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In Sorge um die Hoffnungen vieler

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Wir leben nicht in einer heilen Welt, wir sind alle im äußersten Ausmaß bedroht, die Situation ist, seien wir ehrlich, lebensgefährlich. Wir haben eine einzige Chance, die Dinge zu ändern, indem wir sie nämlich zuerst beim Namen nennen und uns nicht einem falschen Gefühl der Sicherheit und vagen Hoffnung hingeben. In der Diagnose liegt die Möglichkeit der Therapie, nur das

Gewußte, das Zugegebene, die Wahrheit kann hilfreich sein.

Von diesem Bedrohtsein ist meiner tiefsten Überzeugung nach auch die Kirche betroffen. Sie ist für uns alle die Quelle des Heils, aber in ihrem gegenwärtigen Zustand ist sie selbst nicht heil, deswegen ist ihre Ausstrahlung beunruhigend, geringer, als sie aufgrund ihrer Botschaft sein könnte. In diesem Sinne Kritik zu üben müßte erlaubt sein, besonders dann, wenn diese Kritik aus innerer Notwendigkeit und in loyaler Gesinnung erfolgt.

Mit aller Entschiedenheit muß aber gesagt werden: Kritik ist bei den kirchlichen Oberen nicht erwünscht. Es liegt im Wesen starrer hierarchischer Ordnungen, an denen eisern festzuhalten die Glaubenskongregation erst jüngst deklariert hat, zu postulieren, daß an der Spitze keine Fehler geschehen und die „Unteren“ zu gehorchen haben …

Mit Dankbarkeit möchte ich daran erinnern, daß wir in diesem Jahrhundert das II. Vatikanische Konzil erleben durften, welches mit einem psychotherapeutischen Prozeß verglichen werden kann, Hier wagte es eine weltweite Organisation, sich mit sich selbst zu konfrontieren, Verdrängungen aufzuheben, Fehler einzugestehen, Reue zu erwecken, Wege der Wiedergutmachung zu suchen — kurz, es war ein einmaliges und wunderbares Geschehen.

Es ergaben sich nun genau jene Folgerungen, die bei einer guten Therapie immer eintreten: Bewußtseinserweiterung, Akzeptierung des eigenen „Schattens“, besseres Selbstverständnis, vertiefte Demut und Offenheit, größere irinere Sicherheit im Sinne von Identitätsfindung und daraus resultierend die Bereitschaft, auch andere besser zu verstehen.

An die Stelle von Aggressivität trat Toleranz, Brüderlichkeit trat an die Stelle von Herrschsucht, der Geist der Freiheit wehte, und das Gespräch mit dem Bruder begann zu blühen. Nun kann ich aber einen betrüblichen Zusatz nicht verschweigen: Wir konnten diesen Höhepunkt der Aufdek- kung und des Zu-Uns-Findens nicht halten; wir sind dabei, sehr viel von dem, was wir damals gewonnen haben, wieder zu verlieren, Menschen die Hoffnung wieder zu nehmen.

Sicherlich, es hat eine gute Entwicklung eingesetzt, sich von der Ausübung von Macht zu distanzieren und an die Seite der Entrechteten zu treten, aber dieser Prozeß ist gebremst worden. Nur die wichtigsten diesbezüglichen

Punkte seien hier in knapper Form mit besonderer Sorge registriert:

1. Die Frau findet bei dem Kampf um Gleichberechtigung bei der Kirche, die sie nach wie vor auf, die „biologische Funktion“ zurückdrängen möchte, nicht nur keine Unterstützung, sondern sie wird auch in der Kirche selbst anhaltend schwer benachteiligt, zu entscheidenden Aufgaben nicht zugelassen, auch wenn dies bestimmte Damen, weil sie mit im Grunde unbedeutenden Funktionen abgespeist wurden, nicht zugeben wollen. Ich fürchte, es ist Schasching voll zuzustimmen, wenn er prophezeit, daß die Kirche in diesem Jahrhundert die Frauen ebenso verlieren wird, wie im vorigen die Arbeiter.

2. Der erzwungene Zölibat wird immer mehr zu einem Problem, das man in seiner Bedeutung einfach nicht wahrhaben will. Es geht dabei nicht allein um die sicher damit im Zusammenhang stehende bedrohliche Reduktion der Priesteramtskandidaten. So wie seinerzeit die Angst vor der Frau zum Zölibat führte, so verbindet sich jetzt meiner Überzeugung nach das Festhalten am Zölibat mit daraus resultierender Angst vor der Frau und Befangenheit gegenüber der Sexualität.

Die Trennung von Madonna (geschlechtslos) und Eva (Verführerin) hat hier einen wesentlichen Ursprung, sie wirkt sich bis zum heutigen Tage für viele Menschen (auch christliche Laien) verhängnisvoll aus, die dann Liebe und Sexualität nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen können. Die „aufgeschlossene“

Einstellung der Kirche zur Sexualität wird solange ein reines Lippenbekenntnis bleiben, solange sich angehende Priester vor der Sexualität fürchten müssen: sie werden dann einfach gezwungen sein, ihre Befangenheit weiterzugeben.

3. Das Eintreten für die B enach- teiligten ist nicht v’on daraus resultierenden politischen Konsequenzen zu trennen. Nie mehr wieder politischer Katholizismus! Aber immer wieder eine christliche Initiative gegen die Unterdrücker, auf welcher Seite (links oder rechts) sie auch stehen mögen!

Gewarnt muß werden vor dem modernen Übel, welches Richter als „Partialdimension“ bezeich- nete. Der Wissenschaftler, der Atombomben erzeugt, aber sich nicht fragt, was mit diesen geschieht; der Psychotherapeut, der Neurotiker heilt, aber sich nicht fragt, ob die Gesellschaft neuroti-: siert… Auch der Priester ist ein Mensch und als solcher verpflichtet, auch zu politischen Verhältnissen Stellung zu nehmen.

4. Benachteiligte, für die bisher noch niemand entscheidend eingetreten ist, sind die Kinder (keine Wähler stimmen sind hier zu ergattern). Umso mehr käme es der Kirche zu, von Anfang an mit Christus an ihrer Seite zu stehen und dem Gottesmißbrauch und der Gottesvergiftung, welche Eltern mit unzulässigem Machtanspruch betreiben, entgegenzutreten. Eine neue Formulierung des Vierten Gebotes ist in diesem Zusammenhang ebenso notwendig wie eine neue Form des Religionsunterrichtes.

5. Auch die Jugend bekommt derzeit auf ihre brennenden Fragen, die aus der Begegnung mit jener kahlen und fahlen Welt resultieren, mit der sie die Erwachsenen konfrontieren, von der Kirche keine befriedigenden Antworten. Das gilt insbesondere auch für die voreheliche Sexualität. Die Ehe als einziges Kriterium anzusehen, von dem Sittlichkeit oder Unsittlichkeit eines Verkehrs abhängig ist, erscheint unhaltbar.

Überhaupt müßte von der Kindheit an auch religiös alles getan werden, daß sich ein Mensch seelisch gesund in die Weite und nicht in die Enge entwickelt.

Soweit eine Standortbestimmung. Aber — und das muß ich gerade als Psychotherapeut sagen — solche Feststellungen haben ja nur einen Sinn, wenn sie einer echten Begegnung mit Andersdenkenden dienen. Hier Fortschrittliche, dort Konservative — wir müssen lernen miteinander zu sprechen, einander besser zu verstehen, das Gemeinsame zu suchen.

Und das bringt mich direkt zu der Frage, ob es gut war, den österreichischen Katholikentag mit dem Papstbesuch zu verbinden. Ich stehe diesem Papst mit großem Respekt gegenüber: Er ist mutig, er setzt sein Leben ein, bedingungslos. Er zeigt eine Aktivität, die bewundernswert ist. Nur glaube ich, daß er falsch beraten ist, wie er diese Aktivität einsetzt, denn es bleibt in meinen Augen eine gewaltige Diskrepanz zwischen der Bemühung und ihrem Resultat. Natürlich kommen alle, aber gehen sie wirklich verändert weg?

Ein Punkt aber ist besonders beunruhigend: Ich glaube, daß man rhit diesem Papst nicht reden kann. Kardinal König, den ich von Jahr zu Jahr mehr bewundere und schätze, in der „Kronenzeitung“: „Der Papst hält eisern an seinen Grundsätzen fest, weil er fürchtet, daß Grundstrukturen aufgebrochen werden könnten, da kann man mit ihm nicht diskutieren.“ Ein österreichischer Bischof, den ich nicht beim Namen nennen will, um ihn nicht zu kompromittieren, hat berichtet: „Eine enorm charismatische Persönlichkeit, Wenn man aber etwas sagt, was ihm nicht paßt, hört er nicht mehr zu oder beendet das Gespräch…“

Von Johannes XXIII. hat Christine Busta gesagt, daß er der Zeiger war, der auf der Uhr des Herrn unverrückbar die Stunde, der Liebe wies. Unverrückbar? Es wird intensiv daran gearbeitet, ihn zu verrücken. Herbert Pietschmann hat gesagt: „Wenn aber Liebe schon Gotteserkenntnis ist, nicht nur ein Weg oder eine Möglichkeit dazu, dann sind liebende Menschen gewissermaßen Werkzeuge zur Selbstverwirklichung Gottes in der Welt.“

Mit der Bitte, Gott in dieser Welt auf diese Weise zu verwirklichen, möchte ich meine Ausführungen schließen.

Der Autor ist Ordinarius für medizinische Psychologie der Universität Wien.

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