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Auf der Suche nach dem Glück: Grundwerte sind Grundelemente des menschlichen Zusammenlebens

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Die Diskussion um die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Grundwerten und menschlichem Glück hat nicht nur in Österreich einen lebhaften Verlauf genom men. Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte in ihrer Herbstvollversammlung in Fulda ein Hirtenschreiben, das wir hier auszugsweise wiedergeben.

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Die Diskussion um die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Grundwerten und menschlichem Glück hat nicht nur in Österreich einen lebhaften Verlauf genom men. Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte in ihrer Herbstvollversammlung in Fulda ein Hirtenschreiben, das wir hier auszugsweise wiedergeben.

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Aus dem Glauben wissen wir: Glück als Sinn des Lebens liegt im rechten Verhältnis der Menschen zu Gott. Das gerade kennzeichnet den Menschen: Er ist als Ebenbild Gottes geschaffen. Das bedeutet, in Beziehung zu diesem Gott stehen, zum Bund mit Gott fähig sein.

Wie aber kann der Mensch glücklich werden? Das liegt zu einem guten Teil bei ihm selbst, aber nicht bei ihm allein.

Nun gibt es Verhältnisse, die der einzelne nicht zu verantworten hat und die der Entfaltung des menschlichen Glücks entgegenstehen. Das ist etwa dort der Fall, wo die menschlichen Grundwerte nicht mehr genügend anerkannt oder mißachtet werden. Dabei können Zustände entstehen, die dem menschlichen Glück abträglich sind, weil der Mensch in seiner Würde nicht mehr anerkannt und gewürdigt wird.

In den letzten Jahren gab es über dieses Thema eine sehr lebhafte Diskussion. Die Mehrzahl der Äußerungen stimmten darin überein, daß Grundwerte, wie Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe, Wahrheit, Treue, Frieden weithin als Bausteine der Gesellschaft angesehen werden, und daß nur in einer solch menschenwürdigen Gesellschaft auch menschliches Glück wachsen kann.

Wie können Grundwerte heute im Leben des einzelnen verwirklicht und damit für Staat und Gesellschaft wirksam werden? Die Tugenden, die im folgenden genannt werden, haben sich in der Geschichte der Menschheit als Voraussetzungen menschlicher Lebenserfüllung bewährt. Wer es wagt, diesen Weg zu gehen, wird in seinem Leben nicht eingeengt und unfrei. Er befreit sich aus Zögern und ohnmächtiger Tatenlosigkeit zu einem Lebensstil, der ihm selbst und anderen das Glück erschließt.

Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß sind mehr als nur Stichworte in einem Verhaltenskatalog für den fairen, humanen Bürger. Sie sind verankert in der menschlichen Natur. Wir finden diese Tugenden auch bei Menschen, die Christus nicht kennen. Doch Glaube, Hoffnung und Liebe sind ihre eigentliche Kraftquelle.

In allen Jahrhunderten standen Menschen vor der persönlichen Entscheidung, ihrem Gewissen zu folgen oder nicht. Diese harte Entscheidung wird uns von keinem noch so perfekten Informationssystem abgenommen. Hier einige Beispiele:

• Konflikt zwischen Eltern und Kindern: Werden die Beteiligten sich so entscheiden, wie es augenblicklich Zorn und Betroffenheit nahelegen? Oder versuchen beide Teile, auch die Situation des anderen zu verstehen und nach einer Versöhnung in Liebe zu suchen?

• Krise in der Ehe: Drängen bittere Erfahrungen zum Kurzschluß der Scheidung oder bedenken beide Partner Gottes Gebot, die eigene Unzulänglichkeit und das Schicksal der Kinder und wagen einen neuen Anfang ohne Illusionen?

• Teilnahme am Konsum: Hat einer nur die Vermehrung seines Wohlstandes im Blick, seinen Vorteil, gleich, ob er dabei andere rücksichtslos benachteiligt? Oder behält er das Augenmaß, den materiellen Besitz nicht zu überschützen und das Wohl des Nächsten zu achten?

• Politisches und kirchliches E

ent: Will man bequem alles beim Alten lassen? Genügt es, hinter Parolen herzulaufen und Treibsand in einem Sturm zu sein, dessen Herkunft man nicht kennt? Muß nicht, wer Veränderungen fordert, ernst prüfen, ob seine Ansprüche an Staat, Gesellschaft und Kirche nicht nur aus utopischen Träumen bestehen? Ist er bereit, sich selbst zu ändern? Die Verhältnisse so zu ändern, wie es spätmarxistischen Revolutionären in Universitäten, Schulen und Massenmedien vorschwebt, führt nicht zum Glück, sondern nur zu noch unmenschlicheren Zwängen.

Thomas von Aquin hat diese Verhaltensweise die Klugheit genannt. Gilt aber nicht nach heutigem Sprachgebrauch der als klug, der die Dinge so zurechtbiegt, daß sie seinen Absichten entsprechen? Wird nicht oft mit Klugheit jene Schläue bezeichnet, die sich um des Vorteils willen anpaßt?

Das Vorbild heiliger Me

diesen Irrtum zurechtzurük- ken. Sie lebten und handelten im Wissen und im Maßnehmen an der Wirklichkeit Dieses Wissen und Entsprechen galt nicht nur der Wirklichkeit des Augenblicks, sondern reichte tiefer: bis zur Wirklichkeit Gottes. Denn zur Wirklichkeit gehören nicht nur wir selber, sondern auch die Welt und der sich in der Schöpfung und in Christus offenbarende Gott.

Leider ist der Begriff „Gewissen“ oft hur als „schlechtes Gewissen“ geläufig. Gott hat jedem von uns vor allem ein Gewissen gegeben, das zum Gu

und vom Bösen ab rät, wenn wir vor Entscheidungen stehen. Man kann dieses Gewissen unterdrücken und immer mehr verkümmern lassen. Dem aber, der sich redlich bemüht, in Klugheit sich ein begründetes Urteil zu bilden und ihm zu folgen, wird es zum tiefen Glück des wahrhaft guten Gewissens werden.

Ein Philosoph unserer Zeit hat formuliert: „Der Christ ist klug, er läßt sich den Blick für die Wirklichkeit nicht trüben durch das Ja oder Nein des Willens, sondern er macht das Ja oder Nein des Willens abhängig von der Wahrheit der wirklichen Dinge.“

Solche Klugheit ist die Mutter aller Tugenden. Wer nicht weiß, wie sich die Dinge wirklich verhalten, der kann auch nicht das der Wirklichkeit Gemäße tun, das Gute. Nur der ist überhaupt fähig, gut zu sein, der Selbsttäuschung und Unsachlichkeit überwindet und immer entschiedener das tut, was ihm die Klugheit als gut für

nes und der anderen Leben erkennen läßt. Alle Sünde ist unklug, weil sie letztlich dem Menschen schadet, auch schon in dieser Welt.

Es ist erfreulich, daß der Begriff „Gerechtigkeit“ in unseren Tagen neuen Klang gewonnen hat. Die Sehnsucht und der Ruf nach Gerechtigkeit und damit nach den Menschenrechten werden überall stärker. Das gilt auch dort, wo Diktaturen meinen, zugunsten kommunistischer oder nationalistischer Utopien die Rechte ihrer Bürger mißachten und die Freiheit unterdrücken zu können. In Europa wächst nicht zuletzt unter der Jugend das Bewußtsein der Mitverantwortung für die Menschenwürde auf der ganzen Welt.

Wer Gerechtigkeit fordert, muß sich um Respekt und Achtung vor den Menschen und ihren Belangen bemühen. Mehr als das Reden über die Gerechtigkeit helfen uns die Taten vieler gerechter Menschen. Ein Sozialsystem, das in einer perfekten Planung jedem das ihm Zustehende unbestechlich zuteilen würde, erstarrte letztlich in unerträglicher Kälte, würden sich die darin Lebenden nicht gegenseitig Gerechtigkeit gewähren.

Die Heilige Schrift versteht unter dem „Gerechten“ den guten Menschen. „Gerecht“ und „gut“ meint die-

selbe menschliche Haltung. Hier wird kein für den einfachen Menschen unerfüllbarer Anspruch gestellt. Hier geht es um sehr schlichte Entscheidungen im Alltag. Einige Beispiele:

• Es wäre ein Irrtum, die Beziehungen zwischen Mann und Frau nur an den Maßstäben bürgerlicher Anständigkeit zu messen. Die Ehrfurcht des einen Partners vor der in Gott gegründeten Personenwürde des anderen gehört unabdingbar dazu.

• Es wäre zu wenig, sich darum zu sorgen, daß die Gastarbeiter nicht schamlos ausgenutzt werden, daß sie anständige Wohnungen und den zustehenden Lohn bekommen. Vor allem brauchen sie den verständnisvollen Kollegen am Arbeitsplatz, die herzliche Aufnahme in der Pfarrgemeinde, die gute Nachbarschaft, die Erfahrung, daß man ihrem Anspruch, Christ unter Christen zu sein, gerecht zu werden sucht.

• Es wäre zu wenig, für den alten

Menschen funktionierende Altersheime zu organisieren. Sie können zur kahlen Vorkammer des Todes werden, wenn in ihnen nur Sozialrecht realisiert wird, während die lebendigen Beziehungen zu den Nachkommen zerschnitten sind. Jeder sollte im Einzelfall sorgsam prüfen, ob es nicht doch möglich ist, den alten Eltern durch einen Lebensabend in der Familie ein wenig zu danken.

Die Tugend der Gerechtigkeit ist nicht eine Nachahmung der Justiz des Staates im privaten Bereich. Sie beauftragt nicht zu verurteilen, sondern bei den unzähligen Begegnungen des Alltags in Erfüllung der Liebe zu Gott und den Nächsten wahrhaft gerecht, also gut zum andern zu sein. Solche Haltung übersieht nicht die Normen. Sie äußert sich in einer Güte, die versucht, aus der Liebe Jesu Christi heraus zu handeln.

Es ist durchaus nicht ehrenrührig, Nachteile zu vermeiden und Vorteüe zu suchen. Wie sollten wir leben, würden wir jedem Erfolg aus dem Wege gehen und jedem Mißerfolg nachlaufen? Aber es gibt Entscheidungen, vor denen die Klugheit informiert, daß sie äußere Nachteile mit sich bringen können. Waghalsigkeit, Draufgängertum und Risikobereitschaft wachsen aus sehr vordergründigen Motiven, wenn sie nur der Sensation, dem Geltungsbedürfnis oder der eigenen Selbstbestätigung dienen.

Echte Tapferkeit ist jene Tugend, die bewußt auch dann Gerechtes und G

es tut, wenn’vorauszusehen ist, daß das äußere Nachteile bringt:

• Tapfer ist der Lebensretter, der dem Ertrinkenden trotz eigener Gefährdung beispringt.

• Tapfer ist der junge Mann, der im totalitären Staat seiner Kirche die Treue hält, obwohl ihm dadurch jede Möglichkeit eines beruflichen Aufstiegs verschlossen bleibt.

• Tapfer ist die werdende Mutter, die zum Leben ihres ungeborenen Kindes steht, trotz der Probleme, die dadurch auf sie zukommen.

Damit aber sind doch auch Voraussetzungen gegeben für ein besseres Verstehen der christlichen Kunst, zuchtvoll zu leben. Zuerst sollten wir Abschied nehmen von einem weitverbreiteten Zerrbild christlicher Askese. Es hat viel Schaden angerichtet. Darin wurde der Eindruck erweckt, als wäre es Gott wohlgefällig, wenn der Mensch seinen Leib bis zur Zerstörung der Gesundheit drangsaliert, um Verdienste zu sammeln. Die klassiche Lehre der Kirche sagt: Der Christ hält Maß, er läßt es nicht zu, daß sein Habenwollen und sein Genießenwollen zerstörerisch und wesenswidrig yird.

Damit wird klar, daß die Tugend von Zucht und Maß Bereitschaft bedeutet, auf das zu verzichten, was uns selbst oder anderen schadet und darum Unrecht wäre. Solche Haltung entspricht dem Willen Gottes und wird an vielen Stellen der Heiligen Schrift verkündet. Sie bedarf einer regelmäßigen Einübung.

Zucht und Maß sind eine Tugend, die keinen Beifall der Öffentlichkeit nötig hat. Auch wenn Maßlosigkeit,Verschwendung und Luxus fast täglich der allgemeinen Bewunderung zur Schau gestellt werden, gibt es viele Menschen unter uns, die im Verzicht einen Weg gehen, der sie den Sinn ihres Lebens in der Hilfe für die Gesellschaft besser erkennen läßt.

• Frauen und Männer, die sich innerhalb und außerhalb der Ehe zur Keuschheit bekennen, weil sie erkannt haben, daß sie Voraussetzung einer gesunden Geschlechtlichkeit ist und Resultat der Achtung vor dem anderen, wogegen Zügellosigkeit und Rücksichtslosigkeit die Begegnung der Geschlechter scheitern lassen, weil sie die Liebe verletzen.

• Frauen und Männer, in deren Ehe das Kind willkommen ist, obwohl sie wissen, daß sie damit auf einen hohen Lebensstandard verzichten müssen,

• Frauen und Männer, die ihr ganzes Leben dem Dienst an Kranken, Alten und Verlassenen widmen; die auf Stunden der Freizeit verzichten, um in karitativen und sozialen Institutionen tätig zu sein,

1 Frauen und Männer, die sich nicht für Almosen, sondern für einen spürbaren finanziellen Verzicht entscheiden, damit Hilfswerke in Katastrophengebieten der Dritten Welt helfen können.

Gerade das wachsende Interesse an den Problemen der Entwicklungsländer, an den Fragen des Umweltschutzes und an den Sorgen um den Energiehaushalt der Welt haben die Erkenntnis gefördert, daß Heil oder Unheil der Zukunft davon abhängen, ob in der Menschheit jene Tugend neu Gestalt gewinnt, die im Respekt vor der Würde des anderen die eigenen Bedürfnisse einschränkt.

Der moderne Mensch hat eine Abneigung gegen jeden Wunsch, seine Freiheit durch enge Verhaltensnormen einschränken zu lassen. Er sträubt sich, auf die ausgetretenen Pfade uneinsichtiger Lebensregeln gestoßen zu werden.

Die Tugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß sind kein Katalog privaten, bürgerlichen Wohlverhaltens. Sie sind das Äußerste, das ein Mensch im natürlichen und übernatürlichen Bereich sein kann. Sie können freimachen für die dauerride Freude für das unzerstörbare Glück.

Der erste Teil des Wortes „Kardinaltugenden“ kommt von dem lateinischen „cardo“, die Türangel. Wie sich eine Tür in ihren Angeln dreht, dreht sich das Viele, was uns das Leben als Christen und Menschen abfordert, um diese vier Grundtugenden. Um sie dreht sich die Tür, die dem einzelnen, aber auch der Gemeinschaft und den Völkern den Zugang zu Frieden, Freiheit und Menschenwürde öffnet.

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