6667282-1960_41_04.jpg
Digital In Arbeit

Der Katholik in der SPÖ

Werbung
Werbung
Werbung

Die in den Nummern 38 und 39 der „Furche“ veröffentlichte Auseinandersetzung unseres ständigen Mitarbeiters Dr. Anton BurgUardt mit der „Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Katholiken“ befaßte sich hauptsächlich mit den Auffassungen Dr Albert Massiczeks. Die „Furche“ gibt einer grundsätzlichen Erwiderung dieses bekannten katholischen Sozialisten aus Gründen der von ihr prinzipiell vertretenen Fairneß im Gespräch gern Raum, ohne sich natürlich mit den hier geäußerten Ansichten zu identifizieren.

Verehrter Herr Dr. Burghardt!

Warum einer Diskussion so viel Steine in den Weg legen? Der erste Stein: Sie haben den Titel meiner Broschüre in vielsagender Weise falsch zitiert, nämlich „Warum katholische Sozialisten1?“ Das war kein gutes Omen! Wir sind sozialistische Katholiken, der Ton liegt, wie Sie meiner Broschüre entnehmen können, nicht zufällig auf dem Substan-tivum!

Die in der „Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Katholiken“ Tätigen nehmen ausnahmslos an Kirchenjahr und sakramentalem Leben teil. In der Kirche „heimisch zu werden“, dessen bedarf es wahrlich nicht mehr. Der Prozentsatz von Absolventen des Laienjahres, Trägern der Missio canonica, Pfarrhelfern usw. ist größer als anderswo. Daß der Arbeitsgemeinschaft auch eine Anzahl von Priestern nahesteht, erwähne ich der Vollständigkeit halber. Ist die „Kirche also für uns ein Abstraktum“, mit dem wir uns „nur intellektuell“ auseinandersetzen können?

Ihre Besprechung ist in manchen Punkten dem Gegenstand adäquat. Das ehrt den Funktionär der gegnerischen Partei in Ihnen. Ich frage Sie aber: Wo steht bei mir ein einziger Satz „Pfaffenspiegel-Material“? (Ich kannte diese kirchlich verbotene Sudelei bisher nur dem Namen nach, habe sie nur um Ihretwillen angesehen.)

Die „Lieferanten“ meines Materials: Pius XL, Pius XII., Theodor Blieweis, E. Bodzenta, W. Brenner, K. Brockmöller SJ., P: Chauchard, Kardinal Döpfner, Ch. Graf Montalembert, G. Montesi, Ö. v. Nell-Breuning SJ., G. Philips, M. Reding, Pie Regamey 0P„ I. Seipel, W. Weinzierl-Fischer; . dazu folgende Quellen: Eine Weisung des französischen Episkopats. Kirchenzeitung „Ruhrwort“, kirchliche Statistiken, Politische Schulverfassung (1805). Die Worte L. Zechners, B. Pittermanns und C. G. Jungs werden von Ihrer Behauptung ebensowenig getroffen. Wozu also dieser Stein?

„Material für Marxisten“? Nichts, das nicht deutlicher und ausführlicher bei Reding, Ber-nanos, Wirtz und anderen zu lesen ist. Atheisten sind an meinem Material weder interessiert noch darauf angewiesen. Ich habe es entgegen Ihrer Behauptung in letzter Linie für sie zusammengestellt. Aber die Marxisten sind gewöhnt, daß die Christen von ihnen Schuldbekenntnisse verlangen, ohne selber welche abzulegen. So hat mein Material höchstens etwas ins Lot gebracht. Eine Frage an Sie: Wissen Sie wirklich nicht, wie es „drüben“ wirkt, daß man bei den Katholiken fast niemals zu irren scheint?

Womit wollen Sie belegen, ich „identifiziere die Geschichte der Kirche mit der Summe sachlich-kirchlicher Fehlentscheidungen (Ihr Wort!)“? Die Beweislast liegt beim Ankläger. Wenn von zwei katholischen Laien einer mit magistral erhobenem Zeigefinger für sich allein und monopolistisch in Anspruch nimmt, „die Kirche“ zu vertreten, x verketzert er den anderen ipso facto...

Aber aus dem Evangelium geht hervor, daß der Schmollwinkel für den Christen auch dann ein unzulässiger Aufenthaltsort ist, wenn er, bürgerlich gesehen, längst beleidigt sein dürfte. Fahren wir also dennoch fort:

Ihr Begriffsnotstand: Sie unterscheiden zuwenig zwischen Kirche und Katholizismus. Damit kommen Sie dem Integralismus nahe. Wo gibt es für den Sozialismus einen näheren Weg zur Kirche als den des einzelnen Sozialisten zu Messe und Sakrament? Zudem existiert ja auch „Tuchfühlung“ (ich mag dieses Wort nicht, seiner Herkunft wegen) mit dem, was Sie den „katholischen Raum“ nennen. Es sind ja unsere Brüder in Christus, mögen sie auch mit gerunzelter Stirn auf unsere Kühnheit blicken! Begriffsnotstand hinsichtlich des Wortes Sozialismus? Herr Doktor, ich bleibe dabei:

Marx wird in seiner Sozialanalyse von den herrschenden Lehrmeinungen der Katholischen Soziallehre nicht verstanden. Das ist das Fundament eines gewichtigen Alibis für Rechtskatholizismus und Kapitalismus.

Wohl das extremste Zitat in meiner Broschüre ist von Pius XII.: „Unsere Seele wird erschüttert, da aus öffentlichen Untersuchungen ... hervorgeht, daß der größere Teil derer, die vom Glauben abfallen, wegen des Versagens und der Schuld von Priestern armselig Schiffbruch leiden.“ Ich schrieb dazu in meiner Broschüre (S. 12), daß dieses Wortes „furchtbare Tragweite in unserer .christlichen' Welt auch noch nicht annähernd erfaßt worden zu sein scheint“. Ergebnis der römischen Diözesansynode: man weiß jetzt, daß es dort praktisch keinen Priesternachwuchs gibt, daß 70 Prozent der Römer die Ewige Stadt auf ewig verlassen, ohne die Sterbesakramente zu verlangen. In Österreich gibt die herkömmliche Seelsorgepraxis dem Laien zumeist nur das Allernot-wendigste dessen, was ihm nach dem Kirchenrecht zusteht. Die Früchte: drei Viertel der Erwachsenen bleiben der Sonntagsmesse fern*. Nun, Priester müssen geboren und getragen sein vom gläubigen Volk, getragen von Antwort und Verantwortung der Gemeinde. Und die Gemeinde? Sie ist durchschnittlich zufrieden, zumindest schweigt sie. Und das schreit zum Himmel! (Daß ich Ihre Stichworte „frei-religiös“, „Ethische Gemeinde“, „Los-von-Rom-Termino-logie“ weder qualifiziere noch beantworte, werden Sie verstehen und verzeihen, Herr Doktor!)

Nehmen wir hinzu, daß der Habitus dessen, was Sie „katholischen Raum“ nennen, in vielen Pfarren bis heute unverkennbar politisch gefärbt ist. (Beweise könnte ich Ihnen unter anderen aus der eigenen Heimatpfarre vorlegen.) Wo gibt es aus diesem katholischen Raum Protest gegen Wahlpropaganda (in diesen Tagen Habsburg-Propaganda) von so und so vielen Kanzeln? Diese politische Schlagseite verlangt aus seelsorglichen Gründen politischen t Widerspruche - Politische*i - Katholiwsmi ? -Be-t achten Sie bitte den Unterschied in den Mo-

Politik von der Kanzel ist beleidigender Mißbrauch priesterlicher Würde. Politik aus dem Glauben aber ist für den katholischen Laien Gewissensverpflichtung. Das ist mein Konzept und ich habe es nicht verleugnet.

Italienische Bischöfe sagten vor etwa zwei Jahren, daß die schönste katholische Soziallehre nichts nütze, wenn niemand sie anzuwenden bereit sei. Sie sind Fachmann, Herr Doktor, vielleicht können Sie meinem Vertrauen zu unseren Unternehmern etwas auf die Beine helfen. Aber ich fürchte, die Sozialenzykliken werden auch bei uns fast nur verwendet, wenn man Propagandamaterial gegen den Sozialismus braucht. Dies ein weiteres Motiv meiner Absenz in Ihrem „katholischen Raum“. Und es steht in auffälliger Übereinstimmung mit dem ersten Motiv!

„Ihr seid das Salz der Erde!“ Die Kirche wird und muß es immer sein. Auch heute gibt es in Österreich allerorten Priester und Laien, die Salz der Erde sind und in den Wunden unserer „christlichen“ Welt brennen. Aber das Antlitz unseres Katholizismus? Dieses Salz scheint mir sehr schal geworden. Ich wünsche ihm die Sprache Jesu, der Apostel, eines Chrysostomus, eines Savonarola und wollte, ich hörte sie bald. Die Kirche schweigt auch in unserem Jahrhundert nicht. Das beweisen Charles de Fou-cauld, Abbe Pierre, Johannes XXIII. Aber was sich bei uns zulande mit Monopolanspruch für „die Kirche“ hält, das schweigt beredt. Und wer im brennenden Haus Feuer schreit, wird auf das „Sentire cum ecclesia“ verwiesen, als ob es zur verantwortungslosen Unterwürfigkeit unter ein Meinungsmonopol verpflichtete. Verzeihen Sie meine harten Worte, Herr Doktor, aber ich kann die Dinge trotz allem Bemühen nicht anders sehen!

Als ich las, i c h hätte „die Kirche“ im Anschluß an Auslassungen des „Osservatore Romano“ in „eine gegnerische Position gedrängt“, habe ich herzlich gelacht, und bitte Sie deswegen um Verzeihung. Der Gegenstand ist ja auch wirklich zu ernst. Aber der durchschnittliche Katholik sieht den „Osser-vatelfcoarifiterWtftjSie uniti^^o-in^derjaö-schränkung seiner verpflichtenden Gültigkeit. Darum, und nur darum konnte, ja auch mit den Auslassungen dieses Blattes in den seitherigen Wahlkämpfen so massiv „gearbeitet“ werden, ohne daß auch nur eine Stimme im „katholischen Raum“ dagegen Einspruch erhoben hätte.

In der Kirche, präzise: der sancta catholica ecclesia, gilt immer noch der Satz des heiligen Augustinus: „In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus Caritas.“ Wer den Bereich des notwendig zu Glaubenden aus Angst expandiert, macht Freiheit und Liebe in der Kirche überständig. Und dabei ist das einzige, was an der Kirche Jesu Christi überzeugt, die Liebe, die ja die Freiheit zur Grundlage hat. Und es geht doch heute mehr denn je darum, daß man über uns Christen sagen kann: „Seht, wie sie einander lieben!“

Die innere Widersppüchlichkeit meiner beiden Publikationen wurde behauptet, aber nicht bewiesen. Ich appelliere in diesem Zusammenhang ernstlich an den „katholischen Raum“, Karl Marx nicht weiter als Spießerschreck zu verwenden, sondern sich in seine Werke zu vertiefen. Dann mag eine Diskussion beginnen, aber nicht früher. Ich leite für meine Person aus Naturrecht und Evangelium ab, daß alle Menschen gleiche Würde haben und vor Gott gleichen Wesens sind, damit aber auch voreinander. Zudem ist Arbeit nur mit Arbeit, aber niemals mit Zahlungen abzugelten. Dem entspricht allein als anzustrebende Absolute — ob sie hic et nunc voll zu verwirklichen ist, spielt dabei keine Rolle — die klassenlose Gesellschaft. Das ist für mich, politisch gesehen, der gewichtigste Grund, aus ganzem Herzen Sozialist zu sein. Andere Katholiken, auch sozialistische, denken da anders. Das ist Sache ihrer Freiheit und Verantwortung. Es ist die Stärke der Ar^ beitsgemeinschaft, daß sie hinsichtlich der g e-sellschaftlichen Ziele in der Zweipoligkeit Marx—Revisionismus fruchtbar und freimütig diskutiert. In der weltanschaulich pluralistischen SPÖ gibt es auch in dieser Hinsicht kein Meinungsmonopol. Sollten da ausgerechnet sozialistische Katholiken eines aufrichten? Was uns eint, ist die gelebte und praktizierte Zugehörigkeit zur Kirche und das gemeinsame sozialistische Streben. Das genügt vollauf.

Ich gebe meiner Zuversicht Ausdruck, daß Ihre in vielen Punkten mutige Stellungnahme letztlich nur zu besserem Verstehen führen kann, und grüße Sie als Ihr Bruder in Christus Dr. Albert M a.s s i c.z e k

1 Der Titel lautet: „Warum sozialistische Katholiken?“ (Schriften der „Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Katholiken“, 1.) Wien 1959. (Herausgegeben Von ZrnitrabekrewtfQt 'der SPÖ.)

2 Die wertvolUte Untersuchung für österreichische “•VWhäkrißse: 'WalterSilk;- Religionisoziologische

Untersuchungen der Pfarre St. Johann von Nepomuk, Wien II. — Staatswiss. Diss. Wien 1957.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung