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Eine Deklaration - und die Wirklichkeit?

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1979 - das Jähr des Kindes. Der Anlaß - ein Jubiläum. Am 20. November 1959 wurde von der UNO eine zehn Grundsätze enthaltene Deklaration der Rechte des Kindes beschlossen. Was hat diese Deklaration dem Kind bisher gebracht, wenigstens hierzulande? Diese Frage untersucht der Vorstand der Innsbrucker Universitätskinderklinik.

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1979 - das Jähr des Kindes. Der Anlaß - ein Jubiläum. Am 20. November 1959 wurde von der UNO eine zehn Grundsätze enthaltene Deklaration der Rechte des Kindes beschlossen. Was hat diese Deklaration dem Kind bisher gebracht, wenigstens hierzulande? Diese Frage untersucht der Vorstand der Innsbrucker Universitätskinderklinik.

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Man muß feststellen, daß diese Deklaration nicht immer dem Wesen des Kindes voll gerecht wird und manchmal Vorstellungen entwickelt, die einigen gängigen Sozialutopien entsprechen und deshalb unrealisierbar sind. Wenn es etwa im Grundsatz 9 heißt, daß dem Kind nie erlaubt werden darf, „einen Beruf oder eine Tätigkeit auszuüben, die seiner Gesundheit oder Erziehung schaden oder seine körperliche, geistige und moralische Entwicklung hemmen“, so ist wahrscheinlich ein Arbeitsschutzgesetz gemeint, auf das sich der Jugendliche berufen darf.

Wer wird aber entscheiden, welche Tätigkeit die körperliche, geistige und moralische Entwicklung des Kindes hemmt, wenn man täglich erfahren muß, wie „man“ sich über die Frage des Entwicklungszieles uneinig ist, geschweige dann, daß „man“ sich darüber einig ist, was moralisch gut oder nicht gut, was geistig wertvoll oder schädlich ist?

Nach dem Grundsatz 2 sollte für jede Gesetzgebung nur „das Beste für das Kind bestimmend sein“. Wiederum sind wahrscheinlich Kinder-, Jugend- und Fürsorgegesetze gemeint. Doch selbst bei Anwendung guter Fürsorgegesetze werden diese

„ ... daß die Familie eine unersetzliche Quelle für emotionale und soziale Hilfe ist, eine Institution, die Spannungen abbauen und Probleme lösen kann, vor denen größere Gruppen kapitulieren müssen“

nicht imstande sein, Bedingungen zu schaffen, daß sich jedes Kind „gesund und natürlich in Freiheit und Würde, körperlich, geistig, moralisch, seelisch und sozial“ entwickelt.

Wohl hätte man hier die Familie als die bestmögliche Einrichtung für eine normale Entwicklung des Kindes nennen müssen und einen gediegenen Familienschutz durch die Öffentlichkeit. Die zum Teil ständigen offenen und versteckten Angriffe auf die Familie und Mütter aber decken sich mit diesem Grundsatz nicht.

Wer immer noch glaubt, daß die Institution der Familie abgeschafft gehört, weil sie eine Einrichtung sei, die die Eltern und die Kinder emotional einschnürt, wie es radikale israelische Siedler (allerdings nicht nur sie) propagierten, der lese die Studie von Leslie Y. Rabkin, in der er zeigt, wie schon die zweite, erst recht die dritte Generation dieser Kibbuzim, aber auch die Gründergeneration selbst zur menschlichen Einrichtung der Familie zurückkehrt.

So schreibt Rabkin in „Psychologie heute“ (Febr. 1977): „Offensichtlich hat die israelische Erfahrung mit bestimmten Formen des Gemeinschaftslebens zu der Erkenntnis geführt, daß die Familie eine unersetzliche Quelle für emotionale und soziale Hilfe ist, eine Institution, die Spannungen abbauen und Probleme lösen kann, vor denen größere Gruppen kapitulieren müssen.“

In der „Deklaration der Rechte des Kindes“ kommt aber das Wort „Familie“ überhaupt nur zweimal vor, in keinem Fall in dem erwähnten Sinn. Immerhin wird im Grundsatz 6 zum Ausdruck gebracht, daß das Kind zur vollen und harmonischen Entwicklung seiner Person der Liebe und des

Verständnisses bedarf, und daß diese in der Obhut und Verantwortung seiner Eltern geschehen und daß das Kind im zarten Alter nicht von seiner Mutter getrennt werden soll.

Vom gesamten Kontext der Deklaration her gesehen ist das eine vergleichsweise bescheidene Erwähnung der Familie, gemessen an ihrer Bedeutung der Familie für das Kind. Der Grundsatz 6 erklärt auch die finanzielle Unterstützung kinderreicher Familien für wünschenswert. Richtig, wenn diese Familien durch solche Unterstützungen in keine Abhängigkeit geraten. Auch kinderrei-

che Familien wollen keine Almosen, wohl aber eine gerechte, auch steuergerechte Behandlung.

