6962282-1984_51_16.jpg
Digital In Arbeit

Ein Augenblick der Liebe

Werbung
Werbung
Werbung

„Schenken", sagt Mephisto in Goethes Faust, „das ist brav, da wird er reüssieren!" Ob er nicht auch hochzufrieden mit uns ist, wenn wir jetzt durch die Straßen eilen, arg im Streß, sorgsam abwägend, ob das Geschenk für diesen oder jenen auch genau so viel wert ist, wie das, was wir von ihm erwarten?

War da nicht eine Idee, die Liste einmal justament umzudrehen, die Kleinigkeiten wichtig zu nehmen, sich etwa den Kopf darüber zu zerbrechen, womit man der einsamen alten Dame im Hause eine Freude machen könnte, ohne sie in Verlegenheit zu bringen. Der jugoslawischen Hausmeisterin, deren Wohnung noch immer so feucht ist, könnte man mit einem richtigen Ofen und Heizmaterial vielleicht das Leben erleichtern. Oder sind das altmodische Sentimentalitäten, fällt uns gar niemand mehr ein, weil wir die Einsamen nicht mehr kennen, die wir über irgendein Konto dieser oder jener Organisation ja eh unterstützen? Wissen wir noch, wo die Hoffnungslosen und Kranken in unserer Stadt leben, die viel zu viel Zeit haben und vielleicht gerne einmal nur ein Stündlein mit jemandem reden würden?

Tatsächlich gehört schon einige Phantasie und Anstrengung dazu, herauszufinden wo die vielen Flüchtlinge aus Polen oder Rumänien eigentlich sind, deretwe-gen wir die Grenzen unseres Landes schließen mußten. Vielleicht aber kommt es darauf an. Zur Weihnachtsbotschaft nämlich scheinen mir die Traurigen besser zu passen, und selbst die Wirtschaft würde nicht darunter leiden, wenn wir jener gedächten, deren Bedarf gar nicht erst geweckt werden muß.

Wenn sich jeder Christ in dieser Stadt auf diese Weise ein wenig mehr anstrengte, änderte sich vielleicht auch die Qualität der Geschenke an die eigene Familie,, und die Geschäfte wären nach Weihnachten mit Umtauschen nicht mehr so belastet.

Die Autorin ist Wiener Korrespondentin des Ersten Deutschen Fernsehens (ARD).

Walter Koschatzky:

Wem zu Weihnachten man etwas schenken solle, diese mehrschichtige, sogar recht hintergründige Frage, macht die Antwort schwer. Vor allem, wenn man es sich leicht macht, wird es umso schwerer. Ich weiß schon, daß die zeitgemäße, beinahe schon modische, einzig mögliche Antwort wäre: Die Reichen haben eben die Armen zu beschenken, von der Industrie- und Konsumwelt hätten die Geschenke im Nord-Süd-Gefälle in die Dritte Welt zu fließen, und es ist ja gar kein Zweifel, daß die erschütternden Zustände dort ein einziger Schrei nach Hilfe sind. Mit einer solchen Antwort wäre man also richtig „in". Halten wir fest: Hilfe müßte unverzüglich und weltweit angegangen werden; in einer Welt von heute mit ihren organisatorischen und kommunikativen Möglichkeiten sollte dies auch rasch und wirkungsvoll möglich sein.

Aber dies ist es offenbar nicht, da ist nämlich einiges dagegen: eine Welt der widerstrebenden Mächte.

Mit Geschenken und persönlichen Opfern ist da kaum etwas getan; allein Forderungen mit Kraft und Entschiedenheit international durchzusetzen, wirtschaftliche und soziale Weltprogramme zu fassen und zu erzwingen, die Unruhestifter zu bewältigen, das Einende über dem Trennenden zu erreichen, wäre erfolgreich. Mit Wünschen und Gebenwollen, mit der idealen humanen Hoffnung

auf Liebe muß man zwar Ziele setzen, damit allein wird man sie aber nicht durchsitzen, und Schenken soll nicht heißen Verschenken, sonst wird alles Tun eben vertan.

Je näher von Mensch zu Mensch man schenkt - umso echter, wahrhafter und wertvoller wird es sein. Es müßte wieder, wie ehemals, klarer werden, daß Schenken nichts oder nur wenig mit materiellen Werten zu tun hat, mit Reizen von Luxusgütern, mit immer wieder neuen Gebrauchsgegenständen. Schenken sollte heißen: Vertrauen im engsten Kreis geben und es empfangen; Würde mit anderen im täglichen Leben wahren, unwandelbare Treue zu sich und zum Allernächsten; und Geborgenheit allen, die einem anvertraut sind. Da schenken, wo man sich täglich zu bewähren hat und da immer und stetig — dies wäre mein Wunsch. Krankt es doch heute im kleinsten Kreis genauso daran wie dort in der Dritten Welt. Dabei kommt es nur auf uns selbst an. Dies allerdings nicht nur unterm Weihnachtsbaum.

Der Autor ist Kunsthistoriker und Direktor der Albertina in Wien.

Norbert Leser:

Wenn ich gar manchen Menschen meines weitgestreuten Bekanntenkreises, der aber eben in der Regel bloß Bekannte und keine wirklichen guten Freunde umfaßt, deren man ja immer nur wenige hat, zu Weihnachten etwas schenken könnte und möchte, so wären es Bücher, wie die von Josef Pieper, die aus ihrer Alltäglichkeit aufrütteln und wenigstens in der Zeit der Feiertage etwas zur Besinnung bringen.

Leider macht die Tendenz, alles zu verdrängen und aus dem Bewußtsein zu löschen, was an dauernde Werte oder gar an den Tod, auf den wir alle zugehen, gemahnt, keineswegs vor den großen Festen des Kirchenjahres und auch nicht vor dem Weihnachtsfest halt, das dem zentralen Mysterium der Menschwerdung Gottes gewidmet ist. Die Feste des Kirchenjahres sind nicht nur Bestandteile des profanen und zivilen Kalenderjahres, mit dem unser Zeit- und Kräfteverfall einhergeht, sondern auch Elemente einer geschäftlichen und geschäftigen Wirklichkeit, die uns alle in Atem hält und nichts ausgespart läßt.

Und doch müßte es uns gelingen, diese Schallmauer der Isolierung von den tragenden und bergenden existentiellen Realitäten zu überspringen und wenigstens in den Feiertagen, die Tage der Stille und nicht der Betäubung sein sollten, ein wenig zu den verschütteten und verkrampften Herzen der Menschen vorzudringen.

Gezielte Worte, die dort ansetzen, wo der Angesprochene selbst im Aufbruch ist und das Unbefriedigende der Situation, in der er lebt, empfindet, können mitunter Wunder wirken: Worte Dritter, die als Botschaft an möglichst viele gedacht sind, aber auch eigene Worte, soferne sie durch existentiellen Ernst und Wert gedeckt sind und nicht bloß leere Worte darstellen, die man an Stelle echter Taten als Hülsen und Vertröstungen anbietet.

Die Pflege des kultivierten Gespräches, mit und ohne Medium der Literatur, ist noch immer das beste Mittel, um Menschen zu beglücken, sich und anderen einen Halt zu geben.

Der Autor ist Professor für Sozialphilosophie an der Universität Wien.

Dolf Lindner:

Weil zur Weihnacht der Menschheit der Heiland, der Erlöser, geschenkt wurde — artet das

nach bald zweitausend Jahren in Schenkorgien aus, nach dem Motto: Wer mehr schenkt, zählt mehr! Aus.

Die totale Verkennung der Situation, weil da aus einer Uberfülle Brosamen, welcher Art auch immer, den in Not geratenen Brüdern und Schwestern geholfen werden soll. Wo man hinsieht und hinhört, werden Aktionen des Schenkens gestartet (sogar mit Gewinnchancen!), meist mit Personenkult verbunden. Schenken und Geben aber sind keine Protzangelegenheiten - Schenken und Geben sind eine Gnade, eine innere Erlaubnis, die weder von Medien noch von staatlichen Stellen bedankt werden können; nur das Ich, und das gebende Herz, können da Befriedigung empfinden.

Welches Geschenk man Einzelmenschen oder Gruppen zukommen lassen sollte? Zuneigung, Menschlichkeit, ein gutes Wort, die Hand halten und vieles andere mehr. Dafür gibt es unzählige Menschen. Vielleicht sollte man auch im weitesten Sinn, an die Teilung des „Brotes" denken, für die, die hungern; das würde ihnen und uns selbst helfen.

Ein Wunsch für alle Weihnachten bis 2000: weniger reden - mehr schweigsames, doch umso wirkungsvolleres Tun; möglichst anonym!

Der Autor ist leitender Redakteur des ORF.

JörgMauthe:

Weihnachten? Die Selbstmordzahl wird wieder höher, die Einsamen werden noch einsamer sein, der Rummel noch lauter als in den letzten Jahren, das Gefühl, da irgend etwas Wichtiges wenn auch Unbeschreibbares verloren zu haben, peinigender denn je - für immer mehr Menschen wird Weihnacht zur schrecklichen Wein-Nacht, und dagegen hilft auch nicht der gute aber unbedarfte Rat, sich zurückzuziehen in die Stille; die gibt's ja auch kaum mehr oder nur zu Höchstpensionspreisen. Ich wollte, Weihnachten wäre schon vorüber und der Silvester auch. Der Autor ist Schriftsteller und Stadtrat in Wien.

Dieter Ronte:

Weihnachten als Zwangsvorstellung — jemandem etwas schenken zu müssen, habe ich mir abgewöhnt. Ich schenke auch während des Jahres.

Ich bin ein schlechter Schenker und zu Beschenkender. Habe ich alles, meine Familie, meine Freunde ebenso? Ja und nein. Der Wohlstand treibt die Geschenke in immer höhere Preiskategorien. Das ist falsch, bei aller möglicher wirtschaftlicher Notwendigkeit. Ich spreche deshalb gerne mit den „Betroffenen" im voraus, ich vermeide — aus Unsicherheit? — die unnötigen Uberraschungsge-schenke, obwohl ich selbst die Überraschung liebe.

