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Opfer der Lust an der Negation

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Nach der Papstrede im Salzburger Festspielhaus wurden für das „Salzburger Nachtstudio“ (29. Juni, Ö 1) Wissenschaftlermeinungen eingeholt. Die FURCHE zitiert aus diesen teils sehr konkreten Aussagen zu einzelnen Papstworten (Kultur der Askese, New Age, Wer hütet den Hirten?). Siehe dazu FURCHE 26/1988.

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Nach der Papstrede im Salzburger Festspielhaus wurden für das „Salzburger Nachtstudio“ (29. Juni, Ö 1) Wissenschaftlermeinungen eingeholt. Die FURCHE zitiert aus diesen teils sehr konkreten Aussagen zu einzelnen Papstworten (Kultur der Askese, New Age, Wer hütet den Hirten?). Siehe dazu FURCHE 26/1988.

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ALBERT BIESINGER: Ja, die Kultur der Askese, da kann ich nur zustimmen. Ich merke es ja an meinem eigenen Lebensstil. Wenn ich nicht anfange, weniger einzukaufen, beim Verpackungsmaterial zu sparen, bei meinem Lebensstil wenigstens im Ansatz einiges umzustellen, dann kann es mit der Umweltzerstörung eben kein Ende nehmen.

Was aus den Fabrikschloten kommt, ist auch Teil von mir, indem ich bestimmte Produkte kaufe, das sind dann nicht nur „die von der Industrie“, sondern ich bin mitbeteiligt an diesem Gesamtprozeß.

Das zweite ist: Ich arbeite sehr viel.mit Selbstbesteuerungsgrup-. pen für Lateinamerika, wo die Leute sehr wohl bereit sind, Askese zu üben, im Sinne von Solidarität. Ich denke, unsere Gesellschaft ist nicht so marode, wie manche immer tun — daß wir nicht bereit wären, uns umzustellen, sondern es ist ein Prozeß der Erziehung, der Bewußtseinsbildung, und da hat die Kirche eine massive Rolle zu spielen. Dann wird sie auch für die Jugendlichen wieder glaubwürdig.

MICHAEL HIGATSBERGER: Die Naturwissenschaft versucht dort Erklärungen anzubieten und zu geben, wo man sie mit gutem Gewissen geben kann. Die Naturwissenschaft ist sich aber bewußt, daß viel unbekannt ist und daß es ohne eine übergeordnete Gesetzmäßigkeit, die wir Gott nennen, einfach nicht geht.

Ich war eigentlich von der Rede des Heiligen Vaters sehr beeindruckt. Ich habe mir überlegt, wie könnte man mit einem Satz zusammenfassen, was hier gesagt wurde. Ich habe diesen Satz nicht gefunden. Ich habe mich aber erinnert, daß ein sehr viel berühmterer Kollege, nämlich Max Planck, herangezogen werden könnte, um diesen Satz zu geben. Max Planck hat gesagt: „Die Wissenschaft brauchen wir zum Erkennen, den Glauben aber für unser Handeln und für unser Tun.“ Besser, glaube ich, könnte man mit einem Satz die heutige Papstrede nicht zusammenfassen.

REINHARD KNOLL: Mir scheinen drei Punkte wichtig. Der erste Punkt hat jetzt weniger mit der Rede zu tun, sondern mit dem Ort, an dem diese Rede gehalten wurde. So möchte ich nun einmal festhalten, daß offenbar die Kirche nicht mehr der Ort der Begegnung oder Konfrontation von Wissenschaft und Glaube ist, wie sie das in der kirchlichen universitären Tradition einmal gewesen ist. Der Heilige Vater muß wie in der Spätantike jene Orte aufsuchen, wo sich die Menschen einfinden. War es in der Spätantike die Markthalle, so ist es jetzt eben

der Kultort der Kunst, das Festspielhaus.

Zum zweiten Punkt: Der Heilige Vater setzte jene Gesellschaftsanalyse fort, wie sie Kardinal Ratzinger in Wien (FURCHE 49/ 87) begonnen hat, ebenfalls eine aufsehenerregende und mit gemischten Gefühlen aufgenommene Rede. Ausgehend von den tiefen Problemen der Menschen in unserer Zeit wiesen sowohl Kardinal Ratzinger als auch der Heilige Vater nach, daß der Mensch eigentlich ein Opfer der Lust an der Negation geworden ist und daß hier mehr oder weniger die Wissenschaften eine Verfüh-rungs^rbeit leisteten.

Der Heilige Vater hat als zentrale Fragestellung formuliert: Wer hütet den Hirten?, das heißt, daß er nicht einseitig die Problematik in der Wissenschaftsentwicklung gesehen hat, sondern auch in der Entwicklung der Kirche. Der Säkularisierung der Gesellschaft steht eine Entkirchlichung der Kirche gegenüber, und er ist der

Mann, der sowohl dieses Problem sieht, als auch sich am stärksten dagegenstemmen will.

GUNTHER KREIL: Ich habe mich in keiner Weise angegriffen gefühlt, es waren sehr milde und* ausgewogene Worte, die der Papst gefunden hat. Wir bekommen von anderen Seiten - zu Unrecht, wie ich in den meisten Fällen glaube — viel mehr zu hören, als es heute der Fall war.

In meinem Alltag und in dem meiner Kollegen findet ein solcher Dialog mit der Kirche nicht statt. Man würde sich in die Ta-

sehe lügen, wenn man das sagt. Es ist natürlich so, daß die Wissenschaft in vielen Bereichen Fortschritte macht, die mit Lehrmeinungen der Kirche schwer oder überhaupt nicht vereinbar sind.

