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Umwelt durch Umkehr retten

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„Macht euch die Erde untertan.“ Gilt dieser Auftrag heute noch? Wurde er überbetont, einseitig interpretiert? Welchen Ausweg aus dem Fortschrittstrott sieht ein Moraltheologe?

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„Macht euch die Erde untertan.“ Gilt dieser Auftrag heute noch? Wurde er überbetont, einseitig interpretiert? Welchen Ausweg aus dem Fortschrittstrott sieht ein Moraltheologe?

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Heute erscheint in vielfacher Weise ein Aufbruch zu neuen Gestaden und Zielen in unserer Gesellschaft erforderlich. Es mag dies ein Weg durch eine Wüste eines beschwerlicheren und vielleicht einfacheren Lebens werden. Aber ohne ihn lassen sich die anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben nicht lösen, erst recht nicht, wenn man auch die Verantwortung für die armen Völker der Dritten Welt zu übernehmen bereit ist.

Was bisher geschah, war mehr oder weniger nur das Kurieren an Symptomen oder die Abschiebung der Verantwortung auf andere. Es reicht heute nicht mehr aus, die Mißstände in der Gesellschaft, die Zerstörung der Umwelt und das rücksichtslose Dahinleben ohne Verantwortung für die nachkommende Generation bewußt zu machen und über solche Mißstände zu klagen.

Vielmehr ist jeder aufgerufen, seinerseits aktiv mit beizutragen zur Behebung der anstehenden Mißstände.

Heute begegnet man erneut dem Ruf „Zurück zur Natur“. Dieser Ruf darf jedoch nicht als naive Rückkehr zu einer noch unberührten Natur verstanden werden. Denn Eingriffe in die Natur sind und bleiben für das Leben und Überleben des Menschen notwendig. Doch ist jede willkürliche Manipulation, ein Umgehen mit naturalen Kräften im Sinne ziellosen Experimentierens, ein Widerspruch gegen die dem Menschen zugewiesene Aufgabe, den Garten Eden weiterhin zu bebauen und lebensfähig zu halten.

Fragt man nach den Ursprüngen des verengten anthropologischen Verständnisses dieser unserer Schöpfung auf Kosten der Natur, so dürfte die Akzentuierung des Menschen und seines Heiles durch die Christologie insofern mit Schuld daran tragen, daß das menschliche Heilsgeschehen in einseitiger Weise in den Vordergrund des christlichen Interesses rückte.

Gleichzeitig übersah man, daß Jesus auch vom „neuen Himmel“ und von der „neuen Erde“, also von „Neuschöpfung“ gesprochen hat. Diese Neuschöpfung aber bezieht sich nicht nur auf das durch die Taufe gegebene neue Gnadenleben des Menschen, sondern beinhaltet letztlich auch ein neues Verhältnis des Menschen zu dieser Natur.

Insofern müßte auch heute eine Theologie wieder die im christlichen, aber auch im außerchristlichen Bereich vorgenommene Wertschätzung der naturalen Gegebenheiten unserer Schöpfung neu entdecken: die Symbole und Mythen, die Ausdruck der Ehrfurcht des Menschen vor den Gegebenheiten der Natur sind.

Heute ist es höchste Zeit, daß der verhängnisvolle Mechanismus einer Ausbeutung der Natur zum Zwecke der Produktionssteigerung mit der Folge einer Schädigung und Zerstörung der Natur durchbrochen wird. Produzenten und Konsumenten sind hier zu einer Neubesinnung aufgerufen. Für den Konsumenten verlangt dies eine kritische Sichtung dessen, was zum Leben erforderlich erscheint und was nicht. Eine gewisse Askese des Konsumverzichtes um des Umweltschutzes willen ist heute gefordert.

Nur wenn eine große Zahl von Verbrauchern persönlich bereit ist, auf Konsumwachstum bei jenen Gütern zu verzichten, die wirklich überflüssig, völliger Luxus oder gar unsinnig sind, wird menschliches Leben an Qualität nicht verlieren, sondern gewinnen.

Der Christ sollte sich zum Anwalt für einen alternativen Lebensstil machen. Ein solcher besteht nicht so sehr im Rückgriff auf „naturreine“ Nahrungsmittel, sondern vielmehr in der Korrektur bestimmter menschlicher Einstellungen. Nicht die materiellen Werte sind für das Glücken unseres Lebens entscheidend, sondern die personalen zwischenmenschlichen Beziehungen.

Heute bedarf es mehr denn je innerhalb der Gesellschaft eines größeren Vertrauens, partnerschaftlicher Zusammenarbeit, eines brüderlichen Miteinanders, einer Einübung in freigewählter Askese um der inneren Freiheit willen.

Hier könnten die sogenannten „Evangelischen Räte“ wieder neu an Bedeutung gewinnen: die freigewählte Armut, der freigewählte Verzicht auf Ehe und das Angebot des Gehorsams in einer besonderen Form einer Ordensgemeinschaft.

In unserer Zeit erscheint gerade das Streben nach Besitz sehr stark ausgeprägt. In zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Besitzenden und Besitzlosen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, reichen und armen Völkern, kommt in entlarvender Weise zum Ausdruck, wie stark menschliches Zusammenleben durch Habsucht und Raffgier gestört werden kann.

Wo einige Menschen freiwillig in diesen drei Bereichen einen deutlichen und spürbaren Verzicht leisten, der nicht nur Ausgleich für das Übermaß im Entfalten dieser Grundtriebe sein will, sondern zugleich auch andere Menschen auf die Radikalität der Botschaft Jesu aufmerksam machen soll, wird ein Beitrag zu einem alternativen Leben geleistet.

Die evangelische Tugend der Armut macht jene, die sie frei wählen, praktisch solidarisch mit jenen, für die die Armut nicht Tugend, sondern Not und gesellschaftliche Zumutung bleibt. Heute würde einer so geforderten evangelischen Armut ein bescheidenerer Lebensstil entsprechen. In Kleidung, Wohnung und Erholung gibt jeder übertriebene Aufwand Ärgernis. Diese Einfachheit und Bescheidung sollte das Leben der Christen bestimmen.

Askese meint nicht so sehr Verzicht, sondern Einübung von Freiheit. Gegenüber einer Konsumwerbung, die dem Menschen die Erfüllung der zuvor geweckten Bedürfnisse anpreist, sollte uns wieder der positive Wert der Grenze bewußt werden. Wer nie gelernt hat, sich selbst Grenzen zu setzen und an Grenzen zu wachsen, dem fehlt später auch die Kraft, in den Schwierigkeiten des Lebens durchzuhalten.

Wir brauchen auch ein neues positives Verhältnis zur Arbeit. Sie sollte nicht nur „Job“ sein, Glück nicht nur in die Freizeit verlagert werden. Wenn ein Großteil der Berufstätigen keinerlei Verhältnis mehr zu seiner Arbeit hat, dann ist es ihnen auch gleich, ob sie Sinnvolles oder Unsinniges, Nahrungsmittel, Spielzeug oder Bomben produzieren.

Schließlich geht es um ein neues Verhältnis zur Zeit. Zwischenmenschliche Beziehungen können nur gedeihen, wenn man sich füreinander Zeit nimmt. Wo ein solches füreinander Dasein unser ansonsten hektisches Leben noch trägt, wird — wenn auch nur an einer winzigen Stelle — ein Stück Lebensqualität geschaffen, kann Leben wieder Sinn erfahren. Von der urchristlichen Gemeinde wurde von seiten der Heiden nicht die Lehre oder der Kult als Auffälligstes festgestellt, sondern, daß sie anders lebten.

Der Autor ist Professor für Moraltheologie in München. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Vortrag „Gilt heute noch: Macht euch die Erde untertan?“ vor dem Verband Katholischer Verleger und Buchhändler in Bamberg.

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