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Das Wagnis in verlorener Welt

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Paris, Mitte Juli

Der traurige Vorfall, der sich Ende Mai in einem Pariser Polizeikommissariat abgespielt hat, die schwere Mißhandlung von zwei bei den kommunistischen Demonstrationen gegen General Ridgway Inhaftierten, die „Arbeiterpriester“ waren, hat neuerlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Problematik der Stellung der kühnen priesterlichen Menschen gerichtet, die alles Äußerliche ihres Standes abstreifen, um mitten unter einer völlig atheistischen Industriearbeiterschaft ganz einer missionarischen Aufgabe zu leben. Die Urteile über ihre Stellung, die Richtigkeit und Nützlichkeit ihres heroischen Entschlusses und selbst über ihre kirchenrechtliche Stellung gehen in der Presse weit auseinander und treffen vielfach nicht den Stand der Dinge. Vor allem ist nicht zu übersehen, daß es sich bisher nur um eine kleine Schar von Priestern handelt, die sich dieser Aufgabe gewidmet haben, im ganzen etwa hundert, von denen 25 in Paris, andere etwa in einem Dutzend französischer Diözesen verstreut sind; dem Jesuiten- und Dominikanerorden gehören etwa zehn an. Das Beispiel hat auch in Belgien einige Priester zu gleichem Entschluß ermutigt.

Ohne direkt einer Pfarre zugeordnet zu sein, untersteht der Arbeiterpriester direkt dem Bischof der Diözese beziehungsweise dem Ordensoberen. In seinem Wirkungsbereich ist vieles noch ungeklärt, wird erst in längerer Erfahrung gewonnen werden.

„Wir sind nicht spezialisierte Missionäre“, sagte mir ein Arbeiterpriester. „Wir gehen nicht in die Arbeiterwelt predigen, wie dies andere in bürgerlichen oder ländlichen Kreisen tun. Wir suchen nicht einmal Einzelkonversionen herbeizuführen. Angesichts der Gestalt, welche die Welt des Arbeiters angenommen hat, handelt es sich uns im wesentlichen nicht darum, einzelne aus der Umgebung umzuformen. Es geht vielmehr darum, diese ganze Welt umzugestalten, in ihr die Liebe zu lehren. Denken Sie an Pater de Foucauld: er hat keine Prosely- ten gemacht, nicht eine Arbeit der unmittelbaren Evangelisation verrichtet. Was er anstrebte, vimr, einen Kontakt zu begründen, die Gegenwart Christi zu sichern. Wir gehen nach der gleichen Art vor…“

So will der Arbeiterpriester vor allem durch sein Beispiel und seine Gegenwart wirken. Er will die Atmosphäre der Welt, in die er eingetreten ist, ändern. Seine Aufgabe ist auf lange Sicht gerichtet. Richtig ist, daß angesichts der traurigen geistigen Lage, in der sich heute die Arbeiterklasse Frankreichs befindet, diese Form des Apostolats die einzig menschlich mögliche zu sein scheint. Dabei begreift diese Art des Wirkens keine Verurteilung des überlieferten Verfahrens in sich.

Niemand könnte freilich leugnen, daß in dem Experiment Gefahren liegen und leicht Irrtümer begangen werden. „Daß Priester zu Arbeitern geworden sind und durch den unmittelbaren Kontakt zu wirken suchen, wo schon nicht mehr der geringste Zusammenhang mit dem Christentum besteht, kann ich verstehen“ — sagte mir ein Freund —, „aber warum sind einzelne unter ihnen den Gewerkschaften beigetreten, einer sogar Sekretär der kommunistisch gesteuerten Metallarbeitergewerkschaft des Departements Seine geworden?“ Man muß sich hier vor Verallgemeinerungen hüten, nur vereinzelte Arbeiterpriester haben einen Posten mit gewerkschaftlicher Verantwortlichkeit. Wohl aber nehmen einzelne an Versammlungen und Kundgebungen der kommunistelnden „Friedensfreunde“ teil. Eine zwitterhafte Position. Jeder handelt da auf der Ebene der Gemeinschaft, in die ihn sein Apostolat gestellt hat, wie er es für gut findet für die Erfüllung seines Apostolats. Der eine erstreckt sein Wirken auf die Fabrik, in der er tätig ist, der andere auf sein Wohnviertel, in dem er wohnt. Das sind die einen, die am Kampf der Arbeiterschaft teilnehmen. Sich davon femhalten, hieße, wie nun einmal die gegebene Lage in Frankreich ist, sich vom Leben der Arbeiterschaft femhalten und gegen die erste Regel des Apostolats handeln, die da ist: Arbeiter mit den Arbeitern zu sein. Die Schwierigkeiten ergeben sich sofort bei der Anwendung der hochsinnigen Regel.

Offenbar steht der Arbeiterpriester nicht selten vor schweren Gewissenskonflikten, zwischen den Erfordernisseneiner völligen Teilnahme am Leben einer dem Christentum völlig Mitfremdeten Menschheit und den Verpflichtungen seines Priesterstandes, die höherer Ordnung sind. Er wird unter Umständen zu wählen haben zwischen dem Verlust eines schon gewonnenen Vertrauens unter seinen Fabrikskameraden, der Zerstörung der Voraussetzungen eines vielleicht hoffnungsvoll begonnenen Apostolats lind andererseits unabdingbaren Verpflichtungen seines Priestertums.

Ich kenne einen Arbeiterpriester, der an einem der großen Staudämme mitarbeitet, die man gegenwärtig für Wasserkraftbauten in den französischen Alpen errichtet. Die Leute leben dort unter sehr harten Bedingungen, viele von ihnen sind Ausländer — Nordafrikaner oder Italiener. Als mein priesterlicher Bekannter an seinem Arbeitsplatz eintraf, hätte er sich vorgenommen, sich nicht mit gewerkschaftlichen Angelegenheiten Zu befassen. Nun sah er, daß die Unterkünfte für die Arbeiter ganz unzureichend waren; die Bestimmungen des Arbeitsvertrages wurden nicht eingehalten, das Leben war für die Arbeiter viel härter, als es hätte sein müssen. — - Was sollte ich tun?“ sagte mir dieser Arbeiterpriester, „mich nicht mit diesen Dingen befassen? Ich betone, diese Arbeiterschaft war unterste Schichte des Proletariats, zur Verteidigung ihrer Rechte schlecht geeignete Menschen. Wäre ich meiner Pflicht der Nächstenliebe getreu geblieben, wenn ich m i c h in einen Winkel zurückgezogen hätte? Ist der Kampf um die soziale Gerechtigkeit nicht auch eine Form der Nächstenliebe? Ich ging nach Paris, um die Sache dieser Menschen zu vertreten, ich habe eine gewerkschaftliche Sektion unter ihnen gegründet, deren Seele ich nun bin. Habe ich unrecht getan?“

Ohne Zweifel ist der Beruf des Arbeiterpriesters der schwierigste im missionarischen Bereich der Kirche. Immer wird man, wenn man dem Unternehmen der Arbeiterpriester gerecht werden will, sich Vorhalten müssen, daß es einen mutigen Versuch darstellt, in dem kein Graben den Priester von der Hierarchie trennt So hat denn auch die kürzlich stattgefundene Konferenz von Vertretern des Episkopats mit Arbeitefpriestern nicht für diese ein „Ultimatum“ erbracht, wie eine Sensationsmeldung wissen wollte, sondern eine Magna Charta, eine Bekundung des bischöflichen Vertrauens und des beistehenden Ratschlages. Der Versuch ist noch jung; die ältesten Arbeiterpriester sehen auf eine fünfjährige Tätigkeit zurück. Immer muß man im Auge behalten: sie stellen nur eine der Formen der „missionarischen Erneuerung“ dar, welche wir gegenwärtig in Frankreich erleben. Man darf sie nicht als Ganzes nehmen, gleichsam als einen alleinstehenden Block ohne Verbindungen und Kontakte.

Das Vertrauen des Episkopats ist aber nicht erstaunlich, wenn man den Geist der Treue kennt, in dem die Arbeiterpriester wirken. Und auch die Ratschläge zur Vorsicht sind nicht erstaunlich, denn aus diesem Apostolat ergeben sich zahlreiche Schwierigkeiten, die nicht in einem Tage gelöst werden können.

Eine der hauptsächlichsten ist jene, die Verbindung zwischen den Gruppen, welche die Arbeiterpriester um sich sammeln, und den bestehenden Pfarrgemeinden herzustellen. Es ist praktisch für den zum Christentum heimkehrenden Arbeiter fast nicht möglich, sich in einer traditionsgebundenen Pfarre wohlzufühlen, welche von Gläubigen besucht wird, die im katholischen Glauben aufgewachsen sind und fast zur Gänze der mittleren und bürgerlichen Klasse zugehören. Und doch sollte es keine Zumutung sein, daß sich Christen, die den gleichen Glauben bekennen, dasselbe Stadtviertel bewohnen, zu gemeinsamem Gebet versammeln. Die Leistung der Arbeiterpriester muß Gefahr laufen, sich zu verlieren, wenn es night gelänge, in der Pfarr- seelsorge zweckmäßige Einrichtungen einzubauen, welche die neugewonnenen Christen aufzunehmen geeignet sind. Erfolg ihres Apostolats wird daher eng verbunden sein mit der a 11- gemeinen Erneuerung des Pfarrlebens.

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