6615237-1955_27_07.jpg
Digital In Arbeit

Familie und Schule

Werbung
Werbung
Werbung

In der natürlichen Schöpfungsordnung bildet die Familie einen wichtigen Faktor, dem die für die Erhaltung des Menschengeschlechts wesentliche Aufgabe der Zeugung und Erziehung von Kindern zukommt. Die Familie ist somit tief in der Ordnung des Seins gegründet. Sie ist eine natürliche, eine wahre Gemeinschaft, welche der Entstehung sowohl als auch der Idee nach früher ist als jede andere Gemeinschaft. Sie besteht vor allem auch unabhängig vom Staate, da sie nicht in der Ordnung des Staates, sondern direkt in derhöheren Ordnung des Seins verankert ist. Sie bedarf des Staates nur insoweit, als sie allein nicht imstande ist, den Zweck, den sie in sich trägt, voll zu verwirklichen, sondern hiezu den Schutz und die. Mitwirkung anderer Sozialverbände anrufen muß.

Das moderne Gesellschaftsleben hat es allerdings mit sich gebracht, daß heute die Mitwir-wirkung des Staates bei zahlreichen Aufgaben, die in früheren Zeiten ausschließlich der Familie vorbehalten waren, in Erscheinung tritt. Dabei schaltet sich die staatliche Gewalt im Werdegang des Menschen bei zunehmendem Alter in stets wachsendem Maße ein. Verfolgt man nämlich den Lebenslauf des Menschen von seiner Geburt an, so stellt sich uns wohl auch heute noch die Familie als die physische Werde- und Pflegestätte des Kindes dar. Das menschliche Kind, das weit länger als die Jungen der Tiere in hilfloser Bedürftigkeit verbleibt, erhält in der Familie die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse innerhalb eines eng verbundenen Kreises von Personen, die ihm von Anfang an in liebevoller Zuneigung zugetan sind.

Das Eltern-Kind-Verhältnis erschöpft sich jedoch keineswegs in der Befriedigung der bloß materiellen Lebensbedürfnisse des Kindes; es ist weitaus tiefgründiger und vielfältiger, weil zwischen Eltern und Kind nicht nur eine naturhafte, sondern auch eine geistige Beziehung besteht. Es ist nämlich die Familie auch die erste naturgemäße Bildungsstätte des jungen Menschen, und zwar nicht etwa nur nach der katholischen Sittenlehre, sondern nach der Vorstellung aller Menschen, die sich noch einen natürlichen Sinn für das Wesen des Eltern-Kind-Verhältnisses bewahrt haben.

Es ist ja auch naheliegend, daß die Eltern, die dem Kinde naturhaft am nächsten stehen und seine Eigenheiten und Wesenszüge am besten kennen, vor allen anderen dazu berufen sind, Erzieher ihrer Kinder zu sein, da sie eben kraft ihres natürlichen Zusammenhanges mit den Nachkommen in hervorragendem Maße die erzieherischen Fähigkeiten der Einsicht und des Verständnisses gegenüber ihren Kindern besitzen, die neben der elterlichen Liebe und Sorgfalt durch keine noch so ausgezeichnete Schule und Erziehungsanstalt ersetzt werden können.

Jede Rechtsordnung, welche ihren Zusammenhang mit dem Naturrechte noch bewahrt hat, hat darum in ihren Normen stets mit unmißverständlicher Deutlichkeit auch das Erziehungsrecht der Eltern gegenüber ihren Kindern festgelegt. Dies tat zum Beispiel auch unser noch durchwegs auf naturrechtlicher Grundlage aufgebautes Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, als es in 139 bestimmte: „Die Eltern haben die Verbindlichkeit, ihre ehelichen Kinder zu erziehen, das ist für ihr Leben und für ihre Gesundheit zu sorgen, ihnen den anständigen Unterhalt zu verschaffen, ihre körperlichen und Geisteskräfte zu entwickeln und durch Unterricht in der Religion und in nützlichen Kenntnissen den Grund zu ihrer künftigen Wohlfahrt zu legen.“

Auch sonst blieb in der historischen Entwicklung den Eltern überall die Erziehung der Jugend überlassen, solange das politische und wirtschaftliche Leben der Völker sich noch in einfachen Formen bewegte. Als aber mit der fortschreitenden Kultur der Wissensstoff sich ständig vermehrte und die Lebensverhältnisse immer komplizierter wurden, da wurden auch die Aufgaben der Erziehung immer schwieriger, so daß sie nur noch von geschulten Kräften bewältigt werden konnten. Nun begannen der Staat, die Kirche und andere Gemeinwesen-(wie zum Beispiel die städtischen Zünfte) sich für die Ausbildung der Jugend zu interessieren und systematisch ein Schulwesen aufzubauen. Dabei erwiesen sich diese Erziehungsanstalten von allem Anfang an kraft ihrer rationellen Organisation gegenüber der elterlichen Erziehung überlegen, ohne daß sich daraus zunächst eine Spannung gegenüber dem Elternhaus ergeben hätte. Standen doch damals Staat, Kirche und Familie bei der Einheit der Weltanschauung noch in einem gewissen harmonischen Zusammenhang. Es gab keine ernsten weltanschaulichen Differenzen und es existierte auch noch kein Schulzwang.

Erst im Verlaufe der Geschichte wurde dann das Verhältnis zwischen Eltern und Schule getrübt, insbesondere, als im 18. 'Jahrhundert der Staat als absoluter Schulherr auftrat und den allgemeinen Schulzwang einführte. Jetzt erst fühlten sich die Eltern in ihrem natürlichen Erziehungsrecht beeinträchtigt und empfanden die gesetzliche Nötigung, ihre Kinder einfach in die nächste, örtlich zuständige Volksschule schicken zu müssen, als einen gegen das Naturrecht verstoßenden Eingriff in ihre Elternrechte.

Solange es allerdings noch ein seelisch wie materiell gefestigtes Familienleben gab, konnte selbst dieser Zustand noch einigermaßen hingenommen werden, weil die Eltern noch ausreichend Gelegenheit hatten, weltanschaulich verderblichen Einflüssen des staatlichen Unterrichts durch ausgiebige häusliche Erziehung entsprechend entgegenzuwirken und so die christliche Bildungstradition ihren Kindern weiter zu vermitteln.

Das änderte sich jedoch vollkommen in den letzten Jahrzehnten, da im Zuge einer eigenartigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung die Familie in ihren seelischen und materiellen Grundlagen zutiefst erschüttert wurde, wodurch auch die erzieherischen Möglichkeiten des Elternhauses eine wesentliche Einschränkung erfuhren. Reichen doch heute Kraft und Fähigkeit der Eltern vielfach nicht mehr weit über Zeugung, Geburt und ersten Unterhalt des Kindes hinaus. Viele Kinder vermögen durch ihr Elternhaus fast nur noch in den primitivsten Bedürfnissen befriedigt zu werden, wobei die geistig-seelische Bildung fast völlig verdorrt.

Diese wirtschaftlich und soziologisch bedingte Erziehungsnot führt immer mehr zu einer pädagogischen Sozialisierung. Man erachtet es in zunehmendem Maße als öffentliche Aufgabe, daß die Schule der Gemeinde und des Staates auch die vernachlässigten Erziehungspflichten der Eltern auf sich nehme. Darum will auch die Volksschule von heute wesentlich mehr als früher der Persönlichkeitsentfaltung dienen und damit zum großen Teil Aufgaben erfüllen, deren Bewältigung natürliches Recht und natürliche Pflicht der Eltern wäre. Diese Erscheinung ist jedoch nichts anderes als eine Folge der schweren Krise, in die der Geist unserer Zeit die Familie gestürzt hat. Es ist eine die Familie in ihrer ganzen Totalität erschütternde Krise, die sich eben nicht nur sittlich durch Ehezerrüttung und wirtschaftlich durch materielle Not, sondern auch durch die Schwächung der Fähigkeit auswirkt, den Pflichten der häuslichen Kinderei Ziehung voll nachzukommen.

Darin ist jedoch nur ein augenblicklicher Notstand zu sehen, der keineswegs dazu führen darf, die Eltern ihres Rechtes auf Erziehung ihrer Kinder zu berauben. Denn die Familie darf niemals aufhören, die natürliche Grundlage aller Menschenerziehung zu sein, auf der die Schule immer nur fortzubauen hat.

Nach der natürlichen Seinsordnung steht also den Eltern immer das ursprüngliche Erziehungsrecht zu, während der Staat nur ein abgeleitetes Erziehungsrecht besitzt. Die Schule darf daher nicht reine Staatsanstalt sein, sondern nur Hilfsanstalt des Elternhauses. Auf diesem Verhältnis zwischen Familie und Schule basiert das .Elternrecht“ im engeren Sinne, nämlich der Anspruch der Eltern, auf die Gestaltung der staatlichen Bildungsorganisation entscheidend Einfluß zu nehmen. Denn alle öffentliche Erziehung, die sich .ja von dem primären elterlichen Erziehungsrecht herleitet, wird gewissermaßen nur im Namen der Eltern ausgeübt. Verantwortungsbewußten Eltern kann es aber niemals gleichgültig sein, in welcher Art und Weise diese Erziehungsmacht in ihrem Namen gehandhabt wird. Ist doch gerade heutzutage die elterliche Sorge, ob ihren Kindern in der Schule auch wirklich die richtige Erziehung zuteil wird, nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ins Ungeheure gewachsen, zumal die Not der Zeit das eigene erzieherische Wirken der Eltern auf ein Minimum eingeschränkt hat, so daß sie einen Großteil der Erziehungsarbeit der Schule überlassen müssen, wobei jedoch die sittliche Verantwortung für das Gelingen des Erziehungswerkes als natürliche Pflicht weiterhin auf den Eltern lastet. Handelt es sich aber um Eltern, deren Leben in der natürlichen Seinsordnung fest gegründet ist, so wissen sie auch, daß das Erziehungsgeschäft eine sittliche Aufgabe ist, die nur aus einer sittlichen Weltanschauung heraus gelöst werden kann und darf. Aus dieser Situation ergibt sich aber zwangsläufig die hohe Aktualität der Forderung katholischer Eltern nach einer k a t h o 1 i-schenSchule.

Freilich stößt dieses Verlangen heute außerhalb des Kreises der kirchlich Gesinnten auf schwerstes Mißverständnis. Leben wir doch heute in einer weithin entchristlichten Welt, die nicht mehr verstehen kann, daß es sich hier keineswegs um irgendeinen staatspolitischen Machtanspruch, sondern um ein echt christliches Anliegen handelt, das um so dringender wird, ie größer die Zahl der Menschen ist, welche in tiefem seelischem Elend leben, weil sie für den wahren Sinn der Seins-ordmmg nicht mehr die Spur eines Verständnisses aufzubringen vermögen. In solcher Welt ist es dem gläubigen Christen eine erschreckende Vorstellung, fürchten zu müssen, daß seinen Kindern die höchsten Werte menschlicher Bildung nicht zuteil werden sollen; daß ihnen etwa die Großartigkeit des Schöpfungsberichtes vorenthalten würde oder daß ihnen die imposante Einheit des abendländischen Weltbildes nicht dargestellt werde, zu dem Plato und Aristoteles, die Offenbarung des Neuen Testaments, die griechische Stoa, die Lehren der Kirchenväter Augustinus und Thomas von Aquin und die Weisheit unzähliger Heiliger und Denker beigetragen haben. Sollen unsere Kinder statt der echten christlichen Lehre bloß einen säkularisierten Extrakt zweiter und dritter Güte vorgesetzt bekommen? Sollen sie anstatt der ew;gen göttlichen Ideen bloß zeitgebundene menschliche Idole verehren? Soll ihnen nur eine minderwertige Welt des Scheins an Stelle der vollkommenen Welt des Seins geboten werden?

Auf diese Fragen kann es nur ein entschiedenes „Nein“ geben. Eine Bildung, der die letzten Wahrheiten unbekannt sind, ist für den gläubigen Christen völlig unbrauchbar. Ihm ist Religion die Grundlage und das Zentrum des Lebens und nicht etwa bloß ein Lebensbezirk neben anderen, dem man im Unterricht eine von der sonstigen Erziehung völlig isolierte Wochenstunde zuweist. Denn alle großen Fragen haben einen religiösen Untergrund, auch wenn viele Menschen dies nicht wahrhaben wollen Unzählige Denker haben iedoch in ununterbrochener Tradition zu allen Zeiten der Menschheit die maßgebende Bedeutung der Religion verkündet, die alle Lebensgebiete durchwirkt und dem Menschen durch die Rückver-bindung mit Gott die Möglichkeit zu höchster Vollendung bietet

Uebrigens schreit die Zerrissenheit des modernen Geisteslebens ee-radezu nach einer solchen umfassenden Funda-mentierung des menschlichen Bildungswesens. 'Ist doch unserer Zeit unter vielen Aufgaben auch jene gestellt, das übertriebene Spezialistentum in den Wissenschaften zu überwinden und

wiederum eine Art Universitas litte-rarum aufzurichten. Dazu sind heute aber nur die Katholiken imstande, da sie allein ein geschlossenes System von Prinzipien besitzen, nach denen sie ihr Privatleben einzurichten und die Gesellschaft zu organisieren vermögen. Nur sie verfügen über jene Einheitlichkeit des Weltbildes, in dem alles belebte und unbelebte Wesen seinen Sinn und seinen Zweck, sein Maß und seine Ordnung hat. Dieses Bild, in dem alles Sein und Werden sub specie aeternitatis gesehen ist, wollen wir unbedingt unseren Kindern erhalten, aber schließlich auch den Kindern derer, die heute mit Blindheit geschlagen sind und die Wahrheit nicht zu sehen vermögen. Denn wir haben als Christen die Pflicht und den Auftrag, die christliche Weltanschauung allen Menschen ohne Ausnahme zu vermitteln.

Eine solche Haltung entspricht schließlich auch dem Gebot der Nächstenliebe, zu der wir jederzeit und jedermann gegenüber verpflichtet sind. Sie muß den Hauptanteil an jedem Leben haben; denn sie erst schafft jene innere Gesinnungsverbundenheit, welche die feste Grundlage jedes Zusammenlebens und jeder Zusammenarbeit unter den Menschen bildet. Dies gilt insbesondere auch für das unentbehrliche Zusammenwirken aller Menschen zu dem Ziele der höchstmöglichen Vollendung des Menschengeschlechts, jenem in Wahrheit größten Ziele des menschlichen Daseins. In ihm ist heute die Aufgabe eingeschlossen, die christlich-abendländische Kulturtradition zu wahren und das zerrissene moderne Geistesleben zu einigen, wie auch die Verpflichtung, unsere eigene Persönlichkeit zu vervollkommnen und die Menschenwürde und das Seelenheil unserer Kinder zu sichern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung