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Digital In Arbeit

Neue Leiden der jungen Wörter

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Diesen Anhang verdanke ich meinem Anhang: den Lesern der ersten drei Auflagen und den Hörern der zahlreichen Veranstaltungen, in welchen ich dieses Buch präsentiere. Sie schrieben Briefe, sie meldeten sich zum Wort, sie berichtigten, sie forderten vor allem die Aufnahme weiterer junger Wörter. Ich danke ihnen- allen, auch den leider zahlreichen Witzbolden unter ihnen, die zum Lob meiner Arbeit schelmisch Wörter, wie signifikant, relevant, effizient, gebrauchten.

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Diesen Anhang verdanke ich meinem Anhang: den Lesern der ersten drei Auflagen und den Hörern der zahlreichen Veranstaltungen, in welchen ich dieses Buch präsentiere. Sie schrieben Briefe, sie meldeten sich zum Wort, sie berichtigten, sie forderten vor allem die Aufnahme weiterer junger Wörter. Ich danke ihnen- allen, auch den leider zahlreichen Witzbolden unter ihnen, die zum Lob meiner Arbeit schelmisch Wörter, wie signifikant, relevant, effizient, gebrauchten.

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Beinhaltung ist ein Fachausdruck der Choreographie und der Gymnastik.

Beinhalten hat nichts mit Tanzen und Turnen zu tun, sondern ist ein hochgestochenes Wort, von allen jenen gern gebraucht, denen enthalten nicht fein genug ist.

Ich empfehle dringend, sich des Gebrauchs von beinhalten zu enthalten.

Die journalistische Bildersprache wuchert enorm und treibt phantastische Blüten. Die Weichen für die Regierungsumbildung werden gestellt, gegensätzliche Auffassungen werden ausgeräumt, für die Einführung des Fahrverbotes wird grünes Licht gegeben...

Von Natur aus kein Diktator, würde ich doch gern einen totalen Bilderstopp, ein Neophrasen-Morato-rium dekretieren.

Geheimnisvolle seelische Kräfte hindern die meisten Menschen daran, direkt, ohne Anlauf, ohne Einstieg zu sagen, was sie sagen wollen.

Haben Sie mit dem Training schon begonnen? fragt der Reporter. Der Läufer antwortet: Das ist richtig. Ich trainiere schon seit zwei Wochen. — Wie ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt? fragt der Reporter. Es ist so, sagt der Minister, daß die Beschäftigungszahl rückläufig ist.

Ich träume von einem stilistischen Scheibenwischer, der diese und andere (ich meine, ich finde ...) störenden Partikeln entfernt, auf daß die gesprochene Sprache klar und durchsichtig werde.

In einer Zeitschrift namens „Der Sprachdienst“ wurden Die Leiden der jungen Wörter vernichtend kritisiert.

Ich war tieftraurig, als ich lesen mußte: Es ist leider so, daß ich mir als Sprächamateur scharfe Kritik gefallen lassen muß, und zwar wegen meiner nationalistischen, reaktionären und von persönlichen Ressentiments überquellenden Einstellung zur Sprache.

Mein heftiges Aufweinen ging in konvulsivisches Schluchzen über. Um mich zu trösten, wollte ich einige nationalistische und reaktionäre Trutzlieder absingen, doch die Stimme versagte mir. Dies deute ich als Omen. Ich schlug mir die reaktionäre Brust, streute Asche auf mein von persönlichen Ressentiments überquellendes Haupt, zerriß meine nationalistischen Kleider und setzte ein Telegramm an meinen Verlag auf: EINSTAMPFET RESTAUFLAGE.

Ehe ich es telephonisch aufgab, wollte ich noch ein wenig in dem Sprachdienst-Heft blättern und so den Grundstein zur Überwindung meines Sprachamateurismus legen.

Ich las zunächst eine redaktionelle Notiz des Inhalts, daß den Beziehern der Zeitschrift Rat und Hilfe in allen Fragen zur deutschen Sprache unentgeltlich geboten werde, allen anderen zum Selbstkostenpreis von 23.20 DM je Stunde... Fernmündliche Auskünfte sind kostenfrei.

Da kräuselte ein Lächeln meine Fernlippen, und ein Seufzer der Erleichterung entrang sich meinem Fernmund. Ich füllte einen Scheck über 23.20 DM aus und sandte ihn an die Redaktion der Zeitschrift „Der Sprachdienst“ mit der Frage: Wieso verwenden Sie das Wort fernmündlich und bezeichnen mich als nationalistisch und reaktionär?

Ich bedanke mich, indem ich Danke sage, bedanken ist ein Akt. Das Wort

Danke ist sein Ausdruck. Ich sage ja auch ja und nicht Das bejahe ich. Und wenn sich schon unbedingt ein Verb bemühen will, um meinen Dank auszusprechen, sage ich Ich danke.

Dieses Ich bedanke mich, in den letzten Jahren mit steigender Frequenz auftretend, ist vor allem darum so problematisch, weil wir alle ja seit jeher gelegentlich höhnisch-ironisch zu sagen pflegen Dafür bedanke ich mich, wenn wir etwas ablehnen, wenn wir eine Zumutung von uns weisen.

sich bedanken ist also zweideutig. Sollte jemand, dem ich gefällig war, mit Ich bedanke mich reagieren, würde ich mich für diesen Ausdruck der Erkenntlichkeit bedanken.

Wehn jemand hinhaut, will er verletzen und beschädigen (oder nimmt diese Möglichkeit zumindest in Kauf). Wenn ich höre, daß etwas hinhaut, fühle ich mich verletzt.

Etwas stimmt, glückt, gelingt — warum wählt sich eine erfreuliche und positive Feststellung eine derart sadistische Ausdnucksfopm?

Konzept ist Entwurf, konzipieren ist entwerfen. Der Redner konzipiert die Rede, die Regierung konzipiert ihr Programm. Ist das Konzept ausgearbeitet, dann ist das Ergebnis kein Konzept mehr, sondern eine Rede beziehungsweise ein Programm.

Der Regisseur hat ein Konzept. Er will in Wagners Tannhäuser die Lage der thüringischen Heimarbeiter darstellen, in Rossinis Barbier die Ladenschlußzelten im spanischen Friseurgewerbe. Wenn die Oper Premiere hat, ist nicht das Konzept, sondern seine Umsetzung oder die

Inszenierung zu rühmen oder zu tadeln.

Konzept: die vorausgehende Überlegung, die Vorarbeit, nicht ihr Ergebnis.

Die Aktion betrat das Podium, dankte für Applaus, klemmte die Geige unter das Kinn, stimmte, gab dem Begleiter ein Zeichen, wartete den Einsatz ab und spielte.

Als die letzte Draufgabe dargeboten, der letzte Beifall verklungen war, fragte die Aktion: Bin ich jetzt eine konzertierte Aktion? — Aber man konnte ihr die Freude nicht machen und mußte die Frage verneinen. Die Aktion hatte konzertiert; und wer konzertiert hat, kann ebensowenig konzertiert sein, wie eine Sitzung, die stattgefunden hat, eine stattgefundene Sitzung sein kann.

Wie ist man, wenn man konzertiert ist? Ich weiß es nicht. Und so weiß ich auch nichts mit der so oft anzutreffenden konzertierten Aktion anzufangen.

Ich hege den Verdacht, daß ein Druckfehler aus einer konzentrierten eine konzertierte Aktion gemacht hat. Oder es war ein Lesefehler.

Ich habe als Kind Displizin statt Disziplin gesagt. So hat vielleicht ein kindischer Erwachsener einmal von einer konzertierten Aktion geredet, und die anderen Kinder plappern es ihm nach.

Ein Or von Georg Friedrich Händel?

Ein Mor, weil das Geld knapp geworden ist? Ein Sanat, um Kranke zu heilen? Nein, nein, nein!

Warum dann Labor statt Laboratorium???

Manager ist kein erwachsen gewordener Teenager in den besten Mannesjahren, sondern ein leitender Organisator, und wir werden das Lehnwort, das ihn als solchen bezeichnet, nicht so bald loswerden, auch wenn es sensiblen Ohren wehtut (-• Image).

Ärgerlicher als er ist das von ihm abgeleitete Verbum; dieses tut nicht nur akustisch, sondern vor allem optisch weh. Es hat die angelsäch-

sische Herkunft noch nicht überwunden und ist doch in die deutschsprachige Konjugation einbezogen, es hat die abnormen Merkmale des Zwitters, wenn es sich als gemanaged präsentiert. Sagen wir doch lieber organisiert, eingerichtet, vielleicht sogar aufgebaut, obwohl auch dieses Wort mich nicht sehr erbaut.

Und wenn wir schon bei den deutsch-englischen Zwittergebilden angelangt sind, wollen wir auch das checken beseufzen, das einst kollationieren hieß und den Vergleich des Abgeschriebenen mit der Vorlage, der Durchführung mit dem Projekt bezeichnet, aber in der Form gecheckt ebenso widernatürlich wirkt wie das Partizipium eines Fernseh-Fachausdrucks: gesponsort.

nachvollziehen, rief mir eine Hörerin in Zug zu, als ich bat, mir junge Wörter zu nennen, welche man in die Schranken weisen sollte. Wie recht hatte sie!

