6553388-1948_08_04.jpg
Digital In Arbeit

Staatliche Erziehungsplanung und das Grundgesetz der Freiheit

Werbung
Werbung
Werbung

Im Verordnungsblatt des Bundesministeriums für Unterricht, nichtamtlicher Teil, wurden zwei Entwürfe veröffentlicht, die wohl als Unterlage für die Erstellung eines staatlichen Erziehungsplanes gedacht sind.

Begründet wird die Notwendigkeit des abermaligen Durchdenkens und einer durchgreifenden Umgestaltung unseres gesamten öffentlichen Erziehungswesens in der uns schon etwas geläufigen Weise: nadi dem größten nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch geistigen Niederbruch, den wir seit Menschengedenken erlebt haben, müssen wir alles tun, was geeignet ist, das Leben unseres Volkes wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Zu allererst gilt es, die Kommenden, die künftigen Träger des Volks- und Weltschicksals, zu echten Menschen heranzubilden. Das ist ja klar: Keine Weltbesserung ohne Besserung der Menschen. Und das Mittel hiezu: eine andere, die richtige Erziehung. Und so unternehmen es einige Fachmänner mit dem Ernst und dem Verantwortungsbewußtsein wahrer Volkssacji- walter, ausführliche Vorschläge für die zeitgemäße Umgestaltung unseres gesamten Erziehungswesens vorzulegen.

An diesem Beginnen ist ein Doppeltes erfreulich. Es spricht daraus echter Erzieheroptimismus, der unbeirrbare Glaube an das Gute in unserem Volk und insbesondere in unserer Jugend. Entmutigen läßt sich nur der, dessen Glaube und Liebe nicht im tiefsten wurzelt. Außerdem ist die Tatsache anerkennenswert, daß führende Schulmänner die Erziehung als das große Anliegen erkennen und sie als solches der Öffentlichkeit darlegen.

So müssen wir es als Fortschritt buchen, wenn unter der Wucht weltgeschichtlicher Umwälzungen die Frage der Erziehung selbst in den Mittelpunkt behördlichen Sorgens und Planens gerückt wird.

Wenn nun vom rein Sachlichen her diese Wendung auch sehr erfreulich ist, so taucht doch hier die Frage auf: Ist die Staatsbehörde befugt und befähigt, auf dem Gebiete der Erziehung das allein entscheidende Wort zu sprechen und einen Gesamterziehungsplan mit bindender Kraft aufzustellen?

Der Anteil am Erziehungsrecht und an der Erziehungspflicht, der dem Staat zufällt, ergibt sich aus seinem Zweck. Hauptaufgabe des Staates ist die Wahrnehmung des Volkswöhles. Es liegt also in der Befugnis der staatlichen Behörde, alles zu tun und zu veranlassen, was das Gemeinwohl siche'stellen und fördern kann, Der Staat braucht zur Erfüllung seiner Aufgabe tüchtige Beamte, die die verschiedenen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens sachgemäß bearbeiten, und ist selbstverständlich berechtigt, diesen Stab von Staatsangestellten auszubilden. Es dient sicher auch dem Staatswohl, daß die gesamte Bevölkerung eine gewisse Bildungshöhe erreiche, daß im Bildungswesen eine gewisse Einheitlichkeit herrsche, vor allem daß die Jugend im staatsbejahenden Sinne erzogen werde.

Somit steht also dem Staate das Recht zu, alle Gesellschaftsmitglieder zur Erwerbung gewisser Kenntnisse und Fertigkeiten anzuleiten, Rahmengesetze für alle Stufen des Unterrichtes zu erlassen, sich von der Einhaltung seiner Vorschriften durch eine genaue, aber wohlwollende Überwachung zu vergewissern. Es ist ferner Aufgabe des Staates, die Mittel für die Errichtung und Führung der verschiedenen volksbildenden Anstalten bereitzustellen und überhaupt alles zu tun, was in seiner Macht steht, um die Heranbildung seiner Angehörigen zu guten und ganzen Menschen zu fördern, also für Bildungsmöglichkeiten, Bildungsmittel zu sorgen. Aber es ist im allgemeinen nicht seine Sache, die Bildungsinhalte und vor allem das letzte Bildungsziel allein und eigenmächtig zu bestimmen. Nur wo die eigentlich Berechtigten und Verpflichteten versagen, wäre es Pflicht des Staates, stellvertretend, helfend, ergänzend einzuspringen. Der ideale Zustand ist der, daß Familie, Kirche und Staat im vollen Einvernehmen die Jugenderziehung auf sich nehmen.

Zur Sicherung und Förderung des Gemeinwohles gehört es, den günstigsten Raum zu schaffen, in dem sich das persönliche und gesellschaftliche Leben in allen seinen Verzweigungen frei und voll entfalten kann. Es ist nicht Sache des Staates, dieses Leben im einzelnen selbst zu gestalten. Das gilt schon von der Wirtschaft und insonderheit von der Kultur. Die Entwicklung der letzten Jahrhunderte ging dahin, daß die freie Gesellschaft mehr und mehr von dem Staat aufgesaugt wurde. Dieser Entgesellschaftung muß gesteuert werden, wenn die Menschheit freie Gemeinschaft bleiben soll. Um in der Tagessprache zu sprechen: Nicht die Planung ist das Alleinheilmittel. Leitregel muß vielmehr sein: Nur so viel Planung, als das Gemeinwohl erfordert, und eine so weite freie Entfaltung, als der gegenwärtige stoffliche und geistige Gesamtbefund der Welt und des Volkes verträgt. Freiheit ist das. Grundgesetz des allmenschlichen Geschehens, vor allem der geistigen Wirksamkeit. Für uns ist das Geistige nidit bloß eine Art Effloreszenz des Stofflichen, sondern das Grundhafte, das auch dem Stoff Sein und Gesetz gibt. Es verrät eine völlige Verkennung der menschlichen Natur und mangelhaften Glauben an sich selber, ja Verzweiflung an der eigenen Schöpferkraft, aus der persönlichen Verantwortung in' das bequeme Unpersönliche, wenn in weiten Kreisen immer mehr der Ruf nach behördlicher Planung und Bevormundung erschallt und die Menschen ihre angestammten Rechte und Pflichten willensmüde auf den Staat abladen.

Staatsabsolutismus, Staatsmonopol, Staatszwang ist aber nirgends weniger angebracht als im Bildungswesen. Die behördliche Zwangsherrschaft muß auf dem Gebiete der Kultur zur Unterbindung alles lebendigen Wachstums, zur Drosselung der schöpferischen Kräfte, zum Tode der wahren Geistigkeit führen. Eine der Grundforderungen aller Wiederaufbaupläne sollte die Freimachung aller der durch den Staatsabsolutismus gefesselten .und gelähmten Kräfte sein. Wenn schon ein Erziehungsplan vonnöten ist, so sollte er als Grundgesetz aufstellen: Freie Entfaltung ist die Voraussetzung alles geistigen Wachsens, Reifens und Schaffens. Das Hauptbestreben soll nicht sein, das erziehliche Geschehen so restlos als möglich in die möglichst lückenlosen Maschen staatlicher Gesetzgebung einzufangen, sondern alle seelischen und gesellschaftlichen Kräfte aus jeder nicht sachlich geforderten Bindung zu lösen und zu vollster Eigentätigkeit anzuregen. Die Losung darf nicht lauten noch mehr Verstaatlichung, sondern immer stärkere Weckung persönlichen Schöpfertums, persönlicher Verantwortung und Gestai;ungsfreude.

In jeder neueren Erziehungskunde ist zu lesen, daß die eigentliche Erziehungskunst darin besteht, daß der Erzieher sich mehr und mehr überflüssig, das heißt den Zögling zu einem Freien mache der sein menschliches Grundrecht zu gebrauchen wisse. Wenn man jedoch die Bildungsgeschichte von vielen Staaten verfolgt, so zeigt sich unleugbar das Bestreben der Staatsbehörde, sich möglichst unabkömmlich, möglichst unersetzbar zu machen.

Ist es nicht verwunderlich, daß die Urenkel jener Väter des modernen Europas auch im Namen der Freiheit und Gleichheit die Zwangsgleichschaltung aller Erziehung, das Schulmonopol, als wichtigste Voraussetzung echter Volkskultur fordern und das Gemeinwohl gefährdet sehen, wenn noch irgendwo ein Teil der Jugend Männern und Frauen anvertraut ist, die nicht Staatsdiener sind und ihr erziehliches Wirken flach den Grundsätzen der Religion, den Forderungen des Gewissens und der kindlichen Grundveranlagung gestalten?

Was die Sache der Freiheit in dem nur staatlichen Erziehungswesen noch fragwürdiger macht, ist der Umstand, daß fast jeder Staat heute zum Weltanschauungsträger geworden ist. Die Schule steht vielfach im Mittelpunkt des weltanschaulichen Ringens, und das hehre und lebenswichtige Werk der

Erziehung wird zum Spielball von politischen Leidenschaften.

Kein Kenner der menschlichen Natur wird aber die Ansicht vertreten, daß jedes Kind schon eine Veranlagung zu einer politischen Partei in sich trage Aber es vermag auch niemand zu leugnen, daß jede Kindesseele dem Göttlichen weit geöffnet ist. Das Wort von der anima humana naturaliter christiana, das heißt die Erkenntnis, daß christliche Art dem Wesen des Menschen entspricht, wird ein jeder Jugendkenner immer wieder bestätigen müssen. Freilich, man kann sich dieser Tatsache verschließen und behaupten, es sei nur eine Ansichtssache.

Es soll keinem eine Meinung aufgezwungen werden, aber wir können verlangen, daß man unsere Auffassung achte und uns nach dem Imperativ unseres Gewissens handeln lasse. Das ist wahre demokratische Freiheit. Wir wollen, daß dieser Grundsatz auch in der neuen Schulgesetzgebung zutiefst verankert werde. Ein staatliches Schul- und Erziehungsmonopol ist Diktatur. Der Mensch ist vor allem Geist, und Geist ist Freiheit. Wo der Geist nicht frei sein kann, stirbt er.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung