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Von Galilei zur Atombombe

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Eine von Hubert Arnim-Elissen gestaltete ORF-Radioreihe über Glaube und Wissenschaft endete mit einem hochkarätigen Dialog in Starnberg. Die FURCHE bringt hier redigierte Passagen.

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Eine von Hubert Arnim-Elissen gestaltete ORF-Radioreihe über Glaube und Wissenschaft endete mit einem hochkarätigen Dialog in Starnberg. Die FURCHE bringt hier redigierte Passagen.

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CARL FRIEDRICH VON WEIZSÄCKER: Herr Kardinal, es sind jetzt wohl 22 Jahre vergangen, seit Sie mich zum ersten Mal besucht haben. Zuerst möchte ich Ihnen zum Galilei gratulieren, denn über den haben wir damals miteinander geredet. Daß er nun anerkannt worden ist, ist etwas, woran Ihnen schon damals lag, und deshalb gratuliere ich Ihnen.

KARDINAL FRANZ KÖNIG: Ich danke Ihnen, Herr Professor, für diese Anerkennung, ich freue mich wirklich sehr darüber, daß das geschehen ist. Ich habe vor kurzem in einem Ihrer letzten Bücher, „Bewußtseinswandel”, nachgeschlagen. Sie haben da einen Satz geschrieben, der mir sehr in Erinnerung geblieben ist: Von Galilei führt ein direkter Weg zur Atombombe. Das war wirklich ein Satz, der mich beschäftigt hat und der große Aktualität hat, wenn man ihn noch ein bißchen ausdeutet.

. WEIZSÄCKER: Dazu ist vielleicht am besten, wenn ich aus meiner eigenen Erfahrung erzähle, wie ich auf die Atombombe gestoßen bin. Ich habe Physik studiert, weil sie philosophisch so interessant ist. Als ich meine Doktorarbeit schrieb, war gerade die Kernphysik modern, mein Lehrer Heisenberg hat angefangen, eine Theorie der Atomkerne zu machen, und ich sagte mir, ich werde über Atomkerne arbeiten: Das ist an der Front der Forschung, das ist nicht so wahnsinnig schwer wie die philosophische Interpretation der Physik, außerdem würde ich mich niemals in das Problem verwickeln, mit Technik etwas zu tun zu haben, was ich gar nicht wünschte. Die Atomkerne sind so weit weg, deren Energien sind so viel größer als die Energien der gewöhnlichen Atome, die man in der Chemie hat, das wird man technisch nicht anwenden können, deshalb werde ich da ganz ruhig arbeiten können. Das war 1932. Dann habe ich eine Zeitlang auch bei Otto Hahn gearbeitet, und 1939, als ich schon nicht mehr bei ihm arbeitete, hat er mich angerufen und gesagt, daß er den Urankern gespalten hat, indem er ihn mit Neutronen beschießt, das war für ihn eine überraschende Sache, denn er hatte nicht die geringste technische Absicht. Dann hat er vielleicht anderthalb Monate später erzählt, daß sein Kollege Joliot in Paris herausgefunden hat, daß, wenn man mit Neutronen den Urankern spaltet, neue Neutronen herauskommen. Das heißt aber, daß eine Kettenreaktion möglich ist, diese Neutronen können neue Urankerne spalten, und so geht es weiter. Jeder Kernphysiker auf der Welt, der das verstanden hatte, muß in dieser Woche kapiert haben: Atombomben sind möglich.

Jetzt sage ich: Von Galilei, der die reine Forschung betrieb (obwohl er auch technisch interessiert war), führt zurreinen Forschung von Otto Hahn ein schnurgerader Weg. Wenn man immer weiter forscht, kommt man dazu, auch Atomkerne zu zerlegen, und auf einmal zeigt sich, daß das eine Entdek-kung ist, die die Welt verändert.

Dann ging ich zu meinem Freund Georg Picht, Philosoph und später Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, und erzählte ihm, man kann wahrscheinlich so eine Bombe machen. Wir haben eine Nacht lang darüber geredet und kamen zu folgendem Schluß: Wenn diese Bombe möglich ist, wird es jemanden geben, der sie macht. Das können wir nicht verhindern. Und wenn sie gemacht ist, wird es jemanden geben, der sie anwendet. Sechs Jahre später, im Jahre 1945 - Hiroshima -, war's passiert, beides. Dritte Folgerung: Wenn das so ist und wir es nicht ändern können, dann ist für die Menschheit, wenn sie überleben will, notwendig, daß sie den Krieg als Institution überwindet. Das heißt, die reine Wissenschaft führt hier zu einer sehr radikalen politischen Änderung, und die ist ihrerseits natürlich eine moralische Forderung.

KÖNIG: Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Otto Hahn, das ich in Lindau vor Jahren führte. Er hat mir erzählt von diesem Erlebnis, welches Sie gerade geschildert haben. Er hat sehr genau vorausgesehen, was praktisch daraus folgen wird, und er stand vor der großen Gewissenfrage: Soll ich das zuschütten, oder müssen wir diesen Weg weitergehen? In seiner großen inneren Unsicherheit haben ihn seine Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht, daß er nicht allein im Besitz dieser Erkenntnis ist. Für mich war es sehr eindrucksvoll, aus der Erzählung herauszuhören, in welche persönliche Konflikte ein Forscher hineingerät, wenn er weiter vorausdenkt und voraussieht, was hier passieren kann.

HUBERT ARNIM-ELISSEN: Hat die Kirche mit der Entscheidung über Galilei vor 350 Jahren einfach den richtigen „Riecher” bewiesen?

KÖNIG: Das ist eine schwierige Frage. Ich fürchte, daß eher aus der heutigen Situation, zurückgreifend auf Galilei, hier eine Verbindung hergestellt wird. Diese Zusammenhänge waren zu Galileis Zeiten auch für die Kirche noch nicht da, sondern nach meiner Auffassung ging es eher um das Weltbild des damaligen Alltags, darum, daß das eine zu große Verwirrung bringen könnte. Und da war die Frage auch: Ist da nicht der Glaube überhaupt unsicher, wenn man hier in diesem Weltbild zugibt, daß das falsch ist?

WEIZSÄCKER: Das ist zweifellos historisch so gewesen, gleichzeitig habe ich aber schon vor längerer Zeit einmal versucht, darüber nachzudenken, ob nicht die Kirche, wie Herr Arnim-Elissen sagte, einen richtigen

„Riecher” hatte. Das ist ja nicht dasselbe wie eine intellektuell formulierbare Überzeugung. Nur die Reaktion darauf war dann eine irrige Reaktion. Sie hat gemerkt, da ist eine große Gefahr. Ich würde die Gefahr, wenn man sie rückprojiziert auf damals und dann wieder zurück auf heute, so ausdrucken: Wenn man erlaubt, daß ein Professor aus Pisa plötzlich sagt, was ihr bisher geglaubt hat, das stimmt gar nicht, sondern es ist so und so, wenn man das erlaubt, warten wir einmal 300 Jahre, dann wird ein Professor aus Princeton sagen, ich kann jetzt eine Bombe machen, mit der man 60.000 Japaner umbringen kann. Wo ist da der Bruch?

Also das Empfinden, daß man den Leuten nicht einfach alles Beliebige, was sie für wahr und möglich halten, erlauben sollte, ist ein verständliches Empfinden. In dem Sinne würde ich sagen, hat die Kirche vielleicht einen richtigen „Riecher” gehabt. Ich habe den Galilei-Prozeß etwas studiert. Kardinal Bellarmin, der das zunächst machte, war ein hochgebildeter Mann, der vollkommen richtig erkannt hat, daß Galilei nicht bewiesen hat, was er behauptet. Er hat verstanden, daß man die Bewegung relativ so oder so beschreiben kann und hat Galilei den Rat gegeben, die übliche Sprechweise doch nicht unnötig durch eine andere zu ersetzen. Wissenschaft ist offensichtlich eine sehr gefährliche Sache. Infolgedessen muß man mit dieser Gefahr umgehen. Was die Menschheit damit tun muß, ist nicht, daß sie diese Erkenntnisse verbietet. Dann kriegt sie jemand anders. Wenn man Erkenntnisse nur deshalb nicht gewinnt, weil es einem verboten ist, dann wird man wütend, und dann hat die Kirche sich die größten Gegner geschaffen, die sie nicht wird überwinden können. Auf der anderen Seite aber muß man dann die ethisch formulierbare und politisch sichtbare Ordnung des menschlichen Lebens radikal verändern. Und auch dies steht schon in der Bergpredigt. Auch da steht natürlich nicht, das wird alles erst passieren, wenn ihr tot seid, oben im Himmel, sondern dieser Text gilt ja auf Hier und Jetzt. Das Reich ist gekommen, sagt Jesus, nicht, es ist nahe herbeigekommen, wie Luther übersetzt hat.

Wenn man so redet, dann sieht man, die Wissenschaft ist sozusagen eine Radikalisierung unserer moralischen Aufgabe. Das ist nicht ihre Absicht, aber das ist eine unausweichliche Folge. So würde ich es gerne sehen, denn inzwischen hat die Kirche leider, verständlicherweise, aber doch in meinen Augen: leider (im Interesse der Kirche sage ich das), einige Jahrhunderte lang Rückzugsgefechte gegen die Wissenschaft gefochten und hat sie alle verloren.

KÖNIG: Damit ist wohl auch angedeutet, was Papst Johannes Paul II. bei der Behandlung dieses Themas auch gesagt hat, daß man zur Zeit Galileis nicht richtig unterscheiden konnte zwischen der Kompetenz des kirchlichen Lehramtes, die Glaubensfragen anhand der Heiligen Schrift zu klären und auf die Zeit anzuwenden, und wie weit die Wissenschaft etwas Selbständiges ist.

Das hat die Kirche Gott sei Dank klargestellt: Der Vertreter der Wissenschaft hat das Recht zu forschen, die Welt zu erklären, neue Antworten zu suchen und dann die Frage zu stellen: Wie verhält sich Glaube und Wissen zueinander? Das ist das positive Ergebnis des ganzen leidvollen Galilei-Prozesses.

Dieses ganze Gespräch, aber auch die ganze Reihe zum Thema „Die unfertige Schöpfung” ist bei der ORF-Hörfunk-Hauptabteilung Religion auf Kassetten erhältlich.

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