Was Kant oder Heidegger dachten, kann nicht jeder nachvollziehen? — wieso nach, wieso voll, wieso ziehen?

Jetzt muß ich praktisch die Arbeit noch einmal machen. Theoretisch nicht? Doch.

Warum sagen Sie nicht „die Arbeit noch einmal machen“, statt „praktisch die Arbeit noch einmal machen“?

Läuft das nicht praktisch auf eins hinaus?

Ja, aber es läuft auch theoretisch <£uf eins hinaus, es läuft überhaupt auf eins hinaus, also ist „praktisch“ nicht nur entbehrlich, sondern auch sinnstörend.

Ich soll also praktisch den Satz noch einmal sagen, ohne „praktisch“ zu sagen?

Sie sollen ihn nicht praktisch noch einmal sagen, sondern noch einmal sagen.

Aber „praktisch“ ist doch so praktisch.

Jetzt stimmt's!

Was stimmt jetzt?

Sie haben gesagt, daß „praktisch“ so praktisch ist, und nicht, daß „praktisch“ praktisch so praktisch ist.

Na und?

„praktisch“ stimmt dort, wo die Praxis im Gegensatz zur Theorie

steht, und dort, wo, im Gegensatz zu „unpraktisch“, etwas als bequem, handlich, günstig, zeitsparend und dergleichen bezeichnet wird. Wo „praktisch“ aber als Adverb und sinnentleertes Füllwort gebraucht wird, findet ein in letzter Zeit bedenklich eskalierender Mißbrauch statt. Verstanden?

Natürlich. Das ist ja praktisch ganz einfach.

Die Romantik hat abgewirtschaftet?

fangfrische Fische, hautfreundliche Creme, bügelarme Hemden, rieselfreudiges Salz...

.. .und sowas nennt sich Zeitalter der Information!

Selbsterkenntnis ist ein schönes Wort. Und Erkenne dich selbst! ist eine edle klassische Maxime.

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung: ein etwas ausgelaugtes, von Amateurpädagogen unmäßig strapaziertes, aber immerhin gültiges Sprichwort.

Emsige Überhörer und Pseudo-Aufwerter haben es dabei nicht bewenden lassen und haben dem Selbst schmucke neue Dimensionen aufgepfropft. Weg mit der Selbsterkenntnis, dreimal weg mit der Besserung!

Wer auf sich hält, sagt heute: Selbstverständnis ist der erste Schritt zur Selbstverwirklichung.

Der Kanzler verabschiedete den Präsidenten auf dem Flugplatz. Kann denn ein Kanzler einen Präsidenten verabschieden? Nein, das kann nur die Bundesversammlung.

Wenn man Abschied nimmt, verabschiedet man sich; nur wenn man den Abschied gibt, verabschiedet man ohne sich. Der britische Premierminister verabschiedete den Ersten Sekretär der KPdSU. Schön wär's — aber es ist leider nur unrichtig.

Die Wettersprache ärgert mich noch häufiger als die Wettervorhersage; denn die Vorhersage stimmt wenigstens manchmal.

Es existiert sowieso nur ein sehr begrenzter Stamm ständig wiederkehrender Fachausdrücke aus der Wetterologie. Warum setzen sich die Propheten nicht mit Deutschkönnenden zusammen und einigen sich auf besseres Wetterdeutsch?

Warum hat das nordatlantische Hoch eine geringere oder stärkere Wetterwirksamkeit? Wäre Wirksamkeit nicht ausreichend? Wir wissen ja, daß es sich nicht um Publikumswirksamkeit oder Werbewirksamkeit handelt. Warum die ewigen Winde aus uneinheitlichen Richtungen? Wem sind die verschiedenen Richtungen zu unelegant? Und die auffrischenden Winde, wen oder was frischen sie auf?

Wörter, die um eine Nummer zu groß sind (eine kleine Musterkollektion) :

Ansonsten? Warum nicht sonst?

Zweifelsohne? Warum nicht gewiß, sicherlich?

Zwischenzeitlich? Warum nicht inzwischen (wenn man weiß, wie lange es dauert) oder einstweilen (wenn man nicht weiß, wie lange es dauert)?

Zwischenstaatlich? Warum nicht international?

Im Rahmen? Warum nicht innerhalb oder während?

Mitnichten? Warum nicht nicht?

Rückläufig? Warum nicht sinkend, abnehmend?

Bislang? Warum nicht bisher?

Essentiell? Warum nicht entscheid dend, wichtig, wesentlich (-> relevant)?

Unterschwellig? Warum nicht unbemerkt, unmerklich, unbewußt?

Optimal? Warum nicht der, die, das beste?

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