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Der größte Schritt vorwärts

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Am Donnerstag, dem 2. Dezember, Ist der nach den Wünschen der Väter zum zweitenmal in dieser Session umgearbeitete und jetzt wohl endgültige Text des Schemas „Kirche in der gegenwärtigen Welt“ den Vätern zugestellt worden. Doch sehen wir genauer zu: Das Interesse der Väter hat sich vor allem dreier Themen bemächtigt: der Aussagen über den Atheismus, über die Ehe und über den Krieg. Greifen wir nur das letzte heraus, weil in den beiden anderen doch nicht viel verändert worden ist.

Der ursprüngliche Text hatte in keiner Weise befriedigt. Den zweiten dieser Session hatten manche den reifsten der ganzen Konstitution genannt. Er anerkannte zwar das Recht legitimer Verteidigung, bezeichnete es aber als unvernünftig, im Atomzeitalter den Krieg als geeignetes Mittel zu betrachten, verletzte Rechte wiederherzustellen. Dieser Satz wurde in der heutigen Fassung leider wieder gestrichen, obwohl er wörtlich dem Rundschreiben „Paoem in terris“ entnommen war. Der Grund dafür ist in den Einwänden gewisser amerikanischer Bischöfe zu suchen.

Die Gefahr des totalen Krieges

Trotzdem blieb die feierliche Verurteilung des totalen Krieges stehen. Sie lautet: Jede kriegerische Handlung, die unterschiedslos auf die Zerstörung ganzer Städte oder weiter Landstriche samt ihren Einwohnern abzielt, ist ein Verbrechen gegen Gott und den Menschen, das energisch und unablässig zu verurteilen ist. Die besondere Gefahr des heutigen Krieges liegt darin, daß jenen, welche die neueren wissenschaftlichen Waffen besitzen, sich die Gelegenheit gleichsam anbietet, solche Verbrechen zu begehen und in einer verhängnisvollen Verschrähkung damit die Menschen verführt werden können, grausamste Entschlüsse zu fassen. Damit das niemals geschehe, beschwören wir Bischöfe der ganzen Welt, alle Staatsmänner und Generäle, ihre große Verantwortung vor Gott und der ganzen Menschheit sich unablässig vor Augen zu halten.

Der Rüstungswettlauf wird als eine der schwersten Plagen der Menschheit erklärt, wodurch die Armen in untragbarer Weise geschädigt werden. Er vermehrt die Kriegsgefahr, statt sie zu mindern. Unternimmt man hier nicht wahrhaft ernstliche Schritte, dann wissen wir nicht, wohin dieser böse Weg uns noch führen wird. Bei all dieser Härte der Aussage begibt sich das Konzil doch nicht auf den Weg der Utopie. Nicht nur anerkennt es die Notwendigkeit einer gegenseitigen und kontrollierten Abrüstung, noch leugnet es, daß jene, welche Militärdienst leisten, sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker ansehen können und. sofern sie dieses Amt richtig ausüben, zur Festigung des Friedens wirklich beitragen.

Der große Fortschritt

Aber trotz dieser Anerkennung solch höchst unerwünschter Zwangslage liegt das ganze Schwergewicht der Aussage doch eindeutig auf der energischen und nachdrücklichen Forderung, den Krieg, und zwar jeglichen Krieg, aus der Welt zu schaffen. Darin liegt der große Fortschritt der konziliaren Aussage. Während bislang dbch immer noch der Krieg als eine normales, wenn auch äußerstes Mittel im Völkerleben anerkannt wurde, ist dies jetzt nicht mehr der Fall. Befreien wir uns von der alten Sklaverei des Krieges, heißt es jetzt rundweg. Es ist , nicht zu bezweifeln, daß der Wahnsinn der Gefahr eines Atomkrieges der Kirche dazu verholten hat, endlich diese Wahrheit klar und unmißverständlich zu verkünden.

Verschwunden sind die alten Unterscheidungen von gerechtem und ungerechtem Krieg, des Angrjffs-und des Verteidigungskrieges. Der Krieg an sich ist böse, er widerspricht dem Geist des Evangeliums, und deshalb muß alles Menschenmögliche getan werden, um ihn unmöglich zu machen. Freilich hat zu dieser Erkenntnis auch die technische Möglichkeit einer Weltautori-töt beigetragen. Vor hier aus ist jetzt endlich eine Revision unserer Geschichtsbücher und unserer Heldenverehrung zu erhoffen.

Die Aufgabe der Kirche in der Welt

Doch mag man sich über dieses Ergebnis auch freuen, so ist doch nicht der Hauptgewinn des Textes von der Kirche in der gegenwärtigen Welt hier zu suchen. Dieser liegt eindeutig im ersten grundsätzlichen Teil, welcher die größten Veränderungen erfahren hat. Ich will nicht eingehen auf die ersten drei Kapitel, die aufzeigen wollen, was die Kirche gemeinsam mit der Welt interessiert, der Mensch, die Gesellschaft, das Streben des Menschen in der Welt. Sie tendieren alle auf das vierte Kapitel, welches die Aufgabe der Kirche in der gegenwärtigen V elt behandelt.

Hier ist der Angelpunkt des ganzen Schemas Kirche und Welt. Wie stehen sie grundsätzlich zueinander? In der Kirchengeschichte schwanken die Meinungen hin und her. Bald scheint die Welt von der Kirche verschlungen zu werden, bald erstrebt man eine Trennung von beiden, so daß keine in den Bereich der anderen hinüberreicht. Der neue Text läßt die Eigenständigkeit der Welt durchaus gelten. Der Bereich der Kirche ist der des Glaubens, des göttlichen Lebens. Sie erreicht ihr endgültiges Ziel erst am Ende der Zeiten. Aber sie ist jetzt hier auf Erden da, und sie besteht aus Menschen, die Glieder der irdischen Gesellschaft und als solche berufen sind,'bereits in der Geschichte des Menschengeschlechtes die Familie dtr Gotteskinder bis zur Wiederkunft des Herrn zu bilden und stets zu erweitern.

Die Vollendung des Menschen So schreitet die Kirche mit der ganzen Menschheit einher und erfährt mit der Welt das gleiche irdische Schicksal. Sie hat den Menschen nicht nur das göttliche Leben zu vermitteln, sondern auch den Menschen selbst in seinem Menschsein zu vollenden. Das vor allem in dreifacher Hinsicht. Sie muß die Würde der menschlichen Person heilen und erhöhen, den Zusammenhang der menschlichen Gesellschaft stärken und dem täglichen Streben des Menschen seinen tieferen Sinn und. seine Bedeutung geben. So glaubt die Kirche, daß sie viel dazu beitragen kann, die Menschenfamilie und ihre Geschichte menschlicher zu gestalten. Dementsprechend wird, obwohl der gleiche Gott der Erlöser und der Schöpfer ist, der gleiche der Herr der Weltgeschichte und der Heilsgeschichte, dennoch die berechtigte Autonomie der Schöpfung und vor allem des Menschen keineswegs aufgehoben, sondern in ihrer Würde wieder hergestellt und bestärkt in eben dieser göttlichen Ordnung.

Ebenso, wenn auch die der Kirche eigene Sendung religiöser Art ist, bildet sie trotzdem und gerade weil sie keiner bestimmten menschlichen Kultur keinem politischen, wirtschaftlichen oder sozialen System verhaftet ist ein Bindeglied zwischen allen Menschengemeinschaften und Nationen. Das kann und das sollte wenigstens so sein.

Endlich, vorausgesetzt das Glaube und Leben der Christen nicht auseinanderfällt und daß die Christen ihre Berufsaüfgabe und ihr soziales Wirken wirklich als Gottesdienst anzusehen gelernt haben, kann gerade die Kirche durch ihre Laien zu einem besonderen Ansporn für den rechten irdischen Fortschritt werden.

Die Hilfe der Welt

Die Kirche kann auch, indem sie hinhört auf die verschiedenen Stimmen unserer Zeit, mit Hilfe des Heiligen Geistes diese unterscheiden und auslegen, so daß die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer und besser verstanden wird. Ebenso, da die Kirche eine sichtbare soziale Struktur aufweist, kann sie auch von der Entwicklung des menschlichen Soziallebens bereichert werden und wird auch bereichert Nicht als ob der ihr von Christus eingestifteten Verfassung etwas fehlen würde, doch kann sie diese tiefer erkennen, besser zum Ausdruck bringen und unserer Zeit glücklicher anpassen.

Damit ist das Prinzip dieses Schemas gegeben, das eine notwendige Ergänzung zum Kirchentext bildet. Die Kirche befähigt einerseits den Menschen, in der jeweiligen Situation seiner geschichtlichen Stunde dieser entsprechend mehr Mensch zu sein, und umgekehrt bedeutet die geschichtliche Stunde für die Kirche einen Anruf Gottes in ihre Glau bensweit tiefer einzudringen und sie voller zu erfassen. An Beispielen dafür ist dieses Konzil nicht arm: Die religiöse Freiheit ist eines, die Lehre vom völlig zu verbietenden Krieg ein anderes, die Erkenntnis der Ehe als einer den Gesamtmenschen umfassenden Liebesgemeinschaft ein drittes, die kollegiale Struktur der Kirche ein viertes, um von anderen weniger deutlich herausgearbeiteten zu schweigen. Wenn auch noch ein wenig unsicher im Ausdruck, so darf man doch sagen, daß diese pastorale Konstitution der vielleicht größte Schritt ist, den dieses Konzil nach vorwärts gewagt hat.

(Aus einem Konzilskommentar im österreichischen Rundfunk.)

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