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Historiker der Christenheit

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FRAGE: Die Fülle Ihrer literarischen und wissenschaftlichen Produktion und namentlich der Umfang Ihrer „Geschichte der Kirche Jesu” hat in schon manchem Leser die Frage geweckt: Wie vermag ein einziger Verfasser ein solches Werk zu schaffen?

ANTWORT: Es macht mich etwas müde, stets auf diese Frage Antwort geben zu müssen. Das Ganze ist weiter nichts als ein simples Rechenproblem. Ich arbeite an meinen Büchern Tag für Tag von 7.30 bis 12.30 Uhr. Ferien mache ich nur, wenn ich ins Ausland reise, das heißt ungefähr 14 Tage jährlich. Der Nachmittag ist Besuchen, Begegnungen und der Korrespondenz gewidmet, und nach dem Abendessen vertiefe ich mich in die Lektüre im Hinblick auf das laufende Werk. Sie werden zugeben, daß man in fünf Stunden vier Seiten schreiben kann, ohne den Gang zu überstürzen. Zählen Sie selber: 350 Tage zu vier Seiten macht 1400 Seiten … Nun hatte mein letztes Buch. „Ein Kampf für Gott”, 1800 Manuskriptseiten, und ich habe zweieinhalb Jahre daran geschrieben. Sehen Sie etwas Außergewöhnliches daran?

F.: Ihr Werk „Jesus in Seiner Zeit” hat eine Auflage von einer halben Million erreicht und wurde in 15 Sprachen übertragen. (Es ist im Vorjahr in deutscher Sprache im Herold-Verlag erschienen. Anm. d. Red.) Die elf schon erschienenen Bände Ihrer „Geschichte der Kirche” kennen eine herrliche Verbreitung in Frankreich und im Ausland. Welche Kreise schenken Ihnen am meisten Gehör? Dringen Ihre Werke auch in solche vor, die dem Priester unzugänglich sind?

A.: Aus den einlaufenden Briefen gewinne ich den Eindruck, daß diese Bücher in alle Kreise dringen. Täglich treffen Berichte aus verschiedenen Ländern ein; sie stammen von Intellektuellen und schlichten Menschen, von Studenten und Greisen. Am meisten gerührt hat mich unlängst der Brief einer einfachen Hausfrau, die nicht katholisch ist, sondern der protestantischen Sekte der „Pfingstjünger” angehört. Sie schrieb mir von der Lektüre meines „Jėsus en son temps” in einer Art, die mich ergriff.

F.: Seit 20 Jahren wandern Sie durch 20 Jahrhunderte Kirchengeschichte; von welchen Gestalten wurden Sie am meisten gefesselt?

A.: Daß ich nicht lache! Man müßte ja die Namensregister all meiner Bücher aufschlagen. Fesselnde Gestalten gibt es ja überall, in allen Epochen, in allen Verhältnissen. Seit bald 25 Jahren begeistere ich mich für so und so viele Gestalten, daß ich, wenn ich bloß eine zitierte, den anderen unrecht zu tun glaubte.

Das Rüstzeug ist wichtig

F.: Sie besitzen als Historiker außergewöhnliche Erfahrung. Welchen Rat würden Sie Anfängern geben?

A.: Sie sollen ganz einfach unten beginnen und ihren Beruf erlernen. Zu viele führen heute den Kiel und bilden sich ein, man werde Historiker aus dem Stegreif, ohne je das Abc erlernt zu haben. Hat der Verfasser Talent und Begeisterung, so kann das Ergebnis brillant sein, doch selten bringt diese Art von Werken der Geschichte Nennenswertes ein. Ehe man sich an kühne Synthesen und große Rekonstruktionen heranwagt, sollte man wissen, wie man einen Gegenstand anpackt, wie man eine Bibliographie zusammenstellt, wie man Archivschriften entziffert, wie man aus einer These das Wesentliche. und das Neue herausholt, wie man Listen erstellt, wie man einen Plan baut. Bleibt noch die Begabung… Aber die ist Sache der göttlichen Gnade.

Armut und Aufschwung der Kirche

F.: Decken sich für die Kirche die Perioden vertieften christlichen Lebens im allgemeinen mit den Epochen ihres materiellen Wohlstandes oder mit denen ihrer Armut?

A.: Das ist sehr verschieden; ich glaube nicht, daß es da eherne Gesetze gibt. Das Mittelalter und das Zeitalter Ludwigs XIV. waren Perioden materiellen Wohlstandes und zugleich geistiger Hochblüte. Und das so verleumdete 19. Jahrhundert — welche Entwicklung es im Zeitlichen gekannt hat, wissen Sie — hat dennoch ganze Plejaden von Heiligen und bedeutende christliche Werke hervorgebracht. Die Armut ist für die volle Erfahrung des gelebten Glaubens unerläßlich, aber sie muß von der Seele als eine Pflicht auferlegt werden, frei von jeglichem äußeren Druck. Schon Pėguy bemerkte, daß im Zustand der Armut das Geistliche nicht Wurzeln fassen kann. „Wenn ein Mensch hungert”, meinte der heilige Thomas, „hält man ihm keine Predigt, sondern man gibt ihm zu essen!”

Und seit langem hatte ich eine Bibel auf meinem Tisch liegen.

Der katholische Historiker braucht nichts zu verheimlichen

F.: Ihre Arbeiten haben Sie zum Studium der protestantischen Revolution geführt. Glauben Sie nicht, daß manche allzusehr auf bloße Verteidigung bedachte Historiker und Geschichtslehrer durch Ihr Widerstreben im loyalen Anerkennen der Mitverantwortung der Katholiken — Hierarchie, Klerus, Gläubige — für den so komplexen Ursprung der Spaltung die Ökumenische Bewegung gehemmt haben und heute noch hemmen?

A.: Das ist ganz klar. Man muß den Mut zur Wahrheit haben, selbst wenn sie peinlich anzuhören ist. Hierüber hat Leo XIII. Vollendetes gesagt. Er unterstrich, daß sich ein katholischer Historiker um so mehr Vertrauen erwirbt, als er wahrhaftig ist und nichts verbirgt.

Ohne Zweifel wurde die protestantische Revolution weitgehend durch die Unzulänglichkeiten, die Irrtümer, die Entartung der Kirche zu Beginn des 16. Jahrhunderts verursacht. Freilich waren noch andere Ursachen wirksam: politische, soziale, wobei die Kirche nur darin gefehlt hat, daß sie sich nicht rasch genug den Forderungen der Zeit anpaßte. Das Buch, das ich eben bearbeite und das eine Gesamtschau über die „getrennten Brüder” gibt, wird versuchen, zu zeigen, wie die Verantwortung sich verteüt.

Begegnung mit Pius XII.

Johannes XXIII. und Paul VI.

F.: Sie sind Pius XII. mehrmals begegnet; er hat Sie in Ihrem Schaffen als Kirchenhistoriker ermuntert und Ihnen, glaube ich, Ratschläge erteilt…

A.: Nicht Pius XII. allein, auch Johannes XXIII. und sogar Paul VI. haben die Güte gehabt, zu mir von meinen Büchern zu sprechen. Ich erinnere mich noch gut der Gemütsbewegung, die mich ergriff, als ich erstmals von Pius XII. empfangen wurde. Die Audienz dauerte länger als eine Stunde. Er unterhielt sich mit mir über die „Heilige Geschichte” und „Jesus in Seiner Zeit”, indem er mir Sätze zitierte und dadurch hinlänglich bezeugte, daß er beide Werke gelesen hatte.

Erstaunlicherweise hat mir keiner der drei Oberhirten einen eigentlichen Rat gegeben, es sei denn jenen, mein Werk fortzuführen. Pius XII. und Msgr. Montini haben mehrmals die Güte gehabt, mir zu sagen, daß ich mich weiterhin benühen solle, allen zugänglich zu in. „Sie leisten der Kirche einen ‘roßen Dienst”, sagte mir Pius XII., ,wenn Sie die Reichtümer Ihrer beschichte einem sehr weiten Publicum vermitteln; sie sind sowenig jekannt.” In einem schönen Hand- ichreiben, das Paul VI. bezüglich neines Werkes „Un combat pour Dieu” an mich gerichtet hat, fand ch ganz analoge Gedanken. Mit lohannes XXIII. habe ich mich in len 28 Gesprächen — ich habe sie jezählt — so oft über Kirchen- ‘eschichte unterhalten, daß ich nicht ille Erinnerungen aufzählen könnte. Sinmal, es war in der Nuntiatur von Paris beim Abendessen, unterhielt ;r mich lange über die Päpste von Avignon, vor allem über jenen lohannes, den er bewunderte. Als ch mir in der Folgezeit die Frage gestattete, ob jene Vorliebe bei der Wahl seines päpstlichen Namens jine Rolle gespielt habe, lächelte er, jhne zu antworten, aber aus seiner curzen Handbewegung glaubte ich, wenigstens teilweise, auf ein Ja schließen zu dürfen.

Vatikanum II freier als Vatikanum I

F.: Haben Sie den Eindruck, daß sich die Konzilväter des Vatikanum II einer größeren Redefreiheit erfreuen als die des ersten Vatikanums, wo doch Redner mehrmals — zum Beispiel Msgr. Stossmayer, das „Enfant terrible des Konzils” — unterbrochen wurden?

A.: Ganz gewiß. Es ist dies eine Tatsache, welche die nichtkatholischen Beobachter sehr beeindruckt. Pastor Rillet, mein Freund, der am Konzil eine große Genfer Zeitung vertritt, hat mir mehrmals versichert, daß die absolute Unabhängigkeit der Väter in der Meinungsäußerung — wo doch Protestanten und Orthodoxe zuhören — ihm als eine der unerläßlichsten Errungenschaften des Konzils erscheine. Ich denke da etwa an Kardinal Liėnarts Intervention während der ersten Session oder an die jüngste Stellungnahme der Kardinale Sue- nens und Bea; sie alle haben den ökumeflismus. konkret gefördert.

Der Sinn der Geschichte

A.: Es hat mich freudig überrascht, als ich davon vernahm, und dies um so mehr, als das neue Sekretariat einem Mann überantwortet wurde, der vielleicht am meisten geeignet ist, diese heikle Aufgabe zu meistern: Kardinal Marella, meinem treuen und hervorragenden Freund; er ist von besten Fachleuten umgeben, wie etwa dem Pater Humbert Claude. Die einfache Tatsache, daß die Kirche öffentlich bekanntgibt, daß sie die nichtchristlichen Religionen in Betracht zieht, daß sie aufhört. deren Anhänger als „Heiden” zu bezeichnen, ist von ungeheurer Bedeutung. Ich hatte Gelegenheit, die beglückende Reaktion eines japanischen Freundes — er ist Buddhist — auf diese Maßnahme zu erleben.

F.: Am Ende seines „Discours” über die Weltgeschichte angelangt, bemerkte Bossuet, daß es keine menschliche Macht gebe, die nicht, ohne es zu wollen, anderen Zwecken als den Seinen diene, und daß im Geschichtsablauf Gott allein alles unter Seinen Willen beuge. Auch Sie sind jetzt nahezu am Ende Ihrer „Geschichte der Kirche Christi” angelangt. Sind auch Sie überzeugt, daß nach einem Wort Pius’ XII. vor dem 10. Internationalen Kongreß der Geschichtswissenschaftler Gott wirklich der Herr der Geschichte ist und daß Er allein mit verborgener und unwiderstehlicher Hand die Geschicke der Welt lenkt?

A.: Besser als mit diesen Worten könnten Sie unser Gespräch nicht beschließen. Ich glaube nicht, daß es unter den elf schon erschienener Bänden meiner Kirchengeschichte einen einzigen gibt, der diesen Gedanken nicht ausspricht. Für mich sind es allein die Zwecke Gottes, die von der Geschichte Rechenschaft ablegen. Aber wenn man hinreichend Abstand gewonnen hat, werden sie lichtvoll. Für die menschlichen Gemeinschaften so gut wie füi die Individuen bleibt das Wor1 Leon Bloys wahr: Alles, was geschieht, ist anbetungswürdig.

Zum erstenmal in der Geschichte der Katholischen Arbeiterbewegung Österreichs treten in den kommenden Tagen die mit der Arbeiterseelsorge befaßten Geistlichen aus ganz Österreich in St. Pölten zu einer Priestertagung der Katholischen Arbeiterbewegung zusammen. Aufgabe dieser Tagung wird es sein, in Referaten, Diskussionen und Arbeitskreisen in offener Weise die wechselseitige Position zwischen Kirche und Arbeiterschaft in Österreich zu untersuchen, die bisher angewandten Methoden der Arbeiterseelsorge einer Prüfung zu unterziehen, nach neuen seelsorglichen Möglichkeiten zu forschen und auf Grund dieser Beratungen die künftige Arbeit auszurichten. An der Tagung, die zwischen 3 . August und 2. September im Bildungshaus St. Hippolyt und iim Exerzitienhaus von St. Pölten stattfindet, nehmen rund 100 Priester aus allen österreichischen Diözesen teil.

Im steirischen Benediktinerstift Admont findet gegenwärtig zum drittenmal ein Pastoralkurs für junge Ordenspriester statt. In einem Referat dieses Kurses erläuterte Finanzminister Dr. Wolfgang Schmitz dieser Tage die Anliegen des katholischen Wirtschaftspolitikers an den Klerus. Der neue Stil der Sachlichkeit, so erklärte der Minister, verlange einen neuen Typ des Staatsbürgers. Der Seelsorger habe heute auch die Aufgabe, bei den ihm anvertrauten Gläubigen das Verantwortungsbewußtsein für die öffentlichen Belange zu wecken.

Die 17. Jahrestagung der Ge- meinsohaft katholischer Erzieher, die vom 3. bis 6. September auf Schloß Seggau bei Leibnitz stattfindet, ist dem Thema „Erziehung zur Demokratie” und „Demokratie in der Erziehung” gewidmet. Die grundlegenden Referate hält der bekannte Direktor der Akademie für politische Bildung in Tutzing, Dr. Felix Messerschmid, der Leiter der drei steirischen Seminaro für politische Bildung.

„Wie lange noch wird diese egoistische Ansicht fortbestehen, daß alles, was, für das Volk gut ist, kommunistisch inspiriert ist?” Diese Frage stellte Msgr. Jose Helder Camara, der Erzbischof von Recife in Brasilien, vor Vertretern der in- und ausländischen Presse anläßlich einer Pressekonferenz, in der er zu den seitens des Gouverneurs Lacerda gegen ihn gerichteten Angriffen Stellung nahm. „Ohne Reformen”, betonte der für seine tätige Liebe zu den Armen international bekannte Erzbischof, „ist es unmöglich, die Hindernisse der Unterentwicklung zu beseitigen und den sozialen Frieden zu erhalten.”

Der Heilige Synod des ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel hat Erzbischof Ama- riglio von Irenepolis zum Verbindungsmann mit Rom bestellt. Der griechisch-orthodoxe Erzbischof war früher Sekretär des Heiligen Synods. Wie in Athen aus gut unterrichteten Kreisen verlautet, soll die panorthodoxe Konferenz in Rhodos von September auf November verschoben worden sein. Die Gründe für diese Verschiebung sind nicht bekanntgeworden.

Die katholische Kirche Finnlands beging dieser Tage ein in ihrer Geschichte sehr seltenes Fest. Erst zum zweitenmal seit der Reformation wurde jetzt in Helsinki ein katholischer Bischof geweiht. Msgr. Paul Verscheuren von der Kongregation der Väter vom Heiligsten Herzen Jesu, ein gebürtiger Holländer, empfing die Weihe aus der Hand von Diözesan- bischof Cobben, wobei der holländische Bischof De Vet von Breda und der Stockholmer Oberhirte, Bischof Taylor, bei der Zeremonie in der kleinen katholischen Kathedrale der finnischen Hauptstadt assistierten.

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