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Die Malerei und das Geschwätz

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DIE POST BRACHTE MIR einen Stein ins Haus. Keinen wirklichen Stein, nur einen symbolischen. Es war ein langer — vielleicht einen Meter langer, ich habe nicht nachgemessen — verworrener Text den ich streckenweise nicht entziffern konnte, und am Schluß hieß es dann: „Dies ist der erste Stein auf Euch und er soll nicht der letzte sein.“

Ein Stein aus Papier! Ich bin solche Zusendungen gewohnt. Ich bekomme fast jede Woche irgendwelche Manifeste, Aufrufe und Plakate verschiedener Künstler zugeschickt, und ich sammle sie das Jahr hindurch zusammen mit anderen Reklamen und Journalen, um im Winter etwas zum Unterzünden zu haben. Es kommt ein hübscher Stoß zusammen, und ich bin nicht böse, daß man mir Papier ins Haus schickt.

Die meisten Zusendungen, die ich bekomme, stammen von Malern. Eine seltsame Zeit, in der die Maler soviel Zeit haben zu schreiben, Proklamationen zu erlassen, ganze Philosophien und Theologien aufzubauen rund um die Bilder, die sie malen! Ist denn das Malen so leicht geworden? Mir scheint es gerade im 20. Jahrhundert eine sehr schwierige Sache zu sein, ebenso wie das Schreiben. Eine Sache, die viel Zeit, Konzentration, Kraft und Hingabe erfordert — alle, über die man als Mensch verfügt. Eiq guter Maler sollte damit beschäftigt sejqift zu malen„ .wie Cézanne, von. .dem nur wenige Aeußerungen über Kunst überliefert sind. Das ist, was ich glaube. Das andere halte ich für Unfug.

Bevor ich die Plakate und Manifeste, die ich bekomme, weglege, sehe ich sie mir an, weil ich alles studiere, was mir irgendwie Aufschluß geben kann über den Geist der Zeit, in der ich lebe. (Oft verrät da die Berichterstattung über Unglücksfälle und Verbrechen mehr als die Kulturseite der Zeitungen.)

Da ich zwei der drei Herren, die das Manifest unterzeichnet haben, als Maler schätze — nämlich Fritz Hundertwasser und Ernst Fuchs — habe ich das, was auf diesem Streifen Papier stand, sehr aufmerksam gelesen, soweit ich es überhaupt lesen konnte. Aus dem gleichen Grund, aus dem ich, so gut ich es vermag, auf Briefe und Fragen antworte, möchte ich hier etwas zu diesem Manifest sagen, über das in diesen Tagen viel in den Zeitungen steht. Wer nun Späße, Wortwitze oder lustige Formulierungen erwartet, möge nicht weiterlesen. Ich bin kein Kabarettist, und hier ist kein Anlaß zu lachen. Da ich alles ernst nehme, was meine Mitmenschen tun, und vor allem das, was irgendwie mit Kunst zusammenhängt, will ich hier einige ernste Gedanken aufschreiben, Gedanken, die mir kamen, als ich das Manifest las.

Es handelt davon, daß ein „Pintorarium" gegründet wurde. Ich zitiere nun einige Sätze, damit der, der diese Zeilen liest und noch nichts von der Sache gehört hat, weiß, worum es geht.

„Das Pintorarium ist eine Brutstätte zur Heranbildung der schöpferischen Elite.“ „Das Pintorarium ist eine Anstalt, in der pintoriert wird. Das Pintorarium ist nicht nur. eine Schule des Malens, sondern insbesondere eine Schule des Denkens und des Lebens auch. Das Pintorarium ist Ausgangspunkt einer geistigen Revolution.“ „Das Pintorarium ist ein Krematorium zur Einäscherung der Akademie.“

Was geschieht nun im Pintorarium? Wird gemeinsam gemalt? Wird solchen, die malen lernen wollen, in irgendeiner Weise geholfen? Nein, eine Pressekonferenz wird veranstaltet, in der Adebar, der Film wird eingeladen, man will an die Oeffentlichkeit, man will Publikum haben, man will seinen Bart zeigen und den eigenen Namen genannt hören.

