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Gesellschaftspolitik aus christlicher Verantwortung

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Wir setzen die Serie mit Beiträgen zur Grundsatzdiskussion mit zwei Äußerungen aus verschiedener Blickrichtung fort.

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Univ.-Dozent DDDr. Alfred Klose ist Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung der Bundeswirtschaftskammer und Mitherausgeber des Katholischen Soziallexikons. Univ.-Prof. Dr.

Egon Matzner ist Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Wien und federführend für die Erarbeitung eines neuen Parteiprogramms der SPÖ.

Nahezu alle Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen werden immer mehr von der Politik in ihren vielfältigen Formen beeinflußt. Dies spricht dafür, daß die Ordnungsaufgabe der Politik immer wichtiger wird und sich auf eine gesamtgesellschaftliche Konzeption gründen muß. Wenn René Maröic in dem „ins Hier und Jetzt gestellten Einzelmenschen“ den eigentlichen Gegenstand jeglicher Politik sieht, dann hat die Erfüllung dieser politischen Ordnungsaufgabe auch immer auf die menschliche Existenz und ihre bestmöglichen Entwicklungschancen abzuzielen. Diese Entwicklung des Menschen braucht zunächst die Gemeinschaft in allen ihren Daseinsformen und Seins- weisen von der Familie bis zur staatlich organisierten Gesellschaft und den überstaatlichen Verbindungen.

In jeder dieser Gemeinschaften wirkt ein Gemeinwohl als „Hilfe für eigenverantwortliche Erfüllung“ der den Gliedern dieser Gemeinschaft „vorgegebenen Lebensaufgaben“ (J. Messner). Diese Hilfsstellung auf der Ebene des Gesamtstaates, der übrigen Gebietskörperschaften wie auch der anderen Verbände zu geben, wird zur erstrangigen Aufgabe auch einer Politik aus christlichem Geist.

Zum Ausgleich des Wohlstands

Christliches Sozialdenken - weit über die katholische Soziallehre hinaus - hat sich neben der Ausgleichsfunktion und der Mitwirkung an der immer gegebenen Aufgabe der Friedenssicherung innerstaatlich und weltweit vor allem mit den Zielsetzungen des Wohlstandsausgleiches auseinandergesetzt. Dies über die Einkommenspolitik hinaus in dem Sinn, daß auch im Aufbau der Infrastruktur, des gesamten Schul- und Bildungswesens, der Verkehrseinrichtungen und der Energieversorgung darauf geachtet werden muß, Benachteiligungen zu vermeiden und eine möglichst gleichmäßige Anteilnahme der gesamten Bevölkerung zu sichern. Damit stehen vor allem auch Fragen des regionalen Wohlstandsausgleiches zur, Diskussioi& Die -Raumordmmgs’pöH- - tik im Sinne einer optimalen Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wird von immer entscheidender Bedeutung.

Grundprinzipien in der Natur des Menschen

Eine gesellschaftspolitische Konzeption aus christlichem Geist kann selbstverständlich nicht sehr ins Detail gehen, wenn sie möglichst allgemeingültig sein soll. Die Soziallehren der christlichen Kirchen, hier insbesondere die katholische und die evangelische Soziallehre, haben in einer langen Entwicklung vieles herausgearbeitet, das freilich nicht schlechthin als zeitlose und einmal feststehende Thesen für politisches Handeln angesehen werden darf, immerhin aber als sehr wertvolle Entscheidungshilfen. Die Grundprinzipien, die dieser Soziallehre zugrundeliegen, sind nicht kirchliche Gebote, sondern letztlich in Gegebenheiten begründet, die sich weithin in der Natur des Menschen vorgezeichnet finden.

Die überragende Bedeutung des Subsidiaritätsprinzipes etwa, das die Eigenständigkeit des einzelnen ebenso wie der kleineren Gemeinschaften betonen und die Zuständigkeit der höheren Gemeinschaften wie insbesondere des Staates auf jene Angelegenheiten konzentrieren will, die von den kleineren Gemeinschaften nicht besser selbst besorgt werden, kann schlechthin als das entscheidende Prinzip einer Politik bezeichnet werden, die sich den Aufbau funktionsfähiger menschlicher Gemeinschaften zum Ziel setzt. Dieses Subsidiaritätsprinzip bedeutet die Ablehnung des totalitären Staates, es bedeutet aber ebenso auch den starken Staat, der sich auf die Besorgung jener Aufgaben konzentriert, die ihm der Natur der Sache nach zukommen und der sich nicht auf unzählige Aufgaben verzettelt, die er nur schlecht und unvollkommen erfüllen kann. Die Tragik der Budgetpolitik vieler Staaten unserer Zeit offenbart das Bild eines Staates, der das Subsidiaritätsprinzip nicht beachtet, der allzu vieles, davon aber zumindest eine Reihe von Agenden schlecht durchführt.

In unserer Zeit hat die Stärkung der Stellung der Gemeinde als einer der wichtigsten menschlichen Gemeinschaften wieder eine gegenläufige Entwicklung angebahnt. Es genügt aber nicht, durch Zusammenlegung größere Gemeinden zu schaffen, sie müssen auch in finanzieller Hinsicht in die Lage versetzt werden, ihren zunehmenden Aufgaben, etwa im Umweltschutz, gerecht zu werden. Von hier aus fuhren manche Überlegungen in sehr konkrete Fragen, wie etwa den Finanzausgleich. Gerade diese Beispiele zeigen, daß eine Politik aus christlicher Verantwortung gerade dann, wenn sie sich auf Wesentliches beschränkt, eindeutige Zielrichtungen für die Ordnung wichtiger Gemeinschaftsaufgaben aufzeigt.

Der Kampf für die Entrechteten

Im Mittelpunkt sowohl grundsätzlicher als- auch aktueller politischer Auseinandersetzungen steht das Gleichheitsprinzip. Ist es nicht von den Sozialisten in Beschlag genommen? Es darf nicht vergessen werden, daß dieses Gleichheitsprinzip sich auf lungen gründet; es ist unmittelbar und entscheidend mit der christlichen Existenz verbunden. Es beruht letztlich auf der Überzeugung, daß alle Menschen eine einmalige und nicht wiederholbare Existenz darstellen. So sehr verschieden die Fähigkeiten und Anlagen der Menschen sind, stehen ihnen dennoch grundsätzlich die gleichen Rechte zu. Auf sie haben die christlichen Kirchen immer wieder hingewiesen, sie wurden von Persönlichkeiten, die sich auf christliche Wertvorstellungen bezogen haben, immer wieder hervorgehoben.

Letztlich ist es der unaufhörliche Kampf für die Entrechteten, der mit der Bergpredigt am Anfang des Christentums steht. Die allmähliche Überwindung der Sklaverei, der entscheidende Beitrag christlichen Denkens an der Erkenntnis der wesenhaften Freiheitsrechte des Menschen zeigt, daß das Christentum an der fortschreitenden Verwirklichung der Gleichheitsidee maßgebenden Anteil hat.

In vieler Hinsicht bleibt noch Entscheidendes zu tun. Es darf aber nicht vergessen werden, daß die Hilfe für die unterentwickelten Länder und Völker von den christlichen Kirchen schon durch Jahrhunderte geleistet wurde, ehe es irgendeine Diskussion um Entwicklungshilfe gegeben hat. Immer war mit der christlichen Mission eine unermeßliche Bildungshilfe verbunden, die sehr wesentliche Auswirkungen auf den Lebensstandard gehabt hat.

Es wird zu einer hervorragenden Aufgabe einer Politik aus christlichem Geist, dieses Gleichheitsprinzip auch mehr in der praktischen Politik zur Durchsetzung zu bringen, dies freüich nicht in der Form einer Schematisierung aller menschlichen Lebensverhältnisse, sondern in der Durchsetzung wirklich gleicher Lebensrechte und Entwicklungsmöglichkeiten für die einzelnen. Eine bloße Chancengleichheit rein rechtlicher Art genügt nicht. Der Sozialstaat, der sich aus einer solchen Konzeption einer Politik aus christlichem Geist ergibt, umfaßt zumindest jene Sicherungen, die es auch den Menschen mit den geringsten Fähigkeiten und Begabungen, und vor allem auch den Kranken und

Körperbehinderten ermöglichen, ihr Leben so zu gestalten, das sie ihren wesenhaften existentiellen Lebenszweck verwirklichen.

Dies bedeutet, daß «ine gewisse Mindestvorsorge auf jeden Fall vorhanden sein muß, daß vor allem vor Eintritt einer Gefährdung schwerwiegender Art gesellschaftliche Hilfen einsetzen. Die Wirklichkeit des Sozialstaates unserer Zeit sieht vielfach anders aus: Gerade im Ernstfall versagen die sozialen Sicherheitssysteme; tre ten die schwersten Erkrankungen auf, reichen die von den Krankenversicherungen gebotenen Leistungen nicht für jene Hilfen aus, die erforderlich sind, um die eigene Existenz zu sichern.

Mit allen diesen Fragen sind die Probleme der Gerechtigkeit verbunden: Diese steht gleichfalls eng mit der Ausgleichsfunktion im Zusammenhang. Eine ausgleichende Gerechtigkeit bemüht sich um eine Beseitigung und Überwindung zu krasser Unterschiede in der Gesellschaft, die auch immer wieder zum Anlaß politischer Fehlentwicklungen werden. Hier kann je nach der innerstaatlichen Situation viel oder wenig an Ordnungsaufgaben erwachsen. Die Enzykliken „Mater et magistra“ und „Pacem in terris“ haben sich sehr eingehend mit diesen Fragen der Gerechtigkeit befaßt. Wesentlich dabei war die umfassende Sicht der Notwendigkeit des Wohlstandsausgleiches: zwischen den einzelnen Schichten der Bevölkerung (etwa zugunsten der Landwirtschaft),

zwischen den einzelnen Gebieten des Staates, vor allem aber weltweit im’ Sinne einer umfassenden Entwicklungspolitik. Johannes XXIII. hat aber vor allem auch die enge Verbindung der von der Gerechtigkeit her geforderten Ausgleichsaufgaben mit den Menschenrechten gesehen: Der Katalog dieser Rechte in „Pacem in terris“ weist hier die Richtung zu.

„… mit seinem ganzen Wesen“

Politik ist für den Menschen da, nicht umgekehrt. Letztlich durchzieht das gesamte christliche Ordnungsdenken, soweit es zukunftsweisend war, diese Überzeugung. Damit wird beste christliche Tradition angesprochen. In seiner Weihnachtsenzyklika 1963 hat der Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras I., gesagt, daß der Zweck des Daseins der Kirche der Mensch sei. Für ihn sei die Kirche da, für ihn kämpfe sie, um seine Rechte zu bewahren, „die immer verwoben sind nicht bloß mit seiner Würde, sondern mit seinem ganzen Wesen“. Aus diesem Grund verfolge die Kirche unaufhörlich und wachsam die Richtung, die die Menschheit auf dem Wege ihres Fortschritts nimmt. Damit sind auch einer Politik aus christlichem Geist wichtige Zielsetzungen vorgegeben.

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