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Konzil und Konzilliteratur

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Du Konzil ist in eine Pause eingetreten. E ist keine Phrase, sie „schöpferisch“ zu nennen. Denn in diesen Monaten werden •ich die Kommissionen, ungestört von der Tagespublizistik, mit den eigentlichen Verhandlungsgegenständen der Kirchenver-lanunlung zu befassen haben. Die in ihre Diözesen heimgekehrten Bischöfe werden untereinander Kontakte aufnehmen — sie haben einander in den ersten Wochen der Kirchenversammlung ja genauer kennengelernt als je zuvor. Sie werden die Experten zu Rate ziehen, die ihnen für die einzelnen Spezialthemen in der Heimat zur Verfügung stehen. Aber auch die zweihundert vom Papst ausgewählten Theologen, die für das Konzil unmittelbar arbeiten, haben jetzt ihre Hauptaufgaben zu bewältigen.

Schon die ersten Wochen der Verhandlungen haben die religiösen Zentralfragen auch in das Blickfeld der Laien gerückt. Begriffe, die sonst kaum über die Grenzmauern der Seminare hinaus gelangten, rindet man mit einem Male in der Tagespresse. Viel Gutes. Klärendes und Erklärendes ist dazu ohne Zweifel geschrieben worden, in katholischen wie in nichtkatholischen Blättern. Aber auch manches allzu Vereinfachte, zuweilen sogar Verfälschte, findet sich in der oft erschreckend uniformierten Konzilberichterstattung. Wer sich wirklich mit diesen Fragen beschäftigen will, weil er erkannt hat, daß sie ihn unmittelbar berühren, daß sich an ihnen die lebendige Zukunft der Kirche entscheiden kann, wird es sich nicht ersparen können, sich mit dem einen oder anderen seriösen Werk der Einführung zu befassen. Im Folgenden soll aus der Fülle der „Konzilliteratur“, also solcher Werke, die sich mit Themen befassen, die von den Kommissionen in den nächsten Monaten behandelt werden, eine kleine Auswahl getroffen werden, die in jedem Fall eine ausgesprochene Empfehlung darstellt.

Ein kleines Buch sei allen anderen vorangestellt: Mario von Galli (den österreichischen Rundfunkhörern durch seine wöchentlichen prägnanten und kühnen Kommentare zum aktuellen Konzilgeschehen bekannt geworden) nennt es „Zeichen unter den Völkern“. Es ist kurz vor Konzilbeginn geschrieben worden, aber es steuert das zentrale Thema der gesamten Arbeit an, die sich heute bereits für die Versammlung abzuzeichnen beginnt: die Lehre von der Kirche. Der Schweizer Jesuit ergänzt die Schau früherer Zeiten, die die Kirche als „Gottes-tadt“, später als „Heilsanstalt“ und noch später besonders als „Corpus Mysticum'' sahen, durch eine aus unserer Gegenwart geborene. Er sieht sie als „Zeichen unter den Völkern“, als eine „sakramentale Erscheinung“, die der Welt zum Heil gesetzt ist. Sie ist Signum des allgemeinen Erlösungswillen des Herrn, also nicht nur Gemeinde der Auserwählten. Diese ekklestologische Lehre hat nun für jeden Getauften unmittelbare persönliche Konsequenz, der sich keiner entziehen kann. Galli definiert von daher Amt und Pflicht des Laien in zweifacher Dimension: in der Kirche selbst und in der Ausstrahlung nach außen. Hier ist vor allem seine Neuformulierung des Heidenmissionsauftrags im Zusammenhang mit der Problematik der Entwicklungshilfe von großer Bedeutung. Die klare, floskel-und phrasenfreie Sprache Gallis braucht nicht eigens gerühmt zu werden.

Wer die Kirche in ihrer bleibenden Geltalt verstehen will, muß ihre historischen Grundlagen kennen. Die Forderung, zu den Quellen vorzustoßen, gilt hier besonders und ist gerade bei diesem Themenkreis für den Laien bisher nur sehr schwer und nicht ohne Spezialstudium zu erfüllen gewesen. Der Weg führt zurück in das erste Jahrtausend, in ein historisches Gelände, das nicht ohne Sachkunde betreten werden kann. Hugo R a h n e r hat das Kunstwerk zuwege gebracht, aus der Bibliotheken füllenden Zahl der Väterliteratur und den frühchristlichen Akten jene Stellen auszuwählen, die in den ersten acht Jahrhunderten das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt in christlicher Sicht grundlegten. „Kirche und Staat im frühen Christentum“ bietet nicht nur die Dokumente (zweisprachig mit griechischem und lateinischem Text), sondern auch eine sehr ruhige und behutsam Schrift für Schrift abwägende Einführung für jedes Kapitel. Manche Legende vom sogenannten „Konstantinischen Zeitalter“, das angeblich alles Unheil heraufbeschworen und die Kirche unter die Tyrannei des Staates gestellt hat, wird hier nüchtern und unbestechlich widerlegt.

Eine andere Quelle christlicher Frömmigkeit beginnt in der Frühe zu fließen: Es ist die des Mönchtums und der ordensmäßigen Hinwendung zum unmittelbaren Dienst an Gott. Hans Urs von Balthasar legt in einem Sammelband, „Die großen Ordensregeln“, die Originaltexte der wichtigsten Mönchsregeln vor, jeweils durch einen Mann des behandelten Ordens eingeleitet und erklärt. Für den Vater des östlichen Mönchtums, Basilius, besorgte dies Balthasar selbst. Es folgen die Augustiner-Regel, die klassische „Regula“ des heiligen Benedikt, die Regel der Franziskaner als das Urbild der spätmittelalterlichen Frömmigkeit und schließlich die Satzungen der Gesellschaft Jesu an der Schwelle der Neuzeit. Gerade, wenn in absehbarer Zeit von Abänderungen des Ordenswesens die Rede sein wird, kann eine wirkliche Kenntnis des Originals das Verständnis für die einzelnen Probleme erleichtern.

Im Mittelpunkt der ersten Konzilwochen stand die Lehre und Ordnung der heiligen Liturgie. Ihre Systematik bildet eine eigene Disziplin der Theologie. Nicht alles ist für den Laien von Wichtigkeit. Der Benediktiner Basilius Senget hat eine „Laien-liturgik“ von knappen 250 Seiten erstellt, die alles Wesentliche zusammenfaßt. Im ganzen wird die Vielzahl der Riten bei der Meßfeier wie auch den Sakramenten und Sakramentalien ohne Hinweis auf historische Problematik und aktuelle Reformgedanken dargelegt. Kurze Einführungen geben jedoch bei jedem noch so begrenzten Gebiet den Sinnzusammenhang des Ganzen.

Am Anfang der Liturgie steht selbstverständlich die heilige Messe. Ihre „Oratio“, ihr Kirchengebet, gibt dem Tag des Hetrn die bestimmende Richtung. Ein Jahr lang befaßte sich der Verfasser dieser Zeilen in der „Furche“ mit diesem sonntäglichen Grundgedanken. Franz G y p k e n s, der bekannte deutsche Prediger und Exerzitienmeister tut dies in seinem soeben erschienenen Band „Rostfrei“ natürlich mit noch viel tieferer Erfahrung und Spannweite. Einst wären diese Gebete frei formuliert, heute stehen sie als feste Formen im Missale. Gypkens wird beiden Aspekten gerecht: dem des Zeitlosen, von keinem „Rost“ bedrohten, und dem der persönlichen Aktualisierung, der unmittelbaren Verbindung zum Leben dei Gläubigen von heute.

Ernsthafte Beschäftigung mit Grundfragen der Theologie ist nicht möglich, ohne Einblick in die Grundwerke der beiden größten katholischen Glaubenslehrer: Augustinus und Thomas von Aquin. In der „Bibliothek der Alten Welt“ sind jetzt die „Theologischen Frühschrif-t e n“ des Augustinus erschienen, darunter die Jahrhunderte in Erregung setzende Schrift „Vom freien Willen“. Anders als in den vollendeten Werken der Reife ist hier der innere Glaubensweg des großen Konvertiten vom Neuplatonismus und Skeptizismus der heidnischen Spätzeit nachzuerleben,. der ..uns. -Menschen von heute, die wir dem allzu selbstsicher Formulierten zweifelnd gegenüberstehen, einen genuinen Zugang ermöglicht. (Auch hier ist das Vergleichen mit dem interlinearen Urtext für den Philologen eine Freude, für den „Amateurlateiner“ eine geiststärkende Übung.) Bei Thomas werden ich di meisten Laien wohl immer wieder mit einer Einführung begnügen müssen und sich nur auf bestimmte Spezialfragen der Summa zu konzentrieren vermögen. Paul Grenet, der ein solches Kompendium („Der Thomismus“) versucht, ist Philosoph: Er klammert das eigentlich Theologische aus und ist auch (durchaus zu Recht) der Meinung, daß für Thomas die Ethik und Gesellschaftslehre aus der Metaphysik erflossen. Sein Buch hat kaum mehr als hundert Seiten. Es gibt die Klärung der Physik und Metaphysik des Aquinaten, die das Ursprüngliche seines Philosophierens ausmachte. Der Schweizer Gion Darms stellt den Thomismus in engen Zusammenhang mit der kirchlichen Lehrautorität: „Thomas von A., ein Beitrag zu seinem Verständnis unter besonderer Berücksichtig ün g de r neuen päpstlichen Erlässe“. Er schafft zugleich Klarheit über das, was an der Gesellschaftslehre des Aquinaten zeitlos und aktuell gültig, und das, was nur in historischer Schau verstehbar ist.

Ein Theologe eigener, für eine ganze Epoche aber charakteristischer Prägung war Raimund Lull, dessen „Große Kunst“ der systematischen Belehrung und argumentierenden Überzeugung der Ungläubigen von damals, also besonders der Mohammedaner dienen sollte. Daß dieser Mann, den die Kirche seliggesprochen hat, nicht nur ein trockener Schulmeister, sondern ein glühender Glaubensbote war, versucht Bernhard Rzyttka in einer mehr romanhaften und erzählenden Darstellung, „Ars Magna“, dem heutigen Leser glaubhaft zu machen.

Systematische Theologie von besonderer Bedeutung für die Konzilgespräche bietet der belgische Jesuit Pict Fransen in seiner ungemein prägnant und objektiv das Für und Wider würdigenden Schrift „Gnade und Auftrag“. Der „Gnadenstreit“ hat ja bekanntlich Jahre des Tridentinums erfüllt. Fransen referiert darüber nicht nur historisch, sondern er Versucht, dem heutigen Katholiken einen wirklichen Weg nach vorn zu zeigen, der nicht ins Grübeln über Unenträtselbares, fondern ins konkrete Mitwirken in der Gnade führt.

Drei kritische Werke schließlich, die zu Einzelproblemen Stellung nehmen. Das Buch der Ida Friederike G ö r r e s, „Laiengedanken zum Zölibat“, ist schon viel gewürdigt worden. Viele seiner Gedanken, die mit der Frau Görres eigenen schonungslosen Offenheit vorgetragen werden, dürften in die Auseinandersetzung Eingang finden, die wohl bald schon über die Frage des verheirateten Diakonats entbrennen wird. Daß das Praktische bei ihr nicht zu kurz kommt, versteht sich von selbst. Der Praxis zugewandt ist auch das Buch von Hilde Herrmann, „Schwache Punkte im G 1 a ub en s 1 e b en“. Hier sind die Themen aufgezählt, die dem Durchschnittschristen besonders dann Schwierigkeiten bereiten, wenn er sie Andersgläubigen gegenüber vertreten soll. (Denken wir nur an Rosenkranz, Fegefeuer und Heiligenverehrung.) Hilde Herrmann schreibt ihr Buch nicht mit apologetischer Überredungskunst oder doktrinärer Strenge. Sie beginnt mit einem Versenken in die Grundwahrheiten des Glaubens, von denen aus sich die Verzweigungen und Verästelungen verstehen und deuten lassen. Nicht nur dem Gespräch: auch der Selbstverständigung kann diese taktvolle und ruhige Arbeit dienen. Und schließlich ein ehr wichtiges und kühnes Buch am Ende der „Catholica“: Joseph C o in b 1 i n stellt es unter den offenen Titel „Versagt die katholische Aktion?“ Seine Analyse der Gegenwart ist dem Österreicher nicht ganz neu. Sie geht von der Feststellung der Ineffektivität der Katholiken in der konkreten gesellschaftlichen Welt aus. Die systematische Antwort ist gerade in unserem Raum durch das Standardwerk Klostermanns gegeben worden. Comblin schreibt in Frankreich: hier herrscht auch heute noch das Klima für große Streitschriften, für kühn aufgeworfene Fragen und summarische Antworten. Vor allem aber lebt hier der Missionseifer, der Drang zur Aktion, der, wie Comblin schlüssig nachweist, schon im Grundkonzept der AC, wie es Pius XI. schuf, vorhanden war. Ein Brückenschlag zu den theologischen Ansätzen Teilhard de Char-dins kann in Frankreich natürlich nicht fehlen.

