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Auf Suche nach wahren Werten

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Wenn man sich vorstellt, wiedas tägliche Leben aus der Vogelperspektive betrachtet aussähe, drängt sich die Frage auf: Was macht den Menschen so hektisch, was veranlaßt ihn, von Station zu Station zu eilen, ja was sucht er denn eigentlich im Dickicht der Großstadt? Ist es das Geld, das nicht auf der Straße liegt, sind es die Dinge in den Schaufenstern der Geschäfte, ist es das gesellschaftliche Ansehen, dem so sehr gehuldigt wird? - Oder gibt es da nicht etwas ganz anderes - Größeres?

Die oft gegebene Antwort ist: „Ja, aber...“ - Und in diesem Moment müssen wir, das sind alle jenen jungen Leute, die sich ernsthaft Gedanken um ihr zukünftiges Leben und das ihrer Umwelt machen und diese auch in Taten umsetzen wollen, einhaken.

Der gegenwärtige materielle Wohlstand hat dazu geführt, daß der Mensch zunehmend müder geworden ist. Die gewisse „Sicherheit“ läßt jeden Umdenkversuch als unnötig, überflüssigerscheinen, weil „es uns ja eh’ so gut geht“ und niemand aus seinem scheinbar behaglichen Winterschlaf geweckt werden will.

Tauchen dennoch vereinzelt Probleme auf, so verweist der geübte Politiker auf vergangene große Leistungen und Fährt auf Beschwichtigungstour durch die Medienlandschaft. Der Künstler hingegen saugt sie in sich auf und bietet sie zur Lösung dem gemeinen Volk an. Freilich dringt er damit nur vereinzelt durch, weil er von den meisten Erwachsenen als übersensibilisierter Außenseiter angesehen wird. Aber er zählt zu den wenigen - neben manchen Priestern die uns noch Ideale vor Augen halten: Immerwährender Friede, erlösende Gerechtigkeit, brüderliche Umarmung, allesübertönende Liebe!

Jetzt wird wahrscheinlich vielen das Wort „Kitsch“ einfallen. Diese haben nicht ganz unrecht: Was unsere Konsumgesellschaft aus diesen Begriffen gemacht hat, läßt sich durchaus als Kitsch bezeichnen. Mich bestärkt aber dennoch die Überzeugung, daß viele junge Menschen auch heute diese Ideale zu schätzen wissen und ihnen nachstreben.

Leider stoßen wir dabei immer wieder auf Widerstände. Etwa in der Be- rufswelt, wo Wissen (nicht Bildung!), Durchsetzungsvermögen, Schlauheit bzw. Brutalität gefordert werden. Ich könnte mir endlich durchgreifende Berufsverbesserungen Tür Behinderte, alleinstehende Frauen, Strafentlassene, etc. vorstellen.

Aber auch im Privatbereich: Verbesserungen am Wohnungsmarkt, besonders Für junge Eheleute. Wer kann schon im Alter von etwa 22 Jahren eine sechsstellige Summe für eine anständige Wohnung aufbringen? Ich würde mir in sämtlichen Lebensbereichen mehr Verständnis und Hilfe für den Mitmenschen wünschen.

Es ist die große Chance der Jugend, aus den Fehlern der älteren Generationen zu lernen und zu beweisen, daß Ideale nicht unbedingt erst im Paradies beheimatet sind. Wir sollten uns öfter darauf besinnen, daß unser eigentümliches, geschenktes (!) Leben sehr wohl an dem berühmten „dünnen Faden“ hängt. Wir alle müssen uns bewußt darüber werden, was wirklich im Leben zählt.

Wem nützt denn die späte Erkenntnis, vom „eigentlichen“ Leben nichts gehabt zu haben? Können immer erst TodesFälle oder Katastrophenerschei nungen jene Stimmung in uns erzeugen, die die Dinge ins rechte Lot rupkt? In dieser Beziehung verlange ich von Vorgesetzten, Eltern, Prüfern und Politikern, ihre „Macht“ in der Weise zu benützen, daß sie ihren „Untergebenen“ ein gutes Beispiel sind und selbstzerstörenden Egoismus oder engstirniges Profitdenken zurückstellen.

Jeder Mensch könnte in seinem Lebensbereich genug tun, um einen Prozeß des Umdenkens auszulösen. Denn in jedem von uns schlummert „etwas Größeres“! Nur fehlt vielfach der Mut, sich zu den eigenen Fehlern zu bekennen und die Konsequenzen zu ziehen. Umzukehren.

Wenn man die Leute über ihre Vorstellungen vom Glück befragt, so herrscht in den Antworten größtenteils Einigkeit: Die Familie ist absoluter Spitzenreiter. Dort fühlt sich der Mensch geborgen, verstanden; die Fa milie gibt ihm das lebenserhaltende Gefühl, wichtig zu sein, gebraucht zu werden.

Und trotzdem geben die meisten Berufstätigen an, zu wenig Zeit Für die Familie zu haben? Mit anderen Worten: Zu wenig Zeit im Leben für Glück haben. Welch schrecklicher Gedanke! Welch zutiefst unmenschliches Handeln!

Wofür wird dann die Zeit vergeudet? Etwa für die Gesellschaft - Tummelplatz einander-übertreffen-wollender Zuchtmenschen? Was bietet denn diese „Gesellschaft“? (Ich denke da an Karl Kraus: „Gesellschaft: Es war alles da, was da sein muß und was sonst nicht wüßte, wozu das Dasein ist, wenn es nicht eben dazu wäre, daß man da ist.“)

Wenn also schon die Familie zum Teil für den Beruf geopfert wird, dann müßte doch in dem Beruf „etwas Größeres“ beinhaltet sein? Aber so mancher arbeitet nicht in der Absicht, dem Mitmenschen einen Dienst zu leisten, sondern mit dem Vorsatz, ihn zum Konsumieren zu verleiten. In dem Moment, in dem genügend Verbraucher den Kaufschilling auf den Ladentisch legen, ist das Produkt erfolgreich. Jede weitere Frage überflüssig.

Die meisten jungen Menschen wird so ein Gedankengang nicht befriedigen, zu durchsichtig und zu aufdringlich ist dieses Spiel mit den Lebensbedürfnissen. Denn die Anhäufung von materiellen Werten bedeutet ein Zunehmen der Probleme und ein Ablenken von wichtigen Dingen. Daß Geld Glück bringt, wird nicht erst seit heute bezweifelt.

Es läßt sich somit sagen, daß viele Tätigkeiten des Menschen nicht mehr als Ersatzhandlungen sind. Wenn jemand ausfällt, ist Ersatz notwendig. Aber können wir nicht durch kritisches Denken und verantwortungsvolles Handeln diesen „Ausfall“ verhindern? Hat nicht die zunehmende Reizüberflutung den Blick für den wahren Weg verwaschen? Es ist darum nicht verwunderlich, wenn die heutige Jugend auf der Suche nach den „wahren Werten“ ist und noch nicht bereit ist, Konzessionen einzugehen. Zumal ihrdieschlechten Protagonisten in der Erwachsenenwelt gar kein „sinnvolles“ Leben anbieten können.

Wenn wir aber konsequent in unserer Suche nach einem sinnvollen Weg weitergehen, um unsere Ziele zu verwirklichen, so wird in diesem Erfahrungsprozeß jenes Quantum an Lebensglück überbleiben, das einen Hauch von Wahrheit verheißt. Und wir können nachher sagen, diese Wahrheit, dieses „Größere“ intensiv verspürt zu haben. Bewahren wir uns die Hoffnung.

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