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Tradition und Aufbruch

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Zum Werke Hans Urs von Balthasars

Im Jahre 1947 erschien die bis heute vieldiskutierte Schrift „Der Laie und der Ordensstand" von Hans Urs von Balthasar. Im Bewußtsein wachsender Bedrohung der christlichen geschichtlichen Existenz und der Möglichkeit, daß der Eiserne Vorhang näherrücken könnte, wurde darin von der Schweiz aus die Forderung nach einem von Laien getragenen Ordensleben erhoben, das dem Gebot der Stunde antwortet. Es sollte, im Vertrauen auf strengste Form, der Welt sich ausliefern können, dienend an jeder Stelle, wo der Dienst gefordert wird. Eine solche Lebensform mag etwas Revolutionäres haben: aber doch nur im Sinne des von Martin von Tours in schweren innerkirchlichen Kämpfen eingeführten Mönchstums oder im Sinne des Aufbruchs des heiligen Franz von Assisi, welcher Aufbruch ja eine „Laienbewegung" war. Dieser Ordensstand des Laien war gedacht als ein Weiterschreiten auf dem Wege, den Leo XIII. mit Aufnahme der Kongregationen mit einfachem Gelübde und Pius XII. mit der Eingliederung der weltlichen Institute in das kanonische Recht gewiesen haben. Die weltlichen Institute verlangen keine eigentliche Ordensprofeß. In der strengen Verpflichtung zu Armut, Keuschheit, Gehorsam gegründetes Wirken soll ermöglicht werden in den Fällen, in denen ein katholisches Ordensleben unmöglich ist. Um die Nachfolge, ein Leben nach der Bergpredigt und seine unzerstörbare erneuernde Kraft geht es auch hier, aber innerhalb der Gesellschaft; das Leben unter einem Dach ist nicht mehr geboten.

Das Christentum hat nur diese eine Möglichkeit, sich ständig erneuernden Lebens: die Nachfolge; das Tun des Wortes. Wenn aber nun der Laie sich dazu aufgerufen fühlt? Wie soll er leben in dieser Welt, die einem solchen Auftrag durchaus widerspricht? Der Herausgerufene muß ja einen festen Ort haben, das Bewußtsein einer durch keine Entfernung zerreißbaren Gemeinschaft, der Gebetshilfe. Wie erlangt er seinen Stand, eben die Gnade des Ordensstandes, ohne die das unsagbar Schwere nicht gewagt werden kann? Das totale Opfer, das „Vollbrandopfer", wie Balthasar sagt, soll geleistet werden. Also geht die „Forderung der Stunde konkret dahin, die Synthese zwischen Laientum und Ordensstand ins Auge zu fassen". Darüber leuchtet die Gründung des heiligen Ignatius von Loyola: ohne Chorgebet und Kloster stellte er seine Jünger mitten ins Gewühl der Welt, befestigte er sie in dem Entschluß: alles zu verlassen. Aber, so fragt Balthasar, wo ist innerhalb des Standes der Vollkommenheit der Raum für den gebildeten Laien?

Die Frage und ihre Problematik bedürfte einer gründlichen Erörterung. Theoretisch kann sie gar nicht entschieden werden. Orden ist Lebensform: die Nachfolge eines Menschen, der sich auf eine neue, eben von der Zeit gegebene Weise zur Nachfolge Jesu Christi gerufen fühlt und in dieser Nachfolge entschwindet. Ein Orden entsteht — unter der Gnade — dann, wenn eine solche ursprüngliche, zum Ursprung führende Nachfolge geleistet wird und Gefolgschaft und autoritäre Zustimmung findet. Ein Orden ist niemals zuerst Programm. Das weiß niemand besser als der Verfasser der Schrift vom Laien und dem Ordensstand. Aber er hat ein Ziel gewiesen; vielleicht einen Weg geistig-religiöser Entwicklung gebahnt, der zu einer neuen Gestalt führen kann. Würde sie sich bilden, so wird es sich auch zeigen, daß sie mit Notwendigkeit hervorgetreten ist und getragen wird vom alten Stamme und genährt von seiner Kraft.

Hier geht es nur um den charakteristischen Einsatz. Die Theologie Urs von Balthasars beansprucht den Menschen, will menschenformend sein. Gerade weil sie eine „knieende Theologie" ist, die Balthasar scharf von der „sitzenden Theologie" unterscheidet; sie ist eben nicht Gelehrsamkeit, sondern Auslegung des Wortes, das letztlich nur in dem Grade verstanden wird, in dem es gelebt wird. Das christliche Geheimnis schließt sich nur dem in dieses Geheimnis Eingehenden auf. Wer nicht wirklich durch die Tür will, das heißt: sich selber an der Schwelle lassen will,

dem bleibt sie verschlossen. Denn die Tür ist der Herr.

Die Stellung einer solchen Theologie in der Zeit wird mit leidenschaftlicher Hingabe in dem Bekenntnis „Das Herz der Welt", das vor kurzem in Zürich neu erschienen ist und mit polemischer Kühnheit in der Schrift „Schleifung der Bastionen" ausgesprochen. Es ist eben keine eigentliche Stellung mehr, sondern Selbstauslieferung: Kirche ist „Teilhabe an Christus", und „wo ein Christ ist, da ist die Kirche". Nach wie vor gilt der Satz, daß kein Heil vermittelt wird außer durch die Kirche. Aber er ist zu verstehen im Sinne der Stellvertretung, wie sie Paulus ausgesprochen hat, mit Bezug auf das Ganze der Menschheit, der

Welt: „Ist die Wurzel heilig, so sind es auch die Zweige" und: „Gott hat alles unter dem Unglauben verschlossen, daß Er sich aller erbarme." Wir müssen uns der Weltmacht der Geschichte ausliefern und können uns den Wahrheitsbezirken nicht verschließen, die die moderne Wissenschaft aufgetan hat; hier bleibt nur ein Harren und Leiden, in der Hoffnung, daß das Getrennte von innen her vereinigt werde. So wird das kühne Bild von der „fließenden Kirche" entworfen: sie strömt vom Fels des Ursprungs in die Welt und versickert in ihr; sie ist ihr eigentliches, aber verborgenes, als Opfer unsterbliches Leben. So wird ihr vielleicht das Aeußerste, das Dringendste gelingen: das Wort, zu tragen „in Fernen, zu denen kein Priesterwort mehr reicht".

Solche Forderungen, die nichts anderes wollen als apostolische Erneuerung, als den Aufbruch dessen, was von Anfang war, gründen sich auf eine umfassende Schau der geistigen und religiösen Situation und ihrer Vorgeschichte. In den Aphorismen „Das Weizenkorn" steht der doppelsinnige Satz: „Nur wer viel übersehen kann, hat Ueber- sicht." Uebersehen: das heißt auch hinwegsehen über das Störende, Fragwürdige. In dem vor dem letzten Kriege erschienenen dreibändigen Werk „Apokalypse der deutschen Seele" hat Urs von Balthasar eines der ernstesten Gespräche mit dem deutschen Geiste gewagt, die geführt worden sind: er stellt die Träger des Wortes und des Gedankens und ihre Aussage in die Perspektive der letzten Dinge und erforscht die Gegenwart des Endes, auf das mannigfachste abgewandelter apokalyptischer Vorstellungen, in der Seele der Künstler und Philosophen. Dieses Endes- und Todesbewußtsein erscheint ihm also in charakteristischem Sinne deutsch; es spielt in ver- wirrend-betörenden Farben zwischen der Verheißung neuer Herrlichkeit und dionysischem oder buddhistischem Nihilismus. Nur der dritte Band ist unter dem Titel „Prometheus" nach dem Kriege neu erschienen; in ihm waren schon vor der Katastrophe alle Fragen deutscher Geisteskritik und damit auch der Musik aufgeworfen, die seit dem Zusammenbruch umstritten werden.

Vielleicht ist es eine Kritik aus tiefer Verwandtschaft, aus der Einheit von Ehrfurcht, Liebe und Sorge. Denker und Dichter werden gewissermaßen in den Basler Totentanz gerufen; ob sie es wollen oder nicht: unter der Melodie des Todes sagen sie aus, was sie sind. Aber als immer brennender erwiesen sich die Probleme der Heiligkeit: sie ist für Balthasar eine Art Offenbarung, deren Fortgang. Das Wesentliche ist: man kann sie nicht widerlegen. Heilige leben Formen von Frömmigkeiten, Antworten vor, die in das Leben der Kirche eingehen und in ihr fortwirken. So wird die Sendung der Therese von Lisieux verstanden als eine theologische mit den Worten Thereses, „den lieben Gott so lieben zu lehren, wie ich ihn liebe, meinen .kleinen Weg’ den Seelen zu geben". Denn es gibt Dinge, die so verborgen sind, daß sie nur in der Verborgenheit geoffenbart werden können, weil eben „Schweigen die Sprache des Himmels ist". Immer ist die Nachfolge alles; hier aber trägt sie das Gepräge sich in kindliche Ergebung hüllender Tragik: „Wer Friede sagt, sagt nicht Freude"; es ist ein Leiden, „wenn es sein muß, mit Bitterkeit, ohne Mut". Nie hat die Heilige ihren eigenen Willen auf Erden gelebt, aber das hat sie getan im Bewußtsein ihrer Unvollkommenheit und gerade in der Liebe zu ihr — also nicht im heroischen Streben nach Vollkommenheit; denn die Unvollkommenheit vei sicherte sie ihres Angewiesenseins auf die Barmherzigkeit Gottes. Balthasar will in diesem Buche nichts anderes geben als theologische Auslegung eines Lebens und der überlieferten Worte. Dasselbe strebt er an in dem Buche über die Zeitgenossin Thereses, Elisabeth von Dijon, die im Jahre 1906 im Alter von 26 Jahren als Karmelitin starb. Elisabeth verschwindet völlig unter ihrem Vermächtnis, einigen wenigen bedeutenden Texten. „Elisabeth im Verschwinden" nannte sie sich selbst, und- wenn sie, wie ihr Ordensname ihr gebietet, das Lob der Dreifaltigkeit darbringt, so eben als Karmelitin, in deren Zelle das Kreuz ohne Corpus hängt: ihr Lob ist, daß sie sich verwandelt in das Nachsterben, in die Gleichgestaltung mit dem Tode des Erlösers: „Wenn Sie wüßten, welches Werk der Zerstörung ich in meinem ganzen Wesen fühle."

Dies alles — so höchst verschiedenartige Werke und Bestrebungen, deren gemeinsame Mitte doch evident ist — weist auf Größeres, Neues. Diesen Herbst erscheint eine ausführliche Monographie über George Bernanos, mit der sich das Problem der Freiheit innerhalb der Kirche, des christlichen Protestes, wieder melden wird. Die Uebersetzung des „Seidenen Schuhs" und die bewundernswerte Uebertragung der Hymnen Claudels in dem Bande „Der Wanderer in der Flamme" sollen hier nicht vergessen werden. Wieviel Balthasar auch geleistet hat als Schriftsteller — vom Wirken des Seelsorgers zu reden, ziemt uns nicht —: er hat das Größte vor sich, Themen, die bisher noch keine Bearbeitung fanden, weil die Zeit sie noch nicht unabweislich gemacht hatte. Die Idee des Dienstes in der Zeit wird alles zusammenschließen und tragen. Und immer entschiedener wird sich das Universal- Ignatianische, die bedingungslose Hingabe an Welt und Zeit in bedingungsloser Festigkeit der inneren Form, in Balthasars Wirken bewähren als berufene Geistesmacht.

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