Daß das Konzil schon vor seinem Beginn den Blick zu den getrennten Christen wandte, ist eines seiner vornehmsten Zeichen. Schon dieses nach Jahrhunderten in seltener Intensität wieder erwachte Interesse ist eine Heilswirkung, die unbe-ichadet des Konzilausgangs bestehen bleibt. Auch hier aber gilt es, in Klarheit die Fundamente des Gemeinsamen und die wirklichen Differenzpunkte zu erkennen, die der am besten findet, der sich den Originalen zu nähern versteht. Im Mittelpunkt der Ostkirche steht die Liturgie, die sich um die Feier der heiligen Eucharistie gliedert. Ostkirchliche Gottesdienste gelten dem Laien als schwer verständlich. Wer in ihr inneres Wesen einzudri.igen weiß, wird von der spirituellen Klarheit überwältigt. Das von Herbert Vorgrimlcr auf Grund der Ausgabe von Myron H o r-nyke witsch vorgelegte Buch, „D i e Eucharistiefeier der Ostkirche im byzantinischen R i-t u s“. enthält die Liturgien des Chryso-stomus und des Basileios, wie sie Sonntag für Sonntag gefeiert werden. Die griechischen und altslawischen Worte sind — so gut es eben geht — in unser Schriftsystem transkribiert, so daß ein Mitfolgen nach Art des „Schott“ auch dem möglich ist, der von diesen Sprachen keine Ahnung hat. Mit diesem Buch betritt er ein heiliges Reich, vor dessen Würde und Weihe jede literarische Kritik zu verstummen hat. Endre v. I v a n k a zeichnet als Herausgeber einer von Gerhard Hoch übersetzten Zentralschrift ostkirchlicher Frömmigkeit. Die „Sakramentalmystik der Ostkirche des Ni-kolaos Kabasilas“ aus dem 14. Jahrhundert ist für den christlichen Osten die „Nachfolge Christi .. .“ und ist sie zugleich- auch nicht. Wie unsere Frömmigkeit immer stärker in die Intimität führt, je tiefer sie gehen will, so geht dort der Weg in umgekehrte Richtung: immer tiefer hinein in die Geheimnisse des objektiven Mysteriums. Wer für dieses theologische Denken einen kundigen, weil selbst aus dieser Welt gekommenen Führer sucht, findet ihn in jenem Russen, der seit Jahren unter seinem katholischen Mönchsnamen „Johannes C h r y-s o s t o m u s“ schreibt und spricht. „D i e religiösen Kräfte der russischen Geschichte“ nennt er sein streng an den objektiven Quellen orientiertes Werk, das jeder gelesen haben sollte, der sich anmaßt, über die Problematik der Orthodoxie, besonders in ihrem Verhältnis zu den staatskirchlichen Kräften des zaristischen Rußlands und zum Bolschewismus zu urteilen.

Der Sammelband „Einheit in Christus“, durch den Protestanten Oscar C u 11 in a n n und den Katholiken Otto K a r r e r gemeinsam herausgegeben, ist heute bereits das Standardwerk für das Konzil geworden. Viel von dem, was hier 1960 niedergeschrieben und prognostiziert wurde, ist heute der Erfüllung zwar nicht näher gerückt, aber zum ernsten Ge-spräohsgegenstand auch der offiziellen Vertreter beider Kirchen geworden. Für den Katholiken, der das Bild des Reformators kennenlernen möchte, wie es sich dem Evangelischen von heute darbietet, ist eine Monographie von Georg Wünsch zu empfehlen, die im Evangelischen Verlagswerk Stuttgart erschienen ist: „Luther und die Gegenwart.“ Das Interessante dieser gründlichen, aber weder auf die liberale noch auf die orthodoxe Schule eingeschworenen Arbeit liegt darin, daß sie zugleich jene Akzente setzt, die für die evangelische Theologie von heute das Entscheidende der Lehre ausmachen. Es sind nicht mehr ganz die Kontroverspunkte des 16. Jahrhunderts, aber es sind auch nicht die rein ireni-schen Humanitätsaspelcte des 19. Säku-lums. Staat und Wirtschaft werden aus einer Perspektive durchdacht, die zwar nicht die der katholischen Naturrechtslehre ist, immerhin aber eine Gesprächsbasis schaffen kann.

Ein sehr originelles theologisches Werk schließlich noch, das wieder ins Zentrum des theologischen Brudergesprächs führt: Stephanus Pfürtner gibt ihm den Titel „Luther und Thomas im Gespräch.“ Der. Autor ist Dominikaner. Mit der spekulativen Klarheit und Gedankenschärfe seiner Ordensschule greift er. eine der grundsätzlichen Differenzfragen beider Bekenntnisse, die der sogenannten „Heilsgewißheit“, auf. Er weist aus gründlicher Kenntnis des Aquinaten heraus nach, daß bei Thomas Wahrheiten ausgesprochen waren, die die Schulen der Spätscholastik überdeckten oder verwirrten, so daß sie Luther, drei Jahrhunderte später, nicht mehr in ursprünglicher Klarheit zu gewahren vermochte. Man kann die Geschichte nicht mehr ungeschehen machen, aber hier geht es — nach dem Wort des Papstes — nicht um ein Aufrechnen des Historischen, sondern um die heilsentscheidende Frage nach dem einen Wahren. Und gerade hier weist jede Nähe im Grundsätzlichen deutlich in die Zukunft.

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