DIE FURCHE

SEITE 14 NUMMER 48 ‘8. NOVEMBER 1959

Welche Ziele hat das Pintorarium?

„Die Bombenwürfe. Sich Hinlegen aufs Trottoir Wir fordern die philosophische Fakultät der Universität Wien auf, sich aufzulösen Kauft keinen Teller, keinen Gebrauchsgegenstand mehr, von dem ihr wißt, daß er in Serie erzeugt worden ist Tragt keine gerade Linie mit euch herum ,.. Die Aufhebung der Schulpflicht. Volle Steuerfreiheit für Handwerker und Bauern." „Die Aesthetik des schlechten Benehmens. Distanzierung von der allgemeinen Geschäftigkeit und Konfor- mierung.“

Große, umwälzende Ziele sind unter den vielen, die als Aufgaben des Pintorariums genannt werden. Also sind die Pintorarier, wie sie sich nennen, Revolutionäre? Und wir haben, nach Jahren der Sattheit, Subventionen und Stipendien, nach Erhebung der Revolution von gestern zur offiziellen Kunst der Akademien, endlich wieder eine Revolution?

Nein, das Pintorarium ist keine Revolution, auch kein Ausgangspunkt dazu, und seine Herren sind keine Revolutionäre.

Zu einer Revolution gehört zuallererst der unbedingte Glaube der Revolutionäre an die proklamierten Ziele. Halten sich die Pintorarier selbst an das, was sie proklamieren?

Ich bin dafür, daß, wer Zeit, Geld und Lust hat, Auto fahren soll. Aber wie paßt es zusammen, daß jeder Pintorarier ein eigenes Auto fährt, das nachweislich in Serie gefertigt wurde, wenn er solche Produkte ablehnt? Wie paßt es zusammen, daß man als Veranstalter von Ausstellungen, als Preisträger Und Stipendiat usw. Anteil an der offiziellen Kulturförderung nimmt, wenn man sie so kategorisch ablehnt? (Einer der drei schreibt: „Scheiß-Wien“.) Wie paßt die ständige Versendung von Proklamationen, Manifesten, Sprüchen, die Veranstaltung von Diskussionen, Debatten, Rededuellen zusammen mit der Distanzierung von der allge-

meinen Geschäftigkeit? Wie paßt es zusammen, daß alle Aussendungen, die ich bisher erhielt, rechteckig sind, von geraden Linien begrenzt, wenn man so gegen das Gerade ist?

Es paßt nicht zusammen. Alles, was auf dem Pintorarium-Manifest steht, paßt nicht zusammen, weder die Thesen untereinander noch die Thesen mit den Taten. Das, was die Pintorarier fordern, fordern sie von den ändern, nicht von sich selbst. Worte und Handlungen stimmen bei ihnen nicht überein. Das, was sie sagen, meinen sie nicht, und für das, was sie tun, stehen sie nicht ein.

ZU EINER REVOLUTION würde weiter gehören, daß die, die sie herbeiführen wollen, einsthaft und unter vollem Einsatz ihrer Person daran arbeiten, sie durchzusetzen und zu verwirklichen.

An die Stelle der Aktion ist aber bei den Pintorariern das Gerede getreten. Gerede auf einem Manifest, auf einer Montagekarte, auf einer Pressekonferenz, zu der sie Rundfunk, Wochenschau und Fernsehen, Institutionen, die sie ausdrücklich als „Unterjochungswerkzeuge" abgelehnt haben, einluden mit dem Hinweis,

daß es bei ihnen „was tu essen“ gebe. Erwartet irgendein Mensch, daß dieses Gerede das geeignete Mittel ist, die Auflösung der philosophischen Fakultät der Universität Wien herbeizuführen?

Die Revolution durch Gerede entlarvt sich bald als ein Gerede über die Revolution. Das ist schade, denn es ist vieles nicht gut in Oesterreich.

Eine grundsätzliche Reform vieler Institutionen, unserer Presse, unserer Architektur und unseres Kunstschulwesens vor allem, wäre nötig. Eine solche Reform kann aber nur von ernsten, ehrlichen, mutigen Männern bewirkt werden, denen es um die Sache und nicht um die eigene Person geht. Von Mäqnern, die bereit sind, Verantwortung auf sich zu nehmen und nicht am Schluß sagen: Hahaha, es war alles nur ein Witz, wir meinen es gar nicht so ernst.

