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Rede an die Jugend

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Ich möchte heute einige Ueberlegungen skizzieren und Ihnen diese ans Herz legen. Es gehört vielleicht schon zu Ihrer eigenen Erfahrung, daß das 'Studium in logischer Folge zuerst meist Leid, Verzagen, Zweifel bringt, aber dann auch viel Freude und Befriedigung. Dem oft Fremdgeführten muß das eigene rigorose Hören, Sehen und Gehen erst nahegebracht werden. Wenn dann der Studierende so weit ist, um seine Erkenntnisse mit seiner eigenen Persönlichkeit und dem damit verbunden sein sollenden Verantwortungsbewußtsein zu verbinden, dann können Schüler und Lehrer eine kleine Weile glücklich lächeln. Die Unabhängigkeit ist nun endlich erreicht! Selten wird dieses Stadium seitens der jungen Menschen richtig verstanden und gewertet. Leider muß ich zu Ihrem Trost sagen, daß auch der Großteil der lieben Erwachsenen das Stadium der sogenannten Freiheit nicht richtig erkennen und bemessen kann. Die Folgen davon haben wir alle am eigenen Leib erfahren. Mit der Unabhängigkeit ist also erst der Zeitpunkt der Bewährung gekommen. Dem Lehrer ist es nun gegeben, den Weg mit väterlichem Blick zu begleiten. Bis dahin ist es jedoch ein weiter und steiniger Aufstieg, erfüllt von Accelerandos und Ritardandos, von Förderungen und Hemmnissen.

Wenn da eine leider nur zu oft gehörte Klage — zwar verständlich — gar keine Berechtigung hat, dann diese: man habe zuwenig Protektion, keine Förderer, zu viele Konkurrenten, nicht die nötigen Propagandamittel usw. Glauben Sie mir, meine jungen Freunde, ich habe alle diese Forderungen auch, und zwar gründlich, durchlebt. Und ich sage Ihnen — und das bezieht sich nicht nur auf das Gebiet der Musik: Es gibt keine verhinderten Genies. Es bezieht mit der Zeit jeder den Platz, der ihm gebührt. Wird einer mit rasanter Hilfe schnell in die Regionen, die Schwalben bei günstigem Wetter durcheilen, gehoben und fehlt es ihm dann an Kraft und Begabung, verquickt mit einer langen Reihe von ererbten und anerzogenen Gaben, dann wird er bald von selbst-tiefere Regionen suchen,müssen,-Wird ihjn-vom Schicksal jede Prüfung noch erhärtet und wird ihm eine unübersehbare Hindernisstrecke bereitet, fühlt er dann, daß etwas in ihm ist, das mit der Zeit auch Gefängnisstäbe schmelzen läßt, dann wird er, durch den wahrscheinlich notwendigen Kampf gestärkt, sein Ziel erreichen. Mit anderen Worten: das Echte, Wahrhaftige, überzeugend Aussagende ringt sich durch das dichteste Gestrüpp. Erlahmt die Kraft, ist das Gestrüpp besonders dornig und wird durch das Erlahmen das gesteckte Ziel nicht erreicht, dann ist nicht die genügende Kraft vorhanden, die zum Auserwählten eben auch gehört.

Haben Sie dann endlich ein Weltsprungbrett erklommen, verfallen Sie dann nicht dem menschlichen und künstlerischen Fehler, daß Ihr Werk, Ihr Wollen das Wichtigste in der Welt sei. Sich badend im Scheinwerferlicht der Sensationslust, wird Ihr Wirken für das Echte, Einfache steril. Ich wiederhole, was ich früher einmal gesagt habe:

„A s Musiker, der in sich die edlen Werte sucht, um Herzen zu öffnen, muß man positive Kräfte entfalten. Es ist die höchste Aufgabe des Künstlers, Ruhe auszustrahlen. (Ein Künstler, der in Extrewen schwelgt, mißbraucht seine Berufung!) Nicht aufreizende Ruhe, die Opposition erwecken kann, sondern beschützende, warme Ruhe, das kostbarste Cut für den Menschen. Das Oel auf alle, von Schöpfung und Menschen gepeitschten Wogen ist in diesem Zusammenhang die Güte, der Respekt des einen Individuums vor dem anderen. Ich glaube, daß in psychischer und physischer Hinsicht die goldene Mitte das Positivuw bedeutet, das unser Erdendasein lebenswert macht.“

