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Spielende und Verspielte

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Kleinkinder pflegen immer wieder ihren Ball aus dem Kinderwagen zu werfen, und werden dann gescholten. Mit Unrecht, sagt der Seelenforscher, sie tun es ja nicht aus Bosheit, sondern aus Bewegungsfreude oder Wirklust. Später kommt dann das Laufen, Kriechen, Klettern an die Reihe, noch später der Sport, der Tanz, das Basteln und das Stricken von vielen Wollwesten, auf geistigem Gebiet Scherzfragen, Quiz, Kreuzworträtsel, Teste und Witze. Grundzug ist immer die Freude am Tun selbst, die Wirklust. Ziel und Zweck sind dabei gar nicht so wichtig. Man kann sie hineinschwindeln, als Kulisse für ernsthafte Zuschauer, aber, Hand aufs Herz: wer tut diese vergnüglichen Dinge wirklich um eines Zwek- kes willen? Ist auch gar nicht nötig. Das Spielen trägt seinen Zweck in sich selbst. Es macht Freude, Freude ist gut und gottgewollt, und darum soll man das Kleinkind ruhig seinen Ball ein dutzendmal aus dem Kinderwagen werfen lassen und den glücklichen Vater nicht hindern, sein Motorrad ebenfalls ein dutzendmal zu zerlegen und mit Zusatzgeräten zu spicken.

Der Ernst des Lebens besteht darin, daß es Ziele und Zwecke gibt. Das Kind kam; ungestört der Wirklust nachgehen, es muß seine Kräfte ja erst entdecken. Der reife Mensch muß sie für eine Aufgabe einsetzen. Das Ziel bestimmt, welche Kräfte er aufwendet, wie viel davon und wie: dem ziellos vergnüglichen Spiel ♦ am, erąjen ScĘuJtąg .,ein|ä.,Qrenz , geąe.tzt „Jane kleine r,GrenzetJ nufx-i ahet dile Mauern wachsen von Tag zu Tag. Immer mehr Ziele tauchen auf, sie müssen erreicht werden; das Leben wird immer straffer, der Terminkalender immer voller, immer mehr ' strenge Geleise tauchen auf. Dieses Eingespanntsein be- hagt den meisten Menschen nicht, weil dadurch ihr Spieltrieb eingeschränkt wird. Der ist näm lich mit den Kinderjahren nicht verschwunden. Er ist ja nichts anderes als ein .Zeichen, daß Kräfte und Fähigkeiten vorhanden sind, die sich auswirken wollen. Nur die Todmüden, Schwerkranken oder Greisenschwachen spielen nicht mehr. Solange aber der Mensch noch so halbwegs beisammen ist, will er seine Kräfte auch spielen (!) lassen, sie drängen ihn dazu. Daher unterbrechen wir di Wüstenwege des Lebens durch heitere Oasen, wo gespielt wird. Der eine sammelt Marken, der andere versucht sich auf der Posaune, der dritte züchtet Krokodile. Solche Liebhabereien sind recht nützlich. Man schlüpft aus dem Joch der, Alltagsarbeit, setzt sich daneben und spielt ein bißchen, und dann kriecht man wieder ins Geschirr und zieht den Karren weiter. Dieses freie Spiel der Kräfte ist weitaus erholender als ein kommandierter Ausgleichssport. Ich kenne einen ernsten Intellektuellen, den ich bei der Lesung eines Buches von Karl May („Der Schut“) erwischte. Nach anfänglicher Verlegenheit gestand er, daß für ihn Karl May eine prächtige Erholung bedeute. Ich gab ihm recht, und dann redeten wir eine halbe Stunde lang über den „Schut“. Und dann stellten wir fest, daß diese Rückkehr in die Jugend uns beiden sehr wohlgetan habe.

Leider kann man auch spielsüchtig werden: die bekannte verlotterte Art, daß jemand nur tut, was ihm Spaß macht. Das ernste Leben duldet aber keine ungelösten Aufgaben. Das Spielen wieder wollen wir nicht lassen. So hat der kluge Mensch eine Zwischenlösung gefunden: er macht die Arbeit zum Spiel. Er denkt nicht an das Ziel, das eigentlich zu erreichen wäre, sondern läßt einfach seine Kräfte und Anlagen sich auswirken. Einige solcher Spiele für Große: die Putzwut mancher Hausfrauen.

Im religiösen Leben entsprechend der seel-

Sie spielen von früh bis spät Großreinemachen und saugen nebst dem Staub auch alle Wohnlichkeit aus der Wohnung. Oder das Gastgeberspiel. Der Gast soll sich wie zu Hause fühlen, das wäre das Ziel. Kann er das, wenn mit ihm Umstände gemacht werden, als sei er ein Fremder, wenn sich alles gezwungen gibt, um Eindruck auf ihn zu machen, wenn er unaufhörlich zum Zulangen aufgefordert wird? Für Männer gibt es das Managerspiel. Irgend etwas muß gemanagt werden, was, ist nicht so wichtig. Wichtig ist nur das Diktieren und Telephonieren. Die Bierbankpolitik, wo Parlament gespielt wird oder wenigstens Gemeinderatssitzung. Das Besprechungsspiel, wo nur geredet wird, vielleicht ein tönender Beschluß zu- standekommt, aber nie eine Tat. Das Ratgeberspiel, mit wissender Miene und platten Sprüchen. Das Apparatspiel: es wird für irgendein Ziel eine mächtige Organisation aufgebaut, so mächtig, daß sie das Erreichen des Zieles fast verhindert, zumindest erschwert. Macht nichts, man kann den Tag angenehm damit verbringen, diese Organisation im Laufen zu erhalten.

sorglich Tätige, dem der Betrieb Spaß macht und der darum ohne frommen Wirbel nicht leben kann, aber nie fragt, wem dieser Wirbel eigentlich nützt (dem Reich Gottes, das wächst wie ein Saatkorn, sicher nicht). Der starre

Moralist, der begeistert an seinem System baut und dabei weder auf den Menschen schaut, der ja schließlich darnach leben soll, noch auf Gott, der pharisäisches Tüfteln ausdrücklich verworfen hat. Umgekehrt der freizügige, der, unbekümmert um Schranken und Gesetze, zu Gott laufen will und nicht merkt, daß ihn nicht die Liebe treibt, sondern die Freude am ungehinderten- Laufen. Das Aussprachespiel frommer Seelen, das ewig erfolglos bleibt (das muß es schon bei den Urchristen gegeben haben, denn der heilige Paulus spricht von Frauen, „die immerfort lernen wollen und doch nie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen"; 2. Tim. 3, 7). Das Priester-« spielen mit Missale und Laienbrevier (ja, ja, es kann auch echt sein, natürlich, aber wir reden hier vom Spiel, und das gibt’s eben auch, und gar nicht so selten). Das Spielen mit Andachtsformen, ob es nun ausgefallene Liturgismen sind oder ein Spiel mit Skapulieren, ganz besonderen Arten von Rosenkränzen, Medaillen, religiösen Vereinigungen, Erscheinungen und Wundern. Verzeiht mir, meine Mitbrüder im Herrn, das Hochamt- und Rubrikenspiel, das Paramenten- und Glockenspiel gehört manchmal auch hierher, und in Klöstern: das Regel und Gebräuchespiel, das Fromme-Sprüche-Spiel, das Armutspiel mit seinem Zentner Gewissensbisse für zwanzig Groschen, das Geistliche- Gespräche-Spiel mit seinen Kernsprüchen, goldenen Regeln und geistlichen Gemeinplätzen, dann (mehr bei Laien) das Theologiespiel, mit seinem Herumknabbern an fesselnden Themen aus den Randgebieten. Das Passionsspiel, mit seinen behutsam selbstgewählten Oepferchen. ..

Die Bergpredigt unseres Herrn steht wirklich wie ein Berg diesem Getändel gegenüber mit seiner Forderung, daß wir hungern und dürsten sollen nach wahrem Rechtsein vor Gott: bei Hunger und Durst hört aber alles Spielen auf. Müssen wir verspieltes Volk nicht verzagen vor diesem herben Ernst? Aber der Herr sagt auch: Selig die Trauernden …, und das soll uns trösten. Nicht aber sagt er: Selig, wer vergnügt i „Frommsein“ spielt.

Spiel als Erholung ist gut, Spiel statt Leistung Sünde. „So laufe auch ich nicht blindlings; so kämpfe auch ich, aber nicht, um bloß Luftstreiche zu machen“ (1. Kor. 9, 26). Das Weltgeschehen ist nicht ein planloses Kräftespiel, sondern ein Strömen in bestimmter Richtung. Die größere Ehre Gottes und das Heil der Seele, das sind die zwei Endpunkte, auf die alles abzielt. Wenn wir ohne Rücksicht auf Gott und Seinen Willen unserem Spieltrieb nachgeben, gefährden wir die Ehre Gottes: Er wird ja beiseitegeschoben, es gilt nur unser Vergnügen. Man muß sich ehrlich fragen: Was ich da vorhabe, will das Gott oder will es nur ich? Das zweite Zeichen ist vielleicht noch klarer (man kann schließlich allerlei für den Willen Gottes erklären, Gott widerspricht nicht): Hilft es dem Nächsten, was ich da treibe? Aber, bitte, die Frage muß heißen: Hilft es ihm wirklich? Und die Antwort darf nicht lauten: Sicher konnte es ihm helfen, denn) sehen Sie, wenn'er . .. Konjunktive und Wenn beweisen nämlich gar nichts. Manchmal schadet ein Spiel dem Nächsten, wenn etwa jemand Seelenführer spielt, der Geführte aber meint, es sei Ernst.

Eine Frage würde allem bösen Spiel ein Ende machen: Verfolge ich wirklich die Anliegen Gottes und des Nächsten oder meine eigenen? Diese Frage müssen wir aber vor Gott an uns richten, sonst machen wir uns wieder etwas vor. Und dann müssen wir eben unser Spielzeug weglegen, wenn es nötig ist. Seufzen aber dürfen wir dabei.

Ein ziemlich sicheres Kennzeichen, ob es sich um Spiel oder Ernst handelt, ist das: Aergere ich mich oder trauere ich, wenn der andere nicht mitspielt? Wenn ich wütend oder ärgerlich werde, dann war oder ist es gewöhnlich ein Spiel. Wenn nämlich ein ernstes Anliegen unerfüllt bleibt, dann antwortet der Mensch mit Trauer. Ein ernstes Anliegen ist zu groß für Aerger, er gehört mehr zu den Randgebieten des menschlichen Lebens.

Mir ist kein Tier so widerlich wie die Ameise. Unpersönliches Schuften von früh bis spät, kalte Zweckmäßigkeit, Kollektivismus als Lebenssinn. So sollen wir wirklich nicht sein. Ein Mensch, der nicht mehr spielen kann, ist kein Kind mehr, und solchen Leuten muß man mißtrauen. Immer nur eingespannt sein: da wird der Mensch leicht ameisenhaft, und die Tätigkeit dieser Tierchen besteht in Arbeiten, Beißen und Giftspritzen.

Es ist aber ein Unterschied zwischen dem spielenden und dem verspielten Menschen. Der eine entdeckt seine Anlagen im Spiel, erlebt damit ein Stück Kindheit aufs neue, und das muß so sein. Fix und fertig tritt nichts beim Menschen auf den Plan, das Kindsein ist der ewige Urgrund von allem. Dann muß aber ein Reifen kommen, und das darf beim Erwachsenen nicht mehr so lange dauern wie beim Kind. Der Verspielte nun will gar nicht so weit kommen. Ihm genügt das unverbindliche Tändeln. Er flirtet mit dem Leben, statt es zu gewinnen. Was müßte er tun? Den Reifungsvorgang vom Kind zum Erwachsenen nachholen. Das ist sehr schmerzlich. Wer Dinge, die nach den Jugend-jähren schon abgetan sein sollten, erst ir reifen Jahren bereinigen muß, der hat keine leichte Aufgabe zu lösen. Aber es ist notwendig: „Brüder, seid nicht Kinder an. Verständnis: wohl seid Unmündige in der Bosheit, an Einsicht aber seid reife Männer“ (1. Kor. 14, 20), Der Christ muß das verspielte Kind in sich verleugnen, und das nicht einmal mit Bedauern, sondern einsehend, daß die Zeit dafür wirklich vorbei ist: „Als ich noch ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind, urteilte ich wie ein Kind. Als ich ein Mann geworden, legte ich das Kindhafte ab“ (1. Kor. 13, 11).

