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Neue Wege der Brüderlichkeit

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Als Ergänzung des „Tagebuchs eines Arbeiterpriesters“ liegen Henri Perrins nachgelassene Briefe und Dokumente, herausgegeben und mit verbindenden Texten von einem Kreis seiner engeren Freunde versehen, nun auch in deutscher Sprache vor. Es sind erschütternde Dokumente, die die Problematik um die französischen Arbeiterpriester und die Unterbindung ihres Wirkens in den alten radikalen Formen von neuem schmerzlich ins Bewußtsein rufen. Ging Perrin doch das Wagnis christlicher Bruderschaft mit all 6einen Konsequenzen ein. für die sich die herkömmlichen .Formen priesterlichen Wirkens als nicht mehr ausreichend erwiesen.

Henri Perrin gehörte zu jenen jungen Priestern, die 1943 in die Lager der französischen Zwangsdienstverpflichteten nach Deutschland gesehickt wurden, wo sie, als einfache Arbeiter getarnt, sich um die geistliche und feelische Betreuung ihrer Kameraden bemühten. Hier, in diesen Lagern, begegnete Perrin zum erstenmal ganz unmittelbar jener „Terra aliena“ der Heiden, für die sich einzusetzen sein Lebensziel wurde.

„Als einziger Christ in der großen heidnischen Masse, als Zeuge des Herrn, an den ich mich jeden Tag fester klammerte, habe ich endlich das fremde Land erkannt... Diese Mensche ohne Gott... sind in unsere Hände gegeben, arme Geschöpfe, die nach Liebe und Licht verlangen. Gewiß, gewiß, sie werden auch am nächsten Sonntag nicht in die Messe gehen, und das ist sogar besser so. Aber sie müssen endlich einen Christen in ihrer Nähe haben, einen, der sie anzieht, weil er nicht denkt, wie alle, und dessen .Worte und Werke' bisweilen Zeichen für eine andere Weh sind. ..“ schreibt er 1944 an einen Freund. Und in einem Brief aus der gleichen Zeit an seine ihm eng, verbundene Kusine Lucie, eine Karmelitin, lesen wir: „Sicher wirst Du merken, mit welcher Hartnäckigkeit ich immer wieder sage, daß wir uns vom Volk abgesondert haben, daß wir verbürgerlicht sind, daß wir weder die Freiheit noch die Leichtigkeit noch die Liefre noch die Verführungskraft des Evangeliums besitzen ...“

Aus diesem „christlichen Ghetto“ strebt Perrin heraus in ein zeitgemäßes Apostolat, das ihn. nach einigen Noviziatsjahren bei den Jesuiten, als Arbeiterfahrung der in Frankreich so starken sozialen Spannungen, bringt ihn, wie viele andere seiner Mitbrüder auch, notwendigerweise in Gegensatz zum Kapitalismus. Und Perrin ist nicht der Mensch, der schweigend Ungerechtigkeiten hinnimmt. Er engagiert sich aktiv in der Gewerkschaftsbewegung, er fühlt sich verpflichtet, nicht nur zu missionieren, sondern auch am Kampf für gerechtere soziale Zustände teilzunehmen. Ein Experiment, das zu vielen Mißdeutungen führte. Wer diese Aufzeichnungen liest, kann aber nicht übersehen, daß für Perrin auch diese Seite seiner Arbeit nur eine Folge seiner christlichen Verpflichtungen war und daß seine Kritik an den sozialen Verhältnissen von den Grundsätzen des Evangeliums ausging. Er handelte immer und überall aus dem Glauben und als ein Liebender, auch da, wo er zu den traditionellen sozialen Vorstellungen der Kirche in Gegensatz geriet.

Für uns ist es sehr heilsam, diese Kritik einmal aus dem Mund eines Priesters, zu hören, der sie legitimiert durch: seine kompromißlose Hingabe an das.große Ziel der Versöhnung zwischen Kirche und Arbeitertum. Es spricht nicht, gegen Perrin,.sondern vielmehr gegen die Verhältnisse, daß sein' persönlicher Versuch schließlich- in die Ausweglosigkeit führt. Nach der Entscheidung des heiligen Offiziums über die Arbeiterpriester vor die schreckliche Wahl gestellt, sich gegen die Kirche aufzulehnen oder seine ihm so lieb gewordenen Arbeitskameraden im Stich zu lassen — Menschen, für die er das einzige Bindeglied zur Kirche war '— entschloßt er sich kurz vor seinem tödlichen Unfall, um seme Lalsierung zu bitten.

Das Buch endet mit einer Frage, die den Konflikt verdeutlicht, in dem nicht nur Henri,Perrin stpnd, als las große Experiment der Arbeiterpriester sein Vor? läufiges Ende fand.

„Wie konnte es gescheiten, daß ein Priester der

Kirche, der so viel von ihr empfangen hat, der mit soviel natürlichen und übernatürlichen Gaben ausgestattet war. . . gerade durch die innere Kraft seines Priestertums, das den Ärmsten und Verlas-, sensten seiner Zeit geweiht warf dahinkam. — um der Kirche, die Christus ist, und den Armen, die es auch sind, in gleicher Weise die Treue zu halten — in tiefer Traurigkeit auf'das-zw verzichten, was... den Kern seines Lebens, den Grund seines Seins ausmachte: sein Priestertum, seine einzigartige Berufung, seine Brüder mit Gott zu verbinden, das heißt für seine Zeit, die beiden Welten, die einander fremd waren: die Kirche und die Arbeiterklasse?“

Die Frage, wir hoffen es, wird ihre Antwort finden, wenn die Kirche ihr letztes Wort zu der Re-christianisierung der Arbeiterschaft spricht. Perrin hat vorausgesagt, daß die heute bestehende Kluft nicht zu überbrücken ist, „ohne daß die Kirche furchtbare Erschütterungen erfährt und ohne daß sie die Todesangst Christi mitleidet.“ Er ist diesen bitteren Weg vorangegangen, nicht immer, ohne sich in Schuld zu verstricken. Aber die Aufgabe, für die das geschah, lohnte, will uns scheinen, selbst dieses Risiko,

Dr. Anneliese D e m p f

KAISERMANÖVER. Von Erwin H. Rainalter. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien, 352 Seiten. Preis 89 S.

Es gibt eine ganze Reihe von Romanen, die, um die Jahrhundertwende spielend, die alte Armee zum Thema haben. So etwa die Eichthals und einige Bruno Brehms. Auch das vorliegende aus der Feder Rainalters gehört dazu. Der Inhalt ist kurz der: Eine Dfeiec“ks|te;schichte,' die in der Residenzstadt Wien lind in einer Garhiäönsstädt an der Donau, in der un-scrWrer ;Ktm,;ä de Dichter Jugendhermat, zu erkennen ist, abrollt. Die schöne „Oberstin“ liebt “einen kroatischen Hauptmann. In flagranti ertappt, gibt er sich dann selbst den Tod. Diese Romane haben und hatten immer ihr Publikum. Sie werden nach dem Tode jener, die Österreich-Ungarn noch mit Bewußtheit erlebt haben, wahrscheinlich auch noch geschrieben werden, aber Milieu und Atmosphäre werden dann wohl selten mehr so echt sein wie bei Rainalter.

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