In vielen Fällen, und das finde ich beklagenswert, hat der Vatikan oft eine sehr starre Haltung eingenommen. Es hat etwa der Rektor Schweiger heute vom Problem der Uberbevölkerung gesprochen, und gleichzeitig wissen wir alle, wie starr der Vatikan bezüglich Geburtenkontrolle noch immer reagiert. Auch in der neuen Stellungnahme über In-vitro-Be-fruchtung hat der Vatikan nicht die modernen Erkenntnisse der Embryologie miteinbezogen.

Es herrscht auch großes Schweigen im Vatikan, was etwa die Evolutionstheorie betrifft. Seit 40 Jahren ist darüber nichts gesagt worden. Aber man tut sich gegenseitig nicht weh, man lebt nebeneinander her. In meiner Wissenschaft und in dem, was meine Kollegen und ich machen, findet der Dialog nicht statt.

MICHAEL SCHMOLKE: Im Punkt New-Age-Bewegung und vor allem deren volkstümlicher oder populistischer Ausläufer braucht der Papst sicher nicht um die Bundesgenossenschaft der Wissenschaft zu werben, denn für sehr viele Wissenschafter ist das geradezu ein Bereich schlimmster Befürchtungen, daß Pseudowissenschaftlichkeit auf populistische Art eher zu einem weiteren Gefahrentaifun wird, der, je näher die Jahrtausendwende rückt, uns immer mehr hineinzieht. Da ist die Wissenschaft mit Sicherheit gesprächsbereit, forschungsbereit und leistungsbereit.

Der andere Punkt ist die Frage nach der Wahrheit, die Toleranz dürfe nicht die Wahrheitsfreiheit suspendieren. Da fühlen sich Wis-

senschaftler allerdings oft allein gelassen. Denn je differenzierter moderne Naturwissenschaft und ebenso Sozialwissenschaft ist, desto mehr Zweifel tauchen auf, nicht daran, daß es eine Wahrheit gibt, sondern, ob Wissenschaftler berechtigt und in der Lage sind, der Wahrheit, wie sie im christlichen Glauben in den Mittelpunkt gestellt wird, näherkommen zu können und zu dürfen. Ich möchte sagen, wer nicht wissenschaftlich verbildet ist, hat größere Chancen, sich der Wahrheitsfrage mit Aussicht auf Erfolg anzunähern.

FRITZ SCHWEIGER: Aufgefallen ist mir schon, daß die Themen, die ich mit einer gewissen

kritischen Anfrage in meine Rede hineingenommen habe, daß die nicht aufgenommen wurden. Das können die schwierigen sachlichen Themen gewesen sein, wo ich eben meine, daß heute Naturwissenschaftler auch Dialogpartner sind: Wesensbestimmung des Menschen, Wesensbestimmung der Sexualität, Rolle der Frau oder ähnliche Themen, die heute einfach virulent diskutiert werden.

Gar nicht angesprochen wurde die von mir eingeforderte Freiheit der theologischen Forschung. Das ist mir wichtig, wenn ich einen Theologen als Wissenschaftler, als Partner ansehe. Das ist auch nicht vorgekommen und einiges andere.

Ich würde aber dazu sagen, und ich versuche immer das Positive zu sehen — vielleicht zeigt das stärker in die Richtung des Dialoges. Denn diese Fragen sind

schwierig, und allein die Tatsache, daß der Papst auf die eine oder andere schwierige Frage nicht mit einem einfachen Nebensatz eine abschließende oder scheinbar abschließende Antwort gegeben hat, ist für mich eine Ermutigung und ein Zeichen, daß der Dialog gewünscht ist und fortgesetzt werden soll.

PETER STEINHAUSER: Mich hat beeindruckt, wie er die Grenzen der Freiheit gekennzeichnet hat, indem er darauf aufmerksam gemacht hat, daß das Wort“ „Die Wahrheit wird euch frei machen“ nicht unbedingt umkehrbar sein muß, das heißt, daß nicht allein*“ die Freiheit im Stande sein muß, Wahrheit zu erzeugen. Das ist für einen Wissenschaftler natürlich etwas sehr Hartes.

Ich kann das auch nur so verstehen, daß damit Grenzen der Freiheit angezeigt werden, weil an sich, als Katholik, verstehe ich natürlich sehr wohl, daß die Freiheit des Denkens etwas sehr Wesentliches ist, was uns Paulus schon als Geschenk der Kirche angeboten hat: die Freiheit von dem Gesetz des Alten Bundes.

Ich glaube, daß die Freiheit des Denkens auch der Antrieb des Geistes ist, daß er als Gnade verstanden werden muß und nur so auch wirken kann. Er muß sich natürlich in der Liebe realisieren, in der Begeisterung, für den Menschen zu arbeiten, und in dem Sinn habe ich auch neue Anregungen von diesem Gespräch erfahren.

Zitiert wurden: ALBERT BIESINGER, Professor für Katechetik (Salzburg); MICHAEL HIGATSBERGER, Professor für Physik (Wien); REINHARD KNOLL, Dozent für Soziologie (Wien); GUNTHER KREIL. Professor für Molekularbiologie (Salzburg); MICHAEL SCHMOLKE, Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (Salzburg); FRITZ SCHWEIGER, Protessor für Mathematik und derzeit Rektor der Universität (Salzburg); PETER STEINHAUSER. Professor für Geophysik (Wien).

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