Geschenke sind gemeinsame Stunden, Gespräche oder Dinge — der Wunsch danach baut sich langsam im Gespräch über das Jahr hin auf, konkretisiert sich allmählich, um zu Weihnachten realisiert zu werden: Ein Buch, Kunst, eine Schallplatte, eine Reise, ein Abendessen in einem Spezialitätenrestaurant, ein Theaterabend?

Geschenke sollen Bedürfnisse erfüllen, aber keinen oberflächli- > chen Reizungen nachgehen. Sie sollen Verbindungen vertiefen, sie sollen Zukunft gestalten, indem sie Gemeinsamkeiten aufbauen. Ein Geschenk trägt den Charakter gutgemeinter Komplizenschaft in sich, es muß das Besondere bleiben, es darf nicht die finanzielle Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen sein. Deshalb ist fast alles ein sinnvolles Geschenk, wenn es der anderen Person ebenso wie dem Schenker weiterhilft.

Der Autor ist Kunsthistoriker und Direktor des Museums Moderner Kunst in Wien.

Hans Strotzka:

Wenn ich mich frage, wodurch mein heutiges Alltagsleben sich vermutlich am meisten von früheren Generationen, in denen sich der Weihnachtsbrauch entwickelt hat, unterscheidet, dann ist es die globale Information. Früher

kannte man seine Familie und einen überschaubaren Kreis von Menschen. Schenken als Brauch zu dieser Zeit bezog sich daher darauf. Auch heute gilt dies noch für Kinder — hier ist Schenken eine unveränderte Priorität. Sind aber keine Kinder mehr in jenem Alter im Bezugsfeld, wo das eine Selbstverständlichkeit ist, dann stellen sich für den, der schenken kann, drei Möglichkeiten:

eine überraschende Freude im Kreis der Erwachsenen zu machen, denen man sich verbunden fühlt;

zu resignieren gegenüber der Geschäftigkeit und der Ubersättigung einer Konsumgesellschaft oder

nach den wirklich Bedürftigen zu suchen, denen man noch Sub-stanzielles sinnvoll geben kann.

Jeder kennt solche Menschen in seiner Umgebung, aber man ist eben durch diese globale Information konfrontiert mit unfaßbarer Not und Elend in weitesten Gebieten dieser gequälten Welt. Eine Aufzählung erübrigt sich, wir alle kennen eine endlose Liste von Schrecknissen.

Daß uns nicht ständig Wut und Empörung über diesen Zustand der Welt überwältigen, erklärt sich aus den unbewußten Selbstschutz- (Abwehr-) Mechanismen von Verdrängung und Verleugnung, die aber letztlich kollektiv gefährlich sind, weil sie zu einer kalten Abschirmung gegenüber diesem Zustand der Welt führen. Ein solches Verhalten muß sich aber sicher rächen.

Weihnachten wäre, wegen der emotionellen historischen Bedeutung dieses Datums, eine Verpflichtung, wenn man aus verschiedenen Gründen schon nicht eigenes persönliches Engagement schenken kann, dann wenigstens finanziell ein spürbares Opfer aus dem eigenen Uberfluß zu spenden. Wenn es gelingt, dabei ein persönliches Verbundenheitsgefühl zu erleben, dann scheint mir das sinnvoll.

Der Autor ist Psychologe und Vorstand des Institutes für Tierenpsychologie und Psychotherapie der Universität Wien.

Linde Waber:

Weihnachten ist ein Fest der Besinnung und des Uberdenkens!

Es gibt doch zu denken, daß ein zwölfjähriges Kind sich mit Benzin übergössen und schlechter Schulnoten wegen verbrannt hat.

Was ist das für eine Zeit, in der wir leben? Wo der Streß bereits die Kinder ergreift und sich niemand, der schulpflichtige Kinder hat, diesem Leistungszwang entziehen kann!

Ich wünsche allen Eltern dieser Kinder, die wegen unnötiger Dinge verzweifeln, sie mögen sich von Schuldgefühlen freisprechen. Denn es ist sicher nicht allein die Schuld einzelner Eltern, die einfach Pech haben, eine unglückliche Phase ihres Kindes nicht in ihrer Schwere zu erkennen. Es ist unsere Zeit, die uns seelisch krank macht, der Streß, die Leistung, die uns allen abverlangt wird. Und unsere Kinder leiden darunter.

Die Autorin ist akademische Malerin.

Eberhard Waechter:

Daß Weihnachten den eigentlichen christlichen Sinn verloren hat, wurde schon oft festgestellt. Es wäre also Zeit, nicht nur davon zu reden, sondern sich endlich zu Taten aufzuraffen.

Dieses Jahr haben mich die Berichte über die furchtbare Not in Äthiopien zutiefst beeindruckt. Jeder von uns sollte zur Linderung dieses Elends seinen Beitrag leisten. Ein sinnvolleres Weihnachtsgeschenk kann ich mir nicht vorstellen.

Der Autor ist Opernsänger und designierter Direktor der Volksoper.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung