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Zwischen den Zeiten

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1918 waren wir zu jung und zu verprügelt, als daß wir für die aus dem Kriege heimkehrende Jugend gültig hätten sprechen können. Nicht einmal als Ankläger. Der Expressionismus aber war unsere Sache. Er zeigte uns eine dreckige und herrliche Zeit. Der aus zerschlagenen Ordnungen und festgefahrenen Stilen befreite Geist wollte auch von uns gepriesen, gelobt und errungen werden. Als wir dann endlich unsere eigene Sprache fanden, war auch die Zeit der Verstöße und Experimente vorbei. Immerhin, wir waren hindurchgegangen. Auch im sachlichen, im gebändigten Vers glühte noch ein Funke, der, wie wir glaubten, von den Spießern und Idyllikern verratenen Wiedergeburt.

1945 waren wir zu alt, als daß uns der neue, wenn auch unter anderen Namen versuchte Expressionismus der jungen Heim-

kehrer erschüttert hätte. Wir hatten ja längst unsere Sprache, unsere Form gefunden, und die neuen fanatischen Zerstörer aller Formen begannen vor unseren an derlei Dinge gewöhnten Augen ein absonderliches Spiel. Wir waren noch nicht so alt und würdig, daß wir sie nicht aus unserer eigenen Jugend heraus begriffen hätten, aber auch nicht mehr jung genug, daß wir drei Jahrzehnte unseres eigenen Reifens auslöschen konnten, wollten oder durften. So haben uns die neuen Heimkehrer und ihre Ankün- diger kurzerhand an den Rand gestellt und abgeschrieben. Das ist ihr Recht. Aber auch wir sind im Recht, wenn wir diesen ihren Tanz um einen in unseren Augen ausgegrabenen und von uns längst überwundenen Ismus einigermaßen gespenstisch finden.

Aus diesem Zujung und Zualt in entscheidenden Jahren ergibt sich auch für mich, den 1897 Geborenen, eine dem ersten Anschein nach verhängnisvolle Zwitterstellung. Dazu stamme ich aus dem niederösterreichischen Waldviertel, bin ich fern von jeder Literatur aufgewachsen, hat mich der literarische Betrieb im Wien der zwanziger Jahre nur abgestoßen, trage ich das alte Oesterreich in mir, diene ich dem neuen um der Idee: Europa willen. Und wenn einer wie ich sein Lebtag um einen echten christlichen Realismus gerungen hat, in der Dichtung und m der Kulturpolitik, dann ist er gewiß kein heute oder irgendwann gängiger Typ, dann steht er, weil er mitten drinnen steht, immer zwischen den täglichen Erscheinungen der sogenannten Literatur. Ich habe, solange ich mich schon als Dichter fühle, stets die Aesthe- ten verachtet und mich zu einer dichterischen Bewältigung der Zeit bekannt, ich habe immer die Reporter der Zeit, diese Abschreiber chaotischer Zustände, verwünscht und eine in sich ruhende Kunst erstrebt. Ich bin sehr oft gegen die in Oesterreich so häufigen Nur-Idylliker aufgetreten, denen jede geistige Auseinandersetzung eine Sünde gegen die Kunst bedeutet, und habe mich als Dichter der geistigen Aussage nie entschlagen. Ich habe aber genau so entschieden mich gegen die Intellektuellen gestellt, und bin glücklich, daß die österreichische Landschaft auch in meinen Büchern lebt. Ich habe mein Lebtag die neuen Formen gegen einen kalten Klassizismus verteidigt, stehe aber gegen die Konfektionäre des Avantgardismus zu den immer gültigen Gesetzen unserer Sprache und Dichtung.

Mein persönliches Leben verwirrt dies Dazwischensein noch mehr. Seit mehr als dreißig Jahren lebe ich nun als Dichter und lebhaft tätiger Mensch zugleich. Viele meiner Gedichte und Bücher reden von diesem aufreibenden Kampf zweier Pflichten. Als Volksbildner, als Programmdirektor im Rundfunk, als Glasmaler und Restaurator in den Jahren 1938 bis 1945 — wer zählt die verschwendeten Stunden, die verschleuderten und verschenkten Jahre? Ich weiß um die Fragwürdigkeit des täglichen Betriebes, aber auch um die nicht geringere einer Kunstübung um jeden Preis. Daß ich bei einer Tätigkeit, die leicht zwei Menschen ausfüllen mag, an die zwanzig Bücher geschrieben habe, Gedichte, Romane, Dramen, Erfolge am Theater und an Auflagen feststellen darf, daß sich unter meinen Büchern ein Gedicht mit 12.000 Terzinen findet und daß man mir alles nachsagen kann, nur nicht eine irgendwie ungepflegte oder undichte Sprache, verwundert nicht nur jene, die mich kaum als Dichter kennen, sondern als Direktor oder Vorsitzenden. Mein Vater entstammt einer Hand-

werkerfamilie, meine Mutter einem alten Bauernhause. Aber auch diese ererbte Robustheit würde mir nicht nützen, hätte ich nicht von Kindheit an die eigene Stille inmitten von Gebrüll und Getue trainiert. ,

Wer in einer einklassigen Volksschule unter dem Geschrei der halben Klasse das eigene Stille zu tun gelernt hat, in einem Seminar aufgewachsen ist und seine ersten Gedichte aus Verzweiflung schließlich an jenem Ort geschrieben hat, den jedermann allein betritt, wer dann beim Militär, in der Kriegsakademie nie in die Lage versetzt wurde, auch die geringste Mimosenhaftigkeit den vielen gegenüber zu entwickeln, der kann auch als reifer Mensch unter den unglaublichsten Bedingungen sich immer wieder selber finden, er trägt die einsame Stille mitten im Betrieb unantastbar in sich, er gehört aber auch, selbst wenn er dagegen immer wieder aufbegehrt, als Dichter dem tätigen Leben. Irgendwie, wenn ich zurückschaue, verweben sich ja diese Dinge miteinander zu einer Einheit. Dafür habe ich nie eine Zeile geschrieben, die nicht mein war. Den Journalismus fürchte ich wie den Tod. Ich brauche schließlich auch nicht konfektionierte Drehbücher und Hörspiele zu schreiben, und dafür bin ich dankbar.

Aber ist ein also tätiger Dichter tatsächlich eine unmögliche Erscheinung, wie ich es selbst immer wieder in reuevollen Stunden von mir glaube? Gab es nicht sehr viele Dichter, die dem Staate oder irgendeiner Gemeinschaft sehr ernsthaft dienten? Waren sie deshalb als Dichter unfruchtbar oder geschändet? Es ist freilich nicht gleich, ob einer daneben ein geruhsames Beamtendasein führt oder mitten im Wirbel lebt wie ich. Und ich wäre kein Mensch, wenn ich mir nicht nachgerade wenigstens ein Jahr ungestörten Schaffens wünschte.

Mit den Jahren aber wird mir die Einheit auch eines also zersplitterten Lebens bewußt. In diesen Zeiten der Verwirrung kommt es ja wirklich nicht darauf an, ob einer ein Buch mehr oder weniger schreibt, ob er dieser oder jener Forderung genügt, die von dieser oder jener betulichen Clique erhoben wird, ob man seine Bücher beklatscht oder verschweigt; nur, ob er in der Entsagung Gestalt gewinnt, darauf kommt es an. Ein also trotz allem ausgeglichener Mensch ist freilich ein leibhaftiger Widerspruch gegen jene, die ihre Zerrissenheit zur Schau tragen und der Verzweiflung mit Hingabe dienen. Ich glaube, daß uns in einer Zeit der Verwandlungen und des Zerfalls aufgetragen ist, das Chaos als Dichter nicht noch zu mehren oder auch nur zu registrieren, sondern es zu bändigen und Ordnung zu setzen. Dazu sind wir Dichter. Wir versagen an dieser Aufgabe, wenn wir nicht durch das Chaos hindurchgegangen sind und diese im Grunde so törichte Welt tief in uns tragen, wir versagen aber auch, wenn wir diesen notwendigen Zustand als dauernd anerkennen und anbjften, und ihm nur mit Routine beizukommen trachten. Ueberwinden wir ihn, wird unser Leben dennoch sinnvoll inmitten all der Sinnlosigkeit, die uns bedrängt. Wir, in der Mitte der Fünfzig, stehen, das sei einmal gesagt, gar nicht so sehr abseits, aber wir stellten uns außerhalb der Zeit, ließen wir uns von Bestrebungen mitreißen, die nicht mehr unser sind.

Unsere Bestimmung liegt nicht in irgendeiner neuen Mode oder in einem überhitzten Auchdabeisein. Verkünden, Rühmen und Beschwören, in dieser dreifachen Pflicht sehe ich das Amt des christlichen Dichters: das reine, wahrhaftige Wort, der Lobgesang Gottes und des Lebens trotz alledem, und die Bändigung des Chaotischen um uns und in uns durch die strenge Form. Ich glaube kaum, daß dies alles heute abseitig oder auch nur sinnlos sei oder gar überholt.

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