Was aber, wenn nur eine symbolische Revolution, ist das Pintorarium dann? Ein Akt der Clownerie? „Die einzige Form für den sensitiven Geist hier noch kommunikativ zu sein, ist die Clownerie“, heißt es im Manifest. Wenn es aber den Pintorariern wirklich um die Kommunikation mit ihren Mitmenschen geht, warum heißt es dann weiter: „Dieses ist der erste Stein auf euch“, und dann: „Ich hoffe, euch jetzt gegen mich zu haben.“ Kommunikation durch’ Steinwürfe? Warum nicht gleich Kommunikation durch Gasöfen und KZs für alle, die nicht malen? („Menschen, die nicht gute Bilder malen, sind Personen zweiter Kategorie!")

Ein Akt der Clownerie, aber ohne Kern von Substanz. Ein Scherz, aber ohne tiefere Bedeutung. Dummheit im Narrengewand.

Oder Schlauheit im Narrengewand, Geschäftstüchtigkeit in der Geste der Revolution?

Vieles scheint anzudeuten, daß es sich um das und nichts anderes handelt. Der große Aufwand, mit dem die Manifeste an den Plakat-

wänden affichiert wurden — so, daß der Passant zwar die großgedruckten Namen der Maler und das Wort „Pintorarium“ lesen kann, sonst aber nichts. Der verräterische Satz Arnulf Rainers, des bisher international erfolglosesten der drei Künstler, der hier offenbar eine Chance wittert, auf den Schultern Hundertwassers und Fuchsens bekannter zu werden: „Jetzt komme ich erst wieder nicht auf die Biennale.“ Denn darum allein geht es ihm: und er versucht, uns zu suggerieren, daß es seine „revolutionäre“ Agilität und nicht sein künstlerisches Unvermögen wäre, die ihn bisher von der Biennale ausschloß. Dabei bin ich davon überzeugt, daß es gerade seine Reklametüchtigkeit, seine Wendigkeit und seine Begabung, von sich reden zu machen, sein wird, die ihn schließlich doch noch auf die Biennale und ins neue Museum für moderne Kunst führen werden. Nichts spricht so sehr dafür, daß es den drei vom Pintorarium um Selbstreklame geht, als der Erfolg, den sie bisher mit ähnlichen Unternehmungen hatten, und der sie von Mal zu Mal ermunterte, mehr zu investieren.

Denn dies ist’s, was sie erreichen: Die Künstlerkreise haben ihre Hetz, man spricht über sie („Was sagen Sie zum Pintorarium?" „Ja, ganz Ihrer Meinung — so was.“ „Morgen diskutieren Sie wieder! Da müssen Sie hingehen! Da ist immer was los!“ „Ich bin ja hicht dafür, aber anschauen soll man es sich doch!“ usw.), ein paar regen sich auf, ein paar junge Menschen werden verwirrt, Journalisten machen ihre Wortwitze und haben Anlaß für viele lustige Glossen, andere bekommen Stoff für viele Vorträge, Tagungen und Diskussionen, Abendland und Tachismus werden theologisch und intellektuell untermauert, Kleckse gedeutet, Fernsehen und Wochenschau haben eine billige Sensation (einmal was anderes als Modeschau, Raketenstart und Ueberschwemmung), es wird orakelt und doziert, gewitzelt und verdient, mit einem Wort: die Kultur hat ihren Betrieb.

Und wenn der Rummel vorüber ist, haben sich die Leute die Namen derer gemerkt, die den Anlaß boten zu all dem, und ein paar Snobs haben sich ihre Bilder gekauft (wer weiß, was die einmal wert sind?), der Spaß ist finanziert und kann von vorne beginnen.

