6546869-1947_20_04.jpg
Digital In Arbeit

Menschheitsgemeinschaft und Kirche

Werbung
Werbung
Werbung

Der Franzose Henri De Lubac hat uns unter dem Titel „Katholizismus als Gemeinschaft“ ein hochbedeutsames Werk geschenkt*. Entstanden ist das Werk unter dem Eindruck der Notwendigkeit einer Auseinandersetzung „zwischen dem Katholizismus und dem neuen totalitären Gemcin-schaftsdenken“, gewiß heute eine ebenso drängende Angelegenheit wie in den Jahren des aufsteigenden Nazismus. Denn der Geist, der ihm zugrunde lag, ist an kein politisches System gebunden und auch an keine völkisdien Grenzen. Ohne es vielleicht zu wollen, jedenfalls ohne es zu sagen, beten heute viele an, was sie verbrennen. Das Werk enthält weder eine Polemik noch eine Apologetik im landläufigen Sinne. Es weist positiv die gemeinschaftbildcnde Kraft des Katholizismus auf. „Das Gespräch kann sich nur darum drehen: wer von beiden mehr weiß um ihr Wesen, und wer tiefer Gemeinschaft erzeugen kann.“

„Ein erster Teil zeigt in einem Oberblick, wie unser gesamter Glaube in den Hauptartikeln stines Credo, in seiner lebendigen Verfassung, in seinem sakramentalen System, im Ziel, das er uns erhoffen läßt, einen höchst sozialen Charakter bietet, den man unmöglich übenehen kann, ohne den gtnzen Glauben zu falschen.“ — Aus diesem Wesenszug werden im zweiten Teil einige Folgerungen abgeleitet für „die Bedeutung, die das Christentum der Geschichte zuerkennt“. Die christliche Religion erscheint als etwas Einmalige und Einzigartiges gerade wegen ihres Gemein-schaftsdiarakter. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für das Verständnis der Schrift, für die Frage nach dem Heil der Ungläubigen „in seiner Beziehung zum Problem der Kirche“, den späten Zeitpunkt der Menschwerdung — ein heidnischer Einwand, worauf die Kirchenväter häufig antworteten —, und endlich für die Forderung eines besseren Verständnisses „für das Wesen des katholischen Geistes angesichts der großen Tatsache der Misionen“. Der dritte, kürzere Teil bringt zunächst eine Schilderung der gegenwärtigen theologischen Situation, und zeigt dann auf, „wie der Katholizismus die persönlichen Werte hochhält“ und „wie sein doppelter, historischer und sozialer Charakter nicht in rein weltlidiem und irdischem Sinn zu verstehen ist. Es sind die Probleme der Person und der Transzendenz: ewige, aber auch schmerzlich aktuelle Probleme, die wir, ohne sie von Grund auf behandeln zu können, doch nicht glaubten umgehen zu dürfen“.

Das Werk De Lubacs vermag dem heu-tigen Menschen, dem christlich - gläubigen sowohl wie dem ungläubigen, sehr viel und sehr Wichtiges zu sagen. Niemals in der Geschichte war ja der Antrieb, alle Erdenbewohner als eine Einheit, eine Familie, eine einzige Gemeinsdiaft aufzufassen, stärker als heute. Niemals war auch die Veranlassung hiezu eine so lebhafte wie heute. Auf der einen Seite spüren wir all, welches Unheil, welch katastrophale Auswirkungen auf dem ganzen Planeten durch Haß und Feindschaft und Gespaltenheit der Menschen und Völker heraufbeschworen werden. Alle Einsichtigen und Gutmeinenden stellen die Frage, ob denn dies alles so sein muß, ob es nicht anders sein konnte, ja ob es nicht anders sein müßte. Es seien doch alle, die da einander begegnen, Menschen, keine Tiere, keine Bestien, vielmehr vernunftbegabte Wesen, Ebenbilder des einen Gottes, wesenhaft gebannt in dieselben Grenzen, beansprucht von denselben letzten Anliegen, getrieben von derselbe elementaren Sehnsucht nach sdhöpferisdier Betätigung, nach Glück, nach Frieden. Wie“ sollten sie sich gegenseitig nicht verstehe, wie nicht als eine Gemeinschaft fühle können? Trotz mancher Spannungen und Gegensätze, wie sie in jeder Familie, in jeder Gemeinschaft vorkommen und sogar befruchtend auf sie zurüdewirken können?

Dazu kommen die zahlreichen, noch nie dagewesenen positiven Momente, wodurch die Menschen heute mehr denn je wenigstens äußerlich miteinander verbunden und zusammengeführt werden. Die Abstände von Raum und Zeit, also in einem gewissen Sinne die Urelemente der Trennung, verschwinden immer mehr. Ereignisse in fernsten Ländern lesen wir am Morgen in der Zeitung mit jener Selbstverständlichkeit, als hätten sie sich gestern in unserer nächsten Nähe abgespielt. Vertreter von Völkern, die sich vor nicht allzu langer Zeit kaum dem Namen nach bekannt waren, finden sich am gemeinsamen Verhandlungstisch zusammen. Sie bedienen sich derselben Verkehrsmittel, derselben technischen Einrichtungen im Alltag, sie agieren im selben Zusammenspiel wirtschaftlicher, sozialer, geistiger Problem hinweg über Meere und Kontinente. Der Gedanke einer planvollen Beeinflussung und praktischen Lenkung der gesamten Menschheit von einer Stelle aus hat alles Traumhafte und Utopische, das ihm in der Vergangenheit anhaften mochte, verloren und die Gestalt konkreter Vorschläge angenommen. Was fehlt noch für das Zustandekommen einer wirklichen und praktischen Gemeinschaft aller Menschen auf unserem Planeten?

De Lubac zeigt es auf in dem wichtigen Kapitel, das er mit „Transzendenz“ überschreibt. Er beweist zunächst, daß das „Allmenschliche“, der „Gegenstand einiger der aufwühlendsten Bewegungen unserer Zeit“, allein zur Begründung einer wirklichen Menschengemeinschaft nicht genügt. Vergeblich der Traum, „die Menschheit im ganzen zu organisieren, sie zu ihrem vollen Selbstbewußtsein zu führen, sie endlich durch Einigung vollkommen zu humanisieren“. Unabdingbar eignet dem Menschen eine transzendente Bestimmung. Der F.rkenntnis dieser Tatsadie kann sich kein Mensch auf die Dauer verschließen. Auf Grund dieser Einsicht aber sind die Menschen verpflichtet, „ihren Blick über die Erde hinaus zu erheben“. Die praktische Anerkennung dieser Bestimmung „ist die notwendige Bedingung zur Verwirklichung einer wahrhaft gemeinschaftlichen Bestimmung, das heißt zur konkreten Begründung einer Menschheit, Andernfalls widmet man sich in Wahrheit nicht der Menschheit: sondern abermals —-trotz all seiner Hingabe — nur anderen Individuen, die in ihrem Eintagsdasein nichts Absolutes und keinesfalls einen so bedeutenden Wert darstellen, daß er c^em Wert derer, die ihnen geopfert werden, wesentlich überlegen wäre“. Und der Verfasser führt in diesem Zusammenhang den Ausruf des Helden eines zeitgenössischen Romans an: „Ich will mich diesem furchtbaren Gott nicht zum Opfer bringen, der die Gesellschaft der Zukunft heißt!“

Ohne die praktische Anerkennung eines existenten, transzendenten, personalen, göttlichen Wesens ist es unmöglich, eine wirkliche menschliche Gemeinschaft zu begründen, am allerwenigsten eine Gemeinschaft der Menschheit. Die Menschheit bedarf „durchms eines Ortes, an welchem sie Geschlecht um Geschlecht eingesammelt wird; sie bedarf eines Mjttelpunktes, auf den hin sie ausgerichtet ist, eines Ewigen, das sie zum Ganzen macht, eines Absoluten, das ihr, im stärksten und wahrhaftesten Sinne des Wortes, Existenz verleiht. Sie bedarf eines Magneten, der sie an sich zieht. Sie bedarf zuletzt eines anderen, dem sie sich schenkt.“

Vermag nun der Katholizismus die Menschheit als konkrete Einheit und Gemeinschaft wirklich zu begründen? Er vermag dies nicht nur, er ist diese Gemeinschaft. Freilich Gemeinschaft auf einer höheren, auf der übernatürlichen Ebene. Und es kann nicht davon die Rede sein, „einfach und unverändert auf die natürliche Ebene zu übertragen, was der Glaube uns von der übernatürlichen Welt lehrt: das hieße eine göttliche Realität, die im Mysterium geglaubt und gelebt sein will, in eine leere Ideologie verwandeln.“ Die Kirche „setzt sich nicht an die Stelle der Staatsmänner, um .Programme' im genauen und vollständigen Sinne des “Wortes auszuarbeiten oder um .Pläne' tu unterbreiten. Auch können nicht alle ihre Glieder soziale Autoritäten oder soziale Neuerer sein. Es ist außerdem selbstverständlich, daß sich in ihren Reihen eine ebenso große Verschiedenheit an Meinungen wie an Funktionen findet.“ Aber im Wesen des Katho- • lizismuj scheinen die Grundzüge echter und lebendiger Gemeinschaft auf, die sich in jeder natürlichen Gemeinschaft widerspiegeln und in irgendeiner Weise finden müssen. Ganz abgesehen davon bringt die Kirche auch auf der Ebene der irdischen Gesellschaften „in Wirklichkeit sehr viel mehr als ein bloßes Programm, und zur Verwirklichung der besten Programme bringen ihre Kinder sehr viel mehr bei als eine äußere Beistimmung und technische Kompetenzen. Denn nach einem Wort Gregors des Großen, das die ganze, durch dieses Buch in Erinnerung gebrachte Tradition zusammenfaßt: in saneta Ecclesia unusquisque et portat alterum et portatur ab altero (in der hl. Kirche trägt einer den anderen und wird einer vom anderen getragen). Nun ist aber das Gefühl für ein gemeinsames Heil und einer Verbundenheit aller mit allen die denkbar best Vorbereitung für die sozialen Aufgaben — und für jeden die beste Einführung in den „sozialen Katholizismus“.

Vor etwa 20 Jahren veranstaltet eine Gruppe von Hochschülern — es war der akademische Verein Logos — in der Wiener Hofburg eine aufsehenerregend Tagung unter dem Motto „Der Katholizismus die Erfüllung der Gegenwart“. Damals handelte es sich um di Aufzeigung der auf allen Gebieten des geistigen Lebens vorhandenen Konvergenzlinien hin zu den natürlichen Grundlagen und Voraussetzungen des Katholizismus. Was die objektivsten Geister bejahen und die ehrlichsten ersehnen, weist in die Richtung des Katholizismus. Das war es, was die Veranstalter der Tagung aufzeigen wollten. Mehr als damals steht heute das Problem echter und konkreter Gemeinschaft im Mittelpunkt der Aussprache. Die Begründung einer friedenstiftenden dauerhaften Völker- und Menschheitsgemeinschaft ist das große Anliegen der Führenden und die Sehnsucht der Besten. Henri De Lubac zeigt in seinem Buche auf, daß auch hier der Katholizismus die Erfüllung der Gegenwart ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung