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Die Häresie zielt auf den Papst

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Jesus hat dem heiligen Apostelfürsten Petrus und mit diesem dessen Nachfolgern unaufhörlichen Beistand verheißen. Er bleibt der Felsenmann, der Fischer, der die Netze der Kirche auslegt, der Leuchtturm in stürmischer Brandung, der die Fackel der Wahrheit trägt, der des Heilands Herde pflegt, der mit nimmermüder Hand das Kreuz über Meer und Land hält, Petrus, der ewige Papst. Wie viele Symbole brüderlichen Vertrauens und großherzigen Einbekenntnisses historischer Schuld haben doch Johannes und Paulus abgegeben, wie viele Goodwill-Gesten der Una sancta gesetzt; doch, um der einen und ungeteilten Wahrheit willen: kann man denn wirklich auf Dauer Irrtümer, Häresien durch Verschweigen beseitigen oder auch nur überbrücken? Sollte nicht einmal kraft des Lehramtes und nicht des Dialogamtes das Gespräch über das Trennende aufgenommen werden? Sollten wir nicht mehr um die Rückkehr der getrennten Brüder beten, als Kaffee-Weekends mit vielen Referaten veranstalten? Jeder Irenismus wäre für die Wahrheit tödlich, wenn diese verwundbar wäre.

Der Angriff auf das depositum fidei, den die postkonziliare Kirche erfährt, kommt aus unergründlichen Tiefen der Bosheit, die Menschenfassungsvermögen übersteigt. Das Geheimnis der Lüge, des Verwirrers, des Diabolus ist unergründlich. Es setzt auch schon an zum Angriff auf das Mysterium Trinitatis. Sagte doch kürzlich ein bekannter Pfarrer der Wiener Kirchengemeinde: „Über die Dreifaltigkeit rede ich nicht. Die verstehe ich nicht, das lassen wir lieber beiseite.“ Sprach’s und handelte. Er unterläßt die Trinitätskon- klusion bei den Kirehengebeten der Messe und an den „grünen Sonntagen“ die einschlägige Präfation.

Custos, quid de nocte?

Theologie ohne Gelt

Ein Neorationalismus umgaukelt das Denken der kirchlichen Wissenschaft. Der Dialog zwischen Christen und Nichtchristen, vornehmlich marxistischer Philosophen, läuft auf ein humanistisches Gemeinsames hinaus, auf einen Humanismus, dessen vornehmliches Kennzeichen die Anthropozentrik ist. Gott als Mittelpunkt, auf den alles Sein bezogen ist, weil Er dessen Schöpfer und Urheber ist, wird ausgeklammert, wenn nicht immanent in den Menschen hineingedeutet. Dieser immanente, „apokryphe“ Gottesglaube ist vom christlichen „Adoro te devote, latens Deitas…“ soweit entfernt wie ein Hölderlin-Gedicht von den Bußpsalmen. Glaubensgehorsam, obse- quium fidei, wird von den Kündern konziliarer Konsequenzen nur mehr dort erbracht, wo vernünftige Gründe ins Treffen geführt werden können. Aber wohlgemerkt: Ratio nicht für die Credibilität, sondern für das Credo! Lessings Ringparabel feiert aufklärerische Urständ’. Die Erfahrungen des Himmels, die ein Menschenleben verwandeln können, und die Bedrängungen des Unruhestifters, des Satans, rücken immer mehr in den Bereich des Irrealen, über das man lieber und auf Dauer nicht mehr spricht. Das Unkraut des Widersachers wuchert saftig unter dem Gold des Weizens. Auto, Fernsehen und Flugbillett gewinnen langsam, aber sicher auch im jungen Klerus mehr Realität als ein durchaus mögliches Reden mit Gott, das man schlechthin Gebet zu nennen pflegt. Der Sturm der zweiten Aufklärung tobt gegenwärtig vor allem in der Bibelwissenschaft, wo im Zeichen einer extrem formgeschichtlichen Methode der Entmythologisierung — die in Wirklichkeit die Inspiration Gottes als auctor principalis längst abgeschrieben hat — Geburt und Kindheitsgeschichte, Wundertaten wie johan- neisch belegte Lehrworte, Auferstehung und Himmelfahrt in Frage gestellt und zerpflückt werden. Was bleibt, ist Christi Kreuzessterben. Wie typisch! Was bleibt, das ist der im höchsten Falle gottbegnadete Mann Jesus aus Nazareth, dessen Mutter wahrscheinlich eine sehr liebenswerte, aber eine Mutter wie jede andere gewesen sein mag.

Wie schade, bemerkte kürzlich ein deutscher Mediziner zu Bischof Graber, daß das Konzil keine feierliche Aussage über die „divina maiestas“ formulierte, eine Aussage über Gottes Herrscherlichkeit. Dann wäre das rationalistische Gerede über eine „Theologie ohne Gott“, ja die gesamte „Gott-dst-tot-Bewegung“ dorthin gewiesen, wo sie hingehört: in das Blendwerk des Feindes, des Täuschers.

Motoren auf Gottes Touren

Was bleibt, ist ein Zerrbild, das Modell eines nach Dialog-Opportunitäten zurechtgezimmerten „Gün- ther-Nenning-Gottesbildes“, dem auch kommunistische Gesprächstrabanten akklamieren. Eine Idee des Allerhöchsten, ohne Bundestreue, ohne die Einladung an die Mühseligen und Beladenen, zu IHM zu kommen, damit Er sie erquicke. Pierre Telilhard de Chardin wird mit durchaus heißem Bemühen beschworen, während die Trostquelle der Sieben Schmerzen Mariens, die seit Jahrhunderten die Enterbten, die Entrechteten des Schicksals, die Menschen in Leid und Not erfrischte, versiegt. Vielleicht sind die jungen Kooperatoren an ihrer Malaise, die sie schon in den Seminaren zu alumnösen Mini-Revolten verleitet, gar nicht persönlich verschuldet. Vielleicht hat man ihnen zu viel der Methoden und zu wenig Frömmigkeit vorgezeigt? Sollen die künftigen Mittler im Namen Christi zwischen Gott und den Menschen Handwerker oder starke Beter sein? Nur Motoren, die bona fide auf Gottes Touren heißlaufen, oder nicht außerdem Generatoren, Kraftquellen für die anvertraute Herde, deren Gebete das aktive Pastorationsge- schehen speisen? Nimmt es wunder, wenn kontemplativ-monastische Ordensgemeinschaften zwar über Nachwuchssorgen klagen, aber immer noch attraktiver sind als manches Diözesanseminar, dessen Alumnen in Krawatten Jazzrhythmen einüben, anstatt einmal ein echtes Handbuch des mystischen und aszetischen Lebens zu meditieren?

Welcher Priesteramtskandidat bittet Gott um die Gnade, persönlich geheiligt zu werden? Wer erlebt Gott im heiligen Schweigen und wird des Schauers inne, der alle berührt, die den Saum Seines Kleides fassen? Wer stürzt sich hinein ohne Absicht, Vorsicht und Rücksicht in die unergründlichen Tiefen seiner Liebe, in den Abgrund seiner milden Barmherzigkeit? Wer sucht das Reich Gottes und läßt sich alles andere nachwerfen, ohne selbst nachzuhelfen?

Die vielgeschmähte vorkonziliare, „triumphalistische“ Kirche mit ihrem „Pomp und Prunk“, mit der edelsteinbesetzten Tiara und den Mon- signori-Titeln, mit den Camerlenghi di spada e cappa und den fürstlichen Thronassistenten zu Füßen des Petrus-Nachfolgers brachte die Heiligen hervor, die die Welt veränderten: den Offizier von Loyola, der Gottes Kampf auf Erden kämpfte und den Bäckerjungen von Znaim, den Diener der Armen von Warschau und Wien, den Pater Damian de Veuster, den Aussätzigenapostel, der sein Leben hingab auf Molokai um der Verstoßenen willen, in denen er das Antlitz Jesu erkannte. Wie sinnvoll wäre es doch, wenn jene jungen Kapläne, die von ihrem Gehalt keinen Groschen mehr für Arme erübrigen können, weil sie die Raten für ihren Volkswagen samt erster Havarieschäden zu berappen haben, einmal ohne Bitterkeit auf die Person des greisen Kurienkardinals Msgr. Otta viani blicken würden: jenes „Traditionalisten“, der im Sinne der Tradition Jesu sein ganzes Vermögen zur Erhaltung eines imposanten Waisenkinder-Institutes „angelegt“ hat. Welch eine Energieanleihe! Allerdings, ohne vorher eine Caritas-Enquete mit TV-Begleitung einzuberufen.

Der Modernismus (in neuer Variation), den der heilige Papst Pius X. als das „Sammelbecken aller Häresien“ bezeichnet hatte, ist da. Notabene: Alle jene katholischen Theologen, die heute innerste Glaubensüberzeugung in Frage stellen, haben vor ihrer Ordination oder Promotion den Anti-Moderniisten-Eid beschworen. Sind sie es nicht, die den objektiven Tatbestand des Eidbruches gesetzt haben, wie Bischof Graber mit guten Gründen fragt?

Ein Zeichen der Schwäche

Sie sprechen vom Christentum als „absoluter Zukunft“, von einer Theologie der Hoffnung und akzeptieren aus der Überlieferung der Kirche nur jene Strukturen, die in ihr gnostisches Schwärmertum hineinpassen. Ihr Dialog mit dem Kommunismus ist im harmlosesten Falle zur Schöngeisterei nachts um halb elf geworden. Er brachte der Kirche nichts ein, aber schon gar nichts, wenn nicht das verhaltene Lächeln intellektueller Diplomaten jenseits des Eisernen Vorhangs. Vielmehr wurden alle jene politischen Formationen diskreditiert, die im Geiste der Kirche seit Jahrzehnten bemüht waren, die Dinge dieser Welt nach bester Eignung und Neigung zu gestalten. Nennen wir die Kinder beim Namen: die christlich-demokratischen Parteien, nicht zuletzt deren Kerngruppe, die christlich-demokratische, christlich-soziale Arbeiterbewegung.

Wie sagten doch Moskaus Ideologie-Kommissare über das Bemühen christlicher Dialogisten, weitgehend marxistisch-gesellschaftsphilosophische Grundvorstellungen zu akzeptieren: „Schweren Herzens lösen sich die Theologen von dem traditionellen militanten Obskurantismus … Diese Erneuerung ist ein Zeichen für die Schwäche der Religion." (Ostprobleme, 18. Jg., 29. Juli 1966.)

Was bleibt, ist unsere Sorge, ist unser Glaube, ist unsere Frage, die wir mit einem „mea culpa“ an unsere eigene Brust formulieren: Custos, quid de nocte?

Droht uns tiefe Finsternis oder leuchtet uns ein neuer Morgen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe? Wir wollen ohne die geringste Spur von Überheblichkeit oder falschen Sinnes beten, daß das herrliche Gottesgeschenk dieses Zweiten Vaticanums das Unterpfand einer großen, inneren Erneuerung der Kirche werde. Möge uns unser guter Geist nicht verlassen, dann wird auch Gottes Geist mit und bei uns sein.

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