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Decamerone aus Alt-Österreich

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Die große Schweigerin. Von Rudolf v. E i c h t h a I. Scholle-Verlag, Wien. 486 Seiten

Nur zögernd hat sich die Epik nach 1918 an das Schicksal und die Tragik der alten k. u. k. Armee gewagt. Ein reicher Schatz ist noch ungehoben. Streiflichter blitzen im Werke Hofmannsthals, Rilkes, Werfeis, Stephan Zweigs, Lernet-Holenias und Ginzkeys auf, in Roths „Radetzkymarsch“ entlädt jich sogar ein fahles, hintergründiges Gewitter. Die Zeit ist weit vorgeschritten. Die Generation, die allein noch befähigt ist, aus eigenem Erleben, nicht bloß poetischem Nachempfinden, das Wort dazu zu ergreifen, sinkt rings um uns reihenweise ins Grab ... Zahlreicher und äußerlich erfolgreicher als die ernsten Dichter und Deuter war die Legion der Kitschliteraten und -Illustratoren. Im Zwielicht der ersten Republik Trauer und Sehnsucht flötend, in der Morgenluftwitterung der dreißiger Jahre wieder aus vollen Backen blasend, überdauerten sie hartnäckiger als die unbarmherzig verstoßenen und gefällten zuständigen Poeten und Chronisten selbst die namenlose, die schrecklichste Zeit Österreichs — und waren 1945 prompt wieder auf dem Plan.

Rudolf v. Eichthals knappes Dutzend Novellen- und Romanbücher, deren Themen um Alt-Österreich und seine Armee kreisen, hat bisher nicht eindeutig zur Kitschliteratur gehört. Die Milieukenntnis des Autors, aus seiner adeligen Abkunft und seiner Tätigkeit im Generalstab her verständlich, hat ihn da und dort, neben einem unverkennbaren Hang zu Gartenlaubeerotik, auch Wesentliches und Zutreffendes zum Thema aussagen lassen. Eine neue Publikation des Autors, die sich gleich im Titel (mit dem Worte Torresanis von der .Großen Schweigerin“ soll ein charakteristisches Merkmal der alten Armee gegeben werden) zu einer verpflichtenden Aufgabe bekennt, durfte daher von vornherein besonderer Beachtung sicher sein.

Um so grimmiger die Enttäuschung, wenn sich das Buch nunmehr als eine Sammlung loser, in saloppe Sprache zerdehnter pikanter Zötchen und Anekdoten entpuppt. Nirgends die Spur einer Idee, schon gar nicht der des Mottos. Dieses Buch ist im Gegenteil eine überaus geschwätzige Apotheose des beruflichen Leichtsinns und des schmutzigen privaten Abenteuers. Diese Geschichten um die alte Armee spielen nur zum geringen Teil in der Kaserne und auf dem Exerzierplatz, keine einzige auf dem Schlachtfeld; wenn dem Autor zu glauben wäre, so hätte sich Ruhm und Untergang der k. ü. k. Armee vorwiegend im Cafe und Variete, im Schlafzimmer, Separee und Bordell (S. 315 ff.) abgespielt. Für die Gesinnung des Buches ist bezeichnend, daß nur selten von Frauen, Damen und Mädchen, fast ausschließlich nur von „Weibern“ die Rede ist. Mit zynischer Offenheit distanziert der Autor allerdings die kulturhistorische Wahrheit von seiner persönlichen Ansicht. In der Erzählung „Das letzte Mittel“ heißt es, nicht im Munde einer handelnden Person, sondern des meditierenden Autors selber: „Aber zum richtigen, wahren Don Juan gehört meiner Meinung nach doch nicht nur die Meisterschaft, möglichst viel Liebschaften anzufangen, sondern vielleicht mehr noch die Kunst, Te die Geliebten, sobald man sie satt hat, auch wieder mit Anstand und zur beiderseitigen Zufriedenheit los zu werden.“

Eine geradezu widerliche Verwendung von Sexuellem und Pseudoreligiösem macht die Lektüre des Buches stellenweise unerträglich. (S. 62: „Ich kann nicht so mit den Weibern sprechen wie du. Ebensowenig könnte ich in der Kirche Witze machen, wenn der Priester bei der Wandlung das AUerheiligste hebt.“ — S. 63: „Für euch ist die Frau Spielzeug, Zeitvertreib, Amüsement; für mich ist sie Gottesdienst.“)

Die Sprache des Buches ist schlampig und fehlerhaft und schwelet in unsinnigen Gemeinplätzen (S. 66: „Die Astronomie, Himmelskunde, ist ja nur die Dienerin der Astrologie“) sowie in abstrusen Bildern (S. 318: „milchkaffeefarbenen Hindumädchen“). Kitsch in Reinkultur sind Stilblüten wie die folgende (S. 94): „Aber wie ein galvanischer Funke von der Dauer einer Tausendstelsekunde genügt, um eine Pulvermine von hunderttausend Zentnern zu entzünden und namenloses Unheil anzurichten, so genügt auch dieser kurze Augenblick, um zwei Herzen in Flammen zu setzen und hoch in die Wolken zu jchleudern.“

Fritz Schönpflugs Illustrationen malen einfühlend die Traumerscheinungen des Autors nach: taillescharfe Uniformen und pikante Dessous, Schnurrbartzwirbler und — Weiber ...

Damit unterbietet dieses Buch noch um einiges den zersetzenden „Witz“ des „Feldherrn-hügel'-Roda-Roda, und die alte Armee hat neuerdings einen unzuständigen Chronisten gefunden, der sie wider Willen, aber darum nicht minder verantwortlich, den ungenügend Unterrichteten in falschem Lichte zeigt, den zahlreichen, stets zu gehässiger Geschichtsklitterung geneigten Gegnern aber zum öffentlichen Hohne preisgibt. Es ist ein Gebot nicht nur der Wahrheitsliebe, sondern auch der bloßen persönlichen Anständigkeit, die „Große Schweigerin“ gegen solche .Freunde“ nachdrücklichst in Schutz zu nehmen.

Dr. Roman Herl

Der Herzog mit der leeren Tasche. Von

Heinrich von S c h u 11 e r n. Inn-Verlag, Innsbruck.

Im zweiten Band seiner großangelegten Romantrilogie „Das Land im Gebirge“ erzählt Schullern von Erniedrigung und Aufstieg Friedrichs, des Herzogs von Tirol. Der Reiz dieses so abseits liegenden Werkes ist, daß es einen echten Helden hat, der durch Leid und Not Sieger über alle seine Gegner, aber auch über sich selbst wird. Die Zeit des Konzils von Konstanz mit der Auflösung der feudalen Ordnung, voll von Greueln und blutiger Fehde, ist die dunkle Folie für das heller aufglänzende Wappenschild mit dem roten Adler. Ein großartiges Zeitgemälde, in dem mit kräftigen Linien der Hintergrund — das Erwachen des Volksbewußtseins, Hussiten- und Türkengefahr — gezeichnet ist, in dem vor allem, von liebender Hand gesetzt, die vielen farbenprächtigen Einzelbilder im Vordergrund leuchten. — Wer sich einmal durch die ersten hundert Seiten altertümelnder, wehrhaft im rostigen Harnisch stelzender Sprache durchgelesen hat, der ist bis zum Ende gefesselt. Dr. Josef W e n z 1

Die Rettung. Roman. Von Joseph Conrad. Bermann-Fischer-Verlag, Wien. 567 Seiten.

Joseph Conrad, der gebürtige Pole, der sein Leben als einer der erfolgreichsten Autoren Englands beschloß, blieb auch in diesem Roman dem Medium treu, dem er seine dichterische Inspiration ebenso wie die erste Bekanntschaft mit der Sprache verdankte, die er später wie nur wenige Nichtengländer zu meistern verstand — dem Meere, das er noch in der Zeit der großen Segler als einfacher Matrose auf englischen Schiffen befahren hatte. „Die Rettung“ spielt im Malaiischen Archipel, zu einer Zeit — offenbar in Conrads Jugend —, da jene Inselwelt noch wirklich eine Welt für sich war. Die Hauptfiguren, ein seefahrender weißer Abenteurer und ein mit ihm auf Leben und Tod befreundetes malaiisches Geschwisterpaar, sind lebendig und überzeugend geschildert, aber der Verlauf der Handlung bleibt irgendwie schattenhaft und fast nebensächlich. Conrads ganze Liebe gehört eben dem Meere und den Dingen des Meeres, und nur dort, wo er den Gegenstand seiner Liebe zur Darstellung bringt, zeigt sich die volle Größe seiner dichterischen Kunst. — Besonders hervorzuheben ist die Güte der Ubersetzung, die der Sprache des Originals durchaus würdig ist. Kurt Strachwitz

Fritz Wotruba. Von Jean-R. de S a 1 i s. Mit

26 Tafeln und 5 Wiedergaben von Zeichnungen. Editions Graphis, Amstutz und Herdeg, Zürich. 36 Seiten.

Der Wiener Fritz Wotruba ist ein Bildhauer von hohen Graden. Seine Arbeiten verdienen Anerkennung, vielleicht gerade weil sie nicht im eigentlichsten Sinn des Wortes modern sind, was übrigens für, nicht gegen sie spricht. Sie gehören nämlich eher jener schon nachmodernen Periode der Kunstentwicklung an, die jenen verheißungsvollen Punkt sucht, wo sich Naturbild und Abstraktion treffen, die Anschaulichkeit gewahrt bleibt, höhere Gesetzmäßigkeit aber erst sichtbar wird. Möglich, daß an diesem Punkt auch wieder eine Klärung des reichlich durcheinander geratenen Kunstempfindens eintreten wird, möglich auch, daß dann eine neue Blüte europäischer Kunst wirklich zu erhoffen ist, nicht unwahrscheinlich, daß in diesem Punkt der österreichischen Kunst eine große Rolle zufallen könnte. Wotrubas ernste, saubere Statuen, die Haltung und nicht Attidude besitzen, die nicht posieren und keiner literarischen Attribution bedürfen, könnten diese optimistische Annahme wohl unterstützen. — Das Vorwort ist in seiner Präzision und Zurückhaltung meisterhaft, Aussehen, Drude, Reproduktionen entsprechen bester schweizerischer Verlagstechnik. Anzufügen wäre hier noch eine Bemerkung: Wir würden uns freuen, den Arbeiten Wotrubas endlich in einer Ausstellung zu begegnen, was in Anbetracht dessen, daß sie bereits im Ausland gezeigt wurden, gewiß nicht zuviel verlangt wäre. Photographien genügen auf die Dauer nicht.

Dr. Jörg Mauthe

Menschen, die Gott gefunden — Benediktiner von heute. Von Romanus R i o s. Herausgegeben von P. Pius Böllmann O. S. B. Aus dem Englischen von Benediktinen der Abtei Nonnberg. Verlag Rupertuswerk St. Peter, Salzburg. 344 Seiten, 8 Abbildungen.

Warum dieses Buch so rasch vergriffen wurde? .Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen.“ Und es bringt viel aus dem für das benediktinische Mönchtum so entscheidenden letzten Jahrhundert: viele Gestalten — über hundert — mit den Märtyrern, viel Leben in der Neuen und der Alten Welt. Diese oft nüchternen Tatsachenberichte aber erweisen, daß die alte Benediktinerregel ihre Kraft und Sendung noch nicht verloren hat. Die Technik des Verfassers, von einem Satz dieser Regel ausgehend, eine Gestalt zu beleuchten, ist anregend. Man staunt über die Leistung des Erzbischofs Polding, der mit nur sieben Priestern ein Erzbistum in Australien baut, noch mehr aber über die ungeheure Aufopferung im apostolischen Wirken des Bischofs Salvado von Neu-Nursia in Westaustralien. Man staunt, wie vor hundert Jahren schon Erzabt Wimmer vorausschauend in Amerika das Land der Zukunft sah und Riesenabteien gründete, die heute 1400 Benediktiner und gegen 6000 Benediktinerinnen zählen. Oder Dusmet von Catania, der, obwohl Kardinal, als Mönch mit den Mönchen lebt und sein Leben den Armen hingibt. Da ist P. Lukas Etlin, der tausenden Armen geholfen und nach dem Weltkrieg hundert Klöster und Seminarien vor dem wirtschaftlichen Ruin gerettet hat. Daneben wieder das erquickend einfache Leben der Laienschwester Fortunata Viti, die 90 Jahre hindurch nur betet, arbeitet und sich freut. Dann der Beuroner Schriftsteller und frühere Festungskommandant P. Sebastian von Oer. Erschütternd aber ist der letzte Gang der spanischen Märtyrermönche am Spital vorbei, deren Prior seine Muter grüßen will, und als die Mörder es erlauben, das Salve Regina singt, bis sie ihn niedergemacht haben. Da steht ein Theologe und Geistesmann wie Abt Columba Marmion und daneben der Bruder von Einsiedeln, Meinrad Eugster, der jetzt seliggesprochen wird. Es ist Fülle und Farbe. Dabei fehlen noch hervorragende und führende Benediktiner. Ihnen soll ein zweiter Band gewidmet werden. Univ.-Prof. Dr. P. Virgil R e d 1 i c h O. S. B.

Gesetz als Unrecht. Von Dr. Theodor Veiter. Verlag W. Braumüller, Wien.

In diesem Buch wird der legislative Versuch der Lösung des NS-Problems in Österreich auf ungefähr 140 Seiten in einer ungemein fleißigen und gründlichen Weise besprochen.

In der Einleitung ist richtig hervorgehoben, daß sich das Unrecht im Gesetz durchaus nicht allein auf die NS-Gesetze beschrenkt. Doch ist gerade an dieser Materie sehr drastisch aufgezeigt, wie Gesetze nicht gemacht werden dürfen, Gesetze, welche gerade in schwerer und problematischer Zeit erhöhte Ansprüche durch Klarheit, Systematik, Raison und Ethik befriedigen müssen.

Eine durchdachte Gliederung berührt unter anderem die juridischen Probleme der Rüdewirkung von Strafgesetzen, der Kollektiv-schuld und des Eingriffes in das Privateigentum.

In einem anderen Kapitel wird die bedeutungsvolle Materie der Wirtschaftssäuberung behandelt und schließlich auch ein interessanter Vergleich mit der Gesetzgebung anderer Staaten angestellt. Die Materie ist mit wis senschaftlichem Ernst und reichlichem Zahlenmaterial bearbeitet. Mancher wäre bei der Lektüre der Schrift vielleicht versucht, zu sagen: „Weniger wäre mehr.“ Indes wäre es wünschenswert, daß sich auch zu anderen Produkten der neueren Gesetze, welche unter allerlei illegtimen Einflüssen gebraut wurden, rechtzeitige Korrektoren fänden.

Noch schöner wäre es, wenn eine künftige Legislative wieder zurückfände zu sparsamer, aber gründlicher, durchdachter, systematischer Rechtsordnung und damit kritische Kommentierungen wie die vorliegende vollkommen entbehrlich würden.

Bei der Fülle des zusammengestellten Materials ergibt sich naturgemäß für gelernte Juristen wie für logisch denkende Nichtjuristen manche Anregungen, über Einzelheiten und Grundsätzliches anders zu denken als der Verfasser. Gerade dies macht aber die Arbeit zu einer fesselnden und beleuchtet die Gefahr, der eine hastige oder stoßweise Flickgesetzgebung stets ausgesetzt ist.

Dr. Franz Pranter

Grenzen des Staates. Von Otto D i b e 1 i u i. Furche-Verlag, Tübingen. 121 Seiten.

Mit Klarheit und Prägnanz zeigt der evangelische Bischof von Berlin und Vorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland in dieser tapferen Schrift, daß der Staat über die ganze Welt hin in einer bestimmten Entwicklung begriffen ist und daß sie die Menschheit mit Untergang und Vernichtung bedroht. Es ist, im Westen wie im Osten, nur graduell verschieden, die Entwicklung zum Totalstaat, der auch in demokratischen Formen alles in den Dienst seiner Machtsteigerung stellt und so zum Fluch für den Menschen und zum Widerspiel Gottes auf Erden wird. Aber es sei eine Illusion, zu meinen, durch den Einsatz guten Willens dieser Entwicklung Halt gebieten zu können. Nur, .wo christliches Denken und Urteilen Geltung hat, wird die Raubtiernatur des Staates gebändigt. Wo diese Einsicht fehlt, da ist schlechterdings keine Möglichkeit mehr, dem Verderben zu wehren. Am Schicksal des christlichen Glaubens entscheidet sich da Schicksal der Welt“. Die Allmacht des Staates muß ihre Grenze haben an der Lebensform des religiösen Glaubens, an der Kirche, am Recht der Kindererziehung (die Verantwortung für die Kinder ist nicht eine Frage zwischen Eltern und Erziehungsministerium, sondern zwischen den Eltern und Gott!), an der Unabhängigkeit der Rechtsprechung, einer relativen Freiheit der Wirtschaft und Wohl- ' fahrtspflege, Kunst und Wissenschaft.

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