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Dieses Dunkel, heißt es Nacht?

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In all den vergangenen Monaten wollte der Schock nicht weichen, den der freiwillige Tod einer schöpferischen Persönlichkeit Österreichs ausgelöst hat. Er steht als vierter seit 1951 in einer Reihe. Ihm voran gingen die Dichterin Hertha Kräftner, der hochbegabte avantgardistische Schriftsteller Konrad Beyer und der einfallsreiche bekannte Regisseur Ernst Neuberg den gleichen Weg ins Dunkel. Was für ein Klima herrschte und herrscht in unserem Lande, daß seine schöpferischen Menschen von Adalbert Stifter, Ferdinand Raimund, Ferdinand von Saar über Georg Kulka bis hin zu Gerhard Fritsch aus diesem Leben fliehen? Wie nahe steht hier der schöpferische Geist der Grenze zwischen Leben und Tod. Begünstigt die Teilnahmslosigkeit und die fehlerhafte Struktur unserer Gesellschaft nicht nur das „Unbehagen an der Kultur”, sondern auch den „Todestrieb”, den schon Freud entdeckte?

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In all den vergangenen Monaten wollte der Schock nicht weichen, den der freiwillige Tod einer schöpferischen Persönlichkeit Österreichs ausgelöst hat. Er steht als vierter seit 1951 in einer Reihe. Ihm voran gingen die Dichterin Hertha Kräftner, der hochbegabte avantgardistische Schriftsteller Konrad Beyer und der einfallsreiche bekannte Regisseur Ernst Neuberg den gleichen Weg ins Dunkel. Was für ein Klima herrschte und herrscht in unserem Lande, daß seine schöpferischen Menschen von Adalbert Stifter, Ferdinand Raimund, Ferdinand von Saar über Georg Kulka bis hin zu Gerhard Fritsch aus diesem Leben fliehen? Wie nahe steht hier der schöpferische Geist der Grenze zwischen Leben und Tod. Begünstigt die Teilnahmslosigkeit und die fehlerhafte Struktur unserer Gesellschaft nicht nur das „Unbehagen an der Kultur”, sondern auch den „Todestrieb”, den schon Freud entdeckte?

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Am Fuße der Leiserberge in Niederösterreich steht das alte, verträumte ehemalige Wasserschloß Niederleis, das einmal viele Kunstschätze barg, von denen noch ein kleiner Rest, der nach dem zweiten Weltkrieg und den Wirren der Besatzungszeit übriggeblieben ist, den Besuchern gezeigt wird. Der Bau erinnert an die verteilenden Schlösser und ehemaligen Herrensitze im Marchfeld und wurde deshalb zum Schauplatz der Verfilmung des Romans „Moos auf den Steinen” von Gerhard Fritsch, dessen Liebe den großen Ebenen gehörte, gewählt. In diesem Schloß befindet sich auch eine Leihgabe des Kunsthistorischen Museums: Ein Gemälde „Der Friede” von Schindler, das einen romantischen Friedhof darstellt, dessen Gräber von einem Priester gesegnet werden.

Dieses unserem Geschmack gar nidht mehr entsprechende Bild könnte nur für die Freunde Gerhard Frltschs, die ihm an seinem 45. Geburtstag, am 28. März 1969, das letzte Geleit gaben, eine merkwürdige, fast prophetische Bedeutung gewinnen. Vor diesem Gräberbild in Niederleis bedrängen uns jene — oben geäußerten — dunklen Fragen’ und es Wird uns doppelt bewußt, was wir an Gerhard Fritsch verloren, was ihm die österreichische Nachkriegsliteratur zu danken hat: Nicht nur durch sein vielfältiges Schaffen, sondern fast mehr noch durch seinen nimmermüden Einsatz für alles Zukünftige. Hoffnungsvolle im geistigen Leben Österreichs. Und gerade diesen ideenreichen, stets hilfsbereiten Publizisten, dessen erste Gedichte 1948 in der „Furche” veröffentlicht wurden, war die Lebensluft in diesem Lande zu dünn geworden? Immer wieder quälten ihn Depressionszustände, die seine Freunde wohl kannten. Aber sie dachten nie daran, daß Gerhard Fritsch, der sein großes Gedicht „Dieses Dunkel heißt Nacht” (1955) mit den hoffnungsvollen Zeilen „keiner von uns ist einsam, so lange er lebt”, endete, diesen Fluchtweg in das Dunkel des selbstgewählten Todes wählen würde. Dieses Gedicht schildert — vergleichbar den „langen” Gedichten der Angelsachsen (Eliot, Auden und Williams) oder der Franzosen (Apollinaire. Saint John Perse, Eluard) — die nächtliche Bahnfahrt eines Menschen, der das Dunkel und Leid des Krieges und Nachkrieges erfahren und durchlitten hat; die Nacht, in die der Mensch den Menschen stieß. Wer es jetzt wiederum — im Angesicht der Todesnacht, in die Gerhard Fritsch einging — liest, wird bestürzt sein von der hoffnungslosen Melancholie und Trauer, die seinen Grundton bestimmen. Diese Dichtung sagt heute mehr über das schwere und entbehrungsreiche Leben ihres Autors aus, als damals, da er uns, noch in unserer Mitte weilend, daraus vorlas. Damals ergriffen uns vor allem die Stellen, an denen der Dichter noch von der Gnade geredet hat, die wir im Grunde alle verloren haben: „Aber wer hat sie, aber was ist sie?” Das waren damals schon vom Zweifel zernagte, bange Fragen, die man nicht mit bloßen Abstraktionen oder billigen Gefühlen und Stimmungen zu beantworten vermag. Noch ehe der Erzähler kurzer Geschichten zu seinem ersten Wurf

— dem Roman „Moos auf den Steinen”, erschienen 1956 — ansetzte, wußte er schon um die Vergeblichkeit des Wortes in einer Zeit, die der Sprache zutiefst mißtrauen gelernt hat:

„was soll man auch erzählen,

das Wirkliche läßt sich nicht sagen.”

Gerhard Fritsch hat den Sprach- zweifel Hofmannsthals, der im berühmten Brief des Lord Chandos aufbrach, zutiefst verstanden. Und dennoch hat er damals noch von der Gnade geredet, von jener Gnade, die wir alle auf irgendeine Weise erfahren haben — selbst in dieser gnadenlosen Zeit. Und dann lasen wir gebannt jene Zeilen, die dem Gedicht seine metaphysisch-religiöse Sinnmitte gaben, aus der es lebte und blühte:

„Unsere Gnade heißt Stille, zu wem aber spricht sie,

NIMM UND LIES, zu wem aber spricht sie,

KOMM UND BET AN, zu wem aber spricht sie,

GEH UND BEKENNE.”

Und im Banne dieses großen Themas versank uns sein dunkler, tief- traiuriger Kontrapunkt, die kaum verschlüsselte autobiographische Au’ssage dessen, der da seine und unsere unbewältigte Vergangenheit als Weltnacht beschrieb: das Grauen des Krieges und der Konzentrationslager. den tieftraurigen Gesang von der Mitschuld des Menschen an diesem „Dunkel”, das „Nacht heißt”. In dieser dunklen Gegenmelodie klingen Zeilen auf wie etwa diese:

„Der eine Freund sagt,

du bist noch nicht fertiggeworden mit dem Krieg,

der andere sagt,

du bist ein Spießer.

Ich denke,

daß weder der eine noch der andere weiß, wie der Wind im Gras, die Mythen der Welt, ohne Unterlaß wispert, singt und singt…”

Oder sie wirft kleine Schlaglichter auf das mehr als bescheidene Leben dieser Jahre:

„Ich soll reden über Kultur und Lebensgefühl und ähnlich Zerredbares, der Vortrag soll positiv sein, aufbauend, leicht verständlich, leicht verdaulich, aber konkret,

wie man es eben in den verschiedenen Sekretariaten der Volksbildung zu fordern und mit Hilfsarbeitergagen zu bezahlen gewohnt ist…

Die Welt indes ist nicht kleiner geworden, man sieht sie auch groß aus einer Zimmer-Küche- Wohnung …

ich fahre durch Nacht, ein kleiner Bibliothekar, der ab und zu ein Gedicht schreibt, das gedruckt wird.”

„Dieses Dunkel heißt Nacht”, ist wahrhaft ein Bekenntnisgedicht. Es erfüllt nicht nur im hohen Maße, was die moderne Ästhetik vom „langen Gedicht” fordert, sondern es läßt uns überdies in ein einsames, zuk- kendes Menschenherz blicken. Ist es unsere Schuld, daß wir darin so wenig zu lesen verstanden, daß wir uns der „Gegenmelodie” so wenig bewußt wurden, daß uns der Lärm des Tages für sie ertauben ließ? Meditationen der Nacht, geheimnisvolle „Geographie der Nacht” — Eingehaustsein in den Welten des Unterbewußten und der Todesreiche, wie es die moderne Tiefenpsychologie deuten würde — in all ihrer Magie waren diesem Dichter trotz seiner harten Realistik vertrauter als die Farben des Tages, die die Spalten utnd Abgründe oft nur übertünohen und überlärmen.

In einem seiner Gedichte sprach er davon, den Haß vergessen zu wollen, den Haß der schon die Jugend des 1924 zu Wien Geborenen begleitete. Überall sah ihn der Schüler schon in seinem eigenen Vaterlande wuchern und wachsen. Wien und Österreich erlebten den politischen Hexensabbath der dreißiger Jahre, der auch die verhältnismäßig ruhige Kindheit von Gerhard Fritsch überschattete. Der halbwüchsige Knabe entdeckte damals schon auf seinen Streifzügen die Schönheit der Ebenen im Süden und Osten Wiens.

Ihre Melancholie, ihre scheinbare Grenzenlosigkeit hatten es ihm angetan. In jener Zeit entdeckte er bereits die Landschaft, in der einmal sein erster Roman spielen sollte: Das traurig stimmende, verträumte Marchfeld mit seinen kleinen, verfallenden barocken Jagdsitzen und -schlossern, die unter dem „Moos aut den Steinen” langsam versinken, Zeugnisse der Vergänglichkeit aller Glorie dieser Welt! Damals, mit 16 Jahren, schrieb Gerhard Fritsch seine ersten Versuche in Lyrik und Prosa nieder. Die reichen Anregungen aus Natur und Landschaft wurden ergänzt durch eifrige Lektüre. Sein Vater, der Mittelschullehrer war, besaß eine große Bibliothek, in der sich damals viele „verfemte” Werke befanden. Sie legte den Grundstock zu der späteren stupen- den Belesenheit dieses Autors und sein Verständnis für alles Moderne. Auf den Lyriker, der in seinen allerletzten Versuchen noch mit der jüngsten Generation wetteiferte, hat damals vor allem Arno Holz und der Expressionismus der zwanziger Jahre tiefen Eindruck gemacht. In den Versen „Für mich selbst” webt expressionistisches Erbe, das mit Surrealismus vermischt ist. Und eben dieser Surrealismus, gleichfalls ein Kind der zwanziger Jahre, wurde zum künstlerischen Erlebnis einer Zwischenkriegsgeneration, die von Bildern des Ekels und der Angst bedrängt wird, so daß viele von ihnen Gott nur noch in seiner furchtbarsten Gestalt, als „langsamen Henker” erfahren. Dieser furchtbare Gott schickt dem jungen Dichter lediglich eine „kleine Gnade Wahrheit: Ratten und Geruch”.

Das Selbstgericht muß der Mensch allein vollziehen, „angetan mit dem Anzug seiner Lüge, die rechte Hand auf Papier”. Schreibend soll er den dreifachen Auftrag vollziehen:

„Du mußt nur sagen, was du sehen willst.

Du mußt nur sagen, was du lieben willst, du mußt nur sagen, was du tun willst.

Nur das müßtest du sagen, aber du kannst es nicht.”

Das geistige Leben dieses Dichters, den die Rechtsideologien niemals in ihren verhängnisvollen Bann zogen, war nach seiner Heimkehr aus dem Krieg, den er als Funker einer Transportfliegergruppe bis zum totalen Zusammenbruch mitmachen mußte, vom „Linksintellektualismus” bestimmt. Auch in seiner Generation erwartete man — wie einst in den zwanziger Jahren — das mes- sianische Heil von Gesellschaftslehre und „praktischer” Philosophie, die nach Karl Marx die Welt nicht bloß passiv zu interpretieren, sondern sehr aktiv zu verändern habe. Aber auch Fritsch blieb die bittere

Einsicht eines Andrė Gide oder Arthur Koestler nicht erspart.

In diesen Jahren, da er an der Universität Germanistik und Geschichte studierte und als Werkstudent in verschiedenen Berufen tätig war, lernte Fritsch, der inzwischen seine ersten literarischen Erfolge mit den Büchern „Zwischen Kirkenes und Bari” (1951), „Lehm und Gestalt” (1954) und dem eingangs zitierten „Dieses Dunkel heißt Nacht” erringen konnte, die meisten österreichischen Autoren seiner Generation kennen. Mit vielen von ihnen verband ihn gute Freundschaft. In diesen „Lehrjahren” gewann noch einmal einer der Großen der zwanziger Jahre starken Einfluß auf ihn: Joseph Roth, dessen Figur für den alten Lichtblau in seinem Romanerstling Modell gestanden haben könnte. Seine wissenschaftlichen Neigungen erzogen den Schriftsteller zur Verständlichkeit und Genauigkeit in seinen literarischen Arbeiten, in denen er sich stets bemühte, auch noch die subjektivste Assoziation objektiv aufnehmbar zu gestalten. Seine Kurzgeschichten haben alle einen doppelten oder mehrfachen Boden und müssen sehr aufmerksam gelesen werden, will man hinter ihr „symbolgeladenes Understatement” dringen, hinter diese geistige Haltung des Selbstschutzes einer verprügelten und skeptischen Generation.

Seine Lyrik kommentierte der Dichter selbst als „elegischen Aktivismus”, der Landschaft, Geschichte und Mythologie zusammenschaut. Er konfrontierte sehr oft sein äußerst konkretes Gefühl der Gegenwart mit der überzeitlichen Dauer, die sich für ihn noch im Winzigen Staubkorn offenbaren konnte, dem kosmischen Zeugen einer Welt, die sich ewig leidvoll verwandelt. Christine Busta hat schon 1954 als eines der tiefsten Sinnbilder seiner Lyrik die „wenig erwartende/grabende Hand” gedeutet. Als 1956 der Roman „Moos auf den Steinen” erschien, war man zunächst verblüfft, daß sich ein Vertreter seiner Generation vier Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Monarchie mit solch tiefer Einfühlung und hoher Achtung vor den geistigen Werten Alt-Österreichs neigte. Mit diesem Buch hat sich Fritsch von der unmittelbaren Vergangenheit eigenen bitteren Kriegsund Nachkriegserlebens getrennt und den Übergang zur objektiven Darstellung, der zugleich vom Vers zur Prosa wechselt, vollzogen. Obwohl er seinen Romanerstling den Ruinen und Relikten einer vergangenen Zeit widmete, die vielen von uns heute verklärter erscheinen mag, als sie es tatsächlich war, ließ er sich doch nicht zu flachen patriotischen Fanfaren verleiten, sondern beugte sich in stiller Trauer vor dem Unwiederholbaren, Unwiederbringlichen. Was Fritsch allerdings aus dieser versunkenen Welt in die Gegenwart und Zukunft retten wollte, das ist jene innere aristokratische Geisteshaltung des Österreichers, die der letzte Besitzer des verfallenden Schlosses, Baron Josenh Suchy-Stemberg, verkörpert: „Erglaubte, daß die Wdt weder gut noch böse, weder sinnvoll noch sinnlos war. So hatte er gelebt, fröhlich und traurig, immer aber eigentlich ungebeugt und bereit für die Gnade, an die er glauben wollte und die er nicht gefunden hatte, die zu suchen er aber für seinen, für jedes Mitmenschen Auftrag hielt.” Die Kontinuität der „schöpferischen Resignation”, die sich auch in dieser prachtvollen Romanfigur verkörpert, reicht also von den Tagen Grillparzers bis zu Gerhard Fritsch!

Wie wenig von dieser geistigen Haltung in gewissen Schichten unseres Volkes, bei den Kleinbürgern und Neureichen, mehr vorhanden ist, das sollte in seiner ursprünglichen Fassung der 1967 erschienene Roman „Fasching” zeigen, der, gleich Lebert, Friedl oder Fink, das Böse in den Schlupfwinkeln der provinziellen Dorf- und Stadtgemeinschaften aufspürt und stellt. Die erste Fassung trag noch den Titel „Spießratenlauf” und nahm den alten theologischen Gedanken vom stellvertretenden Opfer auf eine neue Weise wieder auf. Dieser Roman hat bis zu seiner endgültigen, völlig veränderten Gestalt mehrere Fassungen durchlaufen, an denen sich die geistige Wende und seelische Krise, in der sich der Autor befunden haben muß, ablesen läßt. Während der Arbeit an diesem Roman publizierte Fritsch seinen zweiten Gedichtband „Der Geisterkrug” (1958) und die historischen Sachbücher „Paschas und Pest. Gesandtschaft am Bosporus” (1962), „Feldherr wider Willen” (1966), ein Buch über Feld.marschall Benedek, „Finale und Auftakt. Wien 1898 bis 1914” (1964) und „Aufforderung zum Mißtrauen (1967), die Dokumentation über Österreichs bildende Kunst, Musik und Literatur an zwei entscheidenden Zeitwenden, die er gemeinsam mit Otto Breicha herausgab, ebenso wie die Wiener Jahresschrift für Literatur, bildende Kunst und Musik, „Protokolle” (1966 bis 1969), Er verfaßte gemeinsam mit seinem Freund Franz Hiesel 1960/61 den fünfteiligen Hörspielzyklus „Die Reise nach Österreich” und dramatisierte sein Großgedicht für den Rundfunk. In diesen Zeitraum fiel auch die Arbeit an mehreren volksbildnerischen Broschüren, Fernseh- und Kulturfilmen.

Doch kehren wir zur letzten Fassung seines rweiten Romans — es ist die vierte — zurück. Auch hier geht es um die Tradition, aber um die Unheilstradition unserer Heimat. Fritsch hat eine Wende vollzogen. Er kehrte sich — wie er meinte — nicht nur von seinem ehemaligen Vorbild Joseph Roth und allem, was er seit einem gewissen Zeitpunkt seiner literarischen Entwicklung als „romantisch” verwart, ab, sondern er bezog nun eindeutig Stellung dagegen und schuf eine bitterböse Satire gegen die österreichische Provinz und die in ihr herrschende Gemeinheit des Kleinbürgers, der nichts aus den Verhängnissen der Zeit gelernt hatte. Worum es ihm g’n’g — und was ihm künstlerisch und geistig nur teilweise gelungen ist —, war das Sichtbarmachen jenes pathologischen Syndroms von Masochismus und Sadismus im braunen Faschismus, der noch immer in den Schlupfwinkeln provinzieller Zurückgebliebenheit nistet und sich unter der Maske der Demokratie erneut zu erheben beginnt; In der Steiermark, in Kärnten, in Salzburg und Oberösterreich, allüberall, wo ..Kameradschaftsbünde” die Traditionen des Unheils wacker aufrechtzuerhalten suchen. Aber dem Satiriker ist zeitweise sein Instrument aus der Hand geglitten und hat sich selbständig gemacht, so daß der Eindruck entstand, der Autor kämpfe gegen selbsterdachte Gespenster, deren Realität niemand mehr glauben konnte. Daß er einen fürchterlichen Angst- und Wahrtraum gestaltete, war nicht mehr für jeden offenbar. In dieser letzten Fassung übersteigerte der Autor den Hexen- sabbath der herabgekommenen Bürgerlichkeit sosehr zur makabren Groteske, daß gerade diejenigen, die es am meisten anging, sich nicht mehr betroffen fühlen konnten, weil selbst gutwillige Leser die Zerrbilder der gemeinten — braun eingefärbten — Originale kaum mehr erkennen konnten. Im Lärm dieses „Faschings”, der einen Menschen zu Tode hetzt, ging auch das reine Opfer, das er in den frühen Fassungen darstellen wollte, sinnlos unter. Der Antiheld Golub, der in seinen Schlußmonologen doch wieder zur trostlosen Melancholie Joseph Roths zurückfindet, hatte wohl nicht mehr die Kraft oder den Willen, eine ähnliche Schlußmeditation wie der Dichter am Ende seiner nächtlichen Eisenbahnfahrt zu sprechen:

„Geht und bekennt, daß wir horchen wollen in die Stille, ob sie einmal auserwählt einen von uns die Worte der Gnade zu vernehmen, die gesprochen werden, ohne Unterlaß zu allen die unterwegs sind.”

Der Autor ist — wie sein Antiheld — in das Dunkel einer Grube getrieben worden. War es die Angst des Schreckenstraumes, den er in seiner Satire gestaltet hat. oder die Klarsicht eines, der wußte, wie tief wir noch in Unheil stecken, die ihn in dieses Dunkel trieb, oder nur das biologische Faktum eines Blutgerinnsels, das sich in der Nacht vom 21. auf den 22. April 1969 in seinem Gehirn bildete, wie der Obduktionsbefund ergab, daß jene Angst sich bis zum freiwilligen Schnitt hinüber steigerte? Wir wissen es nicht und werden es nie wissen. Wir gedenken eines der begabtesten und anständigsten Schriftsteller, der unserer Literatur noch viel Wertvolles hätte schenken können. Er ist in das Dunkel zurückgetreten. Aber heißt dieses Dukel wirklich Nacht? Trat er nicht doch — wie es gläubiee Menschen noch Immer wider alle Hoffnung hoffen — in das Licht? In das Licht jener Gnade, der seine stets bange Frage galt: „Aber wer hat sie, aber was ist sie?” Als schöpferischer Mensch hatte er sie. Was sie ist, wird er nun wissen…

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