Arbeiten Sie daran, Ihre Individualität zu erkennen und zu pflegen. Sagen Sie jeglicher Vermassung den geistigen Kampf an. Nur das kostbare Einzelwesen ist imstande, positive Werte zu realisieren. Ich meine da im besonderen auch Vermassung im Geistigen, zum Beispiel nachgeplapperte Urteile, bis ins Kleinste gehende Imitation anderer, ja sogar Typennachahmung des äußeren Menschen. Anders ausgedrückt: Stets jemand anderer sein zu wollen, nur nicht man selbst. Welch unfruchtbares BemühenI Mut zur Selbstrevision ist heute — etwas entschuldbar — durch die unnatürlich rasche Entwicklung (nicht zu verwechseln mit unbedingtem Fortschritt) rar geworden. Durch die Unheimlichkeit der fraglichen Entwicklung ist der Mut zum eigenen Ich gar oft eine Last geworden, die man um so schwerer trägt, wenn es sich um die Umsetzung von Erkenntnissen, nicht von Kenntnissen, ins tägliche Leben handelt.

Die Uebereiligen, die, Umstürzler, die ständig unter allen Umständen alles neu machen wollen und diese egoistische Sucht mit den Worten „es ist eben die nicht aufzuhaltende Entwicklung" tarnen, verzerren dadurch alle Werte. Es gibt nur ein organisches Wachsen. Wir können zwar künstliche Riesenfrüchte züchten, aber der Geschmack dieser Monstren wird mit zunehmender Entartung nur schaler. Bleiben wir doch im Wesen naiv und einfach. Der extreme Wissensdurst, allem auf den letzten Grund geraten zu wollen, der uns ja doch letztlich verhangen bleiben muß, steht in keinem Verhältnis zum positiven Rhythmus, den die geplagte Menschheit benötigt. Ich glaube jedenfalls, daß man, wo man negative Kräfte entdeckt, das Pfund Gottes noch bewußter pflegen soll, denn diese' Kräfte können Teufel wecken, die über kurz oder lang unseren Erdboden zerstören. Dies kann nicht der Zielwille Gottes sein, sondern seine Strafe, auch für diejenigen, die dieses Negative nicht aufgehalten haben. Doch ich habe mich auf ein Gebiet begeben, das man mit ein paar Worten nicht abtun dürfte. Ich bitte um Vergebung.

Zurückgreifend auf die Erkenntnisse des Studierenden möchte ich ein anderes korrespondierendes Feld beleuchten, das mir bei meinen Streifzügen durch die Welt als erwähnenswert auffiel. Kennzeichnen möchte ich dieses Kapitel mit den kurzen Worten eines Philosophen unserer Tage, der vor kurzem sagte: „Zu meiner Zeit hat man studiert, um Erkenntnisse zu sammeln, heute studiert man, um Geld zu ver-;i dienen." Die Gewährung eines Stipendiums wird heute von vielen als Selbstverständlichkeit erwartet. Entspricht seine Höhe nicht den Erwartungen, wird eine defensive Stellung bezogen oder man hält nach einem einfacheren Beruf Umschau. Es wird nicht erkannt, daß das Ringen um eine Sache, um eine Erkenntnis, um den Beruf eine Notwendigkeit ist! Ich schäme mich nicht, es zu sagen, daß ich als achtjährigesKind unter anderem Holz ausgetragen habe, um das tägliche Brot für meine Mutter und mich während meines Studiums in einem fremden Land zu verdienen. Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, solche einschneidende Erlebnisse zu beleuchten oder gar zu deuten, ich streife dies nur des Beispiels wegen. Ich betone auch, daß ich nicht generell spreche, sondern von dem Vorherrschen dieser Gesinnung, der ich auf Schritt und Tritt begegne.

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