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Die Mauer, die niedergerissen werden mub

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Das Land des Pere Foucauld, des „Herzens der Sahara“ und der anderen großen Missionäre, der großen Heiligen und Asketen, das Land Pascals und Peguys und der heiligen Therese von Lisieux, dieses Land Frankreich erlebt in diesen Wochen wieder das große Schauspiel der öffentlichen Diskussion um die Kirche und nicht zuletzt über die Kirche, die so charakteristisch f-jr alle Teilnehmer, sowohl für Frankreich als auch für die heilige Kirche, ist und so hoffnungsvoll in unserem Europa der abgebrochenen und abbrechenden Diskussionen und der Nur-Dis-kussionen. Frankreich „versinkt“ nicht — „Fluctuat, nec mergitur!“ —, und das heißt hier: es verstummt nicht. Ein Beweis dafür: die großen inneren Gespräche, auch in Büchern und Zeitschriften, während der Besatzungszeit. Auch das Buch der Abbe' Daniel und Godin, „France, pays dt mission?“, trägt die Jahreszahl: 1943 ...

Dieses Buch war der Beginn. Es verursachte in der großen Oeffentlichkeit einen langanhaltenden Schock. Es endet mit den Zeilen: „Wenn wir keine Missionen für unsere Proletarier ohne Religion und ohne Kultur errichten, dann werden es andere tun, und sie werden nicht zögern, eine Kultur und auch eine Religion zu haben: Gott gebe es, daß diese nicht sehr fern sein werde von der von Christus!“

Der damalige Erzbischof von Paris, Kardinal S u h a r d, sagte:

„Es erhebt sich eine Wand zwischen der täglich sich verringernden Truppe der Getreuen und den übrigen Franzosen, zwischen den mehr oder weniger strenggläubigen Katholiken und der immensen Flut der Ungläubigen. Diese Mauer muß niedergerissen werden!“

Aus der apostolischen Sorge und Hoffnung dieser Männer entstanden die beiden Institutionen: die „Mission de France“ und die „Mission de Paris“. In einer tiefschürfenden Artikelserie der großen Pariser Tageszeitung „Le Monde“ schreibt der bekannte katholische Publizist Georges Hourdin:

„Ihre Priester sind dazu ausershen,' jene berühmte Mauer niederzureißen . ! . den französischen Katholizismus davor zu bewahren, daß er langsam zugrunde geht, eingesperrt in eine Art von erstickendem .Getto'.“ Sprechen aber die Tatsachen, daß heute die große bürgerliche, liberale, konservative Presse sich für diese „Arbeiterpriester“ in einem so großen Maße interessiert, weiter etwa, daß im' vergangenen Jahr der Roman eines Arbeiterpriesters in Frankreich Bestseller werden konnte, nicht gerade dafür, daß dieses Gettodasein der französischen Kirche bereits der Vergangenheit angehört?

Und von diesem Hintergrunde hob sich nun plötzlich der Ruf ab: „Die Kirche verurteilt die Arbeiterpriester!“ Die kommunistische Zeitung „L'Humanite“ verlor keine Zeit, um frohlockend zu schreiben:

„Die Arbeiterpriester sind jetzt soweit: sie stellen sich Fragen, die mit den Interessen des von der katholischen Hierarchie getreu unterstützten Großkapitals kaum vereinbar sind.“

Was war geschehen? Die Tageszeitungen wußten von Verhandlungen zu berichten, in denen der päpstliche Nuntius von Paris, Msgr. M a r e 11 a, vor den zuständigen ;schöfen, darunter dem Kardinal L i i n a r t, iischof von Lille, dem die „Mission de 1rance“ untersteht, den Standpunkt Roms zum Problem der Arbeiterpriester erläuterte. Den Anlaß hiezu gaben, ebenfalls nach Zeitungsmeldungen, gewisse Vorfälle, auch anläßlich der letzten Streiks, aus denen man darauf schließen konnte, daß einige Priester die „Arbeitersolidarität“ vor ihre sacer-dotalen Pflichten gestellt hatten.

Nach „Temoignage Chretien“ soll der apostolische Nuntius gebeten haben, die Arbeiterpriester in ihre Klöster oder Diözesen zurückzurufen. Die Seminarlehrer' der „Mission de France“ sqllen bereits abberufen worden sein. Es wird auch berichtet, daß während einer Zusammenkunft der kirchlichen Autoritäten in Paris ernste Vorhaltungen gegen die Wünsche Msgr. Marellas gemacht wurden. Die Prälaten wiesen auf die Gefahren solcher Maßnahmen und auf die heikle Natur dieser Frage hin. Eine Entscheidung wurde nicht getroffen.

Der Schriftleiter von „La France catho-lique“ sprach von „Disziplinarakten der Kirche“. FranQois Mauriac hat darauf in einem leidenschaftlichen Artikel in „Le Figaro“ am 6. Oktober geantwortet;

„Sie predigen uns, lieber Fabregues, vorzeitig von einer Unterwerfung, die man von uns noch nicht verlangt hat. Die arbeitenden Priester sind stets die Abgesandten der Kirche, wie sie von Kardinal Feitin bezeichnet worden sind, der sie liebt, wie der Kardinal Suhard sie liebte. Die Kirche schickte sie dorthin, wo ie sind ... Das einmal Begonnene wird nicht unterbrochen werden, es sei denn, die arbeitenden Priester selbst verzagen. Das wäre die wahre Gefahr: daß sie ihren Mut angesichts gewisser Angriffe verlieren . . . Aber sie fühlten in diesen Tagen, mit welchem Respekt wir sie umgeben, welches Vertrauen ihre geistigen Führer, ihre Brüder und alle die Gläubigen Frankreichs in sie setzten, daß sie unser Stolz sind und daß wir uns, es sei ehrlich gesagt, überhaupt nicht vorstellen können, daß sie eines Tages nicht mehr da sein könnten.“

„Sie bedürfen mehr unserer Gebete und unserer Liebe als unserer Kritik“, sagte in den ersten Oktobertagen der Erzbischof von Paris, Kardinal F e 11 i n. Er bedauerte, daß man in der Presse soviel Irreführendes über sie schreibt, über die Ziele und Absichten, denen sie in gutem Glauben und mit ihrer ganzen Frömmigkeit ergeben sind. Doch diese Priester sehen sich schweren Gefahren gegenüber. Diese sind:

„1. Die Gefahr des Irrtums über die Wesenheit des Apostolats, das keine weltliche Aktion ist; 2. die Gefahr des Irrtums über die Wesenheit der Kirche selbst; 3. die Gefahr des Irrtums über das Gesetz der Liebe ... Es gibt Katholiken, selbst Priester, die im Namen der Gerethtigkeit sich dem Klassenkampf anschließen wollen .. . zum Sturze des kapitalistischen Systems ... Es ist wahr, daß man alles unternehmen soll, um die Lage der Arbeiterschaft zu verbessern, um mit Mißbräuchen des kapitalistischen Systems, mit unerträglichen Zuständen Schluß zu machen. Und die Kirche hört nicht auf, dazu die Gläubigen einzuladen. Diese weltliche, gewerkschaftliche, politische Aktion ist das Werk von Laien, die von ihren Priestern im Geist und nach den Direktiven der Kirche unterstützt werden. Unter gewissen Umständen, in bestimmten Punkten, wo es sich um eine gerechte Sache, handelt, geht man mit jenen, die anderen Organisationen angehören, ein Bündnis ein: daraus darf man aber keine ständige Einrichtung machen; 4. die Gefahr des Irrtums über die Berufung des weltlichen Priesters.“

Der Erzbischof von Paris erinnert schließlich an den Geist des Gehorsams und der Demut und warnt vor der Versuchung, „blind seinem persönlichen Gewissen zu folgen, woraus jener Neo-Protestantismus entstehen kann, den der Heilige Vater so sehr befürchtet“.

Und nun lassen wir die Wortführer der Arbeiterpriester selbst zu Wort kommen.

Der Abbe1 Bernard Chauveau von der „Mission de Paris“, Arbeiter der Renault-Werke, sagte:

„ ... Unser christlicher Glaube zwingt uns nicht, Konservatoren, Reformisten oder Revolutionäre zu sein, aber er erwartet von uns, daß wir uns loyal und ernst den Problemen stellen, die uns begegnen (Lohn, Arbeit, Wohnung, Friede usw.) und daß wir ehrlich den besten Lösungen nachstreben ... Oft sagt man uns, daß wir das Spiel des Kommunismus spielen; wir müssen aber auch aufpassen, wenn wir objektiv sein wollen, damit wir nicht das Spiel der Reaktion, der Unterdrückung und des ganzen Aufmarsches der Ungerechtigkeit und des Elends spielen. Es gibt politische oder andere Begebenheiten, die für unseren christlichen Glauben Schwierigkeiten bedeuten könnten. Das ist wahr und wir wissen es ... Aber wir wollen nicht, weil das Morgen uns zweifellos andere Schwierigkeiten bringen wird, uns den gegenwärtigen schweren Ungerechtigkeiten anpassen ... Wir wissen von dem Drama der Koexistenz der Kirche mit einer sozialistischen Gesellschaft. Wir leben das Drama ihrer Koexistenz mit dem Kapitalismus, und wir schreiten tapfer vorwärts.“

Bei derselben Gelegenheit, auf einer Enquete der Zeitschrift „La Quinzaine“ in diesem Sommer, sprach auch der Direktor der „Action populaire“ und ehemaliger Arbeiterpriester R. P. Bigo:

„Die Kirche schickte uns in eine Arbeit, die unermeßlich groß ist. Sie ist, wenn man will, eine Arbeit der Kirchenreform. Aber es gibt zwei Methoden, um Kirchenreform zu machen: die Methode der Häretiker: sie zerreißen lieber dieses arme Kleid der Kirche, das schon so oft zerrissen wurde, und so wird der Graben zwischen der Welt und der Kirche breiter; oder es gibt die Methode der Heiligen. Diese Methode ist es, wonach wir arbeiten wollen.“

Auch sei noch einiges aus den Schlußfolgerungen des anfangs genannten Chefredakteurs Hourdin zitiert. Er befaßt sich mit der häufigen Frage nach den „Erfolgen“ dieser Mission, nach der Zahl der Taufen etwa, und weist darauf hin, daß der Missionär der Arbeiterstädte nicht mit primitiver Gesinnung, mit den minderen Formen eines religiösen Geistes zu tun hat, sondern sehr oft mit selbstbewußten Kämpfern, deren Mentalität, bar jeder religiösen Unruhe, nach neuen, riärteren Formen strebt. Aber trotz alledem, trotz der niedrigen Zahl der Männer und der Jähre, sind die Ergebnisse überraschend. Die gegenwärtige Krise bewies das.

„Sobald in den Arbeiterquartieren und Fabriken, wo die Missionspriester leben und arbeiten, durch die Zeitungen bekannt wurde, daß eine Rückberufung der „Mission“ erwogen werde, sprachen die Herzen auf eine Weise, wie sie in Volkskreisen sprechen, das heißt mit einer Mischung von Große und Takt. Die Kundgebungen der Sympathie und der Solidarität mehrten sich.“

Er erzählt auch von einem Abendgottesdienst in einem Pariser Außenbezirk, an dem 400 Menschen teilnahmen, die Arbeitskameraden eines Priesters, den sie am Tage seines zehnjährigen Priesterjubiläums auf diese Weise beschenken wollten. Er schließt wie folgt:

„Das Problem ... bleibt. Es ist für die Kirche unmöglich, es nicht zu beantworten. Eine neue Zivilisation ist da ... Die Menschen, die sie machen, sind ... ohne Priester und manchmal auch ohne Gott. In Frankreich begann die Kirche ... zu ihnen Missionäre zu schicken ... Das Problem der Arbeilerpriester ist also nicht die Frage nach dem Lebensstil bestimmter Priester, was eine innere Disziplinar-angelegenheit der Kirche ist, sondern nach der Missionstätigkeit selbst. Diese Frage nach der Orientierung der französischen Kirche wird heute durch die Mission unseren Bischöfen gestellt.“

Und die Bischöfe antworten! Am 12. Oktober wurde ein Denkmal zu Ehren des Kardinals Suhard in dessen Heimatdorf Brains-sur-les-Marchcs (Mayenne) durch den Erzbischof von Paris, Kardinal Feitin, eingeweiht. Der Bischof von Angers sagte hier in einer Festansprache: Der Kardinal Suhard hätte fiele Menschen befragt und die ganze Zeit seines Pariser Apostolats darüber nachgedacht, wie man die Mauer, die die Massen voh der Kirche trennt, abtragen könnte. Für ihn hätte es absolut keine anderen Mittel gegeben, als auf die andere Seite der Mauer zu gehen, nachdem man sie nicht abtragen könne. Er hätte es für notwendig gehalten, daß Priester unter die Fabriksarbeiter gehen,um Arbeit und Not mit ihnen zu teilen, „um ihnen ähnlich zu werden, wie der Sohn Gottes durch seine Menschwerdung den Menschen, seinen Brüdern, ähnlich wurde“ Der Bischof erinnerte daran, daß der Kardinal Suhard selbst die gefährlichen Stunden für die Mission vorausgeahnt hatte, da er wußte, daß es bei dem jungen Apostolat nicht immer ohne Irrtümer und Ueber-treibungen gehen wird. Heute sei ein Streit der Meinungen um eine Institution entstanden, für die ihr Gründer die Stille wünschte. Man solle zur Weisheit des Kardinals zurückkehren ...

Nach ihm aber sprach der Kardinal Feitin: „In diesen besonders schweren Stunden sage ich, daß ich kein anderes Ziel habe, als das Werk des Apostolats fortzusetzen, das der Kardinal Suhard wollte, da er klar gesehen hat.“

Am 14. Oktober begann in Paris eine Konferenz der Kardinäle und Erzbischöfe von Frankreich. Auf der Tagesordnung stand auch die Frage der „Mission de France“ und der „Mission de Paris“. Nach Pariser Pressemeldungen erscheint es wahrsdieinlidi, daß zwei oder drei der Kardinäle sich nach Rom begeben werden, um den Heiligen Vater persönlich über die Notwendigkeiten dieser Mission der Kirche in Frankreich zu informieren.

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