Dennoch, so widersinnig es klingt: auch der Reifste muß noch spielen können. Wenn er es nämlich nicht kann, dann hat er das Reifsein als Spiel gewählt und spielt mit Inbrunst den ernsten Mann. Das ist aber kein rechtes, gelöstes Spiel, sondern eine verkrampfte Angelegenheit, die alles lebendige Spiel im Keim erstickt. Außerdem ist von wirklichem Reif sein keine Rede; der Reife weiß, daß ein Maß an Spiel nötig ist, wenn lebendige Werke Zustandekommen sollen. Zuerst muß Kraft und Anlage da sein, beide werden eine Zeitlang blind spielen, bis schließlich Form und Richtung hineinkommt. Michol verlachte David, als er vor der Bundeslade des Herrn tanzte und sprang (2. Sam. 6, 14). Gott strafte sie dafür mit Unfruchtbarkeit. Verbissene Asketen, sture Bürokraten und tierisch ernste Pedanten mögen sich das gesagt sein lassen: ist nicht Unfruchtbarkeit eines ihrer Zeichen?

Bei Kindern ist das Alter mehr eine Nebenerscheinung; es gibt welche von null bis hundert Jahren. Jedes braucht aber seinen Erzieher, der ihm zur Reife hilft. Eine schöne Aufgabe, denn einen Menschen zur Reife führen heißt, ihn erst zum Menschen zu machen. Darum sind wir alle beauftragt, dem Nächsten (und jeder ist sich selbst der Nächste) das verspielte Gehaben abzugewöhnen, vor allem im Glaubensbereich. Eine heikle und sehr schwere Aufgabe. Der liebe Nächste kann bei der Gelegenheit eine Musterschau aller Trotzerscheinungen des kindlichen Alters vorführen, vom Säuglingsgebrüll bis zu Pubertätsflegeleien. Auch Gott gegen über. Es ist manchmal seltsam, wie wir auf Fügungen der Vorsehung antworten, wenn uns ein Spielzeug aus der Hand genommen wird: wie früher, vor dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig Jahren! Wir sind dann böse auf den lieben Gott, trotzen, reden nichts mehr mit Ihm, gehen Ihm aus dem Weg, tun justament und gerade, was Er verboten hat, und quengeln andauernd, Er möge uns das Spielzeug zurückgeben. Wenn Er es zurückgibt, dann wollen wir brav und artig sein. Das aber hat unser Herr sicher nicht gemeint, als Er Sagte: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …

Vielleicht kann man es so fassen: das Spielen sollen wir nicht aufgeben, denn das ist kindlich, und Kinder sollen wir ja immer sein und immer aufs neue sein. Kindisch dagegen ist es, sich an ein bestimmtes Spielzeug anzuklammern und zu brüllen: Bubi will Pferdi haben, Mädi will Puppi haben! Bei Großen kann alles mögliche Pferdi und Puppi sein, gleich bleibt aber Anklammerung und Geschrei.

Verspielte Menschen müssen versuchen, zu spielenden Menschen zu werden. Die kostbare Fähigkeit zum Spielen überhaupt haben sie noch: so fehlt nur noch ein Stück Ernst und der ganze Mensch ist fertig.

Wir entdecken unsere Kräfte und Anlagen wohl immer zuerst im Spiel. Wenn dieses Neuland aber für Gott und den Nächsten Frucht tragen soll,' dann muß das Ackern anfangen. Und auch das wird am Anfang mehr spielerisch vor sich gehen. Das ist alles in Ordnung. Böse wird es erst, wenn wir bei Hindernissen alles liegen und stehen lassen und uns ein anderes Spielzeug suchen. Da bleibt die Aufgabe unerfüllt, die im Spiel begann und im Ernst enden 'soll. Spielen ist gut, nur zu spielen ist schlecht.

Der verspielte Mensch soll also sein Spiel nicht aufgeben, sondern Ernst daraus machen. Das gilt vor allem für den religiösen Bereich. Hier beginnt alles Große spielerisch, denn gerade hier sind wir immer „wie Kinder“. Jedes heilige Leben fing mit heiligem Spiel an, jeder Orden war für kurze Zeit das Spielzeug' seines Gründers. Dann kam aber ein rasches Reifen, und damit begann das Große.

Wir sollen also Kinder werden und aufhören, infantil zu sein: das ist das ganze Rezept.

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