Ich verstehe, daß ein Künstler gehört, gesehen, besprochen werden will, daß er sein Werk durchsetzen will, wer will es nicht, auch Ehrgeiz und Ruhmstreben gaben oft Antrieb zu großen Leistungen. Es ist nur die Frage, ob diesem Streben nach Publicity nicht irgendwo Grenzen gesetzt sind — nicht bloß Grenzen des Anstands oder guten Geschmacks, sondern ganz einfach der Selbstachtung und der menschlichen Würde. Gewiß liegt die Versuchung nicht fern, in einer Zeit, die laut ist, mit den Waffen des Gegners zu kämpfen und diesen zu überschreien. Aber man darf den Geist nicht prostituieren.

DIE MENSCHEN SIND SCHWACH und ver- fiihrbar von Natur — und noch dazu heute! Wir leben in einer Zeit babylonischer Sprachverwirrung, dieselben Worte bedeuten nicht mehr das gleiche, Demokratie heißt hier nicht, was es im Osten oder in Amerika heißt, jeder Maler versteht unter „konkret" und „abstrakt“ etwas anderes. Wir leben im Zeitalter der Ideologien und der Generalsekretariate, der Vereinsamung und Vermassung (oder genauer: der Vereinsamung in der Vermassung, niemand ist einsamer als der Halbstarke in seiner Horde, der Tachist in seinem Rudel).

Chessman wird ein berühmter Autor, weil er ein Massenmörder ist und im Gefängnis sitzt, wer reich ist, gebärdet sich verrückt und geht nach Saint-Tropez, ein Starlet wird zum Star, weil sie im Vestibül des Hotels ihren Busen her- zefgtc Ünd: da ‘ sdlleri;ausgerechnet’ die MäleK nicht mittun? Und ihre schön behaarte Brust verdecken? (Hundertwasser veröffentlichte sein Brustbild im letzten Katalog.) Sie plakatieren, annoncieren und diskutieren die eigene Blöße, die der Bimst und die des Geistes.

Ja, ausgerechnet die Künstler sollten nicht mittun in diesem Betrieb und dieser Geschäftigkeit, sondern den Kräften des Schleims, des Schlamms und des Geschwätzes die Ordnung ihres Werkes entgegensetzen, auch auf die Gefahr hin, daß ihre hastigen Zeitgenossen zunächst daran vorübergehen. Alles Große hat seine eigene Wirkkraft, wenn sie auch freilich noch nicht am folgenden Tag in den Zeitungen registriert wird. Die systematische Selbstentblößung und Exhibition, wie sie von einigen jungen Leuten in Wien und in anderen wirtschaftswundersatten Städten betrieben wird, muß gerade dahin führen, wovon die Pintorarier so aufgeregt wegstreben: zur schöpferischen Impotenz des einzelnen, zur Erlahmung und Verzettelung der Kraft in allerhand Einfällen, Spaßetteln und Zirkusauftritten.

Und außerdem, was ist mit derlei Reklame anderes gewonnen als die Anerkennung von Kindern und Affen, von Teenagers, Snobs und ein paar eitlen Galeriemanagern? Geht es darum im Leben? So wichtig Geld und Erfolg für die physische Existenz des Menschen sind — dürfen sie um den Preis der künstlerischen Existenz erkauft werden?

Ich glaube, daß für einen Künstler ein sinnvolleres Leben nur darin bestehen kann, seine Arbeit zu tun, in gleicher Weise unempfindlich gegen Angriffe wie unabgelenkt durch Ruhm — seine Arbeit zu tun in absoluter Redlichkeit, so gut er es vermag, wenn er alle Kräfte aufbietet. Darin sehe ich einen Sinn und eine Möglichkeit zu leben.

Für Husarenstücklein, wie sie in Wien ab und zu von einem Artmann oder Qualtinger demonstriert wurden, habe ich viel übrig wie für alles, wo sich Mut, Geist oder sonst’ eine menschliche Qualität zeigt. Nichts übrig habe ich für die Vermischung von Privatem und künstlerischem Werk, von der Heranziehung der Intimsphäre, um die Dürftigkeit der Leistung zu vernebeln für Reklame durch Exhibition und für das Geschwätz.

Ich mag darin irren, aber es ist meine Ueber- zeugung, daß Kunst auch eine Charakterfrage ist, und daß die, die menschlich minderwertig handeln, zuletzt auch als die minderwertigen Künstler erkannt werden.

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