Daß sich das Kind, nach Grundsatz 1, „ohne jede Ausnahme und ohne Unterscheidung oder Benachteiligung durch Rasse , Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politische oder sonstige Uberzeugung, nationale Herkunft, Eigentum, Geburt oder sonstige Umstände, sowohl hinsichtlich seiner selbst wie seiner Familie, sich aller in dieser Deklaration enthaltenen Rechte erfreut“, spürt man auch bei uns zu wenig. Man denke an die nationalen Minderheiten, an die Gastarbeiterkinder, an die Bestrebungen zur Abschaffung des Religionsunterrichtes, an die Bevorzugung oder Benachteiligung bis zu schwerster Ungerechtigkeit von Eltern und Kindern je nach politischem Bekenntnis.

Grundsatz 7 behandelt das Recht des Kindes auf Bildung, wobei die Verantwortung für Erziehung und Führung des Kindes zuallererst bei den Eltern läge, Gesellschaft und Behörden die Durchsetzung dieses Rechtes aber zu fördern hätten. Damit müßten aber die Eltern von der Gesellschaft in ihrer Erziehungsfunktion kräftig unterstützt und dürften nicht, abgewertet werden, wie es geschieht, besonders nicht die Mütter. Damit dürften die öffentlichen Schulen auch nicht das Exerzierfeld für Erziehungsexperimente von Ideologen der jeweiligen Regierungspartei sein. Man müßte endlich begreifen, daß das Bildungsziel der freie, in Verantwortung stehende Mensch ist und nicht die Formierung eines ideologischen Gefolgsmannes.

Im Grundsatz 5 wird festgestellt, daß das behinderte Kind die besondere Behandlung, Erziehung und Fürsorge erhalten soll, die sein Zu-

stand und seine Lage erfordern. Für diese Kinder ist in den letzten 20 Jahren sicher viel geschehen, aber wohl noch nicht genug. Von einer intensiven Forschungsarbeit auf diesem Gebiet wäre noch viel zu erwarten.

Gegen die Grundsätze 4 und 9 schließlich, die der Sicherheit des Kindes gewidmet sind, wird leider auf der ganzen Welt, auch in unserem Lande, in einer Weise verstoßen, die unerträglich ist und die den Sinn jeder Deklaration der Rechte des Kindes, der Menschenrechte und ähnlicher Proklamationen in Frage stellt.

In Grundsatz 4 heißt es, das Kind „ist berechtig, in Gesundheit heranzuwachsen und zu reifen; deshalb werden ihm und seiner Mutter besondere Fürsorge und Schutz gewährt, einschließlich angemessener Pflege vor und nach der Geburt“. Im Grundsatz 9 weiter, das Kind „ist in keinem Fall Gegenstand des Handels“.

Dem gegenüber wird Millionen werdenden Kindern, jungen Menschen am Beginn ihres Lebens, davon einigen Zehntausend pro Jahr in Österreich, mit Zustimmung des Gesetzgebers, das Recht zu leben schon im Mutterschoß abgesprochen, weil man sich gerade dieses eine Kind „nicht leisten kann“. Das erst eine politische Heuchelei, die besonders widerlich ist, wenn das Gesetz die Tötung von Kindern im Mutterleib nur dann erlaubt, wenn sie von einem promovierten Mediziner vorgenommen wird und es im Grundsatz 4 am Schlüsse des Absatz heißt, „das Kind hat das Recht... auf ärztüche Betreuung“!

Es wird nicht besser, wenn man einen Satz aus der Präambel zitiert, der da lautet, diese Deklaration hat zu erfolgen, „da die Menschheit dem Kinde ihr Bestes zu geben schuldig ist“, die gleiche Menschheit, die es gesetzlich zuläßt, daß das eben begonnene Leben eines Kinder wieder ausgelöscht werden darf, wenn

„Demgegenüber wird Millionen werdenden Kindern mit Zustimmung des Gesetzgebers das Recht zu leben schon im Mutterschoß abgesprochen“

Kleinmut und Egoismus erklären, daß dieses Kind unerwünscht sei.

Hier handelt es sich, deutlich gesagt, um eine Deklaration gegen die Rechte des Kindes.

Ich bin weit davon entfernt, zu glauben, daß die menschlichen Dinge einfach sind und menschliche Probleme sich immer sehr einfach lösen lassen, auch nicht durch weltweite politische Proklamationen. Bemühen wir uns aber gerade in der Frage des Kindes um mehr Redlichkeit und um größere Ehrlichkeit und Gerechtigkeit. Nicht nur wegen des Kindes, sondern auch wegen uns selbst.

Kinder sind nicht nur dazu da, damit es mit dem Menschengeschlecht biologisch weiter geht, sondern, weil Kinder stets eine neue Hoffnung und der unaufhörliche Versuch der Schöpfung sind, daß der Mensch doch wieder und wieder gelingen möge. Und diese Freude am Menschsein lehrt uns jedes Kind, gerade in seinen Anfängen durch seine sich hingebende Unbefangenheit. Diese Freude haben gerade wir Menschen des 20. Jahrhunderts so bitter nötig.

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