bewürfe, die erträglichste Gestalt gegeben werden, welches Müssen, bei der, die vor dem Spiegel steht und aus trauervertiefender Fresse die vom Schöpfer ihr ihr angemessene betrachtet, natürlich auf ein vollkommenes Umschneidern hinausläuft. Und damit beginnen die eigentlichen Schwierigkeiten des Ihnen, verehrter Gespensterseher, so eben und hinderndslos erscheinenden Weges, den ein in bloßer Selbstevidenz lebender Unterirdischer zum Ziele seiner oberirdischen, auch objektiv vorhandenen Existenz zurückzulegen hat.

Den infernalischen Herrschaften nämlich fehlt, neben noch manch' anderen Eigenschaften, die nur den Menschen auszeichnende, die auch noch im schlechtesten Kerl und mißgebildetsten Geschöpf wohnt: der Schönheitssinn. Ihn definiert der philosophische Freund unseres Hebräisten als den bitterste Erinnerungen weckenden, aber auch süßeste Hoffnungen erregenden Widerschein des einst in himmlischer Ordnung Gewesenseins. Von diesem Widerschein sagt der Doktor weiter, daß er dem Glanzlichte gleiche auf einem in einem Kellerhalbdunkel stehenden Kruge. Obwohl zum Stoffe des Gefäßes so wenig gehörend wie ein an ihm klebendes Rosenblatt, und vollkommen überflüssig zum Gebrauche — den ausgenommen, den ein Maler von ihm macht —, ist es doch durch kein noch so gründliches Reiben oder Waschen entfernbar. Es dient also, weil es dem Kruge zu nichts dient, aber deswegen allein nicht auch schon zwecklos ist, einem höheren Zwecke: darzutun nämlich, daß jemand die Kellertür offengelassen hat, halb oder nur einen schmalen Spalt weit. Wäre dem nicht so, würde ein Lichtstrahl nicht einfallen, und — schließlich überzeugend der Doktor — den auf ihn zurückweisenden gleißenden Fleck nicht verursachen können.

Wir machen des Doktors Ansicht von der Ein- und Selbig-keit des Ethischen und des Ästethischen zu der unsern, fahren aber auf dem Wagen seiner Metapher in einer anderen Richtung fort: Im Hause der infernalischen Familie ist jene Kellertür zu; vernagelt; vermauert; von eisernem Epheu dicht überwachsen. Aus dieser Tatsache kann jeder bessere Kopf (und der Ihre wird sich nicht lumpen lassen!) leicht den Schluß ziehen, daß die häßliche Sippe keine andere Möglichkeit hat, als ihresgleichen mit ihresgleichen zu vergleichen. Denn außer ihr selber ist in der grenzenlosen Wüste der Gottverlassenheit ja niemand da. Das nun hat das Folgende zur Folge: Erstens, muß auch jene erträglichste Gestalt ebensogut, das heißt: auf gut Glück, aus dem Blauen, getüftelt, gelutscht, gepreßt, zusammengekratzt werden wie die göttliche Erlaubnis zum bloßen Anstellen des ziemlich hoffnungslosen Versuches. Zweitens, wird dieser neue Apfel

des Paradieses — seine gelungene Hervorbringung angenommen — keinesfalls so weit vom Stamme niederzufallen vermögen, daß er sich in Stand gesetzt sähe — wegen des vollkommenen Fehlens anderer Bäume und Obstsorten — wenigstens den Anschein einer harmlosen Pflaume zu erwecken. Für die Richtigkeit der letzteren Behauptung — die erstere ist ein theologisches Axiom und weder beweisbar noch beweisbedürftig — zeugt das einmütig feindselige Verhalten von Hoch und Nieder, Jung und Alt, Gelahrt und Ungelahrt gegen unseren Professor.

Stellen Sie sich jetzt vor — damit wir weiterkommen —, diese zweite Schwierigkeit sei behoben worden. Sofort erhebt sich die Dritte!“

„Das hält ja kein chinesischer Lastträger aus!“ ruft, aufspringend, unser Schüler.

„Nehmen Sie nur wieder Platz, mein Herr, und erfahren Sie, ehe Sie übereilten Schritts den lehrreichen Kurs verlassen, wie nahe wir, während solcher Untersuchungen, dem Fasse der Danaiden stehen, dem Steinbruch des Sisyphus, und dem vom ewigen Baden zu einem gesunden Appetit verdammten Tantalus. So, nur so, weil sie nun einmal ins Fegefeuer des Distinguierens geraten sind, wo die armen Seelen, zur Strafe für die Sünde der Dummheit, den Geistesreichtum des Aquinaten sich anzueignen haben, werden Sie Ihre Tortur als eine wohltätige Plage begreifen. Sie sind wieder im Gleichgewicht? Vortrefflich! Dann können wir weitermachen.

Der mit der schönsten menschlichen Gestalt — wie die angeblich bildenden Künstler unter den vorbildlich unschöpferischen Gesellen glauben — ausgerüstete Teufel bedarf nämlich dringendst noch einer Sache, die es ebenfalls im

Hades nicht gibt; allerdings auch nicht im Elysium; der einzigen Sache also, deren Nichthaben die beiden ortlosen örtlichkeiten gemein haben. Begreiflich! Dort oben wie da unten ist alles umsonst; umsonst sowohl in der Bedeutung von frustra wie in der von gratis; die Pein so gut wie die Seligkeit; jene nützt nichts, diese kann nicht verdient werden. Und umsonst ist dabei, das heißt: vergeblich, jedes Bestreben, eine schmerzfreie Stellung einzunehmen, als die schon bezogene, oder einen glänzenderen Rang als den schon eingenommenen! Wirket, solang ihr im Lichte seid! sagt die Schrift; denn es kommt die Nacht, in der Niemand mehr wirken kann. Anders ist es auf der Erde, und nur auf ihr. Um ein wirklicher Mensch zu sein, oder ein täuschend echter; um in einer noch verdienstlich unvollkommenen Welt, deren Bösestes den Satan hämisch, deren Heiligstes den Engel nachsichtig lächeln macht, sich bewegen zu können, und so sich zu bewegen, daß nicht mit jedem Schritt ein Absolutes gesetzt und schon mit einem einzigen Tag über den Jüngsten Tag hinausgegangen würde, bedürfen der Mensch und der menschwerdenwollende Teufel einer bestimmten Gabe ohne bestimmten Charakter; einer sich wandelnden mit dem sich Wandelnden: eines Elementes, dessen Flüssigkeit seine feste Form; dessen Unbeständigkeit seine Eigentreue; eines

Mittels, dem von Unnatur aus eine solche Abneigung gegen die Verwirklichung von Ideen innewohnt, daß es die einen, die Verlorengehenden, zum Schließen der schändlichsten Kompromisse befähigt, den anderen, den Auserwählten, gestattet, sie nicht zu schließen; eines Gegenstandes, so schwergewichtig, aber auch so minderwertig wie Blei; so chimärisch und doch so handgreiflich wie es der Gegenstand unserer törichten Liebe ist: kurz, des einzigen Dinges, das kein Ding an sich besitzt: des Geldes.

Sie erkennen jetzt, mein Herr, daß es um eine nur dem Menschen gesetzte conditio sine qua non sich handelt, um die Klinge gleichsam, über die springen muß, was Mensch werden will. Und nicht nur die Hölle, auch der Himmel, weil er doch selber sie aufgestellt hat, damals, bei Sperrung des Paradieses, ist an sie gebunden. Der göttliche Baumeister, wenn er der Ubernatur nicht eine Hintertüre gebrochen hätte, von vorne wäre er nicht aus seinem Haus gekommen. Ingeniöser Weise hat er unseren Herrn Jesum Christum bitterarm geboren werden lassen. Post festum nativiatis dominl nostri kann man natürlich leicht ausrufen: wozu auch hätte er des Geldes bedurft? Und Gründe, warum der Vater so getan hat, fließen aus der neunmalklugen Feder wie der Tag und Nacht murmelnde Quell in den Kuhtrog. Unter diesen anderen auch dieser: Der Heiland will ja nicht irgendein bloßes Gut, zu dessen Wirklichung nun einmal Geld oder Geldeswert notwendig sind, und zwar wegen der ebenfalls immer materiellen Natur des bloßen Nichtguten, Unverschuldetem oder Selbstverschuldetem, sondern unser Bestes — und das ist, sehr verehrter Herr?“

„Unser ewiges Heil!“

„Richtig! Wissen Sie aber auch, was Sie mit dieser Katechismusantwort sagen? Sie blicken etwas leer? Nun: daß ein im Drüben liegendes Ziel nicht mit im Hüben gängigen Mitteln erreicht werden kann! Wollen. Sie doch statt in diesem Roman ein bißchen in der Bibel blättern. Was fällt Ihnen, wenn Sie aufrichtig sind, aus ihr, bei all Ihrer Christo Gewogenheit, schmerzlich, gleich einem Sandkorn, ins Auge? Lieber — wie Sie unter Kopfschütteln sehen — lieber, wenn auch nicht gerne, schon um den Rationalisten keinen Stein des Anstoßes auf den ohnehin sehr schmalen Pfad zu werfen, greift der Herr, statt in die Geld- oder Arztenstasche, zu Wundern. Ob es nun gilt, fünftausend Hungrige zu speisen oder einen Gichtbrüchigen auf die Beine zu stellen. Damit aber über seine wahre Meinung — sollte dieselbe aus seinem Handeln doch noch nicht einwandfrei erschlossen werden können — hinsichtlich des bloßen Guten, des bloßen Bessern, des sogenannten sozialen Fortschrittes, und wie sonst die teils erwünschten, teils unerwünschten Wohltaten heißen mögen, mit denen immer nur die Symptome der Krankheit bedoktert werden, nicht ihre viel verzweigten, in die schwarze Tiefe hinunterdringenden Wurzeln, kein Zweifel herrsche, hat Er den Denar, ihm unter die Nase gehalten von den frechen Pharisäern, weder dem Reichen ab